Full text: Der Bergmannsfreund (29.1899)

WBie sie ihn liebte, den theuren Mann, dex sie einst von einem 
sie belästigenden Gecken befreit hatte. Damals schon, als sie ihn 
zum ersten Male gesehen, zog die Liebe in ihr Herz, aber sie ver⸗ 
schloß sie tapfer, denn nachdem ihr Vater kurz vorher Unglück 
gehabt und daran zu Grunde gegangen war, hatte sie selbst eine 
harte Schule durchmachen und erfahren müssen, daß man das Kind 
entgelten ließ, was der Vater gethan. — Und diese Schule war so 
bitter und nachhaltig, daß sie nicht begreifen konnte, wie Fritz Her— 
beken immer wieder ihre Nähe suchen und schließlich ihr von seiner 
Liebe sprechen konnte. In dieser für sie beglückenden und doch 
schmerzvollen Stunde enthüllte sie ihm ohne Scheu ihr Geheimniß 
und glaubte ihn abzuschrecken. Aber das Unglück, das sie erlebt, 
die Demüthigungen, die sie erlitten, machten sie ihm um so be— 
gehrenswerther.“ Solcher Liebe konnte sie nicht widerstehen, obwohl 
sie sich bewußt war. daß mit seinen Eltern harte Kämpfe zu be— 
stehen sein würden. 
Zwei Jahre hatten 
sie gewartet, sollte 
nun die Prüfungs⸗ 
zeit zu Ende sein? 
Aber der alte Herr 
war nicht wieder⸗ 
gekommen. Ver— 
geblich hatte sie des 
Mittags auf ihn 
gewarlket, ja eine 
S unde abgesagt, 
um ihn nicht zu ver⸗ 
säumen und nicht 
gestört zu sein Um— 
sonst das Opfer, 
denn ein solches be⸗ 
deutete es für sie, 
— 
nung und die Sehn⸗ 
sucht . . . In Ge⸗ 
danken verloren, 
hielt sie die Puppe, 
die sie nun fertig 
angekleidet hatte, von sich ab, um das Werk ihrer Häude zu prüfen. 
Da klopfte es heftig zweimal hintereinander. Lieselotte hätte 
vor Schreck fast die Puppe fallen lassen. Im nächsten Augenblick 
stand der Justizrath vor ihr, über und über mit Schnee bedeckt. 
Schnell eilte Lieselotte herzu und half ihm den Pelz ablegen, 
den sie sorgsam zum Trocknen ausbreitete, dabei konnte sie die 
Verlegenheit niederkämpfen, die sie befallen hatte. 
„Machen Sie nicht so viel Umstände mit dem Rock, dem schadet 
das Schneewasser nichts. Ich habe auch nicht viel Zeit. kam nur 
um Sie zu holen —“ 
„Mich holen?“ rief Lieselotte, erblassend vor Schreck und 
Freude. War da nicht die Erfüllung der Verheißung? 
„Ja, liebes Kind, Sie will ich holen, wenn Sie Lieselotte 
Wellner heißen und Lehrerin sind. Sie sollen mit mir kommen 
und Freude, Licht und Wonne bringen in ein verdüstertes Haus, 
Sie sollen das Glück hineintragen, und Ihr Anblick soll meinen 
Einzigen aufjubeln und Frohsinn und Lust wieder auf seinem 
Gefichte erstehen lassen. Kind,“ Herbeken ergriff Lieselotte bei beiden 
Händen, „Kind, — Sie wissen, wer ich bin, nicht wahr? — ich habe 
Ihnen viel abzubitten, das wird mir jedoch nicht schwer. Hier wollen 
wir ins Reine kommen und dann nicht wieder davon reden.“ Der 
Justizrath theilte nun seine Gründe mit, die ihn bisher dazu bestimmt 
hdatten, gegen ihre Verbindung mit seinem Sohne zu sein. „Da,“ 
fuhr er sort, ührte mich der Zufall an jenem Tage in das 
Fremy'sche Haus. Ich sah Sie. — Erlassen Sie mir, was ich em— 
pfand, wie mir da erst klar wurde, daß ich ganz unverantwortlich 
gehandelt, indem ich ohne Prüfung, ohne Sie zu kennen, auf 
meinem Standpunkte verharrte. Heute, Lieselotte Wellner. bin 
ich gekommen, Sie in mein Haus zu holen und meinem 
Sohn als vornehmstes Christgeschenk aufzubauen, so wie 
sch selbst einst nach langen bitteren Kämpfen am Heilig- 
abend meine Frau errang. Wollen Sie unsere Tochter 
sein und unseren Jungen, unser Ein und Alles, so glücklich 
machen, wie ich es durch meine Frau geworden?“ 
Anter Thraͤnen lächelnd, sagte Lieselotte: „Ich will 
Herr Justizrath! Gott segne Sie für Ihre guten Worte!“ 
Und wollen Sie auch uns zwei Alte mit in Kaui 
nehmen und versuchen —“ 
Ich habe nicht nöthig, zu versuchen,“ fiel ihm das 
Mädchen jauchzend in's Wort, „vom ersten Augenblick 
an habe ich Sie lieb gewonnen; ich wußte, daß Sie heute 
kommen würden, daß mit dem heutigen Tage aller 
Kummer und aller Schmerz ein Ende haben würde.“ 
Herbeken küßte das Mädchen auf die Stirn. „Meine 
Tochter,“ sprach er sinnend, „ein Klang, ein Begriff, den 
wir bisher nicht kannten, lasse Du ihn zu einem segens⸗ 
reichen werden für unser ganzes Haus! — Doch nun mache 
Dich recht hübsch, in einem Viertelstündchen hol ich Dich ab.“ 
Da konnte sie nicht mehr an sich halten. Mit dem 
Ausrufse: „Lieber Vater!“ umschlang sie den alten Herrn 
Ind drückte ihre frischen Lipven qaui die seinen. — 
Noch war die Viertelstunde nicht verflofsen, als der Justigzrath 
bermals an Lieselotte's Thür klopfte. Sie öffnete und trat ihm 
n einem weißen Kleide entgegen, das nur am Gürtel durch einen 
Strauß duftender Veilchen geziert wurde, die Fritz ihr gesandt hatte. 
