Full text: Der Bergmannsfreund (18.1888)

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Friedrich Wilhelm IV. weilte gleichfalls viel und gern 
um Schlosse zu Charlottenburg und unter ihm öffneten sich 
wieder die 30 Jahre verschlossen gewesenen Pforten des 
Belvedoͤre. Die Wohnzimmer Friedrich Wilhelms IV. sind 
in ihrer ehemaligen Einrichtung bis auf die kleinsten Dinge 
des iäglichen Gebrauchs noch wohlerhalten. Nach dem Tode 
des kunstfinnigen Königs, dessen umfassende Erweiterungs— 
pläne nicht zur Ausführung gelangten, ward das Schloß 
zu Charlottenburg Witwensitz der Königin Elisabeth, welche 
'm Jahre 1878 hier ihr Leben aushauchte. Nach ihrem 
Tode blieben die Schloßräume lange Zeit unbenutzt. Kaiser 
Wilhelm ließ in der Schloßkapelle seine einzige Lochter, die 
Großherzogin von Baden, einsegnen, und zeitweise nahmen 
auch hohe Herrschaften wieder im Schloß Quartier, nament⸗ 
lich Fürstlichkeiten, welche zu hohen Hoffestlichkeiten nach 
Berlin kamen. 
Auch Prinz Wilhelm hatte drei Jahre nacheinander 
auf mehrere Wochen daselbst Wohnung genommen, ebenso 
das rumänische Königspaar bei Gelegenheit des 90sten Se— 
burtsfestes des Kaisers Wilhelm. Seit Oktober 1882 hat 
hbekanntlich der Schwiegersohn des jetzigen Kaisers, Erb⸗ 
prinz Bernhard von Sachsen-Meiningen, mit seiner Ge— 
mahlin dauernden Aufenthalt in dem alten Königsschloß ge— 
nommen. Nach seinen traulichen Räumen richtete der 
schmerzgebeugte Kaiser Friedrich III. seine ersten Schritte 
nach langer Abwesenheit aus der Heimat, um hier die ersten 
schmerzlichen Akte zu vollziehen, welche der Wandel seines 
Beschicks von ihm verlangt. 
Dieses Schloß hat sich trotz seiner Größe den Cha— 
rakter des Landsitzes getreulich bewahrt; das Innere des⸗ 
selben ist reich und interessant gestaltet. Wie das Werk: 
„Berlin und seine Bauten“ hervorhebt, hat auch der alte 
Schlüter'sche Bau zum größeren Teile noch seine ursprüng— 
lichen Barockdekorationen, die um so werwoller sind, als 
dieselben zumeist von Schlüters eigener Hand herrühren 
dürften. — Die von Eosander dekorierten Räume zielen auf 
derbere und roherezEffekte, zeigen aber viele originelle Ein— 
zelheiten, namentlich treffüche Schnitzereien. Was von 
RKnobelsdorfs Dekorationen erhalten ist, namentlich die 
„goldene Galerie“, zählt zu den Perlen des Roccoco. 
Zum Schein. 
kine Erzählung von Ludwig Habicht. 
GFortsetzung.) 
In sein hartes Geschick fand fich der Bauer Walther 
ruhiger, als man erwartet hatte. — Schon seit der Tren— 
nung von seiner Frau war eine merkwürdige Veränderung 
mit ihm vorgegangen. — Früher saß er jeden Sounntag in 
der Schenke und sührte das große Wort über Dori- und 
Staatsangelegenheiten. 
Volentin hatte drei Jahre dem Könige gedient und 
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Stolz, seine werwollste Erinnerung. Die übrigen Bauern 
mußten zu ihm hinaufsehen. 
Valentin konnte von den königlichen Prinzen erzählen, 
vor deren Palästen er Wache gestanden und dabei mit den 
prinzlichen Dienern geplauden hatte. Da war er ein—⸗ 
geweiht worden in die üefsten Geheimnisse der Politik; er 
wußte deshalb genau, was die nächste Stunde bringen 
würde und dazu war er noch der Einzige, der ein politi— 
sches Journal las und deshalb den Tagesereignissen auf 
dem Fuße folgte. Kein Wunder, daß er nicht eher aus 
der Schenke kam, bis er seinen aufhorchenden Kameraden 
iber künftige Feinde und Kriegshändel reinen Wein einge⸗ 
schenkt und seine trockene Kehle so lange angefeuchtet hatte, 
bis er eher als der Feind eine Niederlage erlitt. 
