Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

Gehöfte, Bahn- und Kanalbauten usw.) auf den Kohlen⸗ 
—I — nicht in Mitleidenschaft gegzogen werden“. Ueber 
iese bergpolizeilichen Bestimmungen hat 
jich die französische Grubenverwaltung 
ohne weiteres hinweggesetzt. Sie kennt für den 
Auͤsbau nur ein Gesetz: Ausbeutung des Kohlen⸗ 
reichtums an der Saar ohne Rücksicht auf 
Bevölkerung und ihr Eigentum. Die Folgen 
eines solchen Raubbausystems zeigen sich je länger je mehr 
durch die zunehmenden Grubenschäden in den Ortschaften 
der Grubenfelder. Von der betroffenen Bevölkerung und 
den Gemeinden ist wiederholt die Regierung ersucht worden, 
auf die französische Grubenverwaltung einzuwirken, damit 
diese ihre Abbaumethoden im Sinne der bergbaupolizeilichen 
Vorschriften durchführt und für entstandene Grubenschäden 
Ersatz leistet. Man hat niemals davon etwas erfahren, daß 
die Saarregierung, wie es ihre Pflicht und ihre Aufgabe 
wäre, sich im Sinne dieser berechtigten Forderungen an die 
kranzösische Grubenverwaltung gewandt hätte. 
Die Saarregierung hat also in diesem 
Falle ihre Pflicht, Rechte und die Wohl⸗ 
sahrt der Bevölkerung zu sichern, verletzt. 
Nach 8 13 des Saarstatuts sollen die Beiträge der 
Gruben und ihrer Nebenanlagen zu dem örtlichen Haushalt 
des Saarbeckens wie zu den Gemeindeabgaben unter Berück— 
sichtigung des Verhältnisses des Wertes der Gruben zu den 
srerticen Abgaben des Saarbeckens festgesetzt werden. Bei 
lebernahme der Saargruben durch Frankreich hatte der 
Grubenfiskus eine Kohlensteuer von 20 5 zu zahlen, die den 
Gemeinden usw. zugute kamen. Obwohl der Saargruben⸗ 
besitzer der größte Arbeitgeber des Saarbeckengebietes ist und 
rund der Haͤlfte der Saargebietsbevölkerung Brot, sei es auch 
noch so kärglich, gibt, müßte er entsprechend dem Werte der 
Anlagen etwa 35 bis 40 der Staats⸗ und Gemeindesteuern 
aufbringen. Unter Herrn Rault hat man nicht nur die 
Kohlensteuer vollkommen abgeschafft, sondern durch ein ohne 
Befragen des Landesrates zwischen Herrn Rault und der 
französischen Regierung abgeichlossenes Steuerabkommen 
die Beitragspflicht des französischen Saarfiskus so weit her⸗ 
abgemindert, daß seine Stenerleistungen für 
das Steueraufkommen im Saargebiet kaum 
noch nennenswert ins Gewicht sallen. Nur 
etwa 88 der Gesamtsteuern des Saargebiets träat der 
französische Grubenfiskus. 
Hier liegt nicht nur eine Net:xXoit oder Untätigkeit 
der Saarregierung vor, ser' »wußzte und 
gewollte et! urgebiets— 
bevölkerung zugun. französischen 
Staates. 
Auch in diesem Falle hat der Völkerbund keine Ver— 
anlassung genommen, die Saarregierung an ihre Aufgaben 
zur Sicherung der Rechte und der Wohlfahrt der Bevölke— 
rung zu erinnern. 
Die Bevorzugung des französischen Grubenfiskus und 
damit der französischen Finanzinteressen durch die Saar—⸗ 
regierung wird aber weiter durch die Frankreich auf den 
Saarbahnen eingeräumten Tarifvergünstigungen für Saar— 
kohle bewiesen. Die Saargebietsbevölkerung kann kein 
Interesse daran haben, den Transport der Saarkohlen nach 
Frankreich verbilligt zu sehen, wenn sie dafür das Defizit, 
das die Saarbahnen zu verzeichnen haben. mit ihren Steuer⸗ 
groschen decken muß. 
Ganz augenfällig verstößt aber die Saarregierung gegen 
ihren Treuhänderauftrag und gegen ihre Instruktkonen in 
der Währungsfrage. Das Saarstatut läßt un— 
— die deutsche Währung im Saargebiet bestehen. 
