zum Abstimmen bewegen, wurden alle Mittel der Ueberredung
and selbst der Äutorität, die in der Macht des Unterpräfekten
standen, empfohlen.
„Wenn gegen alles Erwarten in Ihrem Kreise fich Ge⸗
meinden befanden, die so unbekümmert um das Schicksal Frank—⸗
reichs und folglich um ihr eigenes Intexesse sind, daß sie sich
weigerten, zu stimmen, beauftrage ich Sie förmlich, auf der
Sielle dorthin Spezialkommissare zu senden, welche solange
aduf Kosten der zehn Söchstbesteuerten der, Ge⸗
meinde dort bleiben, bis alle Einwohner
einzeln eine Stimme nach ihrem Belieben
abgegeben haben!“
Der Ausdruck „nach ihrem Belieben“ besagt gar ge Denn
angesichts dessen, daß die Listen offen lagen und die Franzosen
seden Gegner dadurch kannten, wagten es nur wenige, genau wie
1918 in Eupen-Malmedy, sich gegen Rapoleon zu erklären. Die
Ergebnisse dieser Abstimmung waren in Saarbrücken 8567
Summen für und 4270 gegen Napoleon. Dieses Ergebnis be—
rechtigt nicht zu der Annahme, daß aus den für RNapoleon ab⸗
gegebenen Stimmen eine Sympathie für Frankreich
geschlossen werden kann. Denn die Saarbevölkerung verehrte in
Rapoleon nicht den Franzosen, sondern den starkeyr
Pann, der die Fähigkeiten besaß, in das entsetzliche Durch—
einander der damaligen Welt wieder Ordnung hineinzubringen.
Selstverständlich hatte das oben gekennzeichnete Verfahren der
Präfekten und Bürgermeister, die Stimmenabgabe nach Möõglich⸗
keit zu beeinflussen, seinen Zweck erreicht. Rapoleon war zu⸗
friedengestellt, und die Gunst dieses Gewaltigen blieb den Be⸗
hörden nicht versagt.
Ebenso verlief die 7 eite Abstimmung im Jahre 1804
in einem Sinne, dem die französische Pubüzistik in voll⸗
sdee Verkennung der Seelte des Volkes an
er Saar eine übertriebene und falsch ver⸗
standene Bedeutung beimißt. Auch diese Abstimmung
war rein innerpolitischer Natur und hatte mit außen
politischen Fragen nichts zu tun. Auch hier waren keine
böltkerrechtsichen, sondern staatsrechtliche Er⸗
wägungen maßgebend. Die Frage der Abstimmung Jautete
nach modernen Begriffen konkret gefaßt: Eine starke
Staatsgewalt, die Ordnung und Recht —
erbliches Recht der napoleonischen Dynastie
oder Wahlmonar chie. Sie lautete aber nicht, rein
völkerrechtlich geschen: Anschluß an Deutschland
oder Frankreich. Das konnte ste schon deswegen nicht, wen.
ja durch den Frieden von Luneville das Rheinland und mithit
auch das Saargebiet zu Frankreich geschlagen worden waren
Die Bevölkerung — Gebiete konnte somit niemand daraf
hindern, ihre staansbürgerlichen Rechte nun aud
a e auszuiiben. Aus diesen und anderen Gründen
kann die Abstimmung nicht so ausgewertet werden, wie es in
Frankreich gar zu gerne getan wird. Beide Abstimmunger
tanden, wie bereits betont, unter starkem behördlichen
Druck. Verschiedene interessante Bruchstücke aus den Ausfüh
rungsvorschriften zur Abstimmung legen dafür Zeugnis ab. St
schrieb z. B. der Präfekt des Saardepartements, Keppler, am
26. Mai an seine Bürgermeister folgenden. bezeichnenden Ükas
„Sie werden sich nicht darauf beschränken, eine kalte Eim
ladung an Ihre Verwalteten zu erlasseit, Sie oder Ihr Adjunkt
werden sich sukzessie in alle Gemeinden Ihrer Bürger—
meistereien begeben, die Einwohner zusammenrufen und deren
Einzeichnung in das von Ihnen eröffnete Register provoziecen
Diesenigen, die sich nicht einzeichnen können, geben darüber
ihre Erklärung ab und Sie werden es für diese tun, nachdem
dieselben ihre Zeichen gemacht haben. Die Zahl und das Er—
gebnis der Stimmen, die in das Register eingetragen seir
werden, werden den Maßstab de Ihren Eife
bilden und den Beweis für Ihre Anhänglich
keit, die Sie zu Seiner Majestät, dem Kaisfé—
der Franzosenhegen.“
Man vergegenwärtige sich einmal diesen Erlaß eines Vorgesetzten
an seine Untergebenen. Von der Zahl der abgegebene,
Stimmen wird es abhängen, ob der Beamte7
oder Y. die nötige Qualisikation zur Beamten—
schaft besitzt und ob er in Zukunft miteiner Be
förderung für die geleisteten Dienste rechnep
kann. Es geht gerade aus diesem Erlaß hervor, daß die unter—
deordneten Verwaltungsorgane aus egoistischen Motiven für
eine möglichst großte Stimmenzahl zugunsten der
napoleonischen Staatsidee sich einsezten. Es bedas
keiner weiteren Erörterung darüber, wie die Beeinflussungen der
Gemeindeangehörigen betrieben wurde. Andererseits haben die
Bemühungen der franzößschen Verwaltungsebamten im Saargebiet
auch energischen Widerstand gefunden, wie dies aus einem
Schreiben des Trierer Präfekten an den Konmissar der vier De
vartements auf dem linken Rheinusfer klar hervorgeht.
