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Der Fernsprecher oder das Telephon.
Ziner der wichtigsten Vorzüge des Menschen ist die
ihm gegebene Fähigkeit, seine Gedanken mitteilen zu können,
liegt doch in diesem Vorzug die Grundbedingung seiner
stulturentwickelung. Durch das gesprochene und durch das
geschriebene Wort übermittelt er sein Wissen und sein Wollen;
doch es ist der Schall, dessen er für die erste Art der Ueber⸗
mittelung bedarf, ein langsamer und bald ermattender Bote,
und auch der Weg, den er für die Uebermittelung des ge⸗
schriebenen Wortes zurückzulegen gezwungen ist, nimmt in
bielen Fällen allzuviel Zeit in Anspruch. — Von jeher ist
es daher der Wunsch des Menschen gewesen, schnellfüßigere
Boten, die gewaltige Wege in der kürzesten Zeit zurücklegen,
sich zu verschaffen und sich durch sie von Entfernungen
möglichst unabhängig zu machen.
Es hat der langen Zeit vom Sein des ersten Menschen
bis zu unserm Jahrhundert bedurft, bis diesem Streben
der gewünschte Erfolg wurde. Jahrhunderte hindurch
wußte man nichts besseres, als durch Feuerzeichen wichtige
Botschaften weiten Bezirken zu verkünden. Später kam ein
Franzose auf den Gedanken, auf Hügeln oder hohen Ge—
bäuden Masten zu errichten, an denen seitlich angebrachte
Flügel durch verschiedene Stellungen weithin sichtbare Zeichen
vpon verabredeter Bedeutung gaben. Noch vor 50 Jahren
waren auch in Deutschland solche optische Telegraphen
in Gebrauch. Sie redeten allerdings eine Sprache, denn
die einzelnen Zeichen vertraten Buchstaben und die Buch—
staben ließen sich zu Worten verbinden; doch es war der
Wert dieser Fernschreiberei nur ein geringer; Nebel, Regen
und das Dunkel der Nacht machten sie zudem unmöglich.
Eine den größten Anforderungen genügende Fernschrift be—
durfte eines sicheren Boten, der womöglich so schnell wie
Licht, zu allen Zeiten und allen Umständen zu reden
wußte.
Einen solchen Boten entdeckte der menschliche Scharf⸗
sinn in der Electrizität. Nicht blos ebenso schnellfüßig
als das Licht, sondern noch bei weitem schnellfüßiger als
dieses, ist sie seit nun etwas über 50 Jahren der Bote,
dessen sich der Mensch bedient, wenn er seine Gedanken
in denkbar kurzer Zeit auf große Entfernungen mitzuteilen
gesonnen ist. Soll dies durch Schrift geschehen, so benutzt
er den electrischen Telegraphen, soll es durch das gesprochene
Wort geschehen, so bedient er sich des Telephons oder
Fernsprechers. Während ersterer schon seit 30 Jahren im
Dienst des Menschen steht, ist letzterer erft seit etwa 12
Jahren in Benutzung genommen. Will man die Jahre, in
denen der Fernsprecher noch in den Kinderschuhen steckte
und nichts rechtes zu leisten vermochte, seinem Gebrauchs⸗
alter hinzuschlagen, so stellt sich sein Alter auf 27 Jahre;
er ist also ein Kind unserer Zeit, mit uns aufgewachsen
und zu Kräften gekommen — es ist auch nicht ausge—
schlossen, daß er im reiferen Alter noch ganz andere Kräfte
zeigen wird, als die, die ihm jetzt schon hohe Wertschätzung
verschafft haben. — Diesen unsern interessanten Zeitge⸗
nossen wollen wir jetzt naäͤher in Augenschein nehmen.
So großartig und merkwürdig die Leistungen des
Fernsprechers sind, so außerordentlich einfach ist seine Zu—
sammensetzung; besteht er im wesentlichen nur aus drei
Teilen — einem Magneten, einein mit Seide übersponnenen
Kupferdrahte und einer dünnen Eisenplatte. Der Magnei-⸗
stab, der eine Laͤnge von etwa 25 em. hat, muß ein kräf⸗
tiger Bursche sein, d. h. im Stande, schwerere Eisenstücke
anzuziehen und festzuhalten. Sein eines Ende ist mit einem
langen, mit Seide übersponnenen Kupferdrahte in vielen
Windungen umwickelt; die Enden des Drahtes sind am
Magnetstab entlang geführt und in Klemmschrauben befestigt.
