Full text: Der Bergmannsfreund (29.1899)

lag eigentlich nicht an den Körperkräften — Hannikel hätte es 
in dieser Hinsicht noch mit manchem Zwanzigjährigen auf— 
genommen — sondern an den Augen. Die versagten seit einiger 
Zeit den Dienst. O nein, irgend welche Gefahr der Erblindung 
sag nicht vor! Es waren das nun einmal ein paar alte Augen 
in dem Kopf, die es ohne Brille durchaus nicht thun wollten. 
Und eine Brille drunten vor Ort — ja damit ist's nichts. 
So ratschlagten denn eines schönen Sonntagnachmittags 
Hannickel und seine Frau miteinander, was da zu thun wäre. 
Die Klaus' waren nicht arm. Sie hatten beide durch redlichen 
Fleiß und Sparsamkeit etwas vor sich gebracht. Der Kinder 
waren auch nicht zu viele, und von ihren Dreien keins mehr im 
Hause. Zwei Töchter waren Bergmannsfrauen geworden und 
mit wackeren Männern und blühenden Kindern gesegnet; das 
dritte und jüngste, der Anton, war aus der Art geschlagen. 
D. h. nicht im Schlimmen! Er war ein tüchtiger Bursch ge— 
worden, der sich, so jung er war, gar nicht übel durchs Leben 
schlug. Aber er hatte kein Bergmann werden wollen, sondern 
sich zu der Kaufmannschaft gehalten. Gegenwärtig war er 
Reisender bei einer ansehnlichen Berliner Firma. 
Für irgend jemand anders außer für sich hatte also das 
alte Ehepaar nicht zu sorgen. So zog man es in wohlwollende 
Erwägung, ob nicht unser Hannickel nach so langjähriger, 
arbeits- und erfolgreicher Thätigkeit die Hände in den Schoß 
legen und sich pensionieren lassen solle. Sie würden ganz gut 
mit dem Gelde reichen; kamen ja doch noch ein paar Zinsen 
dazu, und man konnte auch in das reichlich aroße Häuschen 
einen Mieter aufnehmen. 
Ah, es war doch ein eigener und gar kein übler Gedanke 
für unseren Hannickel, sich vorzustellen, wie hübsch es sein 
würde, so recht behaglich die doch etwas steif gewordenen 
Glieder in den Tag hinein zu dehnen, ohne daran denken zu 
müssen: Jetzt ist's Zeit zur Schicht zu gehen! Gewiß, er war nie 
rerdrossen zur Arbeit gegangen, aber bei Aussicht auf völlige 
Ruhe und, wie er sich getrost sagen durfte, wohlverdiente Ruhe, 
glitt doch ein sonniges Lächeln über seine Züäige. Und dann 
hatte er eine gern zugestandene Schwäche. Das war seine ge— 
liebte Tabakspfeife. Die verließ ihn eigentlich nur, wenn es sein 
mußte. Noch auf dem Wege zur Schicht aualmte sie munter 
in die Luft hinein, und kaum war er ausgefahren, so wurde sie 
auch aus der Tasche hervorgezogen und mächtig in Brand ge— 
setzt. Die brauchte nun, wenn er erst wirklich ein Pensionierter 
war, nie wieder zur Ruhe zu kommen! 
Gesagt, gethan! Hannickel nahm mit dem Knappschafts- 
arzt Rücksprache, und der konnte, nachdem er ihn gründlich 
untersucht hatte, seine Bitte um einen ehrenvollen Abschied nur 
unterstützen. Es gingen noch einige Wochen ins Land, und dann 
kam für Hannickel Klaus ein Sonntag, dem wie er sich aus— 
drückte, für ihn kein Montag mehr folgen sollte, da von nun an 
Tag für Tag in feierlicher Rube und festlichem Bebagen hin— 
gehen würde. 
Sonderbarer Weise merkte Frau Jakobine Klaus so zu 
sagen gar nichts von der feiertäglichen Stimmung, die sich über 
ihren Mann und ihr ganzes Hauswesen breiten sollte. Im 
Gegenteil! War es ihr früher ein Leichtes gewesen, mit ihrem 
treuen. immer fröblichen Hannickel auszukommen, jetzt stiegen 
mit einemmal Wolken an ihrem ehelichen Himmel auf, von 
deren Erscheinen sie sich niemals hätte träumen lassen. Nicht 
zwei Tage hielt die aute Laune ihres Mannes vor. Sie konnie 
ihm nichts mehr recht machen. Bald hatte er am Essen, bald an 
diesem, bald an jenem etwas auszusebken. Und ein bescheidenes 
Widerwort konnte er nun gar nicht vertragen. Dann brauste er 
auf, füllte mit unnötig lauter Stimme die kleinen Räume und 
nur in der Küche hatte die geplagte Frau Ruhe vor ihm. Denn 
aus dem Wohnzimmer und dem behaglichen Lehnstuhl, den er 
sich am Tage vor seiner Pensionierung zugelegt hatte, war er 
nicht mehr herauszubringen. Ach, und eines Tages brach sogar 
ein häusliches Donnerwetter gegen die schöne lange neue Pfeife 
aus, die er sich ebenfalls zur Erhöhung seines Behagens ins 
Haus geschafft hatte. Es sollte ja, so sagte man ihm, viel an— 
Jenehmer und gesunder sein, den Tabaksrauch besänftigt und 
getühlt aus dem langen Rohre zu genießen, als ihn heiß und 
scharf aus dem kurzen Stummel in den Mund zu bekommen. 
