Heft 14/1928
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J der Tag des Zornes.
Cin Roman aus Alt⸗Hesterreich
von Pankraj 5chub.
J————
4 —
14 Nachdruck verboten. Fortsetzung.
*
Xoc uch ein Mädchen befindet sich in der
h Menge und starrt unver⸗
FX wandt mit großen Augen
auf das ernste Schauspiel,
—8 das sich ihren Blicken dar—
hzietet, starrt unverwandt auf jenen,
der hinter dem Leichenwagen folgt,
unuf den Prinzen Alexander.
Soll sie ihren Augen trauen?
Ist's Wirklichkeit, was sie sieht,
»der täuscht ein Phantom ihre
Sinne? Das Herz schlägt ihr mit
ꝛinmal so wild, als ob es ihr die
Brust zerreißen wollte, und in ihre
»lauen Augen schießt es so brennend
jeiß und füllt sie mit Tränen, die
maufhaltsam über ihre Wangen
collen.
Es ist Marie Nigelhuber, die
irme Räherin aus Hungelbrunn.
Wie die Tausende andern war
auch sie gekommen, um des Kaisers
Begräbnis zu sehen. Aber nicht
aur des Kaisers Begräbnis sieht sie,
ondern auch jenen, der ihr Liebster
var, von dem sie nicht gewußt, daß
er ein Sohn des Kaisers sei, um
den sie sich die Augen wund und
rot geweint hatte und von dem sie
gehofft, daß er wiederkommen werde.
Da passiert der Leichenzug jene
Stelle, wo sie steht.
Einige Schritte vor ihr geht
Alexander, sein Haupt gesenkt. Wie
jon ungefähr hebt er jetzt sein Antlitz
empor und sein Blick gleitet zu der
Menge, die zu beiden Seiten Spa⸗
ier bildet.
Da sieht er Marie ... er bebt
zusammen ... seine Augen leuchten
auf ... um seine blassen Lippen
zuckt es einigemal.
Nur einige Sekunden war sein
Blick auf Marie gerichtet, aber sie
jat es doch bemerkt. Ein heißes
Hefühl steigt ihre Seele hinan und
mit einemal ist es ihr, als reiße
eine unsichtbare Hand die Tore ihres Herzens
auf und fülle es mit Licht und Wärme,. mit
Hlück und Sonnenschein.
Und nun wendet sie sich und bahnt sich
einen Weg durch die dichte Menschenmenge.
Das unerhoffte, wenn auch ganz flüchtige
Wiedersehen mit Marie, hatte auch auf den
Erzherzog Alexander eine tiefe Wirkung aus⸗
geübt. Nun war er wieder in Wien. Ein trau⸗
riger Anlaß zwar hatte ihn hiehergeführt, aber
dennoch wollte er nicht wieder fort, ohne Marie
gesehen und mit ihr gesprochen zu haben.
So machte er sich an einem Abende, der
jenem Tage vorausging an welchem er wieder
Nach der Schicht“
ibreisen sollte, aaf den Weg nach Hungel⸗
»runn hinaus. Als er aber vor Mariens
Wohnhause ankam, da war die Haustür ver—⸗
perrt, die Fensterläden geschlossen.
Er klopfte an. Wozu er sich früher, wenn
hn Marie bat, nicht hatte entschließen können,
jeute wollte er das Innere des Häuschens
yetreten.
Und wieder klopfte er an, aber niemand
öffnete ihm.
Doch er wollte nicht eher fort, bis er Ge⸗
wißheit hatte, warum ihm nicht aufgetan wurde.
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„Da könnt Ihr klopfen bis morgen früh,
ohne daß Euch aufgetan würde.“
„Und warum?“
„Weil das Haus leer ist.“
„Es wohnt ja doch die Witwe Nigelhuber
nit ihrer Tochter in ihm.“
„Nimmer, Herr ... nimmer. Die Nigel-⸗
yjuber samt ihrer Tochter ist fort. Weiß nicht,
vas ihr auf einmal eingefallen ist, daß sie
nall und Fall das Häusel und das Stück
Weinacker verkauft hat, das ihr gehörte.
Hestern ist sie zu uns gekommen und hat uns
gebeten, ihr alles abzunehmen.
Warum, weiß ich nicht. Aber sie
hat so aufgeregt getan und hat ge—
sagt, sie müsse sofort von Wien.
So haben wir ihr Gütel abgenom—
men und den Kaufschilling gleich
bezahlt. Und heute früh ist sie fort,
mit samt ihrer Tochter, der Marie.“
„Und wohin ist sie?“ fragte Prinz
Alexander.
„Da fragt Ihr zu viel, Herr,“
lautete die Antwort. „Sie hat es
uns nicht gesagt. Auch das Mädel
nicht. Mir kommt vor, als ob die
Rigelhuberin wegen dem Mädel fort
wär'. Weiß nicht, was vorgefallen
ist, aber wir haben das Mädel in
den letzten Tagen recht oft weinen
ehen. Muß was dad itterstecken
jinter der ganzen Sach'. Soviel
ch aus der Nigelhuberin heraus—
zebracht hab', handelt es sich um
eine Liebschaft mit einem fürnehmen
Herrn. Was Näheres kunnt ich
aicht verraten. Wie gesagt, die
Nigelhuberin ist fort und kein
Mensch weiß, wohin sie sich gewen⸗—
det hat.“
„Ist sie vielleicht zu Verwandten
zegangen?“ fragte P inz Alexander.
„Kunnt sein. Soviel ich weiß,
hat sie einen Vetter in einem Oertel
m Wienerwald. Viellecht ist sie
zu dem. Soll ein Tischler sein und
rinen Sohn haben, dem es die Marie
chon längst angetan hat, daß er sie
»urchaus hat zu seinem Weib machen
vollen. Wär' vielleicht etwas draus
vorden, aber, wie ich mir hab' sagen
assen, die Marie hätt' nichts mehr
don ihm wissen wollen, just seit
der Zeit, da sie die Bekanntschaft
mit dem fürnehmen Herrn hat ge—
macht. Und der hat sie jetzt auch
sitzen lassen! Ist auch eine Idee,
sich in einem solchen hohen Herrn
zu vergaffen, als ob ein solcher nicht genug
seinesgleichen finden tät und als ob sie nicht
alt genug wär', zu wissen, auf was eine solche
Liebschaft hinausläuft.“
„Lasset solche Bemerkungen.“ sagte Prinz
Alexander und seine Augenbrauen zogen sich
zusammen.
Dann wandte er sich um und ging fort.
Und am nächsten Tage fuhr er wieder
die ungarische Hauptstadt zurück.
Fortsetzung folgt.)
8*
AUm Oftermorgen. Nach einer Zeichnung von C. Röhling jun—
Aus dem hohlen finstern Tor dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern: Sie feiern die Auferstehung des Herrn.
denn sie sind selber auferstanden aus niedriger Häuser dumpfen
Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden, aus dem Druck von Giebeln
und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge, aus der Kirche ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
In einem Hause in nächster Nähe brannte
ein Licht. Er entschloß sich, dort nach Marie
zu fragen.
Bald stand er vor dem Hause und klopfte
an das Jenster.
Das Fenster wurde aufgerissen und der Kopf
ines Mannes wurde sichtbar.
„Was gibt es?“ fragte er.
„Könnt Ihr mir sagen, lieber Mann. was
»er Grund ist, daß das Haus der Witwe
Nigelhuber verschlossen ist und einem nicht
uufgetan wird? Ich habe eine gute Weile
Jeklopft. aber ..“
—