rotzdem ist die Saarregierung unter Herrn Rault von 
Anfang ihrer Regierung an bestrebt gewesen, die deutsche 
Währung durch die französische zu verdrängen. Der Kampi 
um die deutsche Mark ist jahrelang geführt worden, bis er 
unter Vergewaltigung des Rechts und des Beprölkerungs— 
willens auf diktatorischem Wege ab 1. Juni 1923 zugunsten 
der französischen Bestrebungen durch die Saarregierung ent—⸗ 
eden wurde. Daß sich die Saarregierung hierbei eines 
ertragsbruches schuldig machte, hat sie indirekt dadurch an— 
erkannt, daß sie ihr Vorgehen mit ihrem Auftrag, die Rechte 
und die Wohlijahrt der Bevölkerung zu sichern, zu begründen 
juchte. In einer Denkschrift an den Velkerbund berief sie 
ich nämlich nicht auf die Spezialbestimmungen des 8 382 der 
Saarstatuts, der die Mart als alleinige gesetzliche Währun 
anerkannte, sondern auf die allgemeinen Bestimmungen de— 
Artikels 48 des Versailler Diktats, der ihr e 
der Rechte und der Wohlfahrt der Bevölkerung anbefiehlt 
Sie sagte damals in ihrer Denkschrift, „daß eine gesund 
wirtschaftliche Entwicklung an der Saar nur möglich wäre 
wenn das Wirtschaftsleben außer Betracht gezogen würd⸗ 
von der ständig veränderten Tendenz der Reichsmark um 
sie sich stützen könne auf eine stabile Währung“ 
Auch die Begründung, die der damalige Staatskommissa 
Dr. Liesch in der Sißzung des Landesrates vom 27. Apri 
1923 gab, ene rechtliche Seite unberücksichtigt und ver 
teidigte die Währungsänderung durch die Saarregierun 
mit dem ihr gewordenen Auftrag, allen moralische 
und materiellen Schaden von der Bevölk⸗ 
rung abzuwenden. 
Der Völkerbund hat damals die Auffassung der Saat 
regierung wie gewöhnlich gelten lassen und der Währung— 
änderung zugestimmt trotz der entgegenstehenden Vertrag— 
bestimmungen. Inzwischen schuf sich Deutschland ein 
neue stabile Währung. Die falschen politischen Maß 
nahmen Frankreichs gegen Deutschland und die sich daraus 
ergebenden wirtschaftlichen Rückwirkungen schoben die fram 
zösische Währung immer mehr auf die schiefe Ebene, so dah 
heute die Währungsverhältnisse im Saargebiet genau um— 
gekehrt liegen. Wenn damals die Regierungs— 
kommission die Frankenwährung ein— 
führte, weil sie sich hierzu im Sinne ihre— 
Auftrags für verpflichtet hielt, so müßten 
die heute in logischer Anwendungihres da— 
mals aufgestellten Grundsatzes, die un— 
stabilen Währungsverhältnisse im Saar— 
gebiet und die damit verbundene Unsicher 
heit im Wirtschaftsleben durch Einführune 
einer stabilen, d. h. der Reichsmarkwährung 
beseitigen. Die Saarregierung hat das bisher nicht ge⸗ 
tan, und der Völkerbund hat bisher keinen Anlaß genommen, 
sie an ihre Pflichten zu erinnern. Mehr noch. Die Saar— 
regierung unter Herrn Rault hat die französische Währungs 
inflation im Saargebiet dazu benutzt, um, wie es kürzlit 
ein Landesratsmitglied sehr treffend ausführte, das Saar 
gebiet zu einem Armenhaus zu gestalten. Es is 
an dieser Stelle schon wiederholt darauf hingewiesen worden 
in welcher Weise die Saarregierung zugunsten Frankreich⸗ 
das Saargebiet und seine Bevölkerung systematisch ausfaug 
In keiner Beziehung ist festzustellen, daß die Saarregierun 
besorgt wäre, sich für die Wohlfahrt der Bevölkerung ein 
zusetzen und dafür einzutreten, daß ihr durch die franzöfisch 
Inflation keinerlei materielle oder moralische Schäden er 
wachsen. 
Die Beispiele der Pflichtverletzung der Saarregierunt 
gegenüber ihrem Auftrage, für das Wohl der Saargebiets 
bevölkerung zu sorgen, ließen sich noch um eine erheblich 
Zahl erweitern. Angedeutet soll nur noch werden ihr 
oölliges Versagen ausf dem Gebiet des sozialen und 
arbeitsrechtlichen Lebens. Auch hier stehen der 
arbeitenden und rentenempfangenden Bevölkerung die ge 
— — 
Saargebiets durch die Saarverwaltung bestanden und b 
tehen bleiben sollten, die aber in völliger Mißachtung de 
hr übertragenen Pflichten gegen die Sozialrentner un 
weder Anwendung noch Berücksichtigung finden. Darau— 
erklärt sich das große Heer der darbenden und hungernde, 
Pensionäre und Rentenempfänger, Witwen und Waisen, di 
der besonberen Fürsorge der Saarregierung anvertraut sein 
olton. 
Zieht man so eine Generalbilanz der 
Tätigkeit der Saarregierung, so muß fest 
gestellt werden, daßsie gerade den sozialen 
Geist, der ihrem Hauptauftrag zur Siche— 
rung der Wohlfahrt und der Rechte der Be— 
völkerung innewohnen sollte, vollkommer 
umitzachtet hat.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.