(Schluß folgt.)
Die Sgarliguidiserung nicht mehr aetuell?
Die französische Presse ist immer ein Instrument gewesen,
auf dem sich ausgezeichnet spielen läßt, sobald der richtige Ton
dafür gefunden ist. Die Angabe des richtigen Tones ist das
Kunststüch der jranzösijichen Außenpolitik. Je nachdem, wie man
die ffentliche Meinung braucht, wendet man sich an die Re—
gierungs- oder Oppositionspresse. Auf jeden Fall schafft man sich
dadurch die Stimmung, mittels deren man von dem jeweiligen
Verhandlungspartner den größtmöglichen Vorteil für Frankreich
eeen sucht. Das * sich besonders jeßzt wieder nach der
hoiry-Konferenz gezeigt. Die zwischen Briand und Stresemann
dort zustande gekommenen Vereinbarungen haben, das zu be—
streiten wäre zwecklos, nicht die volle Uebereinstimmung im fran—
zösischen Kabinett gefunden. Berührten sie doch ein Gebiet, das
vorläufig noch die französischen Militaristen allein zu beherrschen
wünschen, nämlich die Besetzung deutschen Bodens dirch fran—
zͤsñib Armeen.
In der französischen Oeffentlichkeit herrscht zurzeit über die
Auswirkung der Thoiry-Vereinbarungen und über die Gestaltung
der darauf basierenden deutsch-französischen Verhandlungen ein
ziemlich wirres Durcheinander. Das ist nicht dadurch besser ge—
worden, daß Poincaré seine Auffassung über die Notwendipkeit
der Ratifizierung der französischen Schuldenabkbommen mit Eng—
land und Amerika in wenigen Wochen dreimal geändert hat.
Püit der Regelung der Schuldenfrage steht aber das Thoiry-Ueber—
einkommen engstens in Verbindung. Hauptgrundlage dieier Ver—
einbaxung war, daß als Gegenleistung für die vorzeitige Rhein—
und Saarräumung Deutschland am Wiederausbau der Währung
und der Finanzen Frankreichs auf dem Wege der Mobilisierung
eines Teifs der deutschen Eisenbahnbonds mitarheiten würde
Der Kreis jener französischen Reglpolitiker die die Aufrecht⸗
erhaltung der Besatzungsärmeen an Rhein und Séear für unver—
einbar mit dem neuen Geist von Locarno und Genf halten, isi
gewiß nicht klein. Das ergibt sich am besten aus der Tatgache,
daß zunächst die Frage der Zurückziehung der fran—
zösilschen Besfahuüng von Rhein und Saar und die
Rüäückführungdes Saargebiets nach Deuftschland in der
ranzösischen Presse durchaus sachlich behandelt wurde. Erst all
mählich, vielleicht auf Grund eines von bestimmter Stelle aus—
gegebenen Stichwortes, wollte man in einem großen Teil der
französischen Presse von dieser Regelung plötzlich nichts mehr
wissen. Rachdem man zunächst die Unmöglichkeit der vorzeitigen
Räumung des Rheinlandes nochzuweisen versucht hatte. wende
man sich jetzt der Neuregelung der Saarfrage zu, und erklärt, au—
rein wirtschaftlichen und Prestigegründen eine vorzeitige Rück
qgobhe des Sgargebiets an Deutschland für völlig ausgeschlossen.
Der Pariser Vertreter der „Saarbrücker Landeszeitung'
stellt in einem beachtlichen Aufsatz die verschiedenen franzöfische:
Presseerörterungen zur Saarfrage oneinander. Danach schriel
vor kurzem der bekannte „Petit Parisien“, daß der Plan eines
reinen Verkaufsgeschäftes bezüglich des Saargebiete⸗
— selbst bei einem Preise von einer Milliarde Goldmark - .in
Anbetracht der bestehenden Vertragsrechte ungulässig und praktisa
undurchführbar sei. Damit wird wohl die Ansicht Poincarés
zum Ausdruck gekommen sein. der ja auch schon in der vergangene;
Woche in Straßburg die elsässischen Handelskreise mit der Be
merkung beruhigen zu müssen glaubte. daß an die Aenderung de—
wirtschafttlichen Stalus des Saaragebietes nicht gedacht würde
Der „Figaro“ aber gibt sich damit nicht zufrieden und ver—
langt eine klipp und klare Erklärung der Regiexung über dieser
Punkt. „Was wollen wir?“, so fragt er, „die Saargruben na
den sieben Lehrjahren auf unbestimmte Zeit für uns behalten
sie 1935 zurückgeben, nachdem wir bis dahin die Einnahmen ge—
nießen, oder sie jetzt schon gegen anderweitige Vorteile aus
tauschen?“ Erst nach der Entscheidung in diesem ader ienen
Sinne könne man über den Preis reden.
Inzwischen protestieren die Handelskammern Ostfrankreichs
Gestern Nanucy, heute Metz. Anter keinen Umständen darf vor
1935 die Zollgreuze zwischen Saargebiet und Frankreich errichte
werden “ Weil der vothringische ßHandel im auter