Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

Er äbergab dem General Brissaud-Demaillet 
dhne jedes Recht hierzu die Gewalt und zugleich 
die Listen der deutschen Redakteure, die er des 
Landes verwiesen wissen wollte. Der General erließ 
zunächst für die Zeitungen am 7. August folgenden Befehl: „Die 
Zeitungen haben sich darauf zu beschränken Rachrichten ohne 
teglichen Kommentar zu veröffentlichen. Sie 
sind verpflichtet. alle Verfügungen, Anschläge und 
Bekanntmachungen des Kommandierenden Ge— 
nerals zu veröffentlichen. Jede Uebertretung des Ver— 
bots wird die Einstellung der Zeitung nach sich ziehen“. 
Schon in der Frühe des 8. August wurden indessen die ge— 
esensten Zeitungen des Saarreviers aAuf einen Monat 
verboten, so die „Saarbrücker-Zeitung“, die „Saar— 
brücker Landeszeitung“, die „Neunkirchner Volks— 
zeitung“, die „Saar- und Blieszeitung“ in Neun—⸗ 
tirchen, die „Saarzeitung“ in Saarlouis und die „Völk⸗ 
inger Zeitung'“. 
Die Mitteilung hierüber hatte den gleichen Wortlaut: 
kommando der Saartruppen, Sonderabteilung. 
Saarbrücken, den 8. August 1920. 
„Da die (Name der Zeitung) sich nicht nach den Instruktionen 
des Kommandierenden Generals der Truppen des Saargebietes 
zerichtet und ohne Genehmigung Kundgebungen der Streikleitung 
wiedergegeben hat, wird sie für einen Monat verboten. 
Eine Durchsuchung wird am Sitz der Zeitung 
orgenommen werden. 
Der Eskadronchef und Kommandant der Gendarmerie des 
Saargebietes wird mit der Ausführung dieses Befehls beauftragt“. 
Es begannen sodann nach der dem General von dem fran-— 
zösischen Spionagedienst (adler-Rollin— 
Richert u. Co.) vorgelegten Liste der mißliebigen 
Personen Menschenjagden durch Marokkaner, besonders 
auf die Redakteure. Die Mehrzahl war aber durch „gute 
Verbindungen“ von ihrer bevorstehenden Abführung in die Ge— 
ängnisse unterrichtet. Sie konnte sich zumeist rechtzeitig jenseits 
des Rheins in Sicherheit bringen, wenn auch einzelne in aben— 
teuerlicher Weise. Das Automobil eines Flüchtlings erhielt eine 
Panne unmittelbar vor dem Arrestlokal, er sah sich das geschäf⸗ 
ige Treiben der Schwarzen in EGemütsruhe an, um erst nach ge— 
raumer Zeit aus der Nähe derer zu kommen, die ihn suchten und 
kurz vorher in seinem Hause sogar Kisten und Kasten durchstöbert 
hatten. Andere wählten eine Verkleidung und entkamen, durch 
die Pfalz wandernd, den Häschern durch verschiedene „kleine 
Mittelchen‘. Die Unglücklichen, die man abführen konnte, ver— 
brachten aufregende Tage, zum Teil in der Ludwigskaserne oder 
im Bezirkskommando zum Teil aber auch in schmutzigen Zellen. 
