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derschleudern. Niemals übers Ohr gehauen zu
werden wird einem wohltätigen Menschen kaum
zelingen; es kann sich nur darum handeln,
durch Vorsicht und Klugheit sich vor größeren
„Hereinfällen“ zu bewahren. Man suche also
ein Almosen in möglichst sichere Hände
zu bringen: Hausarme, Waisenkinder, alte
alleinstehende Leute, Kranke und Arbeitsun—
*ꝛähige. Dann die bekannten religiösen Vereine,
vie Karitasverband, Bonifatius-Missionsverein.
Da die Kirche Gottes ein einziger großer
Liebesbund ist und in ihm jenes Feuer brennen
soll, das Jesus auf die Erde gebracht hat
und will, daß es entbrenne, deshalb müssen
alle, die echte Christen sein wollen, auch wohl—
ätig sein. Hierzu gehört nicht nur Geld —
vieviele haben kein übriges, sind selber arm —
ondern, was mehr ist, ein gutes, wohlwollendes
Bruderherz, das darauf sinnt und denkt, wie
es etwas Gutes stiften kann in Wort und
Werk.
Oft sind gerade die Armen so
vohltätig und edel. Ein Bettler bekam
von einer armen Witwe 2 Pfennig. Das rührte
hhn so, daß er von seinen Bettelpfennigen ein
Laib Brot kaufte und es der armen Frau als
Gegengeschenk brachte. — Ein Geselle war bei
rinem armen Meister. Er hielt aus bei karger
Kost und wenig Lohn in dem Gedanken, daß,
vwenn er fortgehe, sich etwas Besseres zu suchen,
der Meister wohl keinen Gesellen finden wird,
der dableibt. Das ist Seelengröße. — Ein
Student an der Universität setzte seinen Kom—
militonen (Studentenwort für Kamerad) die
Kegel auf. Was sie ihm gaben, schenkte er
einem armen Mitstudenten. — Ein armer Junge
schenkte sein Taschengeld zwei Orgeldrehern.
Ein Herr sah es, erkundigte sich nach dem
Jungen und ließ ihn studieren. Der brave
aleine Wohltäter ist Priester geworden. — Eine
Magd gewann ein gutes Stück vom großen
dos. Ihre Herrschaft waren verarmte Edel—⸗
leute. Sie bestand darauf, daß der Gewinn
)azu verwandt wurde, den Söhnen des Hauses
zum Studium zu verhelfen. — „Hoch klingt
das Lied vom braven Mann“, singt der Dichter.
Die Brabvheit ist das Opfer im Dienst
des notleidenden Mitmenschen, das Freund und
Brudersein, wie es Jesus getan hat und will.
Die Sucht, das eigene Ich in den Vordergrund
zu schieben, ist schuld an so vielen Uebeln,
christliche Solidarität, allseitige echte Nächsten—
liebe ist der Weg, das Volk zum Aufstieg zu
führen und den Völkerfrieden anzubahnen.
ů —
—J
Verlossen
Roman von Ga. MNaogner.
27] Nachdruck verboten. Jortseßung.
Efunter sah ein wenig enttäuscht aus. ...
MI] Vielleicht etwas, was ihr nicht ange—
8 nehm wäre, wenn ihr Mann es erfährt?“
fragte er weiter.
‚Es war ein Geheimnis zwischen
„ach der Schicht“
pnen,“ antwortele Parsey; „nichts Entehrendes,
ber doch etwas, was beide vor der Welt zu
erbergen suchten.“
In Hunters Gesicht leuchtete es bei diesen
Worten plötzlich auf.
„Mr. Parsey,“ rief er aus vollster Ueberzeu—
jung, „so wahr ich hier stehe, ist Ihr Sohn
vurch die Hand der Lady Temple oder War—
ens, des Majors Harding Diener, dem Tode
jahe gebracht. Ich nehme das letztere an, und
ann hat sie ihn dafür bezahlt. Ist sie bei
zer Sache nicht beteiligt gewesen, dann bin
ch mit Blindheit geschlagen und ein Neuling
n meinem Geschäft!“
„Sie sind bestürzt, Mr. Parsey“ fuhr Hunter
ort. „weil sie eine hochgestellte Dame ist; aber
—
Nachtgebet der Mutter.
Stumm und still die Welt so weit
Ruht in Schlummer sanft gewiegt;
Ich muß wachen — laftend liegt
Auf der Brust das Mutterleid.
dehn mich übers Fensterlein,
Scheinen hell die Sterne —
Ach, mit Tränen, ferne, ferne
Folgt mein Sehnen ihrem Schein.
Ueber Tal und Bergeshöh'n
zu dem fremden Lande fort —
Ob mein armes Kind sie dort
Auch wohl freudlos wandern seh'n?
Ib der Arme meiner denkt
And zu dieser Stunde
lus dem mondscheinhellen Grunde
Zerz und Aug' zur Mutter lenkt?
Beten muß ich in der Nacht.
BWenn die frommen Sterne glüh'n,
daß sein Schifflein möge zieh'n
deimwärts bald in Engelswächt.
Sternlein, woll't als Weiser steh'n
durch das Sturmgetriebe.
Haß im Hafen meiner Liebe
Treu er mag vor Anker geh'n.