Aber, wie gesagt, die Pfeife mit der schönen von seiner Jakobine 
selbst verfertigten schwarz-weiß-roten Quaste flog eines Tages 
in die Ecke, und der so tadellos angerauchte Porzellankopf mit 
dem Bismarck-Bildnis zervrasselte in häßlichen und schmutziger 
Scherben. 
Nun wurde der kurze Maserkopf wieder aus dem Berg— 
mannskittel hervorgeholt, aber, o weh, auch er kam nicht zu 
Ehren. Nein, selbst der Tabak wollte ihm ebenso wenig munden, 
als Essen und Trinken. In allem stocherte er herum, und mi 
nichts konnte man ihn zufrieden stellen. 
Der frisch eingezogene Mieter blieb auch nicht lange im 
Hause. Wozu sollte sich Hannickel mit fremdem Volk heram— 
ärgern? Lieber mochte seine Frau ein paar Bohnen weniger 
in den Kaffe thun. Die kraftlose Brübe war ia so wie so schon 
dünn genug. 
Das Allerschlimmste für Frau Jakobine war's, zu beob— 
achten, daß nicht nur die finsteren Falten in der Stirn ihres 
einst so guten Alten sich immer tiefer gruben, sondern daß sie 
unter Seufzen und Thränen wahrnehmen mußte, wie er sicht⸗ 
lich von Tag zu Tag abzehrte. Allerlei Schreckgespenster 
stiegen vor ihrer Seele auf. Ein „Pensionierter“, so meinten ja 
auch die lieben Nachbarsfrauen, lebt nicht lange. Er vermißt 
die gewohnte Thätigkeit und kann sich in den ruhigen Genuß des 
Daseins nicht hineinfinden. „Ihr werdet's sehen, Klaußin, 
Euer Hannickel macht's nicht mehr lange mit. Wenn erst der 
böse Winter kommt, so wird er wie ein verzehrtes Lichtlein 
langsam auslöschen; und daß er Euch so unleidlich anfährt, ist 
nichts anderes als das letzte stürmische Aufflackern, womit er 
sich gegen den Tod wehren will.“ 
Wie ihr das Wort in die Glieder fuhr! Ihr stets gesunder 
Hannickel tot?! Es überlief sie ein eisiger Schauer, als die 
weise Frau Heinemann das Wort „Tod“ in den Mund nahm. 
Das konnte, das durfte noch nicht sein. O hätte sie ihm doch zur 
Zeit alle Pensionsgelüste ausgeredet! 
Frau Heinemanns Grausamkeit war nicht unerbittlick 
hart. Als sie die schlimme Wirkung der Worte an dem jähen 
Erblassen der Frau Klaus vernahm, zog sie mildere Saiten auf. 
„Ihr müßt Euern Mann zu beschäftigen suchen, Klaußin! 
Wozu habt Ihr das hübsche Gärtchen am Haus? Da laßt ihr 
sich herumtummeln. Die frische Luft wird ihm alle Grillen ver— 
scheuchen, und mit der Thätigkeit wird wieder Lebenslust und 
Kraft in ihn hineinziehen. So meint mein Jakob auch.“ 
Ja da war guter Rat wohlfeil; wenn nur die Ausführung 
ebenso wohlfeil ausfallen wollte! Die Gartenwege waren keiné 
langen Stollen und Gänge, die Kohlköpfe und Rosenstöckchen 
kein niedriges Gestein, das man mit Schlägel und Eisen be 
arheiten konnte! 
„Frauenzimmerkram!“ war die mürrische Entgegnung 
Hannickels, als Jakobine ihm Frau Heinemanns Vorschlag 
mundgerecht machen wollte. „Das fehlte mir gerade noch, mit 
dem lumpigen Spaten in dem Händlein voll zarter Erde berum 
zu stolpern! Das steht Dir besser an als mir.“ 
Und dabei blieb's. Hannickel war aus seinem Sessel nich! 
wegzukriegen. Wenn sie ihn abends glücklich ins Bett ge— 
bracht hatte, sah sie den Lehnstuhl allemal mit finsteren Blicken 
an, als wäre dessen weiche Rückenlehne die Ursache all ihres 
Kummers und als sprössen aus den Roßhaaren des Polsters 
all die unwirschen, unleidlichen Grießgrämigkeiten ihres Mannes 
hervor; und manchmal war sie drauf und dran, an dem Möbel 
das, was sie in sich verschließen mußte, auszulassen, es zu— 
sammenzuschlagen und mit den Bruchstücken dem Hannickel eine 
Suppe zu kochen, die ihm einmal schmecken sollte. 
Selbstverständlich wurden solche finsteren Gedanken nich 
zur That, und der abscheuliche Sessel blieb nach wie vor am 
Sepsies in Wohnzimmer stehen. ein Brutherd für die unheim—
	        
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