Full text: Nach der Schicht (24)

Heft 14/1928 
„Nach der Schicht“ 
zündete den Frühling. Ja, wenn der Lenz käme 
— — wenn die warmen und milden Tage 
sein Weib zur Gesundung brächten — — — 
Der Arzt strich sich mit fahriger Gebärde über 
die blasse Stirn. Seine Kunst war zu Ende. 
Wenn kein Wunder geschah — — — kein 
Wunder. — — — Von neuem beujdte sich 
Morwingen über das Lager seines Weibes. 
Zeine Hände verkrampften sich. Beim Anblick 
»er. Fiebernden traten dem leidgewohnten 
Manne fast die Tränen in die Augen. 
„Inge — — — Ingeborg — — —“ 
Er flüsterte den Namen leise, zärtlich, mit 
chmerzdurchbebter Stimme. Kein Zeichen ver—⸗ 
riet ihm, daß die Todkranke ihn gehört. Der 
„Christus wahrhaftig auferstanden!“ So pre— 
digt zweiunddreßig Jahre lang Petrus und 
er predigt es vor Kaisern und Königen und 
Ztatthaltern und vor Gelehrten und vor Bett⸗ 
lern und vor Arbeitern und vor Shklaven, 
und er läßt sich für seine Predigt von der 
vahrhaftigen Auferstehung Jesu kreuzigen! 
Paulus predigt dreißig Jahre lang die Auf⸗ 
erstehung Jesu; er predigt sie in Jerusalem und 
n Rom und in Korinth und wird für die 
Predigt von der wahrhafligen Auferstehung 
Jesu enthauptet, er, der ehemalige Christen— 
hjasser und nachmalige Völkerapostel. In seinem 
Munde hat hundertfach schwereres Gewicht sein 
zlassisches Wort: „Wenn Ch istus nicht von 
den Toten auferstanden ist, dann ist 
unser ganzer Glaube — nichts! Nun 
ist er aber von den Toten auferstanden — 
Aso!“ 
Johannes predigt bis in sein 100. Le— 
vensjahr: „Was wir mit unseren Augen 
gesehen, was unser Ohr gehört, was 
unsere Hände betastet, das predigen wir: 
Christus ist wahrhaft von den Toten 
nuferstanden!“ 
Und alle Apostel predigten es, und 
alle Päpste predigten es, und alle die 
Millionen Priester predigten es, und alle 
die Millonen Martyrer besiegelten es 
mit ihrem Blute: Christus ist wahrhaft 
von den Toten auferstanden, 
Also ist Christus wahrhaftiger Gott? 
Ja! 
Also ist seine Kirche, die katholische 
die wahre? Ja! 
Also ist Jesus im heiligen Sakrament 
gegenwärtig? Ja! 
Also ist das Bußsakrament sünden— 
ilgend? Ja! 
Also ist der ganze katholische Katechis— 
mus wahr? Jal! 
Also gibt es auch für uns nach dem 
Karfreitag unserer Leiden und Arbeiten 
und Versuchungen ein herrliches Him— 
mels⸗Ostern? Ja! 
Also gibt es für uns nach dem kurzen 
Miserere der Leiden ein ewiges Alleluja 
der Freuden? Ja! Christenherz, ja! So 
wahr Jesus von den Toten auferstanden 
ist und ewig lebet, werden auch wir von den 
Toten auferstehen und ewig leben! Alleluja! 
Die Notre Dame-Kirche in Paris baufällig. Die be— 
cühmte Notre Dame-Kirche in Paris, eine der ältesten 
goßen Kirchen der Welt überhaupt, da sie schon im 
Jahre 1170 erbaut wurde. ist baufällig geworden. Das 
Mauerwerk zeigt bedenkliche Schädigungen durch 
Witterungseinflüsse und die Wiederherstellung wird 
niele Millionen Frank bosten 
Blondkopf wühlte sich tiefer in die Kissen. 
leber die scharlachroten Lippen irrten gestam— 
nelte Laute. Unruhig tasteten die armen, 
vpeißen, abgezehrten Hände über die Bettdecke. 
Lautlos öffnete die Pflegeschwester die Tür. 
„Herr Doktor — — — eine JFrau — — 
je läßt sich absolut nicht abweisen!“ 
Unmutig verzieht der Arzt die Stirn. 
„Ich bin für keinen. keinen. . . zu 
— prechen!“ 
;xM iner Drossel Lied bebte in das stille „Das habe ich auch gesagt!“ Die Schwester 
214 Krankenzimmer. Or. Morwingen rich- ist ganz verschüchtert. „Aber die Frau fleht 
WVI tete sich steil empor. Von der geliebe und fleht — — 
AR ten Kranken weg irrte sein Blick zum Einen Blick wirft Morwingen auf sein Weib. 
