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Nachbarin bemerkt, daß ihr derselbe recht gut gefallen habe,
und Anstands halber entgegne ich, daß die Debütantin
entschiedenes Talent und gute Schule verrate.
Nun kommt eine Symphonie an die Reihe. Nach
einer halben Stunde ringen bereits drei Vierteile der An—
wesenden verzweiflungsvoll die Hände heimlich unter dem
Tische, andere kämpfen einen Riesenkampf mit dem „tücki—
schen Morpheus“ — endlich ist das Spiel aus und An⸗
ttands halber thut die ganze Gesellschaft, als wäre sie in
den siebten Himmel versetzt worden.
Jetzt wird der Glückshafen eröffnet. Die zur Schau
zestellten Gewinne vermögen gar keine Begierden in mir
zu erwecken; allein Anstands halber gehe ich doch hin und
hole eine Handvoll Loose. Es ist kein Treffer dabei und
ich möchte fluchen wie ein Heide, aber Anstands halber
unterdrücke ich die Leidenschaft und zwinge mich zu einem
blöden Lächeln, das eher in einen Schafstall, als in einen
Konzertsaal paßt.
Ich kaufe noch einige Loose und mache einen Treffer.
Ich bekomme ein paar Glasvasen. Obschon ich mich inner—
lich auf den Augenblick freue, in dem ich sie unter dem
Schutze der Nacht beim Heimgehen an einen Eckstein feuern
werde, so versichere ich Anstands halber doch, daß die
Dinger recht niedlich und ihr Geld wert seien.
Das Bier, welches bei dieser Gelegenheit verzapft wird,
schmeckt, der Himmel weiß durch wessen Schuld, geradezu
empörend. Da mich aber ein am Tische sitzender Äktionär
der betreffenden Brauerei arglistig fragt, wie es munde,
intgegne ich Anstands halber, daß dieses Getränk sehr
füffig“ sei.
Endlich ist es Zeit, sich vom Taumel des Vergnügens
‚loszueisen“. Eine Dame, die neben mir sitzt, fragt schüch⸗
sern, ob sie sich beim Nachhausegehen anschließen dürfe.
— — Unstands halber bin ich entzückt über diese Gelegen—
zeit, zu dienen. Anstands halber müssen wir — meine
Hälfte und ich — die Verlassene nach Hause begleiten, was
uns einen Umweg von einer halben Stunde verursacht.
Nun wenden wir uns den „Penaten“ zu; ich leide
an einem heftigen Durst, aber Anstands halber kann ich
mit einer Dame in der einzig noch offenen Kneipe, an der
wir vorübergehen, nicht einkehren und bringe ich so einen
anständigen Durst mit nach Hause. Die Gattin merkt etwas
und fragt:
„Gewiß hättest Du noch ein Glas Bier gewünscht
und ich war die Ursache— —“
„Warum nicht gar,“ entgegne ich Anstands halber,
„ein Trunk Wasser schmeckt viel besser und ist mir zu—
träglicher.“
Ich überdenke die Freuden des Tages und fühle Lust,
mich selbst zu beohrfeigen, aber Anstands halber stehe ich
davon ab und verzeihe dem Menschen, der ja nur der
Anständigkeit zu Liebe schwach gewesen ist.
Gemeinnütziges.
