Full text: Nach der Schicht (48)

Nummer 36 
u 
„Nach der Schicht“ 
Die Mutter des Missionars 
Nun ist meine liebe Mutter tot. 
‚ch schäme Mich nicht es Dir zu 
schreiben: mein Herz krampfte sich 
m Schmerz zusammen, und heiße 
Fränen etürzten mir in die Augen, 
als ich die Nachricht von ihrem 
Fode erhielt. Aber es war kein wil- 
jer, trostloser Schmerz, der sich 
neiner bemächtigte. Dafür kannte 
ch mein Mütterlein zu gut. Wie 
ıatte ich nur verdient. daß der liebe 
Sott mir eine solche Mutter schenkte. 
lie ganz Liebe und Opfer war. 
ich zu mir: Wie heißt du, Mädchen? 
— Johanna! — Er ergriff meine 
land. Ich erscgrak heftig. Mädchen. 
lu weißt nicht. wohin du morgen 
jehen willst, sagte er mit ernster 
Aiene. — Doch, ich trete meine neue 
‘telle an. — Mädchen. wiederholte 
r, und seine Augen ruhten mahnend 
uf mir. Der Druck seiner Hand 
‚urde fester: Hast du die Zustim- 
aung deiner Eltern? Oder bist du 
ar eine Waise? — Als ich katholisch 
‚urde, haben mich meine Eltern ver- 
toßen., 
Er ließ meine Hand wieder los und 
chwieg lange Zeit, — Johanna, sugte 
= dann feierlich ernst. willst du 
neine Frau werden? Ich erschrak. 
sleichzeitig aber klopfte mein Herz 
or ahnender Freude. Ich brachte 
ein Wort über die Lippen. Wieder 
rgriff er meine Hand: Wenn du ja 
ugst, dann darfst du morgen die 
jeue Stelle nicht antreten. Gute 
Jacht, Johanna. Morgen nach dem 
Jochamt frage ich noch einmal. Prüfe 
ch! —— 
Du kannst Dir denken, mein lieber 
Zub, daß ich in der folgenden Nacht 
‚ein Auge zumachte. Ich überlegte 
‚etete., 
Am anderen Morgen noch vor dem 
Iochamt ging ich zum Herrn Pfarrer, 
jier uns beide für den Nachmittag 
Während ich diese Zeilen schreibe, 
‚teht ein Bild vor meiner Seele, das 
ich mir unvergeßlich tief einge- 
arägt hat. Ich stand am Krankenbett 
jer Mutter. Damals besuchte ich 
och als Junge die Missionsschule 
ch überraschte die Kranke mit der 
*rage: Mama, wo ist denn dein Erst- 
sommun;oenbild? Das von Vater 
ıängt dort. Aber das Deine? Muttei 
ächelte nachdenklich: Bub. als ich 
‚ur ersten heiligen Kommunion 
nn. da schenkte man mir kein 
3ild. Eine kleine Pause entstund 
<ind. fuhr die Mutter nach einer 
Weile fort. komm setz dich cın we- 
ug zu mir ans Bett Du bist jetzt 
alt und verstandig genug, nven zu 
zerstehen. Sie faßte meine Rechte 
nit hren heiben, müden Han ten: 
Mein lieber Bub, wenn du wirklich 
lein hohes Ziel erreichst und ein 
zuter Priester wirst, dann will! ich 
nein Lebtag dem Herruott täglich 
auf den Knicen danken, für all düs 
Kreuz, das er mir anfgeladen und 
‘ür die Dornen. die er auf meinen 
‘ebensweg gestreut hat Dann be- 
jchtete mir die Mutter, wie «le mıt 
4 Jahren gegen den Willen ıhrer 
Sltern katholisch geworden sei Nach 
neiner Konversion stand ich mutter- 
seelenallein in der Welt, Ich war 
Juagestoßen. eine von den eigenen 
sltern Verfluchte Man gab mich in 
an fremdes Dorf zu einer protestan- 
äüschen Familie in Stellung Zur 
Kırche konnte ich damals nicht 
sehen. Der Weg war zu weıt und 
neine Herrschaft erlaubie es auch 
ucht Trotzdern hielt ich, von allen 
zerlassen, fest an meinem katholı- 
«chen Glauben. Schließlich gab ıch 
suf eigene Faust meine alte Stelle 
auf und verdingte mich bei einer gut 
Ahristlichen Familie, die in der Nahe 
ner katholischen Kırche wohnte 
Nun konnte ich wenigstens meinen 
':elıgiesen Verpflichtungen nachkom- 
nen. Das war für mich ein großer 
Yrast in diesen harten, einsamen 
Tahren. Da führte Colt einen Jungen 
Katholiken auf meinen Weg. Eınen 
Nanderburschen, Deimen Vater Ich 
raf mit ıhm zusammen ausgerechnet 
ın dem Tave, d@& ein Sieillenvermitt- 
er ıns Dorf zekommen war und 
unge Madchen für den Dienst in 
nem Vergnugungslokal anwarb, 
Damals wußte ich noch nicht wıe 
‚schlecht die Welt it. Der Stellenver- 
nıttler schilderte mir me.nen neuen 
Arbeitsplatz ın den verlockendaten 
Farben: wenıiz Arbeit, und leicht 
dazu, feine Kleider, gutes Fssen. 
