Full text: Nach der Schicht (24)

Seite 34 
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Heft 3 1928 
Staunend sah Miß Pitt den Sprecher an 
und in einiger Verwirrung fragte sie weiter: 
„Und was wollen Sie?“ 
„Ich bin gekommen, um meine Mündel zu 
sehen und mit mir zu nehmen,“ versetzte der 
Baron, kehrte der Alten den Rücken und 
wandte sich zu dem iungen Mädchen. 
Dieses hatte mit lebhaftem Interesse der 
zurzen Unteredung gelaucscht. 
Mit Bewunderung und innerer Freude sah 
ie den kühnen Sprecher an, der der Tante 
Arsula so entschieden zu widersprechen wagte. 
Hatte seine Offenheit, sein ruhiges, ernstes und 
doch auch freund iches Wesen rasch ihre Zu— 
neigung erweckt, so schlug ihr Herz ihm freudig 
und mit kindlichem Vertrauen entgegen, als 
er sich als Jreund ihres Vaters und als 
ihren Vormund zu erkennen gab. 
„Alice, mein armes Kind!“ rlef der Lord 
»eweat. indem er ihr in die feuchten Augen sah.— 
„Ja, ich brauche richt erst zu 
fagen, ob du wirblich die bist. 
die ich suche; ich eckenne dich 
an der spreche iden Aehnlich— 
keit mit deiner Mutter. Augen, 
Mund, Haar — jede Lixie 
des Gesich!s ist von deiner 
Mu!!er; nur das beständiße, 
eundtiche Lächeln und das 
heitere Temp rament fehlen: 
aber auch diese werden sich 
dald zeigen, wenn du dich e—st 
in anderer — wenn du in 
me'nem Hause dich zurcch: 
gejunden und dich an die 
reuen Vechärtrisse gewöhnt 
hast.“ 
„Meln Vader ist tot, sagten 
Sie?“ fragte das Mädchen 
traurig. * 
„Ja, mein armes Kind,“ 
an:worlese Sir Salvan; „er 
ist erst vor kur“em gestorben 
und hat mich beauftragt, für 
dich zu sorgen.“ 
„O, hätte ich ihn dech ein— 
mal gesehen!“ sprach Alice 
leise, und aufs neue perlten Tränen aus ihren 
hellen Augen. 
„Weine nicht, mein Kind,“ beruhigte sie Sir 
Sylran, indem er sie zärtlich an seine Brust 
zog und ihre Stirn küßte. „Ich werde dir 
von nun an ein Vater sein. Wirst du mich denn 
auch lieben können als solchen?“ 
„Ich werde Sie lieben, wie ich glaube, daß 
ich meinen Vater geliebt hätte. wenn ich ihn 
Jekannt.“ 
„Und willst du mit mir gehen?“ 
„Ja, Sir Sylvan,“ antworte!e das Mädchen 
jastig, wie in freudiger Erregung, wobei es 
Wer einen scheuen Blick auf Tante Ursula 
varf, die unbeweglich, mit feit aufeinanderge⸗— 
»reßten Lippen, die Augen stechend auf den 
dord gerichtet, wie eine Bildsäule dastand. 
„Sir Sylran,“ dntgegnete der Lord in freund⸗ 
ichem Ton. „Das ist nicht der Name, den ich 
jon dir zu hören wünsche. Ich betrachte dich 
'on nun an als meine Tochter und möchte auch, 
daß dies durch die Umgangsformen und Namen 
Bestäicung fände. Doch lassen wir das jetzt 
nit der Zeit kommt das von selbst, du wirst 
chon die richtige Benennung finden. wenn wir 
— 
um in den Leprosenhäusern die Insassen zu 
besuchen und zu erquicken. Von diesen schreibt 
Jakobus von Vitey (* 1240) als Zeitgenosse: 
„Um Chisti wil en litten sie unter allem Schmutz 
und Gestank, sich selbst Gewalt antuend, so un— 
erträgliche Beschwerden, daß keine Bußübung, 
die man sich auferlegt, mit diesem, in Gottes 
Augen heisigen und köstlichen Martyr um sich 
vergleichen läßt.“ 
Man sieht, wie damals, zur Zeit des heiligen 
Franzi kus und der heicigen Elisabeth, helden— 
hafte Liebe und Opferwi ligkeit Tausende be— 
seelte. In unseren Tagen sind es besonders die 
Missionüäre und Ordensschwestern, die mit der 
gleichen Liebe und Ausdauer die Pflege der 
Aussätzigen übernehymen, namentlich seisdem 
Paler Damian de Beuster (p 1889 auf der 
Insel Molokai) das leuchtende Vorbild heroi— 
scher Hingabe für alle geworden war, die der 
Beruf zu den Ausssätzigen führte. Was dem 
nalürlichen Menschen entsetzcich 
und unmöglich vorkommt, das 
erreicht die Liebe zu Jesus. 
