Full text: Der Bergmannsfreund (3.1873)

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Gläubiger machten kurzen Prozeß, und im Jahre 1830 
kamen Haus und liegende Güter, Möbel und Kleidungsstücke 
zur Versteigerung. 
Aber auch Wellensteins Frau, die bis jetzt Alles mit 
Geduld ertragen hatte, begann dem Unglück zu erliegen, 
Sie hatte noch nie seit ihrer Kindheit an Mangel gedacht, 
jetzt fühlte sie erst recht, was es heißt, eine hungernde 
Familie ernähren zu sollen und kein Verdienst zu haben. 
Es wurde verkauft, was nur zu entbehren war, ein Tisch— 
tuch, ein paar Handtücher, das Hochzeitskleid, das aus gu— 
tem Wollentuch verfertigt war, wanderten in die Mühle für 
einen halben Zentner Mehl. Da war auch noch ein Dutzend 
halbsilberner Löffel, ein Geschenk der Gothe, von der Hoch— 
zeit herrührend, auch sie wurden eingetauscht gegen Brod. 
Man sagt nicht umsonst: „Noth bricht Eisen.“ 
Zwar kamen von Zeit zu Zeit einzelne Jugendfreun— 
dinnen zu Wellensteins Frau und brachten einen Korb Kar— 
toffeln oder sonstige Nahrungsmittel, doch das drückte die 
arme Frau noch um so mehr, daß sie von milden Gaben 
leben sollte. Eine Art Schwermuth hatte sie erfaßt. Sie 
welkte dahin wie eine Blume an einem gebrochenen Stengel 
und starb endlich an Gram und Hunger. 
So stand Joseph Wellenstein jetzt als Wittwer allein 
da mit den drei Kindern, die ihm noch geblieben und von 
denen der älteste Sohn Arnold 14 Jahre zählte. Um für 
sich und die Kinder Brod zu verdienen, sah er sich genöthigt, 
die Heimath zu verlassen und irgendwo anders Arbeit zu 
suchen, da die Thonpfeifen-Industrie keinen Gang mehr hatte 
und auch sonst in der wenig gewerbthätigen Gegend kein 
Verdienst für ihn war. Die zwei jüngsten Kinder nahmen 
mitleidige Menschen zu sich. Und so machte sich denn Wel— 
leustein mit seinem Sohne Arnold auf den Weg nach dem 
eifler Bleiberge, in die Erzrevieren im Kreise Schleiden und 
Euskirchen, bei dem Flecken Commern sowie bei den Dör— 
fern Mechernich, Stremm und Rockendorf. Bis dahin hat— 
ten sie eine Strecke von etwa 25 Stunden ohne Geld und 
ohne sonstige Mittel zurückzulegen. 
Ein freundlicher Maitag war über das Salmthal an— 
gebrochen, die Bäume standen im vollsten Blüthenschmucke 
und die Wiesen prangten in der herrlichsten Frühlingspracht. 
Zwei Wanderer gingen einsam und in sich gekehrt über 
eine weitgedehnte Haide dahin. Der jüngste von ihnen, in 
dem wir Arnold Wellenstein erkennen, bückte sich bald zu 
dem wundervoll gebildeten Moose, bald ließ er den Blick 
zu dem blauen Gebirge schweifen, das ihnen im Rücken lag, 
bald wieder wandte er sich, nach der Gegend hin, wo die 
Thürme des Schlosses Bruch sich erhoben und von den mit 
Messingblech überzogenen Kanten ihres Dachwerkes weithin 
einen lichten Strahl am Horizonte hingleiten ließen. Man 
sah es dem ganzen Thun der Wanderer an, daß sie keinem 
eiligen Geschaͤfte oblagen, denn der Weg, den sie verfolgten, 
war geradezu ein Umweg. Doch hatte der ältere von bei— 
den, in dem wir den unglücklichen Joseph Wellenstein er— 
kennen, seine gewisse Absicht dabei. In der Ferne zeigten 
sich auch schon die Zinnen des Schlosses Todtenburg, dem 
Grafen von Kesselstadt gehörig und von diesem auch zur 
Frühlingszeit gewöhnlich bewohnt. Der Graf war ein wohl— 
wollender, mildthätiger Mann und hatte schon viel Gutes 
den Armen der Gegend erwiesen. Auch Wellenstein wollte 
sich zunächst an ihn wenden und seine Güte in Anspruch 
nehmen. Wie pochte Wellensteins Herz schon, wenn er nur 
daran dachte, wie er den Grafen anreden würde. Von an— 
dren Leuten hatte er es öfter schon hören müssen, er wäre 
Hrucker und Verleger: Gebruüder Hofer in Saarbräcken. (Erpedition der Saarbrücker Zeiture 
eigentlich selbst am Meisten Schuld an seinem Unglück. Einen 
ihnlichen Vorwurf fürchtete er beinahe auch jetzt wieder. 