Ein älterer Redakteur, den die Ungewißheit über sein Schicksal 
dort nicht schlafen ließ, war nicht wenig überrascht, als während 
einer Nacht der vor seiner Tür postierte Marskkaner auf allen 
Vieren durch die Zelle zu seinem Bette kroch. Schon glaubte der 
Erschrockene an einen Ueberfall und rüstete sich zur Gegenwehr, 
beruhigte sich aber, als der Schwarze ihm zuflüsterte: „Des 
Tigarettes, Cigarettes!“ Der Wunsch wurde erfüllt und katzen⸗ 
attig schlich der Wüstensohn wieder auf seinen Wachtposten zu—⸗ 
rück. Ein Lastauto mit einem Offizier und 14 Soldaten, mit 
nehreren Maschinengewehren bewaffnet, fuhr vor die Häuser der 
Schriftleiter. Die Wohnungen wurden nach den „Verbrechern“ 
zurchsucht. Spinde und Schreibtische nach staatsgefährlichen 
Papieren durchwühlt, aber nirgend belastendes Material zutage 
zefördert. Bei solchem Besuch, den sich ein jüngerer Redakteur 
am Fenster des Nachbarhauses mit Vergnügen ansah, wäre diese 
Kühnheit beinahe ein Verhängnis geworden. Der französische 
Dffizier fand eine noch brennende Zigarette im Zimmer des Ver— 
folaten und wollte daher der Versicherung keinen Glauben bei⸗ 
messen, daß der Gesuchte längst verschwunden sei. Bevor der Gen⸗ 
darmerie-Kapitän jedoch auf der Straße das Auto wieder be⸗ 
tieg, hörte der Redakteur. wie der Offizier die zusammengelaufene 
Schar kleiner Nachbarkinder fragte: Kinder, kennt ihr den 
Herren NN. und wo ist er?“ Diese Finte war natürlich für den 
etwas Vorwitzigen das Zeichen für den eiligsten Rückzug vom 
Fenster durch die Gärten über Hecken und Zäune, bis Sicherheit 
in einem Dickicht winkte Am nächsten Tage boten dem Verfolg— 
ten pfälzische Freunde die gewünschte Unterkunft. Die Frau eines 
Redakteurs schildert den welschen Besuch wie folgt: „An dem Ge— 
rassel eines Lastautomobils voller Soldaten, dem Pferdegetrappel 
der sie begleitenden Kavalkade von vier berittenen Schutzleuten, 
dem Rufen und Rennen der Kinder auf der Straße, erkenne ich 
as erwartete, jetzt nahende Unheil. Ich blicke aus dem Fenster 
ind zähle vierzehn bis an die Zähne bewaffnete, mit Schwertern, 
Revolvern und Gewehren versehene Franzosen. Ein Offizier 
pringt in hastigen Schritten zum Hause, Kinder drängen sich 
reugierig hinter ihn: „Wo ist Ihr Mann?“ „Wegl! Hier finden 
Zzie ihn nicht mehr, er verlebt seinen Urlaub in der fernen Hei⸗ 
nat“ „Parbleu, natürrlich alless auff Urrlaub!“ Im weiteren 
vird dann die Unterhaltung französisch geführt, worauf der Offi⸗ 
sier höflich wird und bedauert belästigen zu müssen. Er lacht 
aut, als ich ihm lächelnd sagte: „Mein Mann wird lebhaft be— 
zauern, ihre Bekanntschaft nicht gemacht zu haben. Sie wollen 
zaussuchung halten, Sie werden nichts finden, wir wußten ja, 
aß uns Ihr liebenswürdiger Besuch bevorstand, aber bitte, 
reten Sie ein!“ Der Offizier: „Madame, Sie sprechen gut fran⸗ 
zösisch, Sie sprechen ja wie ein Buch. Ich glaube Ihnen. Ent⸗ 
chuldigen Sie die Störung.“ Er greift grüßend zur Kopfbe— 
zeckung, und dann rasselt der alte Kasten weiter. Die aufge⸗ 
»flanzten Bajonette blitzen, die Kinder hinterdrein: „Sie han 'n 
nit verwitscht! Es is gutt gang!“ rufen sie durcheinander, und ich 
zin stolz: Franzosen brauchen 14 Mann und vier Blaue hoch zu 
Roß, meinen Mann zu bändigen und ich werde allein mit ihm 
ertig!“ 
Hier ließe sich noch, wollte man nicht zu weit gehen, manche 
Szene erzählen, die Humor in die Tragik tragen würde. 
