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NRochtsgelehrten von Manchem gedankenlos
übernommen werden. Es kommt hinzu, daß der
Wert der Arbeit nicht dadurch erhöht wird, daß der Ver—
fasser ihm zweifelhaft erscheinende Fragen (wie z. B. Aus⸗
landsschutz S. 11, Saareinwohnerschaft S, 19, 22, Militär—
gerichtäbarkeit S. 26) mit der billigen Formel „Es mag
dahingestellt bleiben“ erledigt.
Die Schrift will objektiv sein. Das hindert den Ver—
fasser aber nicht, die Tatsache, daß die Regierung die Gut—
achten der Vertreter der Bevölkerung oft unberücksichtigt
ließ, als eine „deutsche Behauptung“ hinzustellen, deren
Stichhaltigkeit natürlich dahingestellt bleibt — mit anderen
Worten: in Zweifel gezogen wird. „Unsachliche Angriffe
gegen die Regierungskommission“ (das bezog sich natürlich
noch auf das Eystem Rault) werden verürteilt, wie auch
sonst anscheinend die Kundgebungen der Bevölkerung, denen
es doch in Wirklichkeit in erster Linie zu verdanken isi, wenn
wir heute im Saargebiet überhaupt von einer „Rechislage“
sprechen können, dem Verfasser wenig genehm sind. Auf der
anderen Seite brauchen nach Wehberg die unzähligen Ver—
tragsverletzungen — soweit sie nicht einfach „dahingestellt“
bleiben — „nicht kritisch behandelt werden“ (so im Falle der
Notverordnung S. 28).
Mit einem schlechten Scherz schließt Wehberg seine Ab⸗
handlung: Nach ihm hat sich im Verlauf der Vorstellungen
der Bevölkerung beim Völkerbund (gemeint sind die Genfer
Delegationen der politischen Parteien) eine besondere saar—
ländische Friedensliga gebildet. Möge die Wirksamkeit der
saarländischen Völkerbündsfreunde in den elf Jahren, die
das Saargebiet noch unter der Herrschaft des Friedensver—
trages steht, reiche Früchte tragen.“
Ein besonderes Urteil über diese „objektive“ Dar—
stellung der staatsrechtlichen Stellung des Saargebietes er—
übrigt sich nach diesen Proben. Die Schrift Weh—
bergs ist ein bedauerlicher Mißgriff — sie
grenztaneinen Skandal.
In diesem Jahre hat nun die deutsche Literatur über
das Saarproblem durch die Schrift von Otto Andres
„Grundlagen des Rechts im Saargebiet“ eine lang begehrte,
wertvolle Bexeicherung erfahren. Der Verfasser will nur
anregen und stellt einen Erfolg für die wirkliche Handhabung
seiner Arbeit in Frage. Wir schätzen die Bedeutung der
Schrift wesentlich höher ein. Denn in ihr spricht und uͤrteili
ein Mann, der neben tiefem juristischen Wissen auch eine
genaue, absolut zuverlässige Kenntnis des
Saargebietes selbst, als des Gegenstandes seinen
Rechtsbetrachtungen besitzt. Das ist gerade in diesem Fall
von der größten Bedeutung. Denn des
Wissens bewahrt den Verfasser davor, bei der Auslegung der
Saarbestimmungen vom grünen Tisch aus in rationale Ver
legenheitskonstrüktionen zu verfallen und den Boden des
Wirklichen unter den Fühen zu verlieren. Die verantwor—
tungsbewußte Gründlichkeit, welche die Andressche Schrift
auszeichnet, vermeidet es auch sorglich, auch nur eine einzige
Wweifelhaft erscheinende Frage offen zu lassen. In allen
Fällen wird eine Klärung, ohne Rücksicht auf die oft von
Machtverhältnissen diktierte Handhabung, versucht. Und
zwar in einer Form, die es in ihrer Einfachheit und Klar—
heit auch dem gebildeten Laien ermöalicht. das Buch mit
Genuß und Interesse zu lesen.
Andres beginnt mit der Feststellung der Richtlinien,
nach denen die Saarbestimmungen des Versailler Vertrages
auszulegen sind Soweit der Vertragkeine Aen—
derung der bestehenden Verhältnisse an—
geordnet hat, bleibt alles beim alten. Dieser
Hauptsatz des Saargebietsrechts ergibt sich einmal aus den
ausgesprochen engumgrenzten Zwecken der Sonderregelung
wie aus dem Willen der Vertragschließenden — und zwar
beider Teile. Denn in den Rolen vom 10 Mai. 24. Mail
und 16. Juni 1919 haben die alliterten und assoziierten
Mächte der deutschen Delegation erklärt, die Saar—
bestimmungen ständen im Einklang mit den Grundsätzen
Wilsons, welche er im Jahre 1918 in mehreren Reden aus—
gesrrochen hat. In diesen Reden aber wird immer wieder
der Grundsaß des Selbstbestimmungsrechtes
der Völker betont und ertlärt: Vörterunß
Provinzen därften nicht von einer Staats—
hoheit in eine andere herumgeschobe,
werden, als ob es sich tedighich um Steine in
einem Spielhandele; jede Löfung einer Ge
bietsfrage, diedurchden Krieg aufgeworfen
sei, mässe im Interesse und zugünsten ver
betroffenen Bevölkerungen ünd nicht als
Teileines bloßen Ausglesches —der Kompro—
misses der Ansprüche crivalisierender
Staatengetroffenwerden.“ Das ist klar und dar
aus ergibt sich die Forderung nach einer engen Aus—
legung, der Befugnisse der Regserungs
kommission.