Wurst-Fleischbrühe als billiges Volksnah—
rungsmittel. Bekanntlich enthält die Fleischbrühe kein
blutbildendes Eiweiß, aber die Extraktivstoffe darin sind
höchst nervenanregend. Die Bouillon allein giebt den
AV
geschmack. Der Wohlgeschmack aber hebt und veredelt die Mahl—
eit und trägt daher zum Bekommen derselben, also zur
wirklichen Ernährung sehr viel bei. Für den gewöhnlichen
Mann, der nicht alle Tage Fleisch kaufen kann, wäre es von
höchstem Wert, wenn derselde sich auf billige Weise täglich
den Genuß der anregenden und Wohlgeschmack gebeuden
Fleischbrühe verschaffen könnte. Man hat nun neuerdings
m Norddeutschen Wirtschaftsfreund“ auf die Wursu—
Fleischbrühe aufmerksam gemacht. Füce sich allein wie
zum Kochen von Gemüse ist dieselbe in vorzüglicher Weise
zu verwenden. Durch Zusatz von kleingehackter Zwiebel
»der von etwas Senf, oder von Sellerie, Möhren oder
Petersilie kann dieselbe noch weit schmackhafter gemacht
verden. Mehrfach sind Versuche, Suppe und Gemuͤse von
olcher Brühe zu kochen, angestellt und Leute von feinftem
Beschmack befriedigt worden. „Leider wird dies Genuß—
nittel geradezu verachtet. Fast überall, wenigstens in den
zrößeren Städten, wird die Fleischbrühe vom Wurstkochen
gar nicht verwertet. Die Wurstfabrikanten, welche das Fleisch,
ehe dasselbe in Würfel geschnitten und zur Wurst veraͤrbeitet
wvird, in großen Kesseln kochen, haben nämlich am Boden
des Kessels einen Hahn, der, nachdem das Fett von der
Brühe abgenommen ist, ohne Weiteres aufgedreht wird, um
den Inhalt des Kessels in die Gosse zu leeren. In ver—
schiedenen Städten, Berlin, Leipzig ꝛc., giebt es nach dem
„Norddeutschen Wirtschaftsfreund? viele Fleischer, die wöchent-
iich die Brühe von 30—650 Zentnern Fleisch in die Gosse
aufen lassen. Der Dresdener Bezirksverein gegen den
Mißbrauch geistiger Getränke, welcher mit Recht in der
chlechten Ernährung eine Hauptursache des Alkoholismus
erblickt und daher der Ernaährungsfrage seine größte Auf—
nerksamkeit schenkt, ließ durch einen Arzt die Angelegenheit
rörtern. Derselbe bezeichnete unter Hervorhebung der
Wichtigkeit der angeregten Frage die Wurst-Fleischbrühe
As billigstes, durchaus beachtenswertes Volksnahrungsmittel.
Mehrere von ihm befragte Fleischermeister bestätigten, daß
nuch in Dresden eine uutzlose Vergeudung der Wurstbrühe
in großen Massen stattfindet. Möchten diese Zeilen dazu
»eitragen, einem wichtigen, billigen, bisher verachteten Ge—
außmittel wahrhafte Würdigung zu Teil werden zu lassen!
Der Ruß, den ein Schornstein auswirft, wiegt mehr,
als gewöhnlich angenommen wird. Wie die „Wochenschrifi
ür Spinnerei und Weberei“ berichtet, wurde kürzlich der
Schornstein der Schöppenstädter Zuckerfabrik mit einem
Schamburgschen Rußfänger versehen. Als der aufgefangene
Ruß entfernt wurde, fand man, daß sich in 6 Tagen 68
Tentner Ruß angesammelt hatte. Ein solcher Fabrikschorn-
tein speit, wie herausgerechnet wurde, während derjenigen
Zeit des Jahres, in welcher die Fabrik in Thätigkeit ist,
jegen 4000 Centner Ruß aus. —
Auflösung des Homonyms in voriger Nummer:
Anschlag. (Kosten — Angriff — Wellen
Mauer — Glockenanschlag)
Marktpreise am 80. Juni 1888.
zu Saarbrücken. zu St. Johaunm.
Merk Pfg. UMark Pfa-
von ß — 8 —
bis — 7 —
von 2 — 2 —
bis 2 40 2 40
von — 65 — 65
bis — 790 70
100 Kilo Kartoffeln.
NKilo Butter
1 Dutzend Fier.
Drucker und Verleger: Gebrüder Sofer in Saarbrücken. Erpedition der Saa:urücker Zeitung).
Noerantwortlicher Redacteur: Waaner in Saarbrücken