Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

zum Abstimmen bewegen, wurden alle Mittel der Ueberredung 
and selbst der Äutorität, die in der Macht des Unterpräfekten 
standen, empfohlen. 
„Wenn gegen alles Erwarten in Ihrem Kreise fich Ge⸗ 
meinden befanden, die so unbekümmert um das Schicksal Frank—⸗ 
reichs und folglich um ihr eigenes Intexesse sind, daß sie sich 
weigerten, zu stimmen, beauftrage ich Sie förmlich, auf der 
Sielle dorthin Spezialkommissare zu senden, welche solange 
aduf Kosten der zehn Söchstbesteuerten der, Ge⸗ 
meinde dort bleiben, bis alle Einwohner 
einzeln eine Stimme nach ihrem Belieben 
abgegeben haben!“ 
Der Ausdruck „nach ihrem Belieben“ besagt gar ge Denn 
angesichts dessen, daß die Listen offen lagen und die Franzosen 
seden Gegner dadurch kannten, wagten es nur wenige, genau wie 
1918 in Eupen-Malmedy, sich gegen Rapoleon zu erklären. Die 
Ergebnisse dieser Abstimmung waren in Saarbrücken 8567 
Summen für und 4270 gegen Napoleon. Dieses Ergebnis be— 
rechtigt nicht zu der Annahme, daß aus den für RNapoleon ab⸗ 
gegebenen Stimmen eine Sympathie für Frankreich 
geschlossen werden kann. Denn die Saarbevölkerung verehrte in 
Rapoleon nicht den Franzosen, sondern den starkeyr 
Pann, der die Fähigkeiten besaß, in das entsetzliche Durch— 
einander der damaligen Welt wieder Ordnung hineinzubringen. 
Selstverständlich hatte das oben gekennzeichnete Verfahren der 
Präfekten und Bürgermeister, die Stimmenabgabe nach Möõglich⸗ 
keit zu beeinflussen, seinen Zweck erreicht. Rapoleon war zu⸗ 
friedengestellt, und die Gunst dieses Gewaltigen blieb den Be⸗ 
hörden nicht versagt. 
Ebenso verlief die 7 eite Abstimmung im Jahre 1804 
in einem Sinne, dem die französische Pubüzistik in voll⸗ 
sdee Verkennung der Seelte des Volkes an 
er Saar eine übertriebene und falsch ver⸗ 
standene Bedeutung beimißt. Auch diese Abstimmung 
war rein innerpolitischer Natur und hatte mit außen 
politischen Fragen nichts zu tun. Auch hier waren keine 
böltkerrechtsichen, sondern staatsrechtliche Er⸗ 
wägungen maßgebend. Die Frage der Abstimmung Jautete 
nach modernen Begriffen konkret gefaßt: Eine starke 
Staatsgewalt, die Ordnung und Recht — 
erbliches Recht der napoleonischen Dynastie 
oder Wahlmonar chie. Sie lautete aber nicht, rein 
völkerrechtlich geschen: Anschluß an Deutschland 
oder Frankreich. Das konnte ste schon deswegen nicht, wen. 
ja durch den Frieden von Luneville das Rheinland und mithit 
auch das Saargebiet zu Frankreich geschlagen worden waren 
Die Bevölkerung — Gebiete konnte somit niemand daraf 
hindern, ihre staansbürgerlichen Rechte nun aud 
a e auszuiiben. Aus diesen und anderen Gründen 
kann die Abstimmung nicht so ausgewertet werden, wie es in 
Frankreich gar zu gerne getan wird. Beide Abstimmunger 
tanden, wie bereits betont, unter starkem behördlichen 
Druck. Verschiedene interessante Bruchstücke aus den Ausfüh 
rungsvorschriften zur Abstimmung legen dafür Zeugnis ab. St 
schrieb z. B. der Präfekt des Saardepartements, Keppler, am 
26. Mai an seine Bürgermeister folgenden. bezeichnenden Ükas 
„Sie werden sich nicht darauf beschränken, eine kalte Eim 
ladung an Ihre Verwalteten zu erlasseit, Sie oder Ihr Adjunkt 
werden sich sukzessie in alle Gemeinden Ihrer Bürger— 
meistereien begeben, die Einwohner zusammenrufen und deren 
Einzeichnung in das von Ihnen eröffnete Register provoziecen 
Diesenigen, die sich nicht einzeichnen können, geben darüber 
ihre Erklärung ab und Sie werden es für diese tun, nachdem 
dieselben ihre Zeichen gemacht haben. Die Zahl und das Er— 
gebnis der Stimmen, die in das Register eingetragen seir 
werden, werden den Maßstab de Ihren Eife 
bilden und den Beweis für Ihre Anhänglich 
keit, die Sie zu Seiner Majestät, dem Kaisfé— 
der Franzosenhegen.“ 
Man vergegenwärtige sich einmal diesen Erlaß eines Vorgesetzten 
an seine Untergebenen. Von der Zahl der abgegebene, 
Stimmen wird es abhängen, ob der Beamte7 
oder Y. die nötige Qualisikation zur Beamten— 
schaft besitzt und ob er in Zukunft miteiner Be 
förderung für die geleisteten Dienste rechnep 
kann. Es geht gerade aus diesem Erlaß hervor, daß die unter— 
deordneten Verwaltungsorgane aus egoistischen Motiven für 
eine möglichst großte Stimmenzahl zugunsten der 
napoleonischen Staatsidee sich einsezten. Es bedas 
keiner weiteren Erörterung darüber, wie die Beeinflussungen der 
Gemeindeangehörigen betrieben wurde. Andererseits haben die 
Bemühungen der franzößschen Verwaltungsebamten im Saargebiet 
auch energischen Widerstand gefunden, wie dies aus einem 
Schreiben des Trierer Präfekten an den Konmissar der vier De 
vartements auf dem linken Rheinusfer klar hervorgeht. 
