Full text: Der Bergmannsfreund (3.1873)

Mit den wachsenden Ansprüchen und Wünschen geht 
völlige Unkenntniß des bei den verfügbaren Mitieln Er— 
reichbaren Hand in Hand. 
So erhebliche Mehr-Einnahmen der Knappschaftskasse 
auch augenblicklich in Folge der erhöhten Beiträge und der 
durch den schwunghaften Bergwerksbetrieb hervorgerufenen 
Arbeitervermehrung zufließen, so ist es doch eine grobe Täu— 
schung, annehmen zu wollen, daß nunmehr die Knappschafts— 
kasse auf einen Stand angelangt wäre, der ihr ein dauern— 
des Bestehen in der bisherigen Vielseitigkeit sichere. In un— 
serer Ausführung über die Festsetzung der Beiträge haben 
wir angenommen, daß in normalen Zeitverhältnissen die 
Einnahmen das Ausgabebedürfniß für den Zeitraum der 
nächsten 10 Jahre decken würden. Aber schneller werden 
die steigenden Einnahmen von den stetig anschwellenden Aus— 
gaben überholt werden, wenn, was voraussichtlich nicht zu 
befürchten ist, nochmals eine Störung, wie sie für 1870771 
glücklich überwunden ist, eintreten sollte. Greifen wir bei— 
spielsweise aus den Leistungen des Vereins die gewichtigste 
heraus: die Invalidenpension. Der Verein zählte am Schlüsse 
des Jahres 1872 1118 unterstützungsberechtigte Berginva— 
liden. Allein in dem Zeitraume des ersten Quartals des lau— 
fenden Jahres 1873 sind bereits 150 neue Pensionirungen 
hinzugetreten. Der Umstand, daß die Invaliditäts-Erklärung 
derselben unter Geltung des neuen Statuts stattgefunden, 
—— 
sätze des letzteren. Die denselben zu gewährenden Monatsbe— 
träge steigen je nach der Dienstzeit von 5 bis 25 Thlr 
Nehmen wir für jeden derselben einen Betrag von 10 Thlr. 
pro Monat an, d. i. den Satz für eine durchschnittliche 
Dienstzeit von 80 Jahren, veranschlagen wir ferner für Je— 
den die Zeit des Pensionsgenusses auf durchschnittlich 10 
Jahre, so erwächst der Knappschaftskasse allein aus den Pen— 
sionirungen der ersten 8 Monate dieses Jahres ein Ausga 
bebedürfuiß von 1200 Thlr. für jeden Pensionär und über— 
haupt 1200 mal 150 — 180,000 Thlr. Ist dieses Ausgabe— 
bedürfniß nun etwa in den von den Invaliden gezahlten Bei— 
trägen und den von dem Werkseigenthümer für dieselben ge— 
leisteten Zuschüssen gedeckt? Jeder derselben hat auf 30 Jahre 
durchschnittlich 8 Thlr. pro Jahr — 240 Thlr., der Werks— 
eigenthümer den nämlichen Beitrag geleistet, so daß sich das 
Guthaben, wenn wir es so nennen wollen, des Einzelnen in da. 
auf 2 mal 240 Thlr. — 480 Thlr. beläuft. Auf dasselbe sind 
aber zwischenzeitlich an Krankengeld, Kur- und, Arznei-Kosten, 
Schulgeldern ꝛc. ꝛc. wiederholte Rückvergütungen vorgekommen. 
Und gleichwohl fällt auf dasselbe noch eine Gegenleistung 
von 1200 Thlr. für den Einzelnen, und damit nicht genug, 
noch eine weitere für dessen einstige Wittwe, die Kinder 
u. s. w., die wir gar nicht in Betracht ziehen wollen. 
Wäre derselbe Beitrag als eine Spar-Einlage bei einer 
Versicherungskasse angelegt, so würde derselbe, selbst Zinses— 
Zins gerechnet, kaum die Höhe eines Kapitals von 700 Thlr. 
erreichen, und dem Einleger nach 30 Jahren auf 10 Jahre 
nur eine Rente von etwa 70 Thlr. pro. Jahr sichern können. 
Wir müssen wünschen, mit solchen aus der Praxis ge— 
nommenen Zahlen die Betrachtung der bergmännischen Le— 
ser anzuregen, das Nachdenken zu wecken und endlich der 
richtigen Würdigung der Verhältnisse Eingang zu verschaf— 
fen. Nur auf diesem Wege werden wir dahin gelangen, 
ein richtiges Maaß für die Leistungen des Knappschaftsver— 
eins zu erreichen und für dauernde Festhaltung desselben 
die Grundlage zu gewinnen. 