Die Inhaftierten entließ man schließlich nach verschiedenen 
charfen Verhören, da es unmöglich war, ihnen andere Vergehen 
rachzuweisen, als daß sie von einer deutschen Mutter geboren, 
hrer Pflicht gelebt. Rur eine Verurteilung erfolgte; gegen 
zinen Schriftlheiter aus Saarlouis wurde auf Grund un⸗ 
vahrer Denunziation auf Gefängnisstrafe erkannt, die er 
aillerdings nicht verbußt hat. Die Regierung wollte aber den 
aarländischen Hauptzeitungen den Garaus machen und so stellte 
ie gegen jedes Recht sogar nach Aufhebung des Belagerungszu⸗ 
tandes den Verwandtender Geflüchteten die Aus— 
veisungsbefehle ihrer Angehörigen zu. Getroffen 
zurde am schwersten das älteste und bedeutendste Blatt die 
Saarbrücker Zeitung“. Verbannt wurden neben sämt⸗ 
ichen Redakteuren, mit einer Ausnahme, der Besitzer und Ver— 
eger des Blattes, selbst der kaufmännische Direktor wurde des 
andes verwiesen. Sie trafen sich nach einigen Irrfahrten in 
Frankfurt, fuhren nach Mannheim, mieteten eine Reihe von 
immern in einem Hotel (Goldener Pflug) und redigierten von 
ort aus über A Jahr den politischen und Handelsteil ihrer 
zeitung, während in Saarbrücken einige schriftgewandte Herren 
zie lokalen Abteilungen der Zeitung versorgten. Tatkraft und 
Fleiß ließen die schwierige Lage überwinden, auch dadurch, daß 
zie Bürgerschaft sie voll zu würdigen wußte. Nicht ein einziges 
Mal ist es übrigens den Franzosen gelungen, den täglich zwischen 
Nannheim und Saarbrücken die Verbindung aufrecht haltenden 
durierdienst abzufangen, und die Manuskriptmappe in Empfang 
u nehmen, obwohl die Redaktion in Mannheim von Spitzeln über—⸗ 
vacht wurde. Erst nach 455 Monaten gelang es, die Rückkehr 
iach Saarbrücken zu ermöglichen. 
Monatelang vertrieben wurden u. a. auch im August 1920 
»er Verleger und Redakteur der „Neunkirchner Volks— 
zeitung“, der „SSaar⸗und Blieszeitung“ in Neun— 
irchen und der „Saarzeitung“ in Saarlouis, Haussuchungen 
vurden auch hier durchgeführt, in einem Falle sogar mitten in 
zer Nacht um 2 Uhr. Unverfroren drang man dabei sogar in 
Abwesenheit des Gatten in das Schlafzimmer der Hausfrau ein, 
sieß sie im Bette bleiben und durchwühlte alle Schränke nach be— 
astendem Material. Vergeblich. Wiederholt wurde später die 
ßattin stundenlangen Verhören unterzogen, so daß sie es schließlich 
hren Bedrängern gegenüber ablehnte, überhaupt noch eine Aus— 
age zu machen. Auch hier wurde der en gros nach Schema Feim 
zchreibmaschinen-Durchschlag gehaltene Ausweisungsbefehl erst zu⸗ 
zestellt, als längst die Gewalt wieder dem Präsidenten Rault 
zustand. Die Rückkehr der Neunkirchner Verbannten erfolgte im 
zanuar 1921. Den beiden ausgewiesenen Verlegern glückte es in 
der Zwischenzeit, sobald ihre Anwesenheit in Neunkirchen not⸗ 
vendig war, bei Nacht und Nebel die Reile zu wagen und ihren 
zufluchtsort glücklich wieder zu erreichen. 
Diese Ausweisungen entbehrten jeder recht⸗ 
bichen Grundlage. Auch der Belagerungszustand konnte 
veder dem General noch der Regierungskommission das 
Recht geben, die ihrem Schutze anvertrauten Personen auszu⸗ 
veisen. Die Stellung der Regierungskommission widersprach 
zen obersten Grundsätzen, die im Vertrag von Versailles für das 
zaargebiet festgelegt sind. (Ein Schlußaufsatz folgtl
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.