zanen Lohn... Wie gesagt. in diesem 
Augenblick trat Dein Vater ın me:n 
Leben. Eın frischer, froher Wander- 
aursch, den seine Gesellenfahrt, oder 
sagen wir heber der gute Gott, in 
Las Dorf gefuhrt hatte. An jenem 
samstag sprach er mich an. als ıch 
nach der Andacht das Gotteshaus 
zerlicß, Wır kamen, weiß Gott wir 
Ne Gesprach, und ich erzahite ıhm 
‚on meiner neuen, ghkinzenden Siel- 
ung. Kein Wunder, daß ıch so offen 
war, noch nie im Leben hatte sıch 6:2 
Mensch nach meinem Wohlbefinden 
arkundigt. Der Bursche schwieg. Eı 
ichaute nachdenklich in dıe Gegend 
Mır kam es vor. als kampfe er in 
diesem Augenblick mit sich Se)ba! 
‘ch betete indessen fur den Fremden 
Nit eın paar innigen Scufzern, Dann 
vVvandte sıch der Wanderbursch DNlotz- 
Die aal Boartesch 
VONIJOSEF WEBER 
ich selbst habe sie zwur nicht mehr 
ekannt, aber den ältesten Dorfbe- 
:‚oöhnnern ist sie noch ın guter Er- 
anerung. Steinalt et »1te geworden 
nd es schien fast, als ob sıe sıch am 
terben vorbeidrucken wollte, Kein 
Vunder. daß die damalige Genera- 
on, besonders die Kinder, das runz- 
ge alte Weiblern als „Hexe‘ ver- 
rien, sagte man ıhr doch nach, daß 
ıc mit dem leibhaftigen Gottseibei- 
ns ın Verbindung stehe und daß 
16 sıch jede Nacht, um nıcht eıin- 
chlafen zu mussen, auf den Kleider- 
aken setzte Man mied sic darum 
nd heß ze ıhren eigenen Weg 
chen Den unartızen Kındern 
onnte man mit der einfachen Dra- 
unz „Die aal Boartesch Kommt 
hch holen“ Anzst und Schrecken 
in)agen 
Das Wohnhauschen der Alten, in 
eM sie ganz allein hauste, stand ın 
er Nahe des Friedhofes Gleich da- 
‚I hatte sie auch ihr Brennholz auf- 
estapelt, das eie mil Argusaugen 
‚jewachte, damit ja kein Stuck an- 
lera WO seiner Restimmung zuge. 
ıhrt wurder 
"riedhof vorbei, Da — was war das? 
"raumte er oder narrte ihn ırgend- 
un Gespenet, das im Grabe keine 
Zuhe finden konnte. Am Holzstoß 
ler aalen Boartesch sıtzt eine weiß 
ermummte Gestalt, von dem Licht- 
chein eines Oellampchens gelster- 
vaft beleuchtet. Wenn ein Blitz vor 
em Lehrer eingeschlagen hatte, der 
‚chreck hätte nıcht großer sein kon- 
en Die Angst schnurte ıhm die 
Zehle zu und ‚er vermochte nicht 
ch auch nur einen Schritt vorwarts- 
ubewegen., O Schreck’ Jetzt erhebt 
ıch die weiße Gestalt, ergreift das 
acht und humpelt dem gegenüuber- 
tehenden kleinen Hauschen zu. Es 
lauerte noch eine geraume Weile, 
vs sich der Bann beim braven Leh- 
er kaste und er, wenn auch mit Ver- 
natuneg, die Betslocke lauten konnt. 
