Er äbergab dem General Brissaud-Demaillet
dhne jedes Recht hierzu die Gewalt und zugleich
die Listen der deutschen Redakteure, die er des
Landes verwiesen wissen wollte. Der General erließ
zunächst für die Zeitungen am 7. August folgenden Befehl: „Die
Zeitungen haben sich darauf zu beschränken Rachrichten ohne
teglichen Kommentar zu veröffentlichen. Sie
sind verpflichtet. alle Verfügungen, Anschläge und
Bekanntmachungen des Kommandierenden Ge—
nerals zu veröffentlichen. Jede Uebertretung des Ver—
bots wird die Einstellung der Zeitung nach sich ziehen“.
Schon in der Frühe des 8. August wurden indessen die ge—
esensten Zeitungen des Saarreviers aAuf einen Monat
verboten, so die „Saarbrücker-Zeitung“, die „Saar—
brücker Landeszeitung“, die „Neunkirchner Volks—
zeitung“, die „Saar- und Blieszeitung“ in Neun—⸗
tirchen, die „Saarzeitung“ in Saarlouis und die „Völk⸗
inger Zeitung'“.
Die Mitteilung hierüber hatte den gleichen Wortlaut:
kommando der Saartruppen, Sonderabteilung.
Saarbrücken, den 8. August 1920.
„Da die (Name der Zeitung) sich nicht nach den Instruktionen
des Kommandierenden Generals der Truppen des Saargebietes
zerichtet und ohne Genehmigung Kundgebungen der Streikleitung
wiedergegeben hat, wird sie für einen Monat verboten.
Eine Durchsuchung wird am Sitz der Zeitung
orgenommen werden.
Der Eskadronchef und Kommandant der Gendarmerie des
Saargebietes wird mit der Ausführung dieses Befehls beauftragt“.
Es begannen sodann nach der dem General von dem fran-—
zösischen Spionagedienst (adler-Rollin—
Richert u. Co.) vorgelegten Liste der mißliebigen
Personen Menschenjagden durch Marokkaner, besonders
auf die Redakteure. Die Mehrzahl war aber durch „gute
Verbindungen“ von ihrer bevorstehenden Abführung in die Ge—
ängnisse unterrichtet. Sie konnte sich zumeist rechtzeitig jenseits
des Rheins in Sicherheit bringen, wenn auch einzelne in aben—
teuerlicher Weise. Das Automobil eines Flüchtlings erhielt eine
Panne unmittelbar vor dem Arrestlokal, er sah sich das geschäf⸗
ige Treiben der Schwarzen in EGemütsruhe an, um erst nach ge—
raumer Zeit aus der Nähe derer zu kommen, die ihn suchten und
kurz vorher in seinem Hause sogar Kisten und Kasten durchstöbert
hatten. Andere wählten eine Verkleidung und entkamen, durch
die Pfalz wandernd, den Häschern durch verschiedene „kleine
Mittelchen‘. Die Unglücklichen, die man abführen konnte, ver—
brachten aufregende Tage, zum Teil in der Ludwigskaserne oder
im Bezirkskommando zum Teil aber auch in schmutzigen Zellen.
Ein älterer Redakteur, den die Ungewißheit über sein Schicksal
dort nicht schlafen ließ, war nicht wenig überrascht, als während
einer Nacht der vor seiner Tür postierte Marskkaner auf allen
Vieren durch die Zelle zu seinem Bette kroch. Schon glaubte der
Erschrockene an einen Ueberfall und rüstete sich zur Gegenwehr,
beruhigte sich aber, als der Schwarze ihm zuflüsterte: „Des
Tigarettes, Cigarettes!“ Der Wunsch wurde erfüllt und katzen⸗
attig schlich der Wüstensohn wieder auf seinen Wachtposten zu—⸗
rück. Ein Lastauto mit einem Offizier und 14 Soldaten, mit
nehreren Maschinengewehren bewaffnet, fuhr vor die Häuser der
Schriftleiter. Die Wohnungen wurden nach den „Verbrechern“
zurchsucht. Spinde und Schreibtische nach staatsgefährlichen
Papieren durchwühlt, aber nirgend belastendes Material zutage
zefördert. Bei solchem Besuch, den sich ein jüngerer Redakteur
am Fenster des Nachbarhauses mit Vergnügen ansah, wäre diese
Kühnheit beinahe ein Verhängnis geworden. Der französische
Dffizier fand eine noch brennende Zigarette im Zimmer des Ver—
folaten und wollte daher der Versicherung keinen Glauben bei⸗
messen, daß der Gesuchte längst verschwunden sei. Bevor der Gen⸗
darmerie-Kapitän jedoch auf der Straße das Auto wieder be⸗
tieg, hörte der Redakteur. wie der Offizier die zusammengelaufene
Schar kleiner Nachbarkinder fragte: Kinder, kennt ihr den
Herren NN. und wo ist er?“ Diese Finte war natürlich für den
etwas Vorwitzigen das Zeichen für den eiligsten Rückzug vom
Fenster durch die Gärten über Hecken und Zäune, bis Sicherheit
in einem Dickicht winkte Am nächsten Tage boten dem Verfolg—
ten pfälzische Freunde die gewünschte Unterkunft. Die Frau eines
Redakteurs schildert den welschen Besuch wie folgt: „An dem Ge—
rassel eines Lastautomobils voller Soldaten, dem Pferdegetrappel
der sie begleitenden Kavalkade von vier berittenen Schutzleuten,
dem Rufen und Rennen der Kinder auf der Straße, erkenne ich
as erwartete, jetzt nahende Unheil. Ich blicke aus dem Fenster
