Full text: Der Saar-Freund (7.1926)

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Nachrichten aus dem 
abgetrennten 
Saar⸗ und Pfalxgebiet 
nummer 97. Jahrgang 
Mitteilungsblatt 
des 
Bundes der Saar Vereine 
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Berlin, 1. Nai 1926 
Wer regiert im Saargebiet? 
Chamberlain bestätigt: Frankreich. 
Die Frage der französischen Saarbesatzung ist an dieser 
Stelle, ist im Saargebiet, in Genf, in London, ist in Zeitungs— 
artikein, in amtlichen Noten, in Dentschriften, in Protesten 
und Beschlüssen so oft und so eingehend eroörtert worden, daß 
es fast unmoͤglich erscheint, in dieser Angelegenheit noch neue 
Gesichtspunkte hineinzubringen. Mag man diese Frage 
von den verschiedensten Seiten aus beleuchten, Rechtsgrund⸗ 
lage hierfür bleibt immer 8 30 des Saarstatuts nach der 
Versailler Formulierung. Vort steht aber mit nackter Klar⸗ 
heit: „Im Saarbecken wird keinerlei Heeresdienst, weder 
pflichtmüßiger noch freiwilliger, geleistet; zur Aufrechterhal⸗ 
kung der Ordnung wird nureine örtliche Gendarmerie ein— 
gerichtet.“ Daß das Saargebiet nicht zum besetzten Gebiet 
gehört, ergibt sich allein schon aus der rein äußeren Gliede— 
rung der Versailler Bestimmungen, ergibt sich aus der Ab⸗ 
sanons der einzelnen Besatzungszonen. Französischerseits 
hat man der Kritik an der Aufrechterhaltung der französi⸗ 
en Besatzung an der Saar dadurch zu begegnen versucht, 
aß es die französische Saarbesatzung in „fran zösische 
Garnisontrürppen“ umwandelte. An der Vertrags— 
widrigkeit des französischen Vorgehens ändert trotzdem diese 
Dahrne nichts, da Frankreich nach dem erwähnten Ar⸗ 
tikel 30 weder freiwilligen noch pflichtmäßigen Heeresdienst 
an der Saar unterhalten darf. 
Wenn bisher der Völkerbund gegen diesen fortgesetzten 
Vertragsbruch nicht eingeschritten ist, dann hat man dafür 
eine Erklärung in dem vorherrschenden Einfluß Frankreichs 
im Völkerbund zu finden versucht. Inzwischen ist aber Lo⸗ 
carno abgeschlossen worden und im abgelaufenen März hatte 
man sich angeblich in Genf zusammengefunden, um Deutsch⸗ 
land in den Völkerbund und in den Völkerbundsrat aufzu⸗ 
nehmen, um damit den Willen zu einer neuen Friedens⸗ 
politik vor aller Welt zu bekunden. Mit einem solchen 
Friedensgeist wäre dann allerdings eine sanhee Vor⸗ 
herrschaft im Völkerbund nicht vereinbar gewesen, da ja 
im Völkerbund nicht Sonderinteressen einzelner Staaten, 
n de nantinireen aller Völker, des Friedens und 
er Menschheit gefördert werden sollen. Die Aufnahme 
Deutschlands ist im Marz nicht erfolgt, wie man weiß, durch 
das Verhalten Brasiliens. Es gibt Politiker und soiche die 
es sein wollen, die auch heute noch behaupten, daß außer 
Brasilijen niemand die aͤlleinige Aufnahme Deutschlands in 
den Volkerbund und Rat sircitig gemacht hätteEs gibt 
andere Politiker, die anderer Meinung sind. Die Rundreise 
Paul Voncours durch Volen, seine Erklärungen über den 
berechtigten polnischen Ratsanspruch und die Aeußerungen 
Briands am 23. April in der französischen Kammer über die 
Unterstützung des polnischen Wunsches nach einem Ratssitz 
assen jedenfalls erkennen, daß es mit der uneigennützigen 
Politik Frankreichs im Völkerbund nicht allzuweit her ist. 
In Genf ist soeben der letzte Vierteljahresbericht der 
Saarregierung eingegangen, der noch von Herrn Rault ver— 
faßt wurde. Man wird es ihm nicht verübeln können, daß 
er in der Gesamtbeurteilung der Verhältnisse an der Saat 
zu einem ausgesprochenen Optimismus neigt, da er im um— 
gekehrten Falle selbst den Erfolg seiner Regierungstätigkeit 
nicht in das beste Licht stellen würde. Darüber wird an 
anderer Stelle noch zu sprechen sein. Eines aber in diesem 
Bericht ist von allgemeinem politischen Interesse und sollte 
sicht nur im Saargebiet, nicht nur in Deutschland, sondern 
in allen Völkerbundsstaaten aufmerksamste Beachtung finden. 
Der Bericht stellt nämlich fest, daß der Ausbau der Gen⸗ 
darmerie mit einem Istbestand von 1005 Mann abgeschlossen 
jei. In Verbindung damit wird erklärt, daß die Zurück— 
ziehung des französischen Jägerbatgillons bis Ende Mai 
zurchgeführt sein werde. Damit schließt Herr Rault in dem 
Bericht an den Völkerbund seine Betrachtungen über die 
GHendarmerie und Besatzungsfrage ab. 
Im Saargebiet aber fragt man sich mit Recht: Und was 
weiter? Die allgemeine Erregung über den ergebnislosen 
Verlauf der außerordentlichen Tagung des Voltkerbundes 
zur Erledigung des deutschen Aufnahmegesuches hatten es 
wohl verschuldet, daß man am 19. März, dem Tage nach dem 
Auffliegen der außerordentlichen Tagung, in der ordentlichen 
Ratssitzung die auf der Tagesordnung stehenden Punkte 
zn bloe erledigte und damit auch die so wichtigen Saar— 
fragen verabschiedete. Aus diesem Grunde ist man sich wohl 
ruch der Bedeutung der in der Saarfrage gefaßten Beschlüsse 
m einzelnen nicht kecht klar geworden, sonst hätte man in der 
Frage der französischen Saarbesatzung zu einem Beschluß 
sommen müssen, dessen Bedeutung und Auslegung nicht 
weifelhaft sein durfte. Was man jetzt in Genf getan hat, 
st nichts anderes als die Unterstützung der französischen 
Saarpolitik, die aus durchsichtigen Gründen sich gegen eine 
pöllige Beseitigung der französischen Besatzung wehrt. Be⸗ 
kannklich hat Herr Rault vor einem Jahre einen Plan über 
die Sicherstellung von Ruhe und Ordnung im Saargebiet 
ausgeabeitet, wonach ein ausreichender Schutz nur durch ein 
Fendarmeriekorps in Stärke von 3000 Mann gegeben sei. 
In seinen Bemerkungen, die er für die Beratungen der ein⸗ 
zelnen Saarangelegenheiten dem Völkerbundrat gab, er⸗ 
klärte er, daß ein Ausbau der Gendarmerie über den Stand 
hon 1005 Mann hinaus sowohl aus Gründen der Landes—⸗ 
finanzen wie auch aus Gründen des Mannschaftsersatzes 
unmöglich sei. Da er aber daran festhielt, daß mindestens 
3000 NRann beim „Eintreten außergewöhnlicher Fälle“ nötig 
seien, forderte er für die Regierungskommission das Recht, 
gegebenfalls außerhalb des Saargebietes stationierte 
Truppen unverzüglich heranzuziehen. Vor einem Jahre hat 
Chamberlain bei Beratung des gleichen Punktes die Auf⸗
	        
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