Das Ratsel dieses nächtlichen Spu- 
65 war bald gelost Die aal Baoar- 
e<sch stellte wieder einmal fest, daß 
uanıge besonders schöne Scheitstücke 
4n Neues Quartier bezogen hatten 
In den Dieb einmal zu erwischen 
weschoß sie, ihr Holz die ganze Nacht 
u bewachen Zum Schutz gegen die 
sicht che Kuhle hullte sie sich ın 
4N langes weißes Bettuch und so 
vartete sie auf das Fischeinen des 
Tolzraubers, der sich aber diesma) 
icht hleken hei 
Jeden Margen wenn der Lehrzeit 
die Retzrnucke lauten Ang halt er 
erst von weitem Ausschau, 00 
nicht wieder ein Gespenst” sen) 
Acht has IInuavan tfrpıl- 
Fe war an ecinem kalten Herbst- 
yrgen, Finster war es noch drau- 
en, nur die weißen Grabeteine 
aichteten geisterhaft aus dem Dun- 
el Selbst dem sonst! 20 Mul, gen 
dorfschulmeister hef e& abwechselnd 
alt und warm uber den Rucken, 4ie 
r an diesem Morgen dıe Betglocke 
Aulen ging. Ein Liedchen vor sich 
onafaifand talnertie ar s83hbort am 
Seite 567 
bestellte, Mein Bub, was wäre aus 
nir geworden, wenn Gott in jenem 
antscheidenden Augenblick Deinen 
Yater nicht geschickt hätte? Wo wäre 
ch jetzt? Und wo wärest Du? — 
Meine Mutter wischte bei diesen 
Norten einige Tränen aus dem Auge 
Ich glaube, es waren Dankes- und 
"reudentränen. Damals verstand ich 
zum erstenmal im Leben, was das 
Wort „göttliche Varsehung“ bedeu- 
ete. — 
Viel Sorge und Kummer, aber auch 
re] Freude haben wir acht Kinder 
ınseren Eltern bereitet. Kurz nach 
jer Geburt des achten Kindes, — es 
war am St. Stephanstage —, starb 
nein Vater. Nun muß Gott für euch 
sorgen, Kinder, sprach Mutter am 
Page des Begräbnisses zu uns. Ihre 
Augen waren rotgeweint. Aber ihre 
itimme klang tapfer. 
Die Kosten für Krankenhaus und 
Beerdigung hatten die kleinen Kr- 
;parnisse unserer Eltern fast aufzsze- 
‚ehrt. Mutter saß nun Tag für Tug 
and auch oft nachts bis in den däm- 
nernden Morgen hinein an der Nah- 
naschine, Sıe nähte und wusch und 
‘ackerte sich ab. Die acht hungrigen 
<indermäulchen schrien nach Brot, 
Mein äitester Bruder ging nach sei- 
1er Schulenflassung in die Fabrik. 
die Arbeit dort schmeckte ıhm nicht 
Aber er biß auf dıe Zähne und hielt 
lurch. Wir Jungeren Geschwister 
zingen zur Schule, spielten und toll- 
en in sorglieser Freude, Was taten 
xır nicht alles wegen einem Stück- 
ein Brot. Und wie weh tat es, wenn 
wir einmal hungern mußten. Tut 
ijoch eure Kınder ins Waisenhaus 
jet eines Tages die ub«'rkiuge Nacti- 
Jarın meiner Mutter. — Nein, Nach- 
darın, entgegnete meine Mutter 
zewißB, sie haben dort mehr zu 
sen, aber es fehlt ihnen die Mutter 
Alk meine älteste Schwester aus der 
schule kam, schickte sie Mutter auf 
je Nahschule. Nach bestandenel 
Prufung trat Gretel vor die Mutler 
ın: Mutter, ich möchte gern Ins 
Xioster. — Wenn Gott dich ruft, geh 
N seinem Namen und werde glhuück- 
ich Auch meine zweite Schwester 
exgte die Nuhprufung ab und ging 
ns Kloster. Ich schaffe es noch. gab 
Mama zur Antwort, Mog‘ Gott dıch 
‚e2nen! — Jetzi wird Imre wohl das 
schreinerhandwerk erlernen, meın- 
en mehrere Nachbarn (Die Mutter 
1ötte das Handwerkszeug meınes 
‚erstorbenen Vaterz, der Schreiner- 
Deister gewesen war, sorglıch auf 
dem Speicher verwahrt.) Aber da bat 
ıch Mama: Ich mechte gern studieren, 
Mutter — Und was willst du wer- 
den” — Missionar, Mama! — Das 
Koster aber einen schweren Batzen 
'eld Und das fehlt uns. Aber Mut- 
ter hatte viel Gottvertrauen Sıe um- 
ırmte mich zeichnete mir ein Kreuz- 
ten auf Stirne, Mund und Herz Das 
War sazlıısaßen die Priesterweihe von 
der Mult-ernand 
50 oft ch nun nachts erwachte und 
die Nahmaschine surren hörte, war 
m.r als wurde das Surren lus‘ig und 
ro klıinzen, Nicht +0 todernst wie 
Shen Noch viele Jahre 1rusen 
Matlters Sctvaltern die Sorge um de 
Fenle Zu dem außeren Kreuz 
beta Gott noch innere He mauchsune- 
ZT TE 
nicht berichten Die Kinder wurden 
urabe Die Buarde leichter. Und der 
obenzabend war senn;z und vol 
Freden Den Hohepankt ın Muttera 
Leben bildete der Tag. an dem der 
Bischof mir de Hande auflezie und 
Mich zum Priester werihte Und jener 
andere, der bald feizte, da ich mein 
erstes he ige Meßoyfer feierte Und 
den Leib Christi an Brotsgestait der 
Motten se open dur fie 
Ehe ie Sonne uatırscht, hullı se 
den Hammel noch einmal ein nn 
WwWartnes Abendrot Mir scheint nm 
st und seanend eng auch Matyas 
Nonne unler um ım Jenseits eigen 
unver2hachheh herilıichen Aufeaus 
zu erlcbhen 
AGs dem Ungarischen von le 
Sach cht)
	        
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