lag eigentlich nicht an den Körperkräften — Hannikel hätte es
in dieser Hinsicht noch mit manchem Zwanzigjährigen auf—
genommen — sondern an den Augen. Die versagten seit einiger
Zeit den Dienst. O nein, irgend welche Gefahr der Erblindung
sag nicht vor! Es waren das nun einmal ein paar alte Augen
in dem Kopf, die es ohne Brille durchaus nicht thun wollten.
Und eine Brille drunten vor Ort — ja damit ist's nichts.
So ratschlagten denn eines schönen Sonntagnachmittags
Hannickel und seine Frau miteinander, was da zu thun wäre.
Die Klaus' waren nicht arm. Sie hatten beide durch redlichen
Fleiß und Sparsamkeit etwas vor sich gebracht. Der Kinder
waren auch nicht zu viele, und von ihren Dreien keins mehr im
Hause. Zwei Töchter waren Bergmannsfrauen geworden und
mit wackeren Männern und blühenden Kindern gesegnet; das
dritte und jüngste, der Anton, war aus der Art geschlagen.
D. h. nicht im Schlimmen! Er war ein tüchtiger Bursch ge—
worden, der sich, so jung er war, gar nicht übel durchs Leben
schlug. Aber er hatte kein Bergmann werden wollen, sondern
sich zu der Kaufmannschaft gehalten. Gegenwärtig war er
Reisender bei einer ansehnlichen Berliner Firma.
Für irgend jemand anders außer für sich hatte also das
alte Ehepaar nicht zu sorgen. So zog man es in wohlwollende
Erwägung, ob nicht unser Hannickel nach so langjähriger,
arbeits- und erfolgreicher Thätigkeit die Hände in den Schoß
legen und sich pensionieren lassen solle. Sie würden ganz gut
mit dem Gelde reichen; kamen ja doch noch ein paar Zinsen
dazu, und man konnte auch in das reichlich aroße Häuschen
einen Mieter aufnehmen.
Ah, es war doch ein eigener und gar kein übler Gedanke
für unseren Hannickel, sich vorzustellen, wie hübsch es sein
würde, so recht behaglich die doch etwas steif gewordenen
Glieder in den Tag hinein zu dehnen, ohne daran denken zu
müssen: Jetzt ist's Zeit zur Schicht zu gehen! Gewiß, er war nie
rerdrossen zur Arbeit gegangen, aber bei Aussicht auf völlige
Ruhe und, wie er sich getrost sagen durfte, wohlverdiente Ruhe,
glitt doch ein sonniges Lächeln über seine Züäige. Und dann
hatte er eine gern zugestandene Schwäche. Das war seine ge—
liebte Tabakspfeife. Die verließ ihn eigentlich nur, wenn es sein
mußte. Noch auf dem Wege zur Schicht aualmte sie munter
in die Luft hinein, und kaum war er ausgefahren, so wurde sie
auch aus der Tasche hervorgezogen und mächtig in Brand ge—
setzt. Die brauchte nun, wenn er erst wirklich ein Pensionierter
war, nie wieder zur Ruhe zu kommen!
Gesagt, gethan! Hannickel nahm mit dem Knappschafts-
arzt Rücksprache, und der konnte, nachdem er ihn gründlich
untersucht hatte, seine Bitte um einen ehrenvollen Abschied nur
unterstützen. Es gingen noch einige Wochen ins Land, und dann
kam für Hannickel Klaus ein Sonntag, dem wie er sich aus—
drückte, für ihn kein Montag mehr folgen sollte, da von nun an
Tag für Tag in feierlicher Rube und festlichem Bebagen hin—
gehen würde.
Sonderbarer Weise merkte Frau Jakobine Klaus so zu
sagen gar nichts von der feiertäglichen Stimmung, die sich über
ihren Mann und ihr ganzes Hauswesen breiten sollte. Im
Gegenteil! War es ihr früher ein Leichtes gewesen, mit ihrem
treuen. immer fröblichen Hannickel auszukommen, jetzt stiegen
mit einemmal Wolken an ihrem ehelichen Himmel auf, von
deren Erscheinen sie sich niemals hätte träumen lassen. Nicht
zwei Tage hielt die aute Laune ihres Mannes vor. Sie konnie
ihm nichts mehr recht machen. Bald hatte er am Essen, bald an
diesem, bald an jenem etwas auszusebken. Und ein bescheidenes
Widerwort konnte er nun gar nicht vertragen. Dann brauste er
auf, füllte mit unnötig lauter Stimme die kleinen Räume und
nur in der Küche hatte die geplagte Frau Ruhe vor ihm. Denn
aus dem Wohnzimmer und dem behaglichen Lehnstuhl, den er
sich am Tage vor seiner Pensionierung zugelegt hatte, war er
nicht mehr herauszubringen. Ach, und eines Tages brach sogar
ein häusliches Donnerwetter gegen die schöne lange neue Pfeife
aus, die er sich ebenfalls zur Erhöhung seines Behagens ins
Haus geschafft hatte. Es sollte ja, so sagte man ihm, viel an—
Jenehmer und gesunder sein, den Tabaksrauch besänftigt und
getühlt aus dem langen Rohre zu genießen, als ihn heiß und
scharf aus dem kurzen Stummel in den Mund zu bekommen.
