Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

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NRochtsgelehrten von Manchem gedankenlos 
übernommen werden. Es kommt hinzu, daß der 
Wert der Arbeit nicht dadurch erhöht wird, daß der Ver— 
fasser ihm zweifelhaft erscheinende Fragen (wie z. B. Aus⸗ 
landsschutz S. 11, Saareinwohnerschaft S, 19, 22, Militär— 
gerichtäbarkeit S. 26) mit der billigen Formel „Es mag 
dahingestellt bleiben“ erledigt. 
Die Schrift will objektiv sein. Das hindert den Ver— 
fasser aber nicht, die Tatsache, daß die Regierung die Gut— 
achten der Vertreter der Bevölkerung oft unberücksichtigt 
ließ, als eine „deutsche Behauptung“ hinzustellen, deren 
Stichhaltigkeit natürlich dahingestellt bleibt — mit anderen 
Worten: in Zweifel gezogen wird. „Unsachliche Angriffe 
gegen die Regierungskommission“ (das bezog sich natürlich 
noch auf das Eystem Rault) werden verürteilt, wie auch 
sonst anscheinend die Kundgebungen der Bevölkerung, denen 
es doch in Wirklichkeit in erster Linie zu verdanken isi, wenn 
wir heute im Saargebiet überhaupt von einer „Rechislage“ 
sprechen können, dem Verfasser wenig genehm sind. Auf der 
anderen Seite brauchen nach Wehberg die unzähligen Ver— 
tragsverletzungen — soweit sie nicht einfach „dahingestellt“ 
bleiben — „nicht kritisch behandelt werden“ (so im Falle der 
Notverordnung S. 28). 
Mit einem schlechten Scherz schließt Wehberg seine Ab⸗ 
handlung: Nach ihm hat sich im Verlauf der Vorstellungen 
der Bevölkerung beim Völkerbund (gemeint sind die Genfer 
Delegationen der politischen Parteien) eine besondere saar— 
ländische Friedensliga gebildet. Möge die Wirksamkeit der 
saarländischen Völkerbündsfreunde in den elf Jahren, die 
das Saargebiet noch unter der Herrschaft des Friedensver— 
trages steht, reiche Früchte tragen.“ 
Ein besonderes Urteil über diese „objektive“ Dar— 
stellung der staatsrechtlichen Stellung des Saargebietes er— 
übrigt sich nach diesen Proben. Die Schrift Weh— 
bergs ist ein bedauerlicher Mißgriff — sie 
grenztaneinen Skandal. 
In diesem Jahre hat nun die deutsche Literatur über 
das Saarproblem durch die Schrift von Otto Andres 
„Grundlagen des Rechts im Saargebiet“ eine lang begehrte, 
wertvolle Bexeicherung erfahren. Der Verfasser will nur 
anregen und stellt einen Erfolg für die wirkliche Handhabung 
seiner Arbeit in Frage. Wir schätzen die Bedeutung der 
Schrift wesentlich höher ein. Denn in ihr spricht und uͤrteili 
ein Mann, der neben tiefem juristischen Wissen auch eine 
genaue, absolut zuverlässige Kenntnis des 
Saargebietes selbst, als des Gegenstandes seinen 
Rechtsbetrachtungen besitzt. Das ist gerade in diesem Fall 
von der größten Bedeutung. Denn des 
Wissens bewahrt den Verfasser davor, bei der Auslegung der 
Saarbestimmungen vom grünen Tisch aus in rationale Ver 
legenheitskonstrüktionen zu verfallen und den Boden des 
Wirklichen unter den Fühen zu verlieren. Die verantwor— 
tungsbewußte Gründlichkeit, welche die Andressche Schrift 
auszeichnet, vermeidet es auch sorglich, auch nur eine einzige 
Wweifelhaft erscheinende Frage offen zu lassen. In allen 
Fällen wird eine Klärung, ohne Rücksicht auf die oft von 
Machtverhältnissen diktierte Handhabung, versucht. Und 
zwar in einer Form, die es in ihrer Einfachheit und Klar— 
heit auch dem gebildeten Laien ermöalicht. das Buch mit 
Genuß und Interesse zu lesen. 
Andres beginnt mit der Feststellung der Richtlinien, 
nach denen die Saarbestimmungen des Versailler Vertrages 
auszulegen sind Soweit der Vertragkeine Aen— 
derung der bestehenden Verhältnisse an— 
geordnet hat, bleibt alles beim alten. Dieser 
Hauptsatz des Saargebietsrechts ergibt sich einmal aus den 
ausgesprochen engumgrenzten Zwecken der Sonderregelung 
wie aus dem Willen der Vertragschließenden — und zwar 
beider Teile. Denn in den Rolen vom 10 Mai. 24. Mail 
und 16. Juni 1919 haben die alliterten und assoziierten 
Mächte der deutschen Delegation erklärt, die Saar— 
bestimmungen ständen im Einklang mit den Grundsätzen 
Wilsons, welche er im Jahre 1918 in mehreren Reden aus— 
gesrrochen hat. In diesen Reden aber wird immer wieder 
der Grundsaß des Selbstbestimmungsrechtes 
der Völker betont und ertlärt: Vörterunß 
Provinzen därften nicht von einer Staats— 
hoheit in eine andere herumgeschobe, 
werden, als ob es sich tedighich um Steine in 
einem Spielhandele; jede Löfung einer Ge 
bietsfrage, diedurchden Krieg aufgeworfen 
sei, mässe im Interesse und zugünsten ver 
betroffenen Bevölkerungen ünd nicht als 
Teileines bloßen Ausglesches —der Kompro— 
misses der Ansprüche crivalisierender 
Staatengetroffenwerden.“ Das ist klar und dar 
aus ergibt sich die Forderung nach einer engen Aus— 
legung, der Befugnisse der Regserungs 
kommission. 
