78
Die Todten sind nun freilich nicht wieder ins Leben
zurückzurufen, ihren Frauen, Kindern und Eltern nicht wie—
derzugeben. Eine Lehre aber kann jeder Bergmann aus
diesen zwei Unglücksfällen entnehmen. Möchte ein jeder
unsrer Leser dieselbe sich einprägen und in dem Kreise seiner
Kameraden verbreiten:
Das Schießen beim Vorhandensein schla—
gender Wettter ist im höchsten Gradegefährlich
und daher unbedingt zu unterlassen, wenn auch die Menge
der Wetter anscheinend nur gering ist. Niemals sollte
ein Bergmann in einem Steinkohlenflötze, welches irgend
mit schlagenden Wettern behaftet ist, einen Schuß wegthun,
ohne sich vorher durch sorgfältige Untersuchung mit der
Sicherheitslampe überzeugt zu haben, daß weder an der
Stelle des Schusses noch in der Nähe der Arbeit die ge—
ringste Spur von schlagenden Wettern vorhanden ist.
In beiden hier beschriebenen Fällen ist nicht anzunehmen,
daß behufs Entzündung des Schusses die Sicherheitslampe ge—
öffnet worden; es ist vielmehr wahrscheinlich, daß sowohl Po—
dehl, als Kruse zum Anzünden sich des Feuerschwammes bedient
haben, welcher mit Feuerstein und Stahl zum Glimmen ge—
bracht war, wie dies für den Fall vorgeschrieben ist, daß die
Entfernung der schlagenden Wetter gelingt. Letztere sind aber
in beiden Fällen nicht völlig entfernt und durch glühende
Pulvergase oder unverbrannt herausgeschleudertes Pulver
zur Explosion gebracht worden. Nicht allein das eigene
Leben gefährdet, wer in schlagenden Wettern schießt, sondern
auch das Leben aller in der Nähe arbeitenden Kameraden,
und was noch schlimmer ist, das Leben derer, welche den
Tollkühnen selbst und seine Opfer zu retten herbeieilen und
todesmuthig, wenn auch zuweilen unüberlegt, weil ohne
Aussicht auf Erfolg, ihre Existenz aufs Spiel setzen.
Finden sich also beim Untersuchen vor dem Wegthun
des Schusses, bei welchem die äußerste Sorgfalt nicht genug
zu empfehlen ist, auch nur Spuren schlagender Wetter, so
darf unter keiner Bedingung geschossen werden, bevor die
Beseitigung des gefährlichen Gases vollständig gelungen ist.
Um dies aber zu bewirken, muß dem betreffenden Steiger,
beziehungsweise dem Betriebsführer, Meldung gemacht
werden.
Die obenerwähnte Polizeiverordnung für die Zeche
Erin schreibt vor: „Die Schießarbeit an solchen gefährlichen
Betriebspuncten kann nur unter persönlicher Verantwortung
des Abtheilungssteigers erfolgen, und ist den Bergleuten
ohne dessen Genehmigung nicht gestattet.“
In dem Kruse'schen Falle hatte der Betriebsführer die
Leute ausd rücklich angewiesen, sobald sie schlagende Wet—
ter bemerkten, nicht zu schießen, und damit sie im Verdienst
nicht geschmälert würden, inzwischen die Streckenzimmerung
zu repariren, wobei sie 198 Thlr. Schichtlohn erhielten.
Wenn nun auch jeder fleißige Bergmann bemüht ist, ein
möglichst hohes Lohn zu verdienen, so muß er sich doch
durch dieses an sich ganz lobenswerthe Bestreben nicht ver⸗
leiten lassen, sich einer so ungeheuren Verantwortlichkeit aus⸗
zusetzen. Außer dem eigenen Leben, der eigenen Gesund⸗
heit und Freiheit, setzt er Leben und Gesundheit seiner
Kameraden und Vorgesetzten aufs Spiel und muß sich, wenn
er selbst mit dem Leben davon kommt, immerdar die bitter—
sten Vorwürfe machen.