Ein Wort zu Gunsten des Schulbesuchs. 
Wenn vom Auslande ausgesprochen wird, daß Preußen 
der Staat der Schulen sei, so will es damit anerkennen, 
daß das Schulwesen unseres engern und weiteren Vater— 
landes ein gut entwickeltes ist, gut und allseitig entwickelt 
in so fern, als nicht bloß das Kind des Reichen, sondern 
auch das des Armen geistig gebildet wird. — Beirachten 
wir unsere großen Nachbarländer Frankreich, Oesterreich, 
Rußland, so finden wir, daß ihr Schulwesen im Vergleich 
zu dem deutschen auf einer niedrigen Stufe steht. Bekanni 
ist, daß die Hälfte aller im letzten gewaltigen Kampfe ge— 
sangenen Franzosen nicht im Stande war, ihren Namen zu 
schreiben. Osterreichs Schulwesen ist mit Ausschluß der— 
jenigen Theile, die von rein deutschen Elementen bewohnt 
sind, ein ebenso wenig ausgebildetes, als das von Frank— 
reich. Noch bei Weitem trauriger aber als in beiden letzt⸗— 
genannten Staaten sieht es um die Bildung des niederen 
Volkes inz Rußland aus. 
Es drängt sich bei diesen Betrachtungen dem denkenden 
Menschen die Frage auf, was wohl die Hauptursache sei, 
welcher unser Vaterland seine höhere Stellung anf dem Ge— 
hiete der Volksbildung zu danken habe. Ich meine, es ist 
vor allen die gesetzliche Bestimmung, daß ein jedes Kind 
die Schule von seinem 6. bis 14. Lebensjahr besuchen muß. 
Es ist zwar schlimm, daß ein solcher Gesetzparagraph exi— 
stiren muß, aber leider haben wir ihn auch noch in unserer 
Zeit nöthig. Es giebt der Eltern nicht wenige, die so 
zeringes Verständniß für die Bedeutung einer guten Er— 
ziehung und Bildung ihrer Kinder haben, daß sie dieselben 
vohl nie zur Schule schicken würden, wenn ihnen nicht 
Strafe drohte. Leider ist auch die Zahl derjenigen Eltern 
noch sehr bedeutend, die ihre Kinder einfach ohne jeden Grund 
aus der Schule zurückhalten, und sich gar nicht darum küm— 
mern, ob dieselben Etwas lernen oder nicht. Sie bedenken 
nicht, daß sie sich damit an ihren Kindern versündigen. 
Ich habe aus dem Munde erwachsener Leute schon 
zfter die Klage gehört — „Ja, wenn ich Mehr gelernt 
hätte!“ — So Manchem wird das fühlbar, dem seine unge— 
nügende Geistesbildung den Weg zur Erlangung eiuer bes— 
seren Lebensstellung versperrte. Die Klage trifft in vielen 
derartigen Fällen als Vorwurf die Eltern. Und davor, 
meine ich, müßten sich Vater und Mutter eines Kindes zu 
bewahren suchen! 
Die Zeit, in der wir leben, mit den bedeutenden Fort— 
schritten auf allen Gebieten der Industrie und Wissenschaft, 
stellt nicht bloß größere Anforderungen an die höheren Klas— 
sen der Gesellschaft, sondern auch an den Arbeiter. 
Von diesen allgemeinen Betrachtungen kommen wir 
auf eine uns Bergleuten augenblicklich näher liegende be— 
sondere Schulangelegenheit. Es ist gewiß eine von allen 
vernünftig denkenden Bergleuten der Saarbrücker Gruben 
als vortheilhaft anerkannte Veränderung, welche in jüngster 
Zeit mit unserm Bergschulwesen vor sich gegangen ist. Ich 
denke hierbei namentlich an die auch in diesem Blatte be— 
sprochene Einrichtung der drei neuen Bergvor- und Steiger— 
schulen. 
Durch diese Schulen ist strebsamen jungen Bergleuten 
die Gelegenheit geboten, ohne nennenswerthe Kosten ihre 
Schulkenntnisse derartig zu erweitern, daß sie auf Grund 
derselben eine bessere Lebensstellung erlangen können. Die 
Lage dieser Schulen inmitten des Reviers bietet den meisten 
ihrer Schüler die Möglichkeit, im Hause der Eltern ver— 
bleiben zu können; fernerhin ist es ihnen möglich, neben der 
Schularbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
	        
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