Diese Umwickelung führt den Namen Induktionsspirale“.
Beide, Magneistab und Induktionsspirale sind von einem
jölzernen Gehäuse umschlossen und in diesem festgeftellt.
Anmittelbar vor dem mit der Induktionsspirale umwickelten
Ende des Magnetstabes befindet sich eine sehr dünne Platte
von gewalztem Eisen, die zur Verhinderung des Rostens
nit einem Lacküberzuge versehen ist. Auch diese Platte ist
)urch Schrauben in dem sogenannten Mundstück in unver⸗
inderliche Lage gebracht.
—A
wollen, in Fernsprech-Verbindung gesetzt werden, so schließt
nan an das eine Ende der Induktionsspirale im Orte 4
einen Leitungsdraht, wie er auch bei den Telegraphen ge—
braucht wird, und führt ihn oberirdisch oder unterirdisch
aach B, ihn hier wieder mit dem einen Ende der In—
duktionsspirale verbindend. Das jetzt noch freie Ende der
Spirale wird sowohl in A als in B in leitende Ver—⸗
nenes mit einer in den Erdboden gelegten Eisenplatte
gesetzt.
Wird jetzt in einem der Orte gegen die dünne Platte
des Fernsprech Apparates gesprochen, so hört man in dem
andern Orte, wenn man den gleichen Apparat ans Ohr
hält, die gesprochenen Worte, ja man erkennt auch den
Sprechenden, wenn dies jemand ist, mit dem man schon
von Ungesicht zu Angesicht sich unterhalten. Der Leser,
welcher noch keine Gelegenheit gehabt, sich von der Wahr⸗
sjeit des Vorstehenden zu überzeugen, wird ungläubig den
copf schütteln und sich sagen: Wie ist das moͤglich? Ja
nan sollte es auch nicht für möglich halten und vor 20
JFahren gab es auch noch niemanden, der z. B. zu behaupten
zewagt hätte, daß ein in Saarbrücken lebender Vater sich
mit seinem in Trier bei den Husaren weilenden Sohne
unterhalten habe und daß ersterer ganz deutlich die Bitte
aus seines lieben Sohnes Munde vernommen habe, daß
er ihm doch einige Mark schicken möge, weil der Dienst
doch gar zu anstrengend und das Kasernen-Essen allzu frag⸗
würdig sei.
(Schluß folgt.)
Unschätzbar, doch oft unterschätzt.
Erzählung von Wilhelm Fischer.
Heinrich Overlach war der Sohn eines armen Aus⸗
äufers in Hamburg, der seine Kinder fleißig zur Schule,
jebenbei aber, des lieben Brotes wegen, schon früh zu allerlei
Arbeit anhielt. Der begabte und wißbegierige Knabe hätte
jerne studiert, doch dazu reichten die Mittel nicht hin; um
o eifriger war er in der Volksschule, eignete sich eine
chöne Handschrift an, las mit Ausdruck und Verständnis
ind rechnete auf der Tafel und im Kopf gewandt und sicher.
Doch konnte er einen gewissen Neid nicht unterdrücken, wenn
er auf glücklichere Kameraden, die Söhne reicher Eltern,
die Englisch und Französisch, Geographie und Geschichte,
Mathematik und Naturwissenschaften, ja selbst Lateinisch
and Griechisch lernen durften, waährend er auf die beschei—
denen, von ihm fast gering geachteten Elementor⸗Oenninisse
deschränkt blieb.
Als er dreizehn Jahr alt war, schickte ihn sein Vater
eines Tages mit einem Packet Bücher zu dem berühmten
Professor Schröder hin, der seiner großen Gelehrtheit wegen
in der ganzen Stadt im höchsten Ansehen stand und auch
von Heinrich oft bewundernd angestarrt worden war, wenn