Schweigend ging er dahin, nur hin und wieder entrang sich 
ein Klageton seiner Brust. 
„Vater“, unterbrach endlich Arnold das dumpfe Schwei— 
gen, „ist es Euch nicht wohl?“ 
„Lieber Sohn,“ erwiderte Wellenstein, „ich möchte 
wünschen, daß heute der letzte Tag meines Lebens wäre, 
denn ich fühle selbst, daß mich der Hunger bald zu Boden 
wirft. Wie mag es nur Dir erst zu Muthe sein, der Du 
noch jung und schwach bist und nicht so Viel vertragen 
kannst! Das drückt mir das Herz bald ab.“ 
„O lieber Vater,“ tröstete Arnold, „macht Euch mei— 
netwegen keinen Kummer, ich halte es noch aus bis heute 
Abend. Bis dahin wird schon der liebe Gott sorgen!“ 
(Fortsetzung folgt.) 
Allerlei. 
In der Herberge zur Heimath zu G. in Sachsen kommt 
eines Abends ein Handwerksbursche und setzt sich mit ver— 
drießlichem Gesicht auf einen Platz, abseits von den andern 
Anwesenden. Der Herbergsvater geht zu ihm hin und fragt, 
ob er Etwas genießen wolle. Grob und barsch antwortet 
er: „Nein, ich habe kein Geld!“ Trotzdem briugt ihm der 
Herbergsvater eine warme Suppe und Brot, das denn auch 
»on dem mürrischen Gesellen mit Hast verzehrt ward. Er 
bekommt hierauf seine Schlafstätte angewiesen, aber am an— 
deren Morgen zeigte es sich, warum er sich so allein und 
abseits gesetzt hatte. Er war voll Ungeziefer und starrte 
von Schmutz und Unreinlichkeit. Der Herbergsvater bringt 
ihn ins Bad; dort wird eine gründliche Saͤuberung mit 
ihm vorgenommen. Er erhält darauf neue Wäsche und 
neue Kleidung, und als er nun seinem Leibe nach ein an— 
derer Mensch geworden ist, weiß er sich vor Freude und 
Dank nicht zu fassen. Es hätte nicht viel gefehlt, er wäre 
dem Herbergsvater zu Füßen gefallen. — Nach ein paar 
Jahren kommt derselbe Handwerksbursche in dieselbe Her— 
berge zur Heimath wieder. Er eilt auf den Herbergsvater 
zu und druͤckt ihm herzlich die Hand. Der Herbergsvater 
ist erstaunt über eine so warme Bewegung. Da sagt der 
Jüngling, der in reinlichem Anzug vor ihm steht: „Lieber 
Vater, kennen Sie mich nicht mehr? Ich bin der arme 
Handwerksbursche, den Sie vor zwei Jahren umsonst ge— 
üttigt, gereinigt und bekleidet haben. Sie haben mich da— 
durch dem Leben wiedergegeben. Denn ich will es Ihnen 
nur gestehen: Als ich por zwei Jahren Abends zu Ihnen 
kam, war ich in einer *so verzweifelten Lage, daß ich mir 
den andern Tag das Leben nehmen wollte. Sie sind das 
Werkzeng in der Hand Gottes gewesen, das mich vor diesem 
verzweifelten Schritt bewahrte. Gott segne Sie und er segne 
die ganze Herberge!“ 
Die Ehemänner erscheinen wie manche Bücher in 
zwei Ausgaben; sie existiren in einer feinen Ausgabe für 
die Welt und in einer groben für die Frau Gemahlin. 
Marltpreise am 18 Oktober 1878. 
·n zu St. Johanu. 
N egu ⸗ 
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