WBie sie ihn liebte, den theuren Mann, dex sie einst von einem
sie belästigenden Gecken befreit hatte. Damals schon, als sie ihn
zum ersten Male gesehen, zog die Liebe in ihr Herz, aber sie ver⸗
schloß sie tapfer, denn nachdem ihr Vater kurz vorher Unglück
gehabt und daran zu Grunde gegangen war, hatte sie selbst eine
harte Schule durchmachen und erfahren müssen, daß man das Kind
entgelten ließ, was der Vater gethan. — Und diese Schule war so
bitter und nachhaltig, daß sie nicht begreifen konnte, wie Fritz Her—
beken immer wieder ihre Nähe suchen und schließlich ihr von seiner
Liebe sprechen konnte. In dieser für sie beglückenden und doch
schmerzvollen Stunde enthüllte sie ihm ohne Scheu ihr Geheimniß
und glaubte ihn abzuschrecken. Aber das Unglück, das sie erlebt,
die Demüthigungen, die sie erlitten, machten sie ihm um so be—
gehrenswerther.“ Solcher Liebe konnte sie nicht widerstehen, obwohl
sie sich bewußt war. daß mit seinen Eltern harte Kämpfe zu be—
stehen sein würden.
Zwei Jahre hatten
sie gewartet, sollte
nun die Prüfungs⸗
zeit zu Ende sein?
Aber der alte Herr
war nicht wieder⸗
gekommen. Ver—
geblich hatte sie des
Mittags auf ihn
gewarlket, ja eine
S unde abgesagt,
um ihn nicht zu ver⸗
säumen und nicht
gestört zu sein Um—
sonst das Opfer,
denn ein solches be⸗
deutete es für sie,
—
nung und die Sehn⸗
sucht . . . In Ge⸗
danken verloren,
hielt sie die Puppe,
die sie nun fertig
angekleidet hatte, von sich ab, um das Werk ihrer Häude zu prüfen.
Da klopfte es heftig zweimal hintereinander. Lieselotte hätte
vor Schreck fast die Puppe fallen lassen. Im nächsten Augenblick
stand der Justizrath vor ihr, über und über mit Schnee bedeckt.
Schnell eilte Lieselotte herzu und half ihm den Pelz ablegen,
den sie sorgsam zum Trocknen ausbreitete, dabei konnte sie die
Verlegenheit niederkämpfen, die sie befallen hatte.
„Machen Sie nicht so viel Umstände mit dem Rock, dem schadet
das Schneewasser nichts. Ich habe auch nicht viel Zeit. kam nur
um Sie zu holen —“
„Mich holen?“ rief Lieselotte, erblassend vor Schreck und
Freude. War da nicht die Erfüllung der Verheißung?
„Ja, liebes Kind, Sie will ich holen, wenn Sie Lieselotte
Wellner heißen und Lehrerin sind. Sie sollen mit mir kommen
und Freude, Licht und Wonne bringen in ein verdüstertes Haus,
Sie sollen das Glück hineintragen, und Ihr Anblick soll meinen
Einzigen aufjubeln und Frohsinn und Lust wieder auf seinem
Gefichte erstehen lassen. Kind,“ Herbeken ergriff Lieselotte bei beiden
Händen, „Kind, — Sie wissen, wer ich bin, nicht wahr? — ich habe
Ihnen viel abzubitten, das wird mir jedoch nicht schwer. Hier wollen
wir ins Reine kommen und dann nicht wieder davon reden.“ Der
Justizrath theilte nun seine Gründe mit, die ihn bisher dazu bestimmt
hdatten, gegen ihre Verbindung mit seinem Sohne zu sein. „Da,“
fuhr er sort, ührte mich der Zufall an jenem Tage in das
Fremy'sche Haus. Ich sah Sie. — Erlassen Sie mir, was ich em—
pfand, wie mir da erst klar wurde, daß ich ganz unverantwortlich
gehandelt, indem ich ohne Prüfung, ohne Sie zu kennen, auf
meinem Standpunkte verharrte. Heute, Lieselotte Wellner. bin
ich gekommen, Sie in mein Haus zu holen und meinem
Sohn als vornehmstes Christgeschenk aufzubauen, so wie
sch selbst einst nach langen bitteren Kämpfen am Heilig-
abend meine Frau errang. Wollen Sie unsere Tochter
sein und unseren Jungen, unser Ein und Alles, so glücklich
machen, wie ich es durch meine Frau geworden?“
Anter Thraͤnen lächelnd, sagte Lieselotte: „Ich will
Herr Justizrath! Gott segne Sie für Ihre guten Worte!“
Und wollen Sie auch uns zwei Alte mit in Kaui
nehmen und versuchen —“
Ich habe nicht nöthig, zu versuchen,“ fiel ihm das
Mädchen jauchzend in's Wort, „vom ersten Augenblick
an habe ich Sie lieb gewonnen; ich wußte, daß Sie heute
kommen würden, daß mit dem heutigen Tage aller
Kummer und aller Schmerz ein Ende haben würde.“
Herbeken küßte das Mädchen auf die Stirn. „Meine
Tochter,“ sprach er sinnend, „ein Klang, ein Begriff, den
wir bisher nicht kannten, lasse Du ihn zu einem segens⸗
reichen werden für unser ganzes Haus! — Doch nun mache
Dich recht hübsch, in einem Viertelstündchen hol ich Dich ab.“
Da konnte sie nicht mehr an sich halten. Mit dem
Ausrufse: „Lieber Vater!“ umschlang sie den alten Herrn
Ind drückte ihre frischen Lipven qaui die seinen. —
Noch war die Viertelstunde nicht verflofsen, als der Justigzrath
bermals an Lieselotte's Thür klopfte. Sie öffnete und trat ihm
n einem weißen Kleide entgegen, das nur am Gürtel durch einen
Strauß duftender Veilchen geziert wurde, die Fritz ihr gesandt hatte.
