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14. Fortsetzung)
„Du bist es?“ murmelte der Ober-
nofer wie geistesabwesend. Dann
wandte er das Gesicht wieder dem
Abgrund zu, in dessen Tiefe das
Wasser lärmte, daß man kaum ein
Wort verstehen konnte. Vinzenz
nußte sehr laut schreien, um sich
dem andern verständlich zu machen,
„Was willst?“ fragte der Ober-
ıofer kurz zurück.
„Suchen will ich dir helfen.“
„Da wird nimmer viel zu finden
sein, D’Gendarmerie hat ja schon
zwei- und dreimal alle: abgesucht.“
„Probieren könnt man’s aber doch
einmal“, sagte Vinzenz und hatte
ehrliche Bekümmernis in seiner
Stimme. „Weißt, ich war gestern
schon da“, log er. „Gleich, wie ich’s
gehört hab, bin ich her, weil ich es
zet glauben hab können. daß der
Florian —*
Er verstummte, denn der Bauer
sprang auf und packte den andern
an der Brust: „Wissen wenn ich's
tät, daß du mein Buben verführt
nast zum Wildern. ich brächt dich
um.“
Vinzenz machte sich frei und wich
entsetzt einen Schritt zurück.
„Ich?“ fragte er und seine Stimme
iberschlug sich fast. „Ich, den Flo-
rian verführt? Der Florian, der hätt
sich wahrscheinlich von mir verfüh-
ren lassen! Der hat allweil selber
z’wußt, was er will Der ist auf den
Koffel allein nauf und hat niemand
raucht.“
Das war richtig. Und doch wurde
der Oberhofer den Verdacht nicht
(0s, daß Vinzenz seine Hand im Spiel
natte. Sie waren zuviel beisammen-
gesteckt die letzte Zeit.
Ohne den andern noch eines Blik-
xes zu wurdi:gen. wandte sich der
Dberhofer um und schritt talwärts.
Vor dem Hof verhielt er den
Schritt. Er wußte, was jetzt kommen
würde: die Mütter wird in der Küche
‚stehen, wird ihn bioß ansehen und
an seinen Augen schon erkennen, daß
alles Suchen vergebens war.
Sie hatte ihm alles anvertraut: daß
Florian nochmals da war, daß sie
ihm Geld gegeben hatte, daß er
hoffte über die Grenze zu kommen.
Sie hatte es ihm nicht verschweigen
können, weil sie nie, in ihrer ganzen
Ehe ein Geheimnis voreinander hat-
ten. Sie hätte es ihm anvertrauen
müssen, weil sie wußte, daß ihm das
furchtbare Schicksal seines Einzigen
die Ruhe seiner Tage und den Schlaf
der Nachte raubie. Und so hofften
sie zusammen und litten nun zu-
sammen.
An diesem Abend wurde zum
>rstenmal in der Stube des Ober-
nofers für den verstorbenen Florian
zebetet. Fine knappe Woche darauf
war an der Steile, an der Florian
abgesturzt war, ein kleines, hoizer-
nes Kreuz unsgebracht mit der In-
schrift:
„Hier verunzluckte am 16. September
19 , der Bauerssohn Florian Feicht-
ner tedi.ch.“
Ende Oktober trieben sie das Vich
von der Alm heim. Und als dus Ge-
Snde Zum ersien Male wieder voil-
zanlıg in der Stube saß und die
Bäuerin dus Abendschet gesprochen
alte, ernyO s.ch der Beer. Tadsper!e
sach und begann:
„Inr seht, daß en Plutz Icer at
ım Tisch. duß einer fehit, der im
Fruhlahr noch unier uns Sesessen
st. Ihr wit, was zeschehen ist.
“ruher war es eine Ehr, auf dem
Oberhof zu dienen, Heut ist es an-
Jera. Ich nehm es deshalb Nniemund
uvel, wenn er sagt, daß er nimmer
tableıben will. Es kann ein jeder
heute schon gehen und ich zahl ihm
jen Lohn icıs bis Lichimeß. Euch zu
ragen. ob wir nachstes Jahr wieder
eNand BILDEN WIN, dazu War es
ei Zelt, Ein Bauer nu im Herbst
SCHON Wissen, Wer in nadche'en Jahr
Tat MN Schaft! Aber oh Wii Keen
Fü a 28 *% 1 Sr Dan fras dan ANGE
Nach der Schirkh4"
; Wenn die N
eimatglocken läuten
ROMAN VON HANS ERNST
COP
en lassen und will keinen dazu
iberreden, daß er noch bleiben soll.“
Ganz still wurde es hierauf. Der
Zauer setzte sich wieder und stützte
len Kopf in die Hände. Da stand der
3rgl, der Oberknecht auf.