Aber, wie gesagt, die Pfeife mit der schönen von seiner Jakobine
selbst verfertigten schwarz-weiß-roten Quaste flog eines Tages
in die Ecke, und der so tadellos angerauchte Porzellankopf mit
dem Bismarck-Bildnis zervrasselte in häßlichen und schmutziger
Scherben.
Nun wurde der kurze Maserkopf wieder aus dem Berg—
mannskittel hervorgeholt, aber, o weh, auch er kam nicht zu
Ehren. Nein, selbst der Tabak wollte ihm ebenso wenig munden,
als Essen und Trinken. In allem stocherte er herum, und mi
nichts konnte man ihn zufrieden stellen.
Der frisch eingezogene Mieter blieb auch nicht lange im
Hause. Wozu sollte sich Hannickel mit fremdem Volk heram—
ärgern? Lieber mochte seine Frau ein paar Bohnen weniger
in den Kaffe thun. Die kraftlose Brübe war ia so wie so schon
dünn genug.
Das Allerschlimmste für Frau Jakobine war's, zu beob—
achten, daß nicht nur die finsteren Falten in der Stirn ihres
einst so guten Alten sich immer tiefer gruben, sondern daß sie
unter Seufzen und Thränen wahrnehmen mußte, wie er sicht⸗
lich von Tag zu Tag abzehrte. Allerlei Schreckgespenster
stiegen vor ihrer Seele auf. Ein „Pensionierter“, so meinten ja
auch die lieben Nachbarsfrauen, lebt nicht lange. Er vermißt
die gewohnte Thätigkeit und kann sich in den ruhigen Genuß des
Daseins nicht hineinfinden. „Ihr werdet's sehen, Klaußin,
Euer Hannickel macht's nicht mehr lange mit. Wenn erst der
böse Winter kommt, so wird er wie ein verzehrtes Lichtlein
langsam auslöschen; und daß er Euch so unleidlich anfährt, ist
nichts anderes als das letzte stürmische Aufflackern, womit er
sich gegen den Tod wehren will.“
Wie ihr das Wort in die Glieder fuhr! Ihr stets gesunder
Hannickel tot?! Es überlief sie ein eisiger Schauer, als die
weise Frau Heinemann das Wort „Tod“ in den Mund nahm.
Das konnte, das durfte noch nicht sein. O hätte sie ihm doch zur
Zeit alle Pensionsgelüste ausgeredet!
Frau Heinemanns Grausamkeit war nicht unerbittlick
hart. Als sie die schlimme Wirkung der Worte an dem jähen
Erblassen der Frau Klaus vernahm, zog sie mildere Saiten auf.
„Ihr müßt Euern Mann zu beschäftigen suchen, Klaußin!
Wozu habt Ihr das hübsche Gärtchen am Haus? Da laßt ihr
sich herumtummeln. Die frische Luft wird ihm alle Grillen ver—
scheuchen, und mit der Thätigkeit wird wieder Lebenslust und
Kraft in ihn hineinziehen. So meint mein Jakob auch.“
Ja da war guter Rat wohlfeil; wenn nur die Ausführung
ebenso wohlfeil ausfallen wollte! Die Gartenwege waren keiné
langen Stollen und Gänge, die Kohlköpfe und Rosenstöckchen
kein niedriges Gestein, das man mit Schlägel und Eisen be
arheiten konnte!
„Frauenzimmerkram!“ war die mürrische Entgegnung
Hannickels, als Jakobine ihm Frau Heinemanns Vorschlag
mundgerecht machen wollte. „Das fehlte mir gerade noch, mit
dem lumpigen Spaten in dem Händlein voll zarter Erde berum
zu stolpern! Das steht Dir besser an als mir.“
Und dabei blieb's. Hannickel war aus seinem Sessel nich!
wegzukriegen. Wenn sie ihn abends glücklich ins Bett ge—
bracht hatte, sah sie den Lehnstuhl allemal mit finsteren Blicken
an, als wäre dessen weiche Rückenlehne die Ursache all ihres
Kummers und als sprössen aus den Roßhaaren des Polsters
all die unwirschen, unleidlichen Grießgrämigkeiten ihres Mannes
hervor; und manchmal war sie drauf und dran, an dem Möbel
das, was sie in sich verschließen mußte, auszulassen, es zu—
sammenzuschlagen und mit den Bruchstücken dem Hannickel eine
Suppe zu kochen, die ihm einmal schmecken sollte.
Selbstverständlich wurden solche finsteren Gedanken nich
zur That, und der abscheuliche Sessel blieb nach wie vor am
Sepsies in Wohnzimmer stehen. ein Brutherd für die unheim—