—21901 *
* *
kleiner Schachteln und Kisten mit Marzipan gehen um die
Zeit aus der alten Hansestadt in alle Welt hinaus. So
seß denn auch der Kaufmann einen großen schönen Kuchen,
welcher eine prächtige Ansicht der doppeltürmigen Marien⸗
klirche zeigte, wohlverpackt und von freundlichen Grüßen be—
gleitet an den Bergmann absenden, und bezahlte selber
Post- und Bestellgeld. „Die werden sich freuen!“ dachte
er, sich schmunzelnd die Hände reibend. „Das ist eine
Ueberraschung, die den Kleinen schmecken wird und den
Vroßen dazu, haben sie doch damals so tapfer auf das
zrobe Brot eingehauen und den dünnen Kaffee ohne Zucker
vergnügt getrunken — wie wird ihnen erst dies feine und
süßze „Brot des heiligen Markus“ munden!“ (denn das
heißt eigentlich Marzipan, abgekürzt aus Marci panis,.)
Das ist der Segen jeder freundlichen und gütigen
Handlung, daß sie auch den Wohlthäter fröhlich stimmt.
Ein Dankschreiben erhielt der Kaufherr nicht, denn ob—
gleich alle als Kinder schreiben gelernt haben, greifen viele
Leute doch nur höchstselten zur Feder.
Zwei Jahre vergingen, ehe er sich wieder einmal los⸗
machte und das liebgewonnene Bad von neuem aufsuchte.
Filsen stand noch auf dem alten Fleck und hatte sich wenig
verändert; auf einem Spaziergan ge fand er auch das Berg
mannshäuschen wieder und beim Eintreten die Familie da—
heim. Auch hier hatte sich wenig verändert, nur waren
die Kinder größer und Vater und Mutter etwas älter ge—
worden. Sie erkannten ihn sogleich und begrüßten ihn
sichtlich erfrent. Und nach den ersten Fragen: Wie gehts?
Wie steht's sprach die gute Frau: „Es ist mir wirklich
lieb, daß wir Sie 'mal wiedersehen. Nun können wir
Ihnen endlich auch für das unverhoffte Weihnachtsgeschenk
danken. Es ist wirklich ein sehr schönes Bild — wir haben
es aber auch gleich einrahmen lassen und in Ehren gehalten
— sehen Sie, Herr, da ist es!“
Und richtig! an der Wand hing unter Glas und
Rahmen die alte Marienkirche, und war noch kein Bröck⸗
lein davon verzehrt. Was kennt der Bauer von Karamellen,
oder ein schlichter Bergmann von Marzipan? Ich weiß
nicht, ob der lühische Herr die guten Leute eines andern
belehrt hat, und zweifle fast, ob er wohl daran gethan
hätte. Die Form gewährte ihnen jedenfalls länger Genuß,
als der bloße Stoff vermocht hätte; besser ein offaes Auge
für das Schöne als eine feine Zunge für Leckereien; Torten
und Kuchen sind selbst zum Kinderglück nicht unbedingt
erforderlich; man kann bei einfacher Speise gesund und
fröhlich bleiben und sich ein langes Leben hindurch redlich
nähren, ohne jemals Marzipan zu kosten.
Auf und in der Erde.
krzählung aus dem Forst- und Bergmannsleben
ovon Conrad Herrmann.
(Fortsetzung.)
Von sachkundigen Händen war bald eine entsprechende
weite Oeffnung geschaffen und eine feste Leiter in die Tiefe
gelassen, in welcher die unten befindlichen Maänner unter
der Leitung der beiden Steiger alle Maßregeln trafen, um
das zutagesteigen so sicher und ungefährlich als nur
möglich zu machen. Willert erbat sich die Ehre, die erste
Probe zu machen, um oben alles das anzugeben, was zur
Heraufbeförderung des verwundeten Barons notwendig schien.
