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Nachrichten aus dem
ab gelrennten
Saar- uno Pfalzgebiet
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summer 13
ahrgang
Mitteilungsblatt
des
Bundes der Saar Vereine
Bersin··
537
Der Landesrat und seine Bedeutung.
Dr. G. Gemäß einer Verordnung der Reg.Kommission
sollen im Januar 1927 die Neuwahlen zum Landesrat statt⸗
finden. Es gilt nun für die politischen VParteien des Saar⸗
gebietes, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen, um in
dem nunmehr beginnenden Wahlkampf die Massen der
Wähler für ihre Abgeordneten zu gewinnen.
Unseren Stammesgenossen im Reich kann es dabei ziem⸗
lich gleichgultig sein, ob die Mehrzahl der Stimmen für die
Kandidalen der Rechte, der Mitte oder der Linke abgegeben
werden, unsere deutsche Sache ist bei ihnen allen in guten
ßänden.
Gerade der Geschlossenheit des gesamten Saarvolkes in
politischer Hinsicht ist es zu verdanken, daß die Pläne Frank⸗
ceichs an der Saar zunichte gemacht⸗ worden sind.
Indem also die Saarbepölkerung ihr politisches Denken
und Schaffen in der Hauptsache auf den Kampf gegen franz.
Verwelschung und für Erhaltung des deutschen Volkstums
konzentrierte, hat sie sich ferngehalen von allen Bestrebun⸗
gen politischer Fanotiker von rechts wie von links, eine
kTatsache, die das Saargebiet außerordentlich auszeichnet vor
dem übrigen Deutschland.
And weil das Saarvolk politisch und kulturell auf höch—
stet Stufe steht, leidet es gar sehr unter der Vorenthaltung
auch nur der geringsten akliven politischer Rechte.
Von allen Rechten, die man uns beschnitten hat, haben
die sog. politischen Rechte, auch Rechte des Staatsbürgers
genannt, am ärgsten gelitten. Nach einem Kriege, den man
eführt unter der Devise: F7ur Recht und Gerechtigkeit, für
die Grundsätze der Demokratie und alle möglichen klang
vollen Phrasen, haben die Schöpfer dieses „Friedens der
Demokrätie“ an der Saar ein staatsähnliches Gebilde ge—
schaffen, in dem die Institutionen und Prinzipien wahren
Demokratie mit der Lupe zu suchen sind. Es ist geradezu
ein Hohn auf unser Zeitalter der Demokratie, daß die Saar.
bepölkerung ein politlisches Helotenleben führen muß — and
das im Zeichen des Volkerbundes, des Hüters der Gercchtig—
keit und Demokratie.
Demokratie ist aber die politische Herrschaft des Gesamt—
volkes, wie sie sich auswirkt in den Patlamenten, den Ver—
tretungen der Staatsbrüger.
Wir wühlen wohl zu einer Körperschaft, dem Landes—
tat, der nach außen ganz so aussfieht wie ein Parlament
im modernen Sinne; aber was einem Parlament sein Ge⸗
* gibt, die aktive Mitwirkung bei der Schaffung von
hesetzen, und die Kontrolle über die Regierung, fehlt unserm
Landesrat vollkommen.
‚Was ist nun aber der Landesrat und welche Bedeutung
st ihm überhaupt zuzumessen?
Um die Institution des Landesrates recht zu begreifen,
t es erforderlich, auf gewisse Bestimmungen des Saar—
statuts, d. i. des Teiles des Friedensvertrages, der von dem
Sadargebiet handelt, hinzuweisen.
Das Saarstatut kennt jedoch kein Parlament, das übet
die Geschäftsführung der Reg.-Kommission wacht. Nach den
Bestimmungen des Friedensvertrages, der nur eine Ver—
antwortlichkeit der Reg.-Kommission gegenüber dem Völker—
bundsrat kennt, ist die Schaffung eines Varlaments im
modernen Sinne auch nicht möglich. Zwar bestimmt 8 23
der Anlage zu Art. 50, daß die Gesetze und Verordnungen,
die am 11. November 1918 in Kraft waren (mit Ausnahme
der sog. „Kriegsgesetze'), auch noch weiter gelten sollen, und
Aenderungen, die aus allgemeinen Gesichtspunkten, oder um
die aufrechterhaltenen Gesetze mit den Bestimmungen des
Friedensvertrages in Einklang zu bringen, notwendig sind,
nur nach Aeußerung der gewählten Ver—
breter der Saarbevölkerung durch die Regierungskom—
mission beschlossen und eingeführt werden dürfen. Doch hat
die Praxis der Regierungskommission gelehrt, daß es meist
bei der Anhörung geblieben ist. In mehreren Fällen sind
die gewählten Vertreter überhaupt n'cht angehört worden,
da die Regierungskommission gemäß 8 35 der Anlage allein
zur Interpretation des Saarstatuts berufen ist, und sie da⸗
her nach Gutdünken bestimmen kann, ob ein Gesetzentwurf
eine Aenderung bedeutet oder nicht.
Der Reg.K. ist es freigestellt, die Fortm der Einholung
der Aeußerung der Volkspertreter zu bestimmen. Bis 1922
legte sie die Gesetzesentwürfe den örtlichen Vertretungen:
den Kreis- und Bezirkstagen, bezw. der Stadtverordneten⸗
versammlung von Saarbrücken vor, deren Gutachten sie je⸗
doch, wenn sie gegen ihre Ansicht ausfielen, vielfach nicht be—
rücksichtigte, so daß sich einzelne Körperschaften schließlich
weigerten. zu den Regierungsentwürfen überhaupt noch
Stellung zu nehmen.
Auf Veranlassung des Völkerbundsrates wurde durch
Verordnung vom 24. März 1922 ein von der Gesamtbevölke—
rung zu wählender „Landesrat“ (conseil consultatif) ge⸗
schaffen, der von nun an die im 8 23 vorgesehene Volksver⸗
tretung darstellt. J
Es muß nochmals betont werden, daß dieser Landesrat
durchaus nicht als Parlament anzusehen ist; auch besitzen
seine Mitglieder nicht das Recht der Immunität, so daß sie,
wie es auch schon vorgekommen ist, wegen einer Aeußerung
im Landesrat zur Rechenschaft gezogen werden können.
In ihrem 10. periodischen Bericht an den Völker bunds⸗
rat begründet die Reg-Kommission die Errichtung des
dandesrates, stellt aber zugleich fest, daß dieser Volksver—
fretung nur das Recht der Begutachtung, nicht
etwa ein Vetorecht zustehe: „Ihr Gutachten ist rein beraten⸗
der Natur und bindet die Reg-Kommission keineswegs. J
Diese Ansicht der Reg.-Kommission ist wohl ungemein
elbstherrlich, fie ist aber durchaus nicht vertragswidrig, denn
g 33 der Anlage gibt der Reg.Kommission das alleinige