„Du hast vorhin g’sagt, Bauer, daß
lu keinen fragen willst, ob er auf
‚ichtmeß wieder dableibt. Du sollst
‚uch keinen fragen. Ich glaub, daß
ch im Namen aller ref’, wenn ich
ag, daß wir alle wieder beinander
leiben im nächsten Jahr. — Ja, ja,
vir bleiben alle wieder beinander —*”
jef es im Chor „Euch hat ein schwe-
es Unglück troffen“, sprach Girg]
r’eiter. „Und da wär einer ein trau-
iger Kerl, wenn er euch jetzt allein
1sset.“
Girgl wollte noch weitersprechen,
‚ber da faßte der Bauer mit beiden
Jänden über den Tisch und umklam-
nerte die Hand des Knechtes wie
);in Schraubstock.
‚Ich dank dir, Girgl, und euch
ıllen. Ihr sollt es net bereuen’ brau-
hen.“
Und alle langten über den Tisch,
Irückten die Hand des Bauern und
je der Bäuerin. Wie- ein Treue-
chwur war es. Das Gittli aber warf
Jötzlich die Hände vors Gesicht und
annte schluchzend hinaus.
Sie hatte das Unglück vielleicht
m härtesten getrofien, Wie eine
”raumwandlerin ging sie durch die
"age. Ihr Gesicht wurde mit jeder
Voche schmäker, um ihren junger
Aund grub sich ein gramvoller Zug
je sprach kaum ein Wort den gan-
en Tag, tat stül und ohne Freude
hre Arbeit und kein Mensch hatte
je jemals wieder lachen sehen seit
em Unglück.
Wie hätte sie aud. lachen können.
mmerzu standen vor ihrer Seele die
;ichreckenstage vom September. Und
ı:nverwischbar und unverrückbar
tand in ihrem Herzen die Erinne-
ung an den jungen Florian. der im
Vasser den Tod fand.
Vinzenz hatte sich ein paarmal an
je herangemacht, hatte mitleidige
Norte für den Florian gehabt und
:wieschendurch in Zzärtlicher, ver-
;steckter Form um sie geworben.
Sie hatte ihn ein für allemal ahb-
'ewiosen.
„Brauchst dir gar kein Muh zu
eben, Vinzenz. Ich mag dich net.
Dich net und keinen. Dazu hab ich
jen Fiorian zu gern gehabt”
Scitdem ist er ihr nicht mehr be-
jeanet. Sie ginz ja auch kaum mehr
vs dem Hicıs. Wira wah! no mehr
‚om Oberhof fortgehen, solange die
»jeiden Oberhofers lebten. Es hätte
zar nicht des Handschlags bedurft
u%e wäre auch so geblieben.
Aber dem Bauer tat die Treue
vohl, die ihm erwiesen wurde von
einen Leuten. Er trug den Kop!
vieder etwas höher, blickte den
Menschen wieder freier ins Auge
ıNnd legte die Einbildung ab, daf
eder ihn als den Vater des Mörder:
nsah. Ja, als er bei der nächsten
jemeinderatssitzung seinen Kolle-
‚en kurz und bündig erklärte, er
volle aus dem Gemeinderat austre-
en, da stieß er auf heftigen Wider-
;tand. Wie ein Mann standen sie
le auf und verlangten. daß er
‚Jleibe.
„Was kannst denn du dafür, daß
jein Florian das Unglück hatte?“
ragte der Bürgermeister.
„Dafür kann ich nichts, das stimmt,
\ber da der Florian nimmer lebt,
jenk ich, daß die Schuld auf mich
‚elber zruckfallt.“
„Möcht den kennen in der Ge-
neinde, der so denkt. Wir braucher
lich, Oberhofer. Dein Rat ist uns
ıllweil viel wert g wesen und da €&s
aun ernst wird, daß auf den Kuolrei
ı Drahteeilbahn naufbaut wird und
in Hotel, brauchen wir dich nol-
vendiger als bisher. Ich hoff net
jaß du einen Außenseiter machen
villst, wenn die Gemeinde an üvr
roßen Plan herangeht.“
Der Oberhofer stützte den Konl
)ne Weile in die Hunde, dann sah
r einen um den andern an,
„Gut, wenn das so ist, dann ble:b
ch. An mir soll es net fehlen. Je-
enfalls dank ich euch für euer Vor-
rauen.“
Seit diesem Abcnd war die Ver-
chlossenheit im Wesen des Baueir
nehr und mehr abgefallen. Der Zu:
les Leides uber, von den Nüsen-
lugein zu den Mundwinkeln herab
lieb. wie auch seine Haare gra\
heben.
Eınes Sonntagnächmittags num, er
ing schon mehr gegen Abend, und
He Dammerung hockie schon war-
end hinter jedem Busch, da begeg-
ıete der Oberhofer zum ersten Male
vieder der Baronin. Er war über
lie Felder gegangen, hatte nach-
jeschen, wie die Wintersaat sich
nache und war auf dem Heimweg,
ls er plotZlich vor der Raranınr
tand.