Der Beruf des Bergmannes bietet schon Gefahren ge—
nug, welche sich nicht verhüten lassen. Unverzeihlich ist es,
dieselben noch durch Fahrlässigkeit und Tollkühnheit zu ver—
mehren! Darum vor Allem: „Gehorsam gegen die ge—
setzlichen Anordnungen!“ Damit aber Niemand über
diese Anordnungen selbst in Unkenntniß bleibe, muß jeder ver—
ständige Bergmann sich genau mit den zur Sicherung des
eigenen Lebens und des Lebens seiner Mitarbeiter erlassenen
Vorschriften aus eigenem Antriebe bekannt zu machen suchen;
bei dem Vorlesen derselben zugegen sein und aufmerksam
zuhören; die durch Anschlag zu Jedermanns Kenntniß ge—
brachten Verordnungen sorgfältig lesen und sich über das,
was er nicht zu verstehen glaubt, bei seinem Beamten Rath
erholen.
Daß jeder Bergmann das Lesen gelernt und das Ge—
lernte nicht vergessen habe, ist eine Voraussetzung, welche
leider nicht allemal zutrifft, obwohl die Gelegenheit den
Meisten geboten ist.
Wanderungen deutscher Bergleute.“)
Die Auswanderung deutscher Bergleute in größerem
Maaßstabe hat vermuthlich schon zu Anfang des gegenwär—
tigen Jahrtausends, jedenfalls im zwölften Jahrhundert be—
Jonnen. Damals waren in den südlichen und östlichen Grenz—
ändern zahlreiche Silbergruben entdeckt worden, von deren
scheinbar unerschöpflichem Reichthume, ebenso wie bei den
im Alterthum berühmten Bergwerken von Attika und Spanien,
heute fast Nichts als der Name geblieben ist. Damals aber
brachte die Entdeckung eine Umwaͤlzung hervor, ähnlich der—
jenigen, welche fpäter der Entdeckung der amerikanischen Sil—
berminen und in unseren Tagen der Goldfelder in Califor—
nien und Australien folgte. Mögen immer die Berichte der
Geschichtschreiber märchenhaft erscheinen, so viel steht als
historisch überliefert fest, daß mehrmals — in den Jah—
ren 870 und 948 — durch gesetzliche Verbote dem Verlas—
sen der Feldarbeit und dem Zudrange zu den Bergwerken
gesteuert werden mußte, weil die Aecker ungebaut liegen blie—
ben und große Hungersnoth das Land überzog.
Natürlich zogen solche, so zu sagen californische Zustände
starke Einwanderung herbei, vorzüglich aus dem dichter be—
völkerten Sachsen, in welchem ebenfalls ein blühender Sil—
berbergbau betrieben wurde, dessen Alter zwar nur bis auf
Kaiser Otto den Großen zurückgeführt werden kann, aber wahr—
scheinlich weit höher hinaufreicht.
Nicht etwa als gedungene Arbeiter kamen die deutschen
Bergleute in die slavischen Grenzländer. Sie waren die
Herren des durch ihren Kunstfleiß und wohl auch durch ihr
uapital gegründeten Bergbaues. Sie gaben demselben ihre
Sprache und ihre Gesetze. Sie schlossen Verträge darüber
mit den Landesherren. Sie gründeten Colonien, von welchen
aus die deutsche Cultur sich in den slavischen Landen ver—
breitete. Dies gilt namentlich von Niederschlesien, wo un—
ter den Herzogen Heinrich J. und II. durch deutsche Ein—
wanderer die Bergstädte Löwenberg und Goldberg gegründet
wurden. Das Löwenberger Goldrecht wurde in deutscher
Sprache 1278 aufgezeichnet. Schon in der Schlacht bei
Wahlsiadt (1241) aber kämpften die deutschen Bergleute von
Boldberg neben den deutschen Rittern unter Herzog Heinrich
I. dem Frommen gegen die Tataren und wendeten durch
ihre siegreiche Niederlage die zerstbrende Fluth der mongo—
sischen Schaaren von Deutschland ab. Keiner floh, keiner
wurde gefangen, alle waren geblieben, aber das Heer der
Mongolen lenkte seinen Marsch nach Ungarn ab, um nicht
noch einmal deutschem Widerstande zu begegnen.
Die deutschen Bergleute scheinen im 12. Jahrhundert
noch weiter als in die slavischen und romanischen Grenzlande
vorgedrungen zu sein. So nach Massa Maritima in Tos—
*) Nach einem gleichnamigen Aufsatze von Dr. Klostermann
in der Zeitschrift für Bergrecht 1872. 1 Heft.