Schweigend und gespannt sahen die Umstehenden den
Vorbereitungen zu, welche von den herbeigeeilten Behörden
unter Beistand von Aerzten getroffen wurden und wie groß
war der JZubel, als nach einer Stunde, welche als Leine
Ewigkeit erschien, der Baron halb ohnmächtig, unterstützt
von dem Steiger Schwarz an der Oeffnung erschien und
von seiner vor Freude weinenden Gemahlin und den
Angehörigen senes Hauses auf die rührendste Weise begrüßt
wurde. Der Baron ließ nicht von der Stelle fahren, bis
auch der Letzte seiner braven Leidensgenossen wie er sich
dankbar ausdrückte, zu Tage gefördert war. Dankes- und
Freudenthränen flossen viele und die herzlichsten Begrüßungen
wurden unter den zahlreichen Umstehenden ausgetauscht.
Nur Gregor stand schweigend und niedergeschlagen allein;
ihn schienen sie alle vergessen zu haben. Daplötzlich setzte
sich der Baron in seinem Wagen aufrecht und frug: „Wo
ist denn der mutige Gregor?“ Die beiden Steiger führten
hn an den Wagen des Gutsherrn und dieser reichte dem
Manne die Hand und sprach mit lauter Stimme: „Hab'
Dank, Gregor! Du hast Dich als ein braver und auf—
pfernder Mann bewährt! Wer kann wissen, ob jemals
Finer von uns wieder an das Tageslicht gekommen wäre,
venn Du nicht gewesen wärst!“ Auch die Baronin streckte
dem schweigend Dastehenden beide Hände gerührt entgegen
und sagte: „Gregor, ich werde für Dich und die Deinen
Sorge tragen!“ Das war das Zeichen, daß jetzt auch alle
Uebrigen sich beeilten, dem armen Manne Unerkennung
und Dank zu zollen, bis er, einer Ohnmacht nahe, mit
den andern verschüttet gewesenen Opfern der Explosion nach
Ellern gebracht wurde, woselbst ihnen die sorgsamste Pflege
zu Teil wurde.
Das war der letzte Akt des großen Treibjagens, auf das
sich dessen Veranstalter und sämmtliche Teilnehmer so sehr
gefreut hatten.
Fünftes Kapitel.
Schwere Kämpfe.
Das Volk steht auf, der Sturm bricht los,
Wer legt noch die Hände feig in den Schoß?
Monate waren seitdem vergangen, und die Ereignisse,
velche sich in dem großen Forst und im Innern des ehe—
maligen Erzschachtes zugetragen hatten, waren allmälig in
den Hintergrund getreten. Baron Greifenstein war längst
vieder vollkommen hergestellt, auch die Kopfwunde, welche
Hegemeister Wohlmuth bei dieser Gelegenheit davongetragen
hatte, war geheilt. Der ehemalige Schmuggler Gregor war
bon dem Baron in Dienst genommen und ein ganz anderer
Mensch geworden. Margarethe Wohlmuth war schon lange
mit dem braven Steiger Fest verlobt und Lehrer Rosen—
baum wollte mit Johanna am 15. Juli 1870 ebenfalls
seine Verlobungsfeier begehen, als am Abend dieses Tages
die Familie des Hegemeisters wie gewöhnlich in traulichem
Kreise vereinigt gewesen war. Da, noch am späten Abend
trat der Zechenschmied Reinhard in das Zimmer und frug
hastig:
drNun wißt Ihr das Neueste schon? Ich komm aus
Namingen und dort ist alles in großer Aufregung. Die
Franzosen haben uns wirklich den Krieg erklärt“, sagte
der Mann, eine Depesche aus der Tasche holend und dem Förster
reichend.
Obgleich hierauf vorbereitet, wirkte diese Nachricht dennoch
wie ein Donnerschlag aus heiterer Luft. Die Frauen eilten
nach Hause und die drei Männer erwogen den Fall nach
allen Richtungen hin.
„Schade, daß ich zu alt bin, und nicht mitmarschieren
kann“, sagte Wohlmuth, „ich hätte auch mal gerne den
Champogner an der Quelle getrunken.
„Ich werde Euch einige Flaschen schicken“, lachte der
wackere Schmied, „und Fest kann mich daran erinnern,
wenn ich es vergessen sollte.“