Sie war entzückend anzuschauen, denn Freude und Glück ver⸗
klärten ihr ganzes Wesen. Der alte Herr legte ihr den großen
Abendmantel' um, dann schritten sie zusammen die Treppen hinab
und bestiegen den Schlitten, den der ZJuͤstizrath mitgebracht hatte.
An scinem Hause angelangt, führte er Lieselotte üb r die
Dienerschaftstreppe in sein Privatbureau, wo er einen Imbiß für
sie hatte bereit stellen lassen, und hier entwickelte er seinen Plan,
vonach er sie hinter dem großen Christbaum unterbringen würde,
ie aber erst dann heraustreten sollte, wenn Fritz vor seinem Tische
tand, den er in möglichste Nähe rücken wollte. Das Weitere würde
ich von selbst ergeben. Er hatte richtig vorausgesehen.
Da seine Frau
gelähmt war, blieb
ihm alljährlich die
Hauptaufgabe des
Aufbauens Früher
hatte ihm wohl sein
Sohn geholfen. —
aber seit er beim
Vater so viel Wider⸗
stand gefunden,
hatte er sich nicht
mehr daran bethei⸗
ligt. Auch heute lei⸗
stete er im Neben—
zimmer seiner Mut⸗
ler Gesellschaft, die
umsonst bemüht
war, ihn aufzu—⸗
heitern. Ihr selbst
war ja das Herz so
schwer. wenn sie ihn
leiden sah, und doch
konnte sie noch kei—
nen Ausweg finden
aus diesem Dilemma. In dem jungen Arzte aber wirkte noch die
furze Unterredung nach, die er mit Lieselotte gehabt. Ohne es sich
einzugestehen, hatten ihre zuversichtlichen Worte auch ihm die Hoffnung
eingeflößt, daß es bald besser werden würde. Er sehnte sich nach
der“ Geliebten, die Zeit wurde ihm lang. Und so zog er die Uhr.
„Es dauert heule recht lange, dächte ich, Vater ist doch sonst
biel Lascher fertig gewesen. Vielleicht kann ich ihm behilflich sein,“
meinte Fritz aufstehend.
Nein, mein Junge Vater wünschte ausdrücklich, daß Du bei
mir bleibst, bis der Augenblick gekommen. Jetzt —“
Ein kurzes Glockenzeichen, dann wurden die Flügelthüren
zurückgeschoben, und vor den Augen von Mutter und Sohn erhob
sich in majestätischer Größe die herrlich geschmückte Tanne.
Fritz schob den Stuhl der Mutter langsam vorwärts. Mit
gefalteten Hünden, Thränen der Erschütterung in den Augen, ein
seliges Versunkensein auf dem blassen Antlitz, so saß die Leidende
in ihrem Stuhle und ließ das Ganze auf sich wirken.
„Nun, mein Junge, willst Du Dich nicht einmal umschauen,“
sagte der Justizrath, „ich weiß ja, daß Dich Dein Herz fortzieht
und Du die Minuten zählst. — Komm, soll ich Dich führen, wie
wir es thun mußten, als Du noch ein kleiner Junge warst und
Dich schüchtern an der Mutter Rock klammertest?“
Fritz lächelte flüchtig. Im Grunde waren ihm die Geschenke
ganz gleichgiltig, wenn er seine Lieselotte nicht haben durfte. Aber
er woilte die Eltern nicht kränken, und so schritt er vorwärts.
Nun haätte er den Baum erreicht, daneben sah er seinen Tisch, auf
dem ihm ein herrli er Pelzrock in die Augen fiel. Schon
wollte er, ohne aufzublicken, die Hand danach ausstrecken,
als eine sanfte Stimme sagte: „Hast Du keinen Blick
für mich, Geliebter?“
Der junge Arzt fuhr erschrocken zuxrück. Sekunden—
lang ruhte sein Auge wie entsetzt auf Lieseotte, dann
stieß er einen Freudenschrei aus, stürzte um den Tisch
herum auf Lieselotte zu, riß sie in seine Arme und
drückte ihr Köpfchen gegen seine Brust.
„Du — Du!“ stieß er hervor, „ist's denn möglich,
Liebling? — Oder träume ich nur? — Du hier in
unserem Hause — wer — wer — ?“
Lieselotte mit sich ziehend zu den Eltern, umarmte
er bald den Vater, bald die Mutter und konnte sich
nicht fassen vor überschwängalicher Freude und Dank—
barkeit.
„Ganz so wie vor vierzig Jahren bei uns,“
flüsterte Frau Julie, während Thränen der Freude ihre
Augen feuchteten. „Vater, das hast Du gut gemacht,
wenn Du mir auch nichts davon gesagt hast.“
„Nicht empfindlich sein, Julchen heute ist Glück
und Freude wieder bei uns eingekehrt und sie“ — er
legte Lieselotte der Justizräthin an's Herz. .will uns Alte
rüch ein bissschen lieb haben!“
—
Der Rinder WeibnachtsSrende
Nit den Weibrettte⸗