Etwas Unruhiges, Friedloses lag in dem ganzen We⸗ 
sen Valentins; einem tieferen Beobachter als den guten 
Dörflern, wäre es nicht eutgangen, daß er sich nur um 
deshalb mit den äußeren Angelegenheiten so viel beschäftigte, 
veil er dem eigenen quälenden Gedanken seines Inneren 
entfliehen wollte. Seine laute, stürmische Lustigkeit war 
nicht natürlich, denn gewöhnlich erst nach dem zweiten, drit⸗ 
Dise thaute er auf und wurde dann redselig und mit⸗ 
teilsam. 
Seitdem der Bauer Walther mit seiner Frau in Schei⸗ 
dung lebte, hatte er die Schenke nicht mehr betreten; er 
jürchtete die zudringlichen, läppigen Fragen seiner Kame— 
raden und fand jetzt seine einzige Zerstreuung darin, wo 
er sie hätte immer suchen müssen — in der Ürbeit. 
Der alte Krahl freute sich zwar über die glückliche Ver— 
änderung seines Schwiegersohnes, aber er begriff nicht, daß 
derselbe den Verlust seines Gutes so leicht vecschmerzen 
konnte. Valentin sprach kein Wort mehr von der traurigen 
Geschichte; er ging ruhig an seine Arbeit und zeigte einen 
io rastlosen Eifer, wie er ihn früher nie bewiesen hatte. 
Sein Schwiegervater dagegen konnte sich über die Schlech⸗ 
ligkeit des Webers nicht beruhigen und war nicht gewillt, 
ihm das erschlichene Gut so leicht zu überlassen. Er wandte 
sich in seinem Prozeßeifer an einen Advokaten und erhielt 
zu seiner Freude die Auskunft, daß der Kauf angefochten 
vwerden könne, wenn sich seine Angaben hewahrheiteten. 
Eine Klage auf Nichtigkeitserklärung des Kaufvertrages 
wurde angestellt, und Franz der Musikant als Zeuge vor— 
geschlagen, daß die Punktation damals nur „zum Schein“ 
abgeschlossen worden. 
Valentin hatte anfangs von einer Klage nichts wissen 
wollen, und erklärt, daß er mit den Gerichten nichts mehr 
zu thun haben möge; aber so leicht ließ sich der alte Krahl 
aicht abspeisen; was er sich einmal in den Kopf gesetzt 
hatte, das war wie in eine verschlossene Sparbüchse gefallen, 
er bekam es selbst nicht mehr heraus und er ließ seinem 
Schwiegersohne nicht eher Ruhe, als bis dieser die Klage⸗ 
schrift unterschrieb. Mehr wollte der Alte durchaus nicht, er 
vpürde dann schon die Sache weiter führen, war seine Er⸗ 
klärung und wieder kam sein Leibspruch zum Vorschein, es 
zaͤbe noch Gerechtigkeit auf der Welt. Walther hätte am 
febsten jeden ferneren Streit vermieden; — er wollte Ruhe 
jaben um jeden Preis und versicherte seinem Sohne, daß 
er auch jetzt noch gegen die Verbindung mit Marie nichts 
einzuwenden habe. Noch einmal sprach Georg mit dem 
Weber, der seltsam genug, sich jetzt den Bitten desselben weit 
veniger unzugänglich zeigte. War nun sein Rachedurst ge— 
ttillt, oder wollte er sich dem Glücke seiner Tochter nicht 
änger entgegenstemmen? Genug, er gab nicht undeutlich 
zu verstehen, daß eine völlige Versöhnung möglich sei. 
Die beiden Liebenden durften ja nur mit einander ver— 
dunden werden und alles war damit ausgeglichen. Da 
prachte die inzwischen von dem alten Krahl eingeleitete Klage 
neue Zerwürfnisse. Jetzt war an eine Aussöhnung nicht 
mehr zu denken. Es hätte dem Stolz des Webers gekitzelt, 
venn seine Marie als Besitzerin eines Bauerngutes, die Frau 
)es jetzt mittellosen Georgs geworden wäre; nun wollte man 
ihm plötzlich auf dem Prozeßwege das Gut wieder entreißen, 
dagegen mußte er sich mit aller Kraft anstemmen. Zwar 
hatte er noch nicht von dem Gute Besitz ergriffen, weil 
Marie nicht zu bewegen gewesen, mit hinüber zu ziehen; 
iber seinem Ehrgeiz schmeichelte es doch, nun Besitzer eines
	        
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