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Gläubiger machten kurzen Prozeß, und im Jahre 1830
kamen Haus und liegende Güter, Möbel und Kleidungsstücke
zur Versteigerung.
Aber auch Wellensteins Frau, die bis jetzt Alles mit
Geduld ertragen hatte, begann dem Unglück zu erliegen,
Sie hatte noch nie seit ihrer Kindheit an Mangel gedacht,
jetzt fühlte sie erst recht, was es heißt, eine hungernde
Familie ernähren zu sollen und kein Verdienst zu haben.
Es wurde verkauft, was nur zu entbehren war, ein Tisch—
tuch, ein paar Handtücher, das Hochzeitskleid, das aus gu—
tem Wollentuch verfertigt war, wanderten in die Mühle für
einen halben Zentner Mehl. Da war auch noch ein Dutzend
halbsilberner Löffel, ein Geschenk der Gothe, von der Hoch—
zeit herrührend, auch sie wurden eingetauscht gegen Brod.
Man sagt nicht umsonst: „Noth bricht Eisen.“
Zwar kamen von Zeit zu Zeit einzelne Jugendfreun—
dinnen zu Wellensteins Frau und brachten einen Korb Kar—
toffeln oder sonstige Nahrungsmittel, doch das drückte die
arme Frau noch um so mehr, daß sie von milden Gaben
leben sollte. Eine Art Schwermuth hatte sie erfaßt. Sie
welkte dahin wie eine Blume an einem gebrochenen Stengel
und starb endlich an Gram und Hunger.
So stand Joseph Wellenstein jetzt als Wittwer allein
da mit den drei Kindern, die ihm noch geblieben und von
denen der älteste Sohn Arnold 14 Jahre zählte. Um für
sich und die Kinder Brod zu verdienen, sah er sich genöthigt,
die Heimath zu verlassen und irgendwo anders Arbeit zu
suchen, da die Thonpfeifen-Industrie keinen Gang mehr hatte
und auch sonst in der wenig gewerbthätigen Gegend kein
Verdienst für ihn war. Die zwei jüngsten Kinder nahmen
mitleidige Menschen zu sich. Und so machte sich denn Wel—
leustein mit seinem Sohne Arnold auf den Weg nach dem
eifler Bleiberge, in die Erzrevieren im Kreise Schleiden und
Euskirchen, bei dem Flecken Commern sowie bei den Dör—
fern Mechernich, Stremm und Rockendorf. Bis dahin hat—
ten sie eine Strecke von etwa 25 Stunden ohne Geld und
ohne sonstige Mittel zurückzulegen.
Ein freundlicher Maitag war über das Salmthal an—
gebrochen, die Bäume standen im vollsten Blüthenschmucke
und die Wiesen prangten in der herrlichsten Frühlingspracht.
Zwei Wanderer gingen einsam und in sich gekehrt über
eine weitgedehnte Haide dahin. Der jüngste von ihnen, in
dem wir Arnold Wellenstein erkennen, bückte sich bald zu
dem wundervoll gebildeten Moose, bald ließ er den Blick
zu dem blauen Gebirge schweifen, das ihnen im Rücken lag,
bald wieder wandte er sich, nach der Gegend hin, wo die
Thürme des Schlosses Bruch sich erhoben und von den mit
Messingblech überzogenen Kanten ihres Dachwerkes weithin
einen lichten Strahl am Horizonte hingleiten ließen. Man
sah es dem ganzen Thun der Wanderer an, daß sie keinem
eiligen Geschaͤfte oblagen, denn der Weg, den sie verfolgten,
war geradezu ein Umweg. Doch hatte der ältere von bei—
den, in dem wir den unglücklichen Joseph Wellenstein er—
kennen, seine gewisse Absicht dabei. In der Ferne zeigten
sich auch schon die Zinnen des Schlosses Todtenburg, dem
Grafen von Kesselstadt gehörig und von diesem auch zur
Frühlingszeit gewöhnlich bewohnt. Der Graf war ein wohl—
wollender, mildthätiger Mann und hatte schon viel Gutes
den Armen der Gegend erwiesen. Auch Wellenstein wollte
sich zunächst an ihn wenden und seine Güte in Anspruch
nehmen. Wie pochte Wellensteins Herz schon, wenn er nur
daran dachte, wie er den Grafen anreden würde. Von an—
dren Leuten hatte er es öfter schon hören müssen, er wäre
Hrucker und Verleger: Gebruüder Hofer in Saarbräcken. (Erpedition der Saarbrücker Zeiture
eigentlich selbst am Meisten Schuld an seinem Unglück. Einen
ihnlichen Vorwurf fürchtete er beinahe auch jetzt wieder.
