Full text: Nach der Schicht (24)

Deft 27/1928 
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Seite 419 
vir dann über das Attentat völlig im unklaren 
leiben würden. Gewiß brauche ich Ihnen nicht 
nehr zu sagen, wer ich bin.“ 
„Nein,“ erwiderte Lindsay lächelnd; „Sie 
ind Mr. Hunter aus Scotland-Yard — allge— 
nein bekannt, denke ich.“ 
„Nun ja, Sir, es ist wohl dann und wann 
von mir gesprochen worden,“ sprach der Ge— 
eimpolizist schmunzelnd und mit einem gewissen 
5tolz. „Ich halte es für meine Pflicht, meinem 
zeruf mit Eifer nachzustreben, ohne mich zu 
bereilen.“ 
„Gewiß haben Sie diesmal eine schwierige 
lufgabe, Mr. Hunter.“ 
„Diese Ueberzeugung bekomme ich selbst mit 
edem Tag mehr,“ entgegnete dieser mit einem 
zeitenblick auf den jungen Mann. „Wir haben 
iberhaupt keine leichte Aufgabe, weil uns jeder—⸗ 
nann im Dunkeln läßt und wir ganz auf uns 
elbst angewiesen sind. Die Leute hüten sich, 
uns zu sagen, was sie wissen, 
aus Jurcht, uns auf eine un— 
rechte Spur zu leiten und Un— 
annehmlichkeiten davon zu 
haben; andere dagegen sind 
hemüht, uns davon abzu— 
»ringen, wenn wir uns auf 
der rechten Jährte befinden.“ 
„Oder wenn Sie glauben, 
die rechte gefunden zu haben.“ 
„Da haben wir's wieder! 
Run freilich, Sie sehen die 
ganze Sache anders an als 
ch. Wenn ich an Ihrer Stelle 
väre, könnte ich jedenfalls 
ehr gut beurteilen, wie es sich 
zugetragen haben mag. Sie 
zennen die Leute in der gan— 
zen Umgegend und wissen, in 
velchem Verhältnis sie zu— 
einander stehen.“ 
Ziemlich genau.“ 
„Das ist es eben, worin 
Sie in großem Vorteil sind.“ 
„Aber der alte Parsey kann 
Ihnen helfen.“ 
„Der hilft vielleicht zu viel,“ 
sagte der Gehcimpolizist mit 
bedeutsamer Stimme. „Wir 
zing, eine Zigarre rauchend, im Garten auf und deide — Mr. Sewell und ich — hatten soeben 
ib. Er dachte eben daran, daß er jetzt in ine Unterredung mit ihm und sahen, daß er 
ziesem Hause überflüssig sei, und was wohl ine fixe Idee gefaßt hat, ganz abweichend 
esser wäre, wenn er abreiste oder sich noch bvon der meinen, von der er sich aber nicht 
ine Zeitlang in der Villa aufhielt, als Mr. ibbringen läßt.“ 
dunter auf ihn zukam und ihn anredete. „Darf ich wissen, was es ist?“ 
„Guten Abend, Sir,“ begann er respektvoll; „Es ist eine allbekannte Tatsache, daß man 
das ist ein trauriger Tag heute.“ jeneigt ist, diejenige Person in Verdacht zu 
„In der Tat,“ versetzte Reynold. siehen, die zuletzt am Ort der Tat und mit 
„Mir kommt immer alles trüber vor an dem Ueberfallenen gesehen worden ist, und Sie 
inem Tag wie der heutige, wenn der Himmel vissen, Mr. Lindsay, wer das war. Dazu habe 
chwer und die Erde naß ist und die einförmige sch ein gar seltsames Geheimnis ausfindig ge— 
Musik der Glocken einen müden Wanderer nach nacht — und doch bin ich nicht recht zu— 
em Ziel seiner irdischen Laufbahn geleitet.“ riedengestellt.“ 
„Ja, es ist wirklich so,“ bestätigte Lindsay „Das ist nicht deutlich genug für mich,“ sagte 
nit leichtem Schaudern über das Bild, das der eindsay, sich zu einem Lächeln zwingend. „Wohl 
Mann ihm vor Augen führte. zabe ich eine Ahnung davon, was Sie meinen, 
„Haben Sie gehört, wie es mit dem andern iiber ich wünschte, daß Sie sich weiter er— 
Herrn steht. Sir?“ zlärten.“ 
„Ein wenig besser.“ Mr. Hunter sah den jungen Mann scharf an; 
„Spricht er wieder?“ er war versucht, einen wichtigen, vielleicht ent⸗ 
„Ich fürchte, er wird nie wieder sprechen.“ scheidenden Schlag zu führen. Er wußte, daß 
„Das wäre um so mehr zu beklagen, als Mr. Lindsay der Lady Temple sehr ergeben 
„Ich habe die Sache wohl durchdacht,“ fuhr 
Sewell fort, „und bin zu der Ueberzeugung 
gekommen, daß Lady Temple, wenn ihr Leut— 
nant Parsey im Wege war und sie ihn weg— 
räumen wollte, nicht solche Mittel, diese Zeit 
ind diesen Platz gewählt hätte.“ 
Mr. Parsey, der finster dreinschaute, hörte 
zufmerksam zu. 