Sterne, sollt mir Boten sein!
ßrüßt ihn tausend⸗ tausendmal,
Friede träufle jeder Strahl
Ihm ins kranke Herz hinein.
Schmachtend wie die Biume steht
Er an fremden Wegen!
Bringt als Tau ihm meinen Segen.
Frommer Mutter Nachtgebet!
VXVFODCAXCCCOCOCCCC.VI
ch sage Ihnen, es gibt noch höhergestellte, die
bensolche und noch größere Verbrechen be—
jangen haben!“
„Und wäre sie eine Herzogin,“ rief der alte
Farsey erbittert, „ich würde sie nicht schonen,
denn ich sie schuldig wüßte! Ich würde sie von
hrer Höhe herabstoßen. Ich vermied es ab—
ichtlich, gIhnen zu sagen, in welchem Verhältnis
ie zu meinem Sohne stand, weil ich Ihren
ßerdacht nicht von vornherein auf sie lenken
vollte, aber ich sage Ihnen jetzt, daß ich sie
on Anfang an für schuldig gehalten habe. Sie
nag ihn erkannt und zu diesem Mittel gegriffen
aben, um ihn für immer und sicher zum
zchweigen zu bringen. Sie hielt ihn seit länge—
er Zeit für tot —“
Heft 27, 1928
„Und wollte diesmal seinen Tod zur Gewiß—
seit machen,“ fiel ihm Hunter ins Wort. „Wenn
Zie mir die Vollmacht verschaffen, Sir, werde
ch Lady Temple sogleich verhaften.“
Mr. Sewell äußerte seine Bedenken gegen
in solches Verfahren und mahnte zur Vorsicht.
„Ich wiederhole es, es wäre nicht weise
ehandelt,“ schloß er seine Vorstellungen. „Alles,
vas Sie als Beweis anführen, ist eigentlich
iur Vermutung, hergeleitete aus ganz äußeren
Imständen, und auf so oberflächliche Verdachts—
zründe hin eine hochgestellte Dame zu ver—
saften, wäre gewagt. Bedenken Sie, welch ein
Alufsehen es machen würde und welche Nach—
eile entstehen könnten, wenn wir einen Fehl—
griff machten.“
„Und wenn es mein halbes Vermögen kostete,“
rief Parsey, „ich will Gerechtigkeit haben! Ihr
Rang soll sie nicht vor Strafe schützen! Lady
Temple, Alice Sherwin oder Mrs. Parsey —
als was sie auch befunden werden mag — soll
ioch vor morgen abend in sicherem Gewahrsam
ein!“
„Ich würde einen solchen Schritt nur als
etztes Mittel anraten,“ ermahnte Mr. Sewell
iochmals. „Unserm Jreund Hunter mag die
Zache ganz klar sein; aber eine nicht unwichtige
Frage ist die, ob nicht etwa ein Verdacht nach
rgend einer andern Seite hin vorliegt.“
„Ehe ich wußte, daß ein Geheimnis zwischen
2ady Temple und Mr. Parsey bestand, konnte
ch an ihre Schuld auch nicht glauben,“ sagte
Hunter, „jetzt aber ist mir die Sache so hell
vie das Tageslicht.“
„Vergessen Sie nicht, daß Sie sehr leicht
inen Fehlgriff tun können,“ bemerkte Sewell.
Sie beginnen mit einer dunkeln Idee, einem
eisen Verdacht auf eine gewisse Person und
uchen dann aus einzelnen Tatsachen und Um—
tänden, die sich nur irgend mit Ihren Theorien
ereinigen lassen, Beweise herzuleiten. Sie ver⸗
hwenden darauf Ihre ganze Tätigkeit und
draft und entfernen sich gleichzeitig vielleicht
mmer weiter von der rechten Spur. Wären
Zie nicht von einer starken Ueberzeugung von
hrer Schuld befangen, so wäre es Ihnen leicht,
benso fest an ihre vollständige Unschuld zu
lauben.“
„Möglich,“ sagte Hunter gedankenvoll, „aber
'in Haftbefehl kann keinesfalls schaden. Wenn
dady Temple in diese Angelegenheit verwickelt
st, wird der Schreck bei Vorzeigung des Be—
ehls sie verraten. Ich begreife wohl, daß es
inem Gentleman schwer wird, zu glauben, eine
ocharistokratische Dame sei einer solchen Tat
ähig, aber ich sage Ihnen, daß uns in unserm
sßeruf Dinge vorkommen, worüber andere
Renschen, falls sie ans Licht kämen, die Hände
iber dem Kopf zusammenschlagen würden.“
„Darin gebe ich Ihnen vollkommen recht,“
agte Sewell, „und auch in dieser Sachlage
nag die Wahrheit, wenn sie ans Licht kommt,
die Welt in Erstaunen setzen. Dennoch bin ich
iberzeugt, daß Sie sich auf einem Irrweg be—
refinden; denn auch ich bin nicht müßig ge—
vesen, so lange ich hier bin, und habe erfahren,
aß Lady Temple reich ist; sie hat für ihren
genen Gebrauch zehntausend Pfund in der
zank. Das beseitigt gewiß den Verdacht, daß
ie das Geld hat, das Mr. Parsey gestohlen
urde.“
Hunter wurde stutzig.