Sie ist sozusagen allmächtig: 
„Ich kann alles in dem, der 
mich slärkt.“ 
„Jesus streckte seine Hand 
aus, rührte ihn an und sprach: 
Ich will, sei gereicizt.“ Wie 
mag den armen, gemiedenen 
Menschen solche he ablassende 
Güle erfreut und getröstet 
haben. Da es auzer dem Aus— 
satz noch viele Dinge 
aibt, die einen Rebenmenschen 
abstoßend erscheinen lassen, 
z. B. En!ste lungen des An— 
gesichtes duech Lupus, Trief⸗ 
augen, Häzeichkeit, dann 
Schwachsinn, Aller, Mangel 
an Reln.ichkeit, große Armut, 
oder Verk ümmungçen, Krebs— 
krankheit u. dergl. Wie glück— 
lich sind solche armen Men— 
schen, wenn sie jemanden fin— 
den, der sich nichts daraus 
macht und mit ihnen lieb und 
gut umgeht! In einem Ort wohnte ein lupus— 
krantier Mann. Das Gemiedenwerden war ihm 
sehr hart. Doch einer kam ihn von Zeit zu Zeit 
besuchen und plauderte freundlich mit ihm. Das 
war der Pfarrer. Der schenkte ihm auch, als 
er auf eine andere Stelle kam, zum Abschied 
ein schönes Keuzifix. Nach fünf Jahren kam 
der Geistliche wieder in die Gegend und schaute 
nach seinem alten Bekannten. Dieser erzählte, 
schon oft habe man ihm das Kruzifir abkaufen 
wollen, aber das gebe er nicht her. — Wäre 
mehr Liede zu dem armen, gekreuzigten Jesus 
in den Herzen der Menschen, dann brauchte sich 
keiner dieser Entstellten über Verachung zu be— 
klaçen. Gewiß es gehört Selbstüberwindung dazu. 
um mit diesen „Enterbten“ zu verkeyren. Doch 
die Liebe zu Jesus überwindet alles. Wie „sein 
Herz schlug voll zarten Mitleids für jede 
menschliche Not,“ so hat seine Gnade auch zahl⸗ 
reichen mensch ichen Herzen den gleichen Schlag 
verlieheen, den gleichen Drang eingeflözt. Glück— 
lich, wer dieser Gnade folgt und nach allen 
Kräften Gutes tut, Wohlta sen erweist uid sich 
in geduldiger Liebe herabläßt zu allen, die arm 
und verlassen sind auf Erden. 
cuHlossen 
oman von 84. Magnesx. 
; 
— ⸗— — — 
Fortsetzung. Rachdruckverboten 
ichtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet 
werdet, steht geschricben,“ sprach er 
rul ig, denselten Ton annehmend, in 
dem die Alte zuletzt gesprochen. „Und 
menn sich ein jugendliches Herz veriert 
vaben sollte, lehrt uns nicht das schöne Gleich— 
tis vom verlarenen Sohn, daß wir uns seiner 
Umkehr freuen, aber es nicht vperurteilen 
ollenꝰ?“ 
Ein Augenmagnet. Unser Bild zeigt, wie Sir Richard Cruise mit dem Ring-Magnet 
Metallsplitter, die bei Unglücksfällen in das Auge gelangen, herauszieht. Die Opera— 
kion geschieht durch dieses Hilfsmittel gefahrloser und weniger schmerzhaft als früher 
„Aber wenn diese Umkehr nicht stattfindet, 
venn alle Ermahnungen und Vorstellungen 
richts fruchten, was bleibt dann übrig, als auf 
)en Zorn Gottes und Feine strenge Strafe 
jinzuweisen?“ feagte die Tante in schneiden— 
dem Tone. Sie schlug das alte Testament auf 
ind nach einigem Suchen sagte sie, mit dem 
zürren Finger auf eine Stelle zeigend: „Da 
teht es: „Wehe aber den Got—.losen, denn sie 
ind boshaft, und es wird ihnen vergolten 
verden, wie sie es verdienen.“ 
„Ganz recht, wie sie es verdienen,“ entgeg— 
nete der Fremde mit etwas mehr Nachdruck. 
„Gott wird ein strenger. aber auch gerechter 
Kichter sein.“ 
„Wer sind Sie, Herr, daß Sie es wagen, in 
uinser Haus zu dringen und sich so unberufen 
in unse:e Angelegenheiten zu mischen?“ fraate 
erausfordernd Tante Ursula. 
„Ich bin Lord Sylvan Temple, Freund des 
nerstorberen Oberst JFred Sherwin und Vor— 
nund seiner Tochter Aunce,“ antwortete dieser 
est. „Sie sehen also, daß ich ein Recht habe, 
nich in das zu mischen. was diese arme Waise 
etrifft.“
	        
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