„Dann habe ich erfahren,“ sprach Mr. Sewell 
peiter, „daß Leutnant Parsey, hier als Mr. 
Harris bekannt, mit Miß Rumford verlobt 
var und binnen kurzem getraut werden sollte. 
Ist es nicht ebenso wahrscheinlich, daß sein 
Berhältnis in diesem Hause irgend jemand zu— 
vider war, wie vielleicht Lady Temple seine 
Anwesenheit hier zu fürchten hatte? 
„Sehr wahr?“ bemerkte Hunter. 
„Ich erwähne das nur, um Ihnen zu zeigen, 
wie leicht Sie einen FJehler begehen können, 
venn Sie übereilt handeln,“ fuhr Mr. Sewell 
ort. „Wie ich Mr. Parsey 
berstehe, war das Verhältnis 
eines Sohnes zu Lady Temp!e 
ein derartiges, daß beiden 
daran gelegen war, es geheim 
zu halten. Beide hatten ge— 
rennte Interessen und beide 
waren reich, keines hatte al'o 
don dem andern etwas zu 
fürchten.“ 
„Wenn Lady Temple Ihre 
Klientin wäre, könnten Sie 
jhre Sache nicht besser ver— 
treten, als Sie es jetzt tun,“ 
prach Mr. Parsey heftig. 
„Mein lieber Freund,“ ent— 
gegne'e Mr. Sewell, „Sie sind 
ein gerechter Mann und es 
mnuß Ihnen als solchem fern 
liegen, das Geheimnis einer 
Frau ans Licht zu ziehen; es 
würde Ihnen leid tun, sie der 
zffentlichen Schmach preisge— 
geben zu haben, wenn sich 
schließlich doch herausstellen 
vürde, daß sie gänzlich un— 
chuldig ist.“ 
Sie ist schuldig, ich bin 
fest davon überzeugt.“ 
Ich bezweifle es.“ 
„Dann mag sie es beweisen; ihr stehen ver— 
nöge ihres Reichtums die besten Verteidiger 
zur Verfügung, die alles aufbieten werden, sie 
»om Verdacht zu befreien, wenn dies möglich 
ist. Schimpfliche Schwäche wäre es aber, sie 
zu schonen.“ 
„Sehen Sie zu, ob Sie nicht eine neue Fährte 
ruffinden können, Mr. Hunter,“ wandte sich 
Sewell an diesen. „Lassen Sie Lady Temple 
zanz außer Frage und tun Sie, als ob Sie 
erst mit Ihren Nachforschungen begännen. Ich 
glaube, Sie werden mir später für diesen Rat 
ankbar sein.“ 
„Seien Sie dessen versichert, Sir!“ 
Der Geheirapolizist ging hinaus; er dachte 
iber den erhaltenen Wink nach und kam all— 
nählich zu der Ueberzeugung, daß er sich mög— 
icherweise in seinen Vermutungen doch irren 
zönnte. 
„Manche gute Sache ist schon verloren wor⸗— 
den dadurch, daß man sie zu sicher gewonnen 
glaubte.“ dachte er. „und ich möchte nicht un— 
errichteter Sache und mit leeren Taschen nach 
'ondon zurückkehren. Ich werde ein Auge auf 
?ady Temple richten und mit dem andern wei— 
ere Beobachtungen anstellen.“ 
Es war ihm nicht entgangen, daß er sich 
inter Leuten befand, die mehr wußten, als sie 
u sagen für gut fanden. Er beobachtete scharf, 
iber er merkte, daß er von anderen ebenso 
charf beobachtet wurde. Besonders fiel es ihm 
juf, daß er immer und überall auf Mr. Lindsay 
der Mrs. Kernot stieß, aber er merkte auch, 
aß sie nicht zusammen arbeiteten und über— 
aupt nicht auf freundschaftlichem Fuße standen. 
Es war am Abend des Tages, an dem Toby 
egraben worden war. Mr. Rumford weilte in 
cinem cigenen Zimmer, Janny blieb bei Tho— 
nas Parsey und Mr. Jorster machte sich mit 
Hertrude zu schaffen, die ganz untröstlich war. 
Mrs. Kernot saß in tiefster Trauer im Salon 
und las in cinem Buche. Reynold Lindsay aber 
Bon der Afrika-Schau im Berliner Zoo. Ein niedliches Bild zeigen 
der demnächst zu eröffnenden Afrika-Schau im Berliner Zoologischen 
Hiraffen und Zebras friedlich bei der Fütterung sind. Die Giraffen 
Futterplat im ersten Stock und die Zebras im Erdaeschoß.
	        
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