Der Oberhofer erschrak ein wenig,
Lueın zog er den Hut, brachte aber
zein Wort hervor: das sanze furcht-
Qualität hilft spacen! o- Rt NEISEN IHNEN ZUR
f AD) vr
UNSERE *
Sei! 19507 das fuhre-
Knabenbekleidung
+UuMWAeT -
bare Geschehnis brach plötzlich mil
neuer Wucht in seine Seele und er-
drückte ihn schier.
Da sagte die Frau leise, so leise,
daß er es kaum hörte: „‚Oberhofer.“
Er hob die Augen zu ihr auf
schwieg aber immer noch.
„Ihr seid grau geworden, Ober-
hofer. Und zwischen den Augen habt
Ihr eine Falte, die ich früher an
Euch nicht kannte. Ihr müßt mit
dem Leid auch einmal fertig wer-
den.“
Nun sprach auch der Oberhofer.
„Sind Sie schon fertig geworden
:amit, Frau Baronin?“
„Wir müssen aber doch leben,
Dberhofer. Aus uns selbst heraus
eben, auch wenn uns das Leid nie
lerzwingen will.“
„Mich hat es halt doppelt getrof-
en; einmal, daß mein Bub der
Ihren erschießen mußte und dann.
jaß er selbst daram zugrunde ging
Das ist schier zuviel, als dal es
ner allein tragen könnte.“
Schweigend schritten die beiden
ine Weile nebeneinander. Die Däm-
nerung hatte sich inzwischen aus-
zebreitet und der Nebel hıng wie
an schwerer, grauer Maniel übe
lem Land. Die Baronin spanmn der
Gedankenfaden weiter, indem Ssi«
‚achdenklich sagte:
„Im Grunde tragen wir beide das
jleiche Leid. Vielleicht fühlen wis
las erst ganz, wenn die große ung
etzte Einsamkeit kommt, wenn e®
zu Ende geht mit uns und wir voll
Sorge durch das dunkle Tor schrei-
en müssen; dann fühlen wir es dop-
yjelt schwer, daß niemand hinter uns
suruckbleibt, der unser Leben wel-
erträügt. Aber noch leben wir, Ober-
1öfer, und da sich keine jüngeren
Schultern finden, die uns die Lasi
jnınal abnehmen werden, so wollen
vir sie im Ehren his zum Ende
-agen.“
Damit reichte ihm die Baronin mif
estem Druck die Hund: ‚Auf gute
vachbarschaäft auch weiterhin. Ober.
offer!
Der Oberhofer schlug ein und alk
3iernis der letzten Wochen echier
us zelüscht zu sein.
Nur ein Wor:ı mächte ihm noch
unse Zu Schaffen, als er jeizt den
Ieinwes antrat: Das Wort vom
dunklen Tor“, Langsam schritt er
icn Berg hinauf und als er daheim
a die Küche trat, sah ihn das Gittl!
ınd die Büauerin verwündert an.
Er erzählte ihnen von der Unter-
cdung mit der Baronin Zum Schluf
zuinte er:
„Autes könnt wieder recht werden,
venn nur der Bub noch leben tat
Sle=<h, im ersten Augenblick, al sıe
hn geholt haben, da hüb ich
meint, daß es keinen Weg mehr
zıbt von ihm zu mir. Aber jetzt. we
ılle Leut ganz anders zu mir sınd.
ve ich es befurchtet hab. je:2zt konnif
cm ıhm verzeihen. Wie hat )etzi
Jdeich die Baronin gsazt? Ja, rich
jg: ‚Erst wenn wir durch’s dunkle
Tor gehen mussen, wird e hart für
Ms, weil wir wissen. daß niemand
ın-er Leben weiteriragt...' Er fuhr
„cn mit der Hand uver die Augen
ind schwieg. Sein Mund hutte schon
wieder den gequalten Zug. Er traf
uns Fenster und fuhr mit der Hanc
uber die Scheiben. ‚Ja, ja, der Sum-
mer is wez — der Winter kommf
Und bald wird e& Nucht sein — und
As dunkle Tor — — —”, ein tiefer
Alemzug, lanz-.uam zing er auf di
Ture zu, seine Schultern schrumpft
'jen ein weniz nach Vorne — — —
das dunkle Tor iut sich bald auf -
and hinter uns — — —*
Lese schioß sich die Tur hinter
hm. Das Gittlhi starrte auf die Türe
Sie hurte ihr Herz Wiopfen. Danr
sprang sie auf und faßie die Baue
rın anzsıvell am Arm.
„Mutter — wis hat denn de‘
B Ger heut?*
Fin mudes Lacheln, Die Puuerir
str dem Maıck uoer aus Haar.
Tg a % _ KOR SC