Fenster hinaus. „Gut, ich will sie anhören! Bleiben Sie bei 
Einer Drossel Lied — — — albler noch kein neiner Frau!“ 
Frühling! Nein! Noch trugen die Bäume Die Tür wird geräuschlos geschlossen. Mit 
dicke, schwarze Hüllen über den schwellenden schweren, müden Schritten geht der Arzt die 
nospen. Noch zogen Regenwolken schwer von Treppe hinab. Im Wartezimmer lehnt eine 
Westen. Und dennoch — — einer Drossel Lied alte Frau in einem der Seisel. Vom Weinen 
— 
Eine Ostererzählung von Christel Broehl-Delhaes. 
Seite 215 
ind ihre Augen gerötet. Kaum findet sich ein 
Wort über die stammelnden Lippen. „Herr 
Ddoktor — — mein Sohn — — er stirbt mir!“ 
Das ist ja Frau Steen, die Mutter des 
ungen Mannes, der ihm in seiner jungen Land⸗ 
Fraxis soviele Steine in den Weg gelegt. Daran 
denkt Or. Morwingen minutenlang zornerfüllt. 
„Frau Steen! Ich komme eben vom Lager 
neiner todkranken Frau! Ich kann — — — 
ch kann heute keine Praxis ausüben! Es ist 
nir nicht möglich! Gehen Sie zum alten Herrn 
Zanitätsrat!“ 
Die Frau sinkt haltlos in sich zusammen. 
„Der — — Herr Sanitätsrat — — isst 
— — über Land! Der kommt — — — vor 
heute abend — — nicht heim! Und 
wie ein Schrei: „Herr Doktor — — 
wenn er mir stirbt — — er ist mir im 
Alter — —“ In Schluchzen erstickt 
Stimme. 
Da strafft sich die Männergestalt. 
„Ich komme, Frau Steen!“ 
Ueber sein Weib beugt sich Or. Mor⸗ 
wingen, ehe er geht. Seine Hände zittern 
ihr über das Blondhaar. Seine Lippen 
legen sich auf die bleichen Finger. „Inge 
— Ingeborg —“. Und dann: „Schwester, 
sobald sich etwas ändert, schicken Sie den 
Ldaufburschen! Hören Sie?!“ 
Mit einem letzten Blick auf seine Gattin 
geht er. Draußen wartet das Auto. 
Hinein. Und nun durch den Schmutz der 
aufgeweichten Dorfstraßen zum etwas 
entfernten Gute der Steens hin. 
Frau Steen steht schon vor der Tür. 
Der Wind reißt der alten Frau das 
schneeige Haar durcheinander. Regen— 
tropfen schlagen ihr ins Gesicht. 
„Herr Doktor — —“ ein gestammelter 
daut. 
Hinter der gebeugten Gestalt tritt Mor⸗ 
wingen ins Haus, steigt die Treppe 
empor zum Zimmer des Erkrankten. 
Der Jall ist ernst. Ein Eingriff war 
bitter nötig. Wenige Minuten später 
schon konnte es zu spät gewesen sein — 
Am Lager des wild um sich schlagen—⸗ 
den Mannes verharrt der Arzt und übt 
seine Kunst aus. Aus den Gärten dringt 
auch hier einer Drossel Lied bis in das 
einsame Zimmer. Da zieht sich Bernd 
Morwingens Herz schmerzhaft zusam— 
nen. Daheim liegt sein Weib sterbenskrank 
ind hier hält ihn seine Berufspflicht. O herr⸗ 
icher und grausamer Beruf — — — 
Er horcht nach draußen. Klingen nicht die 
iligen Schritte des Laufburschen draußen auf 
»em Hofe? Täuschung. Nichts ist vernehmbar. 
Demütig hockt die alte Frau Steen auf einem 
Schemel nahe der Tür und läßt den Blick 
nicht von dem Arzt. 
Endlich hört das Toben auf, der Kranke 
vird ruhiger. Allmählich weicht der gespannte 
usdruck auf seinem bleichen Gesicht. Rauhige 
Atemzüge sind vernehmbar, er schläft. 
Da erhebt sich DOr. Morwingen von seinem 
Platz und tritt auf die Frau zu. „Gerettet!“ 
lüstert er. „Lassen Sie ihn jetzt ruhig schlafen!“ 
Der Frau stürzen die Tränen über die 
Wangen. Hinter ihm her hastet sie, über den 
Flur, die Treppe hinab. 
Herr Doktor — — heißen Pont — —2 *
	        
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