Friedrich Schneider
Gesichtspunkte
einer wissenschaftlichen Gegenwartsaufnahme
auslandsdeutscher Siedelungen
Wenn zwei Deuische sich begegnen, sich in die Augen sehen, sich die Hände rei—
chen, sich freuen über den Aufschwung ihres Landes und den neuen Glanz ihres
großen Volkes, so sollten sie sich dessen stets eingedenk sein, daß noch ein Dritter zu
ihnen gehört. Einer, er mag geächtet und verbannt in uralischen Bergwerken
schmachten, er mag als Jäger oder Farmer auf Pferdesrücken frei und sorglos die
weiten Gefilde Canadas durchqueren, er mag aus einer unergründlichen Laune des
Schicksals auf die fernste Insel des Stillen Ozeans verschlagen sein. Oenn von drei
Kindern deutschen Blutes haben immer nur zwei das Glück, innerhalb der Grenzen
des deutschen Mutterlandes leben zu können.
Kann es wohl ein größeres und edleres Ziel des deutischen Lebens geben, als
dieses eine Drittel des raumlosen deutschen Volkes aufzusuchen und es kennen zu
lernen, ungeachtet dessen, ob dies wohlhabend und würdig, oder ob es elend, ver—
kommen, unwissend, unter Einflüssen einer kulturlosen Umgebung tief gesunken, seines
deutischen Namens fast unwürdig geworden ist?
Der Auslandsdeutsche sieht allerdings nicht ohne Beklemmung die vielen gro—
zen und kleinen, dicken und dünnen Bücher, Zeitschriften und Schriftenreihen, die
über ihn handeln, denn diese müssen ja ihre Leser müde und abgestumpft machen.
Er bedauert die armen Schulkinder, die sich Zahlen, unaussprechliche geographische
Namen, uninteressante Daten über das Auslandsdeutschtum einprägen müssen. Er
»efürchtet, daß durch dies alles mehr Befremden und Ueberdruß, als Liebe und In—
eresse enifacht werden könntie.
Deshalb sagen wir: Auslandsdeutschtum nicht Anterrichtsgegenstand, sondern
Erlebnis! Keine langen Geschichten, aber schöne Bilder! Keine geomorphologischen
Schilderungen, sondern gute, übersichtliche Landkarten! Kommt her zu uns, wenn
hr schon — wie der Führer in Nürnberg einmal von euch wünschte — „wetterfest“
seid und etwas vertragen könnt. „Los von Muttern!“, wenn ihr flügge seid. Oann
fönnt ihr schon etwas erleben, und wenn ihr wieder zuhause seid, etwas erzählen
So aufs Geratewohl sich auf den Weg zu machen, geht aber nun doch auch
nicht an. Einer muß schon da sein, der sich auskennt, und der weiß, was gehen und
stehen mag, was möglich und was nicht ratsam ist. So eine schöne Leistung, wie
Das Buch vom deuischen Volkstum“ (hg. von P. Gauß, Leipzig, F. A. Brockhaus)
mag schon einen Begriff geben von der fast unübersichtlichen Vielfältigkeit auslands—
deuischen Wesens und mag einladen zu einer Vertiefung in die Einzelheiten der Le—
bensformen, die in einem so weltumspannenden Werk selbstverständlich nur höchsi
napp angedeutiet werden konnien.