3 weck der neuen staatlichen Rechtsordnung ist zunächs
die Sicherung der freien Ausbeutung der Gruben duré
Franbreich — während die Uebertragüng der Gruben und
ihre Ausbeutung wirtschaftlicher und bürgerlichrechtlicher
Natur sind. Mit der Verfolgung dieses Zweckes steht in
engstem Zusammenhang die Sicherun g der Rechte
und des Wohles der Bevölkerung — denn wenn
vie Gruben nicht abgetreten worden wären, so hätte die
Auferlegung einer zeitweiligen Regierungsgewact für fünmf
zehn Jahre ohne sofortige Vefragung der Bevölkerung den
Wilsonschen Grundsätzen widersprochen. Diese durchaus
stichhaltige Folgerung gewinnt gerade jetzt erhöhte Beden⸗
tung, wo sich Deutschland und Frankreich über einen Růck
kauf, der Saargruben unterhalten wollen. Rückgabe der
Gruben an Deutschland hebt automatisch das Sonder-Saat
regime auf und das Saargebiet kehrt ungeschmaͤlert in die
deutsche Staatsverwaltung zurück.) Die Rechte der Bevölke
rung wären ja dann auch weit besser durch die Aufrecht⸗
erhaltung des alten Zustandes gesichert gewesen — denm
durch die neue Rechtsordnung hat die Bevölkerung ihre
wichtigsten staatsbürgerlichen Rechte — Teilnahme an ver
Gesetzgebung, Verantwortlichkeit der Regierung gegenübe
dem Volk — verloren!
Das ist ein offensichtlicher Widerspruch der neuen Rechts
ordnung gegenüber ihrem ausdrücklich sormulierten Zwed
,ein Widerspruch, der nur dadurch gemildert werden kann.
daß bei der Auslegung der Einzelbestimmungen eine
Schädigung der Einwohner an ihren ver—⸗
bliebenen Rechten sorglich vermieden wird
Andres faßt die voneinander abhändigen Einzelzwecke
des Artikels 46 in die Formel zusammen: „Die Aenderung
der bestehenden Verhälinisse is bessimmt, üm Frankreich
volle Freiheit bei der Ausbeutung der Gruben zu ver—
bürgen, o hne die Rechte und das Wohl der Bevölke rung zu
schmälern, und um eine freie und unbeeinflußte Abstimmum
nach fünfzehn Jahren zu gewährleiften.“
Der zeitlich unbegrenzte Verzicht Deutsch
lands umfaßt die Regierung des Saat—
gebietes — das ist die Gebietsverwaltung, die früher der
deutschen, preußischen und bayerischen Regierung oblag, er
gänzt durch ein erweitertes Verordnungsrecht und ein Ent—
scheidungsrecht über bestimmte Auslegungsfragen. Der
Völkerbund übt seine Befugnisse als Treuhänder aus, und
war — bei aller Wahrung sonstiger im Vertrag genannten
Interessen — gegenüber Seutschland. Dafür spricht unter
anderem auch der Artikel 46 des Versailler Verbrages, u
welchem Deutschland allein die Bestimmungen des Kapitels
der Anlage (Regierung des Saarbeckengebietes) annimmi
RuranfdieRegierungperzichterDeutsch
land; die deutsche Staatshoheit bleibt bestehen, erst von
dem Abstimmungsergebnis (8 365 hängt ein eventueller
Verzicht Deutschlands auf die Staatshoheit ab. Ergeht die
abstimmung zugunsten Deutschlands, so hat der Völkerbund
nur für die Wiedereinsetzung Deutschlands in die Regierung
Sorge zu tragen. Die abweichende Ansicht Ats
unhalfthar.
Da die Staatshoheit des Saargebietes bei Deutschlan'
bleibt, kann keine Rede davon sein, daß das Saar
gebietein Staat für süich bilde. Datan ändert aud
die Art der Festsetzung der Grenzen des Saargebietes nichts
Die Befugnisse der Regierungskommission sind auf da⸗
Saargebiet beschränkt — Staatsverträge kann sie nich
schließen, höchstens Abreden mit auswärtigen Regierungen
Von dem Verzicht auf die Regierung wird das veutsc—
Staatseigentum im Saäargeblet — die Gruben nau—s