Full text: Der Saar-Freund (4.1923)

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Nummer1 
4. Jahrgang 
Nachrichten 20 
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Berlin 
1. Januar 1923 
Ein neues Jahr. 
„Um die Zeit handeln zu lassen“, setzte Frankreich in dem 
Versailler Diktat eine Abstimmung für die rein deutsche 
Saargebietsbevölkerung nach 15 Jäahren fest, damit sie sich 
entscheide, ob sie das Völkerbundsregime beizubehalten 
wünscht, ob sie den Anschluß an Frankreich sucht oder ob 
sie bei Deutschland verbleiben möchte. Von diesen 15 Ab— 
stimmungsjahren geht soeben eins zu Ende. Man darf 
daher zurückschauend fragen, ist Frankreich seinem Ziele in 
diesem Jahre nähergekommen? 
Die Frage ist vielleicht nicht so leicht zu beantworten, 
wie es zunächst den Anschein hat. Eins darf gesagt werden;: 
Wenn die Saarregierung als Interessen-— 
vertretung Frankreichs gehofft hat, mit 
ihren — —— Maßnahmen auf die 
ßerzen der Saargebietsbevölkerung Ein— 
fluß zu gewinnen, so ist sie ihrem Ziele ge— 
nauso fern wie voreinem Jahre. Die Bevölke— 
rung ist nicht so blind und nicht so charakterlos, um nicht 
erkannt zu haben, wohin die Saarregierung steuert. Be— 
sonders ihre Bestrebungen, das Saargebiet völlig vom deut— 
schen Reich zu trennen, wie sie es rückhaltlos in einem Be— 
richt an den Völkerbund zum Ausdruck gebracht hat, hat 
den Widerstand gegen diese „treuhänderischen“ Absichten 
dieser Völkerbundskommission in der Bevölkerung ver— 
stärkt. Nach dieser Richtung hin bedeutet das abgelaufene 
Jahr 1922 zweifellos einen Erfolg zugunsten 
Deutschlands. 
Damit allein aber ist es leider nicht getan. Die Völker— 
instanz, von den Ententestaaten angeblich zum Schutz 
des Selbstbestimmungsrecht der Völker ins Leben gerufen, 
hat diesen Rechtsgrundsatz durch ihre Vertretung im Saar— 
gebiet genau so mit Füßen getreten wie in Oberschlesien, wie 
in Eupen-Malmedy, wie an der Weichsel und anderswo. 
„Um die Zeit handeln zu lassen“, hat sie diese Saarregie— 
rung mit Befugnissen ausgerüstet, um Geist und Sinn von 
Bestimmungen zur Sicherung der Rechte und Wohlfahrt der 
Bevölkerung zu töten, um Frankreichs Annexions— 
absichten zu fördern. 
Und von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, hat das ver⸗— 
gangene Jahr leider den Beweis erbracht, daß die Zeit für 
Frankreich handelt, wenn von deutscher, auch von amtlicher 
deutscher Seite nicht alles getan wird, um die Saarregierung 
in die ihr zugewiesenen Schranken zu verweisen. 
Das abgelaufene Jahr stand ganz im Zeichen der 
Frankenpolitik. Die Saarregierung hat kein Mittel 
unversucht gelassen, ist nicht vor Maßnahmen zurückgeschreckt, 
die an Verbrechen grenzen, um hierin vollendete Tatsachen zu 
schaffen. Es ziemt sich, an der Jahreswende der Treue 
und der Zähigkeit zu gedenken, mit der das ge— 
knechtete Volk an der Saar diesen Kampf 
gegenden Franken Monatehindurchgeführt 
hat. Der Einzelnen, den Gewerkschaften, den politischen 
Parteien, die unentwegt sich der Frankenwelle entgegen— 
warfen, gebührt der Dank Deutschlands. 
Weänn der Kampf dennoch erlahmte, so ist es den uner— 
sörten Maßnahmen der Saarregierung zuzuschreiben, die die 
Hungersnot im Saargebiet verursachte, um ihre Franken— 
politik voran zu bringen. Es ist nicht wahr, daß die Ent— 
wertung der Mark die furchtbare Not, das Elend, den 
Hunger im Saargebiet groß werden ließ — müßten nicht in 
ganz Deutschland dann die gleichen Verhältnisse bestehen? 
Die Saarregierung rief den Hunger zur 
Hilfe,umihre politischen Ziele zu erreichen. 
Ein zweites Merkmal des Jahres 10922 ist für das 
Zaargebiet die Französierung der Schule. Die 
Zaarregierung hat in ihrer Absicht, die Jugend durch die 
Schule zu gewinnen, alle Rechtsbestimmungen beiseite ge— 
choben und eine Bresche in die deutsche Volksschule gelegt. 
Mit der Einführung des französischen Sprachunterrichts hat 
ie begonnen, mit der Errichtung französischer Schulen ist sie 
veiter fortgeschritten. Sie scheut sich dabei nicht, Bestechungs⸗ 
gelder an Eltern und Schüler zu zahlen — ebenfalls unter 
Ausnutzung der von ihr hervorgerufenen Notlage der Be— 
oölkerung. 
Und dann die von ihr geförderte Demoralisie— 
rungdes Volkes. Während jede andere Landesregie— 
rung bemüht ist, die Moral des Volkes zu heben, betreibt 
ie das umgekehrte Verfahren in der Ueberzeugung, daß bei 
einer demoralifierten Bevölkerung die nationalen Beagriffe 
gelockert werden. 
Aber auch ein Erfreuliches: Der Landesrat. Er 
ist zwar nur ein Scheinparlament, die Saarregierung hat 
ihm jedes parlamentarische Recht. vor allem jedes Mitbe— 
timmungsrecht genommen. Die Bevölkerung hat aber bei 
der Wahl zu dieser parlamentarischen Karikatur der Saar— 
regierung, dem Völkerbund, der Welt zum Ausdruck gebracht, 
vohin ihr Herz schlägt: Trotz des mit aller französischen 
hinterhältigkeit ausgeklügelten Wahlreglements hat sie nur 
olche Vertreter in den Landesrat geschickt, die de u tsch zu 
teden verstehen, weil ihr Herz nur deutschfühlt. 
Und im Landesrat wird deutsch geredet, so deutsch, daß 
diese Sprache selbst Herr Rault versteht. der sonst kein Wort 
deutsch vernimmt. 
Fassen wir unseren Rückblick zusammen, so ist festzu— 
stellen, daß die Bepölkerung ihr Deutschtum 
bis zur letzten Konsequenz verteidigt, daß 
sie sich trotz aller Not und Leiden von ihrem deutschen 
Vaterland nicht abbringen läßt, daß aber auf der anderen 
Seite die Saarregierung auch die letzte Rücksicht fallen ge— 
lassen und ihr wahres Gesicht gezeigt hat: sie betrachtet sich
	        
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