Sie war entzückend anzuschauen, denn Freude und Glück ver⸗ 
klärten ihr ganzes Wesen. Der alte Herr legte ihr den großen 
Abendmantel' um, dann schritten sie zusammen die Treppen hinab 
und bestiegen den Schlitten, den der ZJuͤstizrath mitgebracht hatte. 
An scinem Hause angelangt, führte er Lieselotte üb r die 
Dienerschaftstreppe in sein Privatbureau, wo er einen Imbiß für 
sie hatte bereit stellen lassen, und hier entwickelte er seinen Plan, 
vonach er sie hinter dem großen Christbaum unterbringen würde, 
ie aber erst dann heraustreten sollte, wenn Fritz vor seinem Tische 
tand, den er in möglichste Nähe rücken wollte. Das Weitere würde 
ich von selbst ergeben. Er hatte richtig vorausgesehen. 
Da seine Frau 
gelähmt war, blieb 
ihm alljährlich die 
Hauptaufgabe des 
Aufbauens Früher 
hatte ihm wohl sein 
Sohn geholfen. — 
aber seit er beim 
Vater so viel Wider⸗ 
stand gefunden, 
hatte er sich nicht 
mehr daran bethei⸗ 
ligt. Auch heute lei⸗ 
stete er im Neben— 
zimmer seiner Mut⸗ 
ler Gesellschaft, die 
umsonst bemüht 
war, ihn aufzu—⸗ 
heitern. Ihr selbst 
war ja das Herz so 
schwer. wenn sie ihn 
leiden sah, und doch 
konnte sie noch kei— 
nen Ausweg finden 
aus diesem Dilemma. In dem jungen Arzte aber wirkte noch die 
furze Unterredung nach, die er mit Lieselotte gehabt. Ohne es sich 
einzugestehen, hatten ihre zuversichtlichen Worte auch ihm die Hoffnung 
eingeflößt, daß es bald besser werden würde. Er sehnte sich nach 
der“ Geliebten, die Zeit wurde ihm lang. Und so zog er die Uhr. 
„Es dauert heule recht lange, dächte ich, Vater ist doch sonst 
biel Lascher fertig gewesen. Vielleicht kann ich ihm behilflich sein,“ 
meinte Fritz aufstehend. 
Nein, mein Junge Vater wünschte ausdrücklich, daß Du bei 
mir bleibst, bis der Augenblick gekommen. Jetzt —“ 
Ein kurzes Glockenzeichen, dann wurden die Flügelthüren 
zurückgeschoben, und vor den Augen von Mutter und Sohn erhob 
sich in majestätischer Größe die herrlich geschmückte Tanne. 
Fritz schob den Stuhl der Mutter langsam vorwärts. Mit 
gefalteten Hünden, Thränen der Erschütterung in den Augen, ein 
seliges Versunkensein auf dem blassen Antlitz, so saß die Leidende 
in ihrem Stuhle und ließ das Ganze auf sich wirken. 
„Nun, mein Junge, willst Du Dich nicht einmal umschauen,“ 
sagte der Justizrath, „ich weiß ja, daß Dich Dein Herz fortzieht 
und Du die Minuten zählst. — Komm, soll ich Dich führen, wie 
wir es thun mußten, als Du noch ein kleiner Junge warst und 
Dich schüchtern an der Mutter Rock klammertest?“ 
Fritz lächelte flüchtig. Im Grunde waren ihm die Geschenke 
ganz gleichgiltig, wenn er seine Lieselotte nicht haben durfte. Aber 
er woilte die Eltern nicht kränken, und so schritt er vorwärts. 
Nun haätte er den Baum erreicht, daneben sah er seinen Tisch, auf 
dem ihm ein herrli er Pelzrock in die Augen fiel. Schon 
wollte er, ohne aufzublicken, die Hand danach ausstrecken, 
als eine sanfte Stimme sagte: „Hast Du keinen Blick 
für mich, Geliebter?“ 
Der junge Arzt fuhr erschrocken zuxrück. Sekunden— 
lang ruhte sein Auge wie entsetzt auf Lieseotte, dann 
stieß er einen Freudenschrei aus, stürzte um den Tisch 
herum auf Lieselotte zu, riß sie in seine Arme und 
drückte ihr Köpfchen gegen seine Brust. 
„Du — Du!“ stieß er hervor, „ist's denn möglich, 
Liebling? — Oder träume ich nur? — Du hier in 
unserem Hause — wer — wer — ?“ 
Lieselotte mit sich ziehend zu den Eltern, umarmte 
er bald den Vater, bald die Mutter und konnte sich 
nicht fassen vor überschwängalicher Freude und Dank— 
barkeit. 
„Ganz so wie vor vierzig Jahren bei uns,“ 
flüsterte Frau Julie, während Thränen der Freude ihre 
Augen feuchteten. „Vater, das hast Du gut gemacht, 
wenn Du mir auch nichts davon gesagt hast.“ 
„Nicht empfindlich sein, Julchen heute ist Glück 
und Freude wieder bei uns eingekehrt und sie“ — er 
legte Lieselotte der Justizräthin an's Herz. .will uns Alte 
rüch ein bissschen lieb haben!“ 
— 
Der Rinder WeibnachtsSrende 
Nit den Weibrettte⸗
	        
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