ind zähle vierzehn bis an die Zähne bewaffnete, mit Schwertern,
Revolvern und Gewehren versehene Franzosen. Ein Offizier
pringt in hastigen Schritten zum Hause, Kinder drängen sich
reugierig hinter ihn: „Wo ist Ihr Mann?“ „Wegl! Hier finden
Zzie ihn nicht mehr, er verlebt seinen Urlaub in der fernen Hei⸗
nat“ „Parbleu, natürrlich alless auff Urrlaub!“ Im weiteren
vird dann die Unterhaltung französisch geführt, worauf der Offi⸗
sier höflich wird und bedauert belästigen zu müssen. Er lacht
aut, als ich ihm lächelnd sagte: „Mein Mann wird lebhaft be—
zauern, ihre Bekanntschaft nicht gemacht zu haben. Sie wollen
zaussuchung halten, Sie werden nichts finden, wir wußten ja,
aß uns Ihr liebenswürdiger Besuch bevorstand, aber bitte,
reten Sie ein!“ Der Offizier: „Madame, Sie sprechen gut fran⸗
zösisch, Sie sprechen ja wie ein Buch. Ich glaube Ihnen. Ent⸗
chuldigen Sie die Störung.“ Er greift grüßend zur Kopfbe—
zeckung, und dann rasselt der alte Kasten weiter. Die aufge⸗
»flanzten Bajonette blitzen, die Kinder hinterdrein: „Sie han 'n
nit verwitscht! Es is gutt gang!“ rufen sie durcheinander, und ich
zin stolz: Franzosen brauchen 14 Mann und vier Blaue hoch zu
Roß, meinen Mann zu bändigen und ich werde allein mit ihm
ertig!“
Hier ließe sich noch, wollte man nicht zu weit gehen, manche
Szene erzählen, die Humor in die Tragik tragen würde.
Die Inhaftierten entließ man schließlich nach verschiedenen
charfen Verhören, da es unmöglich war, ihnen andere Vergehen
rachzuweisen, als daß sie von einer deutschen Mutter geboren,
hrer Pflicht gelebt. Rur eine Verurteilung erfolgte; gegen
zinen Schriftlheiter aus Saarlouis wurde auf Grund un⸗
vahrer Denunziation auf Gefängnisstrafe erkannt, die er
aillerdings nicht verbußt hat. Die Regierung wollte aber den
aarländischen Hauptzeitungen den Garaus machen und so stellte
ie gegen jedes Recht sogar nach Aufhebung des Belagerungszu⸗
tandes den Verwandtender Geflüchteten die Aus—
veisungsbefehle ihrer Angehörigen zu. Getroffen
zurde am schwersten das älteste und bedeutendste Blatt die
Saarbrücker Zeitung“. Verbannt wurden neben sämt⸗
ichen Redakteuren, mit einer Ausnahme, der Besitzer und Ver—
eger des Blattes, selbst der kaufmännische Direktor wurde des
andes verwiesen. Sie trafen sich nach einigen Irrfahrten in
Frankfurt, fuhren nach Mannheim, mieteten eine Reihe von
immern in einem Hotel (Goldener Pflug) und redigierten von
ort aus über A Jahr den politischen und Handelsteil ihrer
zeitung, während in Saarbrücken einige schriftgewandte Herren
zie lokalen Abteilungen der Zeitung versorgten. Tatkraft und
Fleiß ließen die schwierige Lage überwinden, auch dadurch, daß
zie Bürgerschaft sie voll zu würdigen wußte. Nicht ein einziges
Mal ist es übrigens den Franzosen gelungen, den täglich zwischen
Nannheim und Saarbrücken die Verbindung aufrecht haltenden
durierdienst abzufangen, und die Manuskriptmappe in Empfang
u nehmen, obwohl die Redaktion in Mannheim von Spitzeln über—⸗
vacht wurde. Erst nach 455 Monaten gelang es, die Rückkehr
iach Saarbrücken zu ermöglichen.
Monatelang vertrieben wurden u. a. auch im August 1920
»er Verleger und Redakteur der „Neunkirchner Volks—
zeitung“, der „SSaar⸗und Blieszeitung“ in Neun—
irchen und der „Saarzeitung“ in Saarlouis, Haussuchungen
vurden auch hier durchgeführt, in einem Falle sogar mitten in
zer Nacht um 2 Uhr. Unverfroren drang man dabei sogar in
Abwesenheit des Gatten in das Schlafzimmer der Hausfrau ein,
sieß sie im Bette bleiben und durchwühlte alle Schränke nach be—
astendem Material. Vergeblich. Wiederholt wurde später die
ßattin stundenlangen Verhören unterzogen, so daß sie es schließlich
hren Bedrängern gegenüber ablehnte, überhaupt noch eine Aus—
age zu machen. Auch hier wurde der en gros nach Schema Feim
zchreibmaschinen-Durchschlag gehaltene Ausweisungsbefehl erst zu⸗
zestellt, als längst die Gewalt wieder dem Präsidenten Rault
zustand. Die Rückkehr der Neunkirchner Verbannten erfolgte im
zanuar 1921. Den beiden ausgewiesenen Verlegern glückte es in
der Zwischenzeit, sobald ihre Anwesenheit in Neunkirchen not⸗
vendig war, bei Nacht und Nebel die Reile zu wagen und ihren
zufluchtsort glücklich wieder zu erreichen.
Diese Ausweisungen entbehrten jeder recht⸗
bichen Grundlage. Auch der Belagerungszustand konnte
veder dem General noch der Regierungskommission das
Recht geben, die ihrem Schutze anvertrauten Personen auszu⸗
veisen. Die Stellung der Regierungskommission widersprach
zen obersten Grundsätzen, die im Vertrag von Versailles für das
zaargebiet festgelegt sind. (Ein Schlußaufsatz folgtl