(Schluß folgt.) 
Die Sgarliguidiserung nicht mehr aetuell? 
Die französische Presse ist immer ein Instrument gewesen, 
auf dem sich ausgezeichnet spielen läßt, sobald der richtige Ton 
dafür gefunden ist. Die Angabe des richtigen Tones ist das 
Kunststüch der jranzösijichen Außenpolitik. Je nachdem, wie man 
die ffentliche Meinung braucht, wendet man sich an die Re— 
gierungs- oder Oppositionspresse. Auf jeden Fall schafft man sich 
dadurch die Stimmung, mittels deren man von dem jeweiligen 
Verhandlungspartner den größtmöglichen Vorteil für Frankreich 
eeen sucht. Das * sich besonders jeßzt wieder nach der 
hoiry-Konferenz gezeigt. Die zwischen Briand und Stresemann 
dort zustande gekommenen Vereinbarungen haben, das zu be— 
streiten wäre zwecklos, nicht die volle Uebereinstimmung im fran— 
zösischen Kabinett gefunden. Berührten sie doch ein Gebiet, das 
vorläufig noch die französischen Militaristen allein zu beherrschen 
wünschen, nämlich die Besetzung deutschen Bodens dirch fran— 
zͤsñib Armeen. 
In der französischen Oeffentlichkeit herrscht zurzeit über die 
Auswirkung der Thoiry-Vereinbarungen und über die Gestaltung 
der darauf basierenden deutsch-französischen Verhandlungen ein 
ziemlich wirres Durcheinander. Das ist nicht dadurch besser ge— 
worden, daß Poincaré seine Auffassung über die Notwendipkeit 
der Ratifizierung der französischen Schuldenabkbommen mit Eng— 
land und Amerika in wenigen Wochen dreimal geändert hat. 
Püit der Regelung der Schuldenfrage steht aber das Thoiry-Ueber— 
einkommen engstens in Verbindung. Hauptgrundlage dieier Ver— 
einbaxung war, daß als Gegenleistung für die vorzeitige Rhein— 
und Saarräumung Deutschland am Wiederausbau der Währung 
und der Finanzen Frankreichs auf dem Wege der Mobilisierung 
eines Teifs der deutschen Eisenbahnbonds mitarheiten würde 
Der Kreis jener französischen Reglpolitiker die die Aufrecht⸗ 
erhaltung der Besatzungsärmeen an Rhein und Séear für unver— 
einbar mit dem neuen Geist von Locarno und Genf halten, isi 
gewiß nicht klein. Das ergibt sich am besten aus der Tatgache, 
daß zunächst die Frage der Zurückziehung der fran— 
zösilschen Besfahuüng von Rhein und Saar und die 
Rüäückführungdes Saargebiets nach Deuftschland in der 
ranzösischen Presse durchaus sachlich behandelt wurde. Erst all 
mählich, vielleicht auf Grund eines von bestimmter Stelle aus— 
gegebenen Stichwortes, wollte man in einem großen Teil der 
französischen Presse von dieser Regelung plötzlich nichts mehr 
wissen. Rachdem man zunächst die Unmöglichkeit der vorzeitigen 
Räumung des Rheinlandes nochzuweisen versucht hatte. wende 
man sich jetzt der Neuregelung der Saarfrage zu, und erklärt, au— 
rein wirtschaftlichen und Prestigegründen eine vorzeitige Rück 
qgobhe des Sgargebiets an Deutschland für völlig ausgeschlossen. 
Der Pariser Vertreter der „Saarbrücker Landeszeitung' 
stellt in einem beachtlichen Aufsatz die verschiedenen franzöfische: 
Presseerörterungen zur Saarfrage oneinander. Danach schriel 
vor kurzem der bekannte „Petit Parisien“, daß der Plan eines 
reinen Verkaufsgeschäftes bezüglich des Saargebiete⸗ 
— selbst bei einem Preise von einer Milliarde Goldmark - .in 
Anbetracht der bestehenden Vertragsrechte ungulässig und praktisa 
undurchführbar sei. Damit wird wohl die Ansicht Poincarés 
zum Ausdruck gekommen sein. der ja auch schon in der vergangene; 
Woche in Straßburg die elsässischen Handelskreise mit der Be 
merkung beruhigen zu müssen glaubte. daß an die Aenderung de— 
wirtschafttlichen Stalus des Saaragebietes nicht gedacht würde 
Der „Figaro“ aber gibt sich damit nicht zufrieden und ver— 
langt eine klipp und klare Erklärung der Regiexung über dieser 
Punkt. „Was wollen wir?“, so fragt er, „die Saargruben na 
den sieben Lehrjahren auf unbestimmte Zeit für uns behalten 
sie 1935 zurückgeben, nachdem wir bis dahin die Einnahmen ge— 
nießen, oder sie jetzt schon gegen anderweitige Vorteile aus 
tauschen?“ Erst nach der Entscheidung in diesem ader ienen 
Sinne könne man über den Preis reden. 
Inzwischen protestieren die Handelskammern Ostfrankreichs 
Gestern Nanucy, heute Metz. Anter keinen Umständen darf vor 
1935 die Zollgreuze zwischen Saargebiet und Frankreich errichte 
werden “ Weil der vothringische ßHandel im auter
	        
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