3 weck der neuen staatlichen Rechtsordnung ist zunächs 
die Sicherung der freien Ausbeutung der Gruben duré 
Franbreich — während die Uebertragüng der Gruben und 
ihre Ausbeutung wirtschaftlicher und bürgerlichrechtlicher 
Natur sind. Mit der Verfolgung dieses Zweckes steht in 
engstem Zusammenhang die Sicherun g der Rechte 
und des Wohles der Bevölkerung — denn wenn 
vie Gruben nicht abgetreten worden wären, so hätte die 
Auferlegung einer zeitweiligen Regierungsgewact für fünmf 
zehn Jahre ohne sofortige Vefragung der Bevölkerung den 
Wilsonschen Grundsätzen widersprochen. Diese durchaus 
stichhaltige Folgerung gewinnt gerade jetzt erhöhte Beden⸗ 
tung, wo sich Deutschland und Frankreich über einen Růck 
kauf, der Saargruben unterhalten wollen. Rückgabe der 
Gruben an Deutschland hebt automatisch das Sonder-Saat 
regime auf und das Saargebiet kehrt ungeschmaͤlert in die 
deutsche Staatsverwaltung zurück.) Die Rechte der Bevölke 
rung wären ja dann auch weit besser durch die Aufrecht⸗ 
erhaltung des alten Zustandes gesichert gewesen — denm 
durch die neue Rechtsordnung hat die Bevölkerung ihre 
wichtigsten staatsbürgerlichen Rechte — Teilnahme an ver 
Gesetzgebung, Verantwortlichkeit der Regierung gegenübe 
dem Volk — verloren! 
Das ist ein offensichtlicher Widerspruch der neuen Rechts 
ordnung gegenüber ihrem ausdrücklich sormulierten Zwed 
,ein Widerspruch, der nur dadurch gemildert werden kann. 
daß bei der Auslegung der Einzelbestimmungen eine 
Schädigung der Einwohner an ihren ver—⸗ 
bliebenen Rechten sorglich vermieden wird 
Andres faßt die voneinander abhändigen Einzelzwecke 
des Artikels 46 in die Formel zusammen: „Die Aenderung 
der bestehenden Verhälinisse is bessimmt, üm Frankreich 
volle Freiheit bei der Ausbeutung der Gruben zu ver— 
bürgen, o hne die Rechte und das Wohl der Bevölke rung zu 
schmälern, und um eine freie und unbeeinflußte Abstimmum 
nach fünfzehn Jahren zu gewährleiften.“ 
Der zeitlich unbegrenzte Verzicht Deutsch 
lands umfaßt die Regierung des Saat— 
gebietes — das ist die Gebietsverwaltung, die früher der 
deutschen, preußischen und bayerischen Regierung oblag, er 
gänzt durch ein erweitertes Verordnungsrecht und ein Ent— 
scheidungsrecht über bestimmte Auslegungsfragen. Der 
Völkerbund übt seine Befugnisse als Treuhänder aus, und 
war — bei aller Wahrung sonstiger im Vertrag genannten 
Interessen — gegenüber Seutschland. Dafür spricht unter 
anderem auch der Artikel 46 des Versailler Verbrages, u 
welchem Deutschland allein die Bestimmungen des Kapitels 
der Anlage (Regierung des Saarbeckengebietes) annimmi 
RuranfdieRegierungperzichterDeutsch 
land; die deutsche Staatshoheit bleibt bestehen, erst von 
dem Abstimmungsergebnis (8 365 hängt ein eventueller 
Verzicht Deutschlands auf die Staatshoheit ab. Ergeht die 
abstimmung zugunsten Deutschlands, so hat der Völkerbund 
nur für die Wiedereinsetzung Deutschlands in die Regierung 
Sorge zu tragen. Die abweichende Ansicht Ats 
unhalfthar. 
Da die Staatshoheit des Saargebietes bei Deutschlan' 
bleibt, kann keine Rede davon sein, daß das Saar 
gebietein Staat für süich bilde. Datan ändert aud 
die Art der Festsetzung der Grenzen des Saargebietes nichts 
Die Befugnisse der Regierungskommission sind auf da⸗ 
Saargebiet beschränkt — Staatsverträge kann sie nich 
schließen, höchstens Abreden mit auswärtigen Regierungen 
Von dem Verzicht auf die Regierung wird das veutsc— 
Staatseigentum im Saäargeblet — die Gruben nau—s
	        
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