Schweigend ging er dahin, nur hin und wieder entrang sich
ein Klageton seiner Brust.
„Vater“, unterbrach endlich Arnold das dumpfe Schwei—
gen, „ist es Euch nicht wohl?“
„Lieber Sohn,“ erwiderte Wellenstein, „ich möchte
wünschen, daß heute der letzte Tag meines Lebens wäre,
denn ich fühle selbst, daß mich der Hunger bald zu Boden
wirft. Wie mag es nur Dir erst zu Muthe sein, der Du
noch jung und schwach bist und nicht so Viel vertragen
kannst! Das drückt mir das Herz bald ab.“
„O lieber Vater,“ tröstete Arnold, „macht Euch mei—
netwegen keinen Kummer, ich halte es noch aus bis heute
Abend. Bis dahin wird schon der liebe Gott sorgen!“
(Fortsetzung folgt.)
Allerlei.
In der Herberge zur Heimath zu G. in Sachsen kommt
eines Abends ein Handwerksbursche und setzt sich mit ver—
drießlichem Gesicht auf einen Platz, abseits von den andern
Anwesenden. Der Herbergsvater geht zu ihm hin und fragt,
ob er Etwas genießen wolle. Grob und barsch antwortet
er: „Nein, ich habe kein Geld!“ Trotzdem briugt ihm der
Herbergsvater eine warme Suppe und Brot, das denn auch
»on dem mürrischen Gesellen mit Hast verzehrt ward. Er
bekommt hierauf seine Schlafstätte angewiesen, aber am an—
deren Morgen zeigte es sich, warum er sich so allein und
abseits gesetzt hatte. Er war voll Ungeziefer und starrte
von Schmutz und Unreinlichkeit. Der Herbergsvater bringt
ihn ins Bad; dort wird eine gründliche Saͤuberung mit
ihm vorgenommen. Er erhält darauf neue Wäsche und
neue Kleidung, und als er nun seinem Leibe nach ein an—
derer Mensch geworden ist, weiß er sich vor Freude und
Dank nicht zu fassen. Es hätte nicht viel gefehlt, er wäre
dem Herbergsvater zu Füßen gefallen. — Nach ein paar
Jahren kommt derselbe Handwerksbursche in dieselbe Her—
berge zur Heimath wieder. Er eilt auf den Herbergsvater
zu und druͤckt ihm herzlich die Hand. Der Herbergsvater
ist erstaunt über eine so warme Bewegung. Da sagt der
Jüngling, der in reinlichem Anzug vor ihm steht: „Lieber
Vater, kennen Sie mich nicht mehr? Ich bin der arme
Handwerksbursche, den Sie vor zwei Jahren umsonst ge—
üttigt, gereinigt und bekleidet haben. Sie haben mich da—
durch dem Leben wiedergegeben. Denn ich will es Ihnen
nur gestehen: Als ich por zwei Jahren Abends zu Ihnen
kam, war ich in einer *so verzweifelten Lage, daß ich mir
den andern Tag das Leben nehmen wollte. Sie sind das
Werkzeng in der Hand Gottes gewesen, das mich vor diesem
verzweifelten Schritt bewahrte. Gott segne Sie und er segne
die ganze Herberge!“
Die Ehemänner erscheinen wie manche Bücher in
zwei Ausgaben; sie existiren in einer feinen Ausgabe für
die Welt und in einer groben für die Frau Gemahlin.
Marltpreise am 18 Oktober 1878.
·n zu St. Johanu.
N egu ⸗
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