Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

Nachkrichten aus dem 
ab getrennten 
Saar- und Pfalzgebien 
— .— 
Nummer 22 4 7. Jahrgang 
—— 
Mitteilungsblati 
des 
Bundes der sSaar Vereine 
Berlin, 15. November 1926. 
Die Thoirvy⸗Idee. 
Die Frage der deuisch-französischen Verständigungs— 
derhandlungen ist in den letzten Wochen heftiger kritischer 
Betrachtungen unterworfen worden, weil man verschiedent⸗ 
sich der Auffassung zuneigt, als habe sich das in Thoiry 
zwischen Briand und Stresemann in Aussicht genommene 
Verständigungsprogramm nicht als durchführbar erwiesen. 
Wir haben schon in einem früheren Aufsatz darauf hinge— 
wiesen, daß eine solche in Deutschland vertretene Auffassung 
deutsch-—französischen Verständigungsbestrebungen abträglich 
sein muß, weil damit in Frankreich der Eindruck erweckt 
wird, als habe man es in Deutschland besonders eilig, diese 
berhandlungen schnell unter allen Umständen zu einem 
chnellen Ergebnis zu bringen. Wir haben der Meinung 
Ausdruck gegeben, daß Deutschland sich auf den Standpunkt 
tellen sollte, daß es warten könne, bis sich die Dinge weiter 
entwickeln, da ein Jahr mehr oder weniger in dem Entwick⸗ 
lungsprozeß der deutsch-französischen Beziehungen wirklich 
keine Rolle mehr spielt. Diese unsere Auffassung wird offen⸗ 
bar auch an meßgeblicher deutscher Stelle geteilt, wie aus 
verschiedenen in der deutschen Presse erschienenen Betrach— 
lungen über den Stand und den Gang der Thoiry-Verhand⸗ 
lungen hervorgeht. 
Wer die Entwicklung besonders der deutsch-französischen 
beziehungen mit einiger Sorgfalt beobachtet hat, ist längst 
zu der Auffassung gekommen, daß mit den in der Bespre⸗ 
hung von Thoiry aufgetauchten Gesichtspunkten ein 
problem angeschnitten worden ist, das nicht ohne weiteres 
zus der Verschlechterung der gesamteuropäischen Fragen 
herausgenommen werden kann, wie sie durch den Versailler 
Vertrag aufgeworfen aber nicht gelöst worden sind. 
Wenn man ganz weit ausgreifen will, so muß man auf 
die Kriegs ursache und auf das Kriegsziel 
unserer hauptsächlichsten Gegner zurüchgreifen, 
im zu verstehen, daß mit dem Versailler „Frieden“ „ver⸗ 
trags mäßig“ in Europa eine Lage geschaffen wurde, die die 
vor Jahrzehnten und länger zurückliegende natürliche Ent— 
wicklung auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem 
ebiet willkürlich zerstörte, hemmte oder in eine neue Rich— 
kung zu drängen verfuchte. Mag man in Frankreich heute 
noch aus Angst vor der Wahrheit die These vertreten, als 
sei Frankreich im Jahre 1914 von Deutschland überfallen 
worden, so ändert das an der geschichtlich fest-— 
stehenden Tatfache nichts, daß Frankreich 
und Rußland den Weltkrieg jahrelang por—⸗ 
bereitet und schließlich durch den Fürsten— 
möornd von Serajewo entfacht haben mit dem 
— festgelegten Ziel, Elsaß-Lothringen zurück 
werobern, as Saargebiet zu annektieren 
deserreich ungarn zu —— und die verbündeten 
— zu ohnmächtigen Kleinstaaten zu gestalten 
er über dieses Kriegsziel — noch im Zweifel ge⸗ 
wesen sein sollle, ist“ durch die inzwischen veröffentlichten 
russischen Geheimdokumente und durch die französische Saar— 
Rhein⸗ und Ruhrpolitik eines besseren belehrt worden. 
Die Entente hat im großen und ganzen ihr Kriegsgiel er— 
reicht. Man hat Deutschland wehr- und waffenlos, man hat 
es tributpflichtig gemacht. 
Dabei hat man aber eines nicht in Rechnung gestellt, 
daß man mit der Zertrümmerung Deutschlands als Welt— 
wirtschaftsfaktor auch die rein weltwirtschaftlichen Grund— 
sätze zerstört und dadurch die Weltwirtschaft selbst in Un— 
ordnung gebracht hat. Die Erkenntnis von den weltwirt— 
schaftlichen Schäden dieses in Versailles angerichteten euro— 
päischen Chaos hat sich mit seinen zutage getretenen Wir— 
kungen in den einzelnen europäischen und außeneuropäischen 
Ländern immer mehr durchgesetzt. Nur in Frankreich ver— 
ucht man sich in änteressierten Kreisen dieser Erkenntnis zu 
oerschließen, weil man Jahre, hindurch das französische Volk 
dadurch bei guter Laune und gutem Glauben gehalten hat, 
daß man ihm immer wieder predigte: „Der Boche bezahlt 
alles“! 
Wir sagten ausdrücklich, daß gewisse inter— 
essierte Kreise Frankreichs diesen Glauben auch weiter— 
hin aufrecht zu halten versuchen. Denn allmählich hat man 
auch in französischen vernunftmäßig urteilenden Kreisen 
eingesehen, daß es ausgeschlossen ist, ein 65 Millionen Volk, 
einen Faktor der Weltwirtschaft und eine Kraftquelle 
menschlicher Kultur auf die Dauer in — — zu 
halten. Frankreich ist und bleibt trotz aller eingeleiteten 
Gegenmaßnahmen ein aussterbendes Volk, während das 
deutsche Volk nach wie vor Merkmale zunehmender Volks⸗ 
kraft aufzuweisen hat. Das ungeschriebene Gesetz des 
Selbsterhaltungstriebes muß daher, wenn 
Frankreich seine Unterdrückungs- und Haßmethoden gegen 
deutschland weiter verfolgt, sich eines Tages automatisch 
gegen Frankreich wenden, dann nämlich, wenn das deutsche 
Volk über die ihm willkürlich und absichtlich zu eng gezoge— 
nen Grenzen naturnotwendig hinauswächst. den Ringsprengt. 
der ihn Knechtschaft halten soll. 
Daß dieser Zeitpunkt eintreten muß, erkennt man in 
Frankreich allgemein, auch in jenen Krisen, die ein Wieder—⸗ 
erstarken Deutischlands mit allen Mitteln verhindern möch— 
ten. Deshalb der Schrei nach Sicherheit, deshalb die Politik 
der Bündnisse, deshalb die Ablehnung der asslaemeinen Ab⸗ 
rüstung. 
Dieser Ausgabe liegt die Nr. 11, Jahrgang 2. 
der Saarheimafbilder“ vei 
—
	        
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