Full text: Der Saarbergknappe (15 [1934])

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ñron, den 24 Mon⸗inber 1604 
15. Fahrgsang 
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Organ des Gewerkvereins christl. Bergarbeiter für das Saarwirtschaftsgebiet 
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Botenlohn. für die Postabonnenten 13. — Fr. vierteliaß 
Oeschäftsstelle des SaarBergknappen“: Saar- 
otichen 2. St Johannet Stroße 40. — Fernsprech Anschluß: 
Amt Saarbrücken. Sammel⸗Ne. 292 41 
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44102 im ⸗— 
Durch eine Verordnung der Regierungskommis-, 
on vom 2. November wird ab 1. Dezember 1934 
»as Tarifwesen im Saargebiet gesetzlich geregelt. Es 
wird dadurch ein Uebelstand beseitigt, der sich bisher 
nicht allein im wirtschaftlichen und sozialen, sondern 
auch im Rechtsleben sehr unliebsam bemerkbar ge⸗ 
macht hat. Die tarifliche Regelung des Arbeits- und 
Lohnverhältnisses beruhte bisher auf vollständig 
freier Vereinbarung der beiden vertragschließenden 
barteien. Ein Zwang konnte von keiner Seite aus—⸗ 
zeübt werden. Hielt eine Partei den Abschluß eines 
Tarifvertrages nicht für zweckmäßig, mußte er unter⸗ 
bleiben. Auch konnten sich die tariflichen Bindungen, 
im Falle sie wirklich zustande kamen. nur auf den 
Wirkungskreis der am Vertrag beteiligten Parteien 
erstreclen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die nicht 
zu den vertragschließenden Vereinigungen gehörten, 
blieben davon unberührt. Rechtlich standen den 
Verträgen nur die Bestimmungen des bürgerlichen 
ßesetzbuches zur Seite. 
In wirtschaftlich gzuten Zeiten hatten die Außen— 
seiter, das heißt jene Arbeitgeber, die keiner Ver—⸗ 
einigung angehörten, sich meistens den Verträgen un— 
terworfen. Sie gewährten ihren Arbeitnehmern die 
— 
ser Zustand anderte sich aber in Zeiten der Krise, erein chri ergarbeiter als Ritglied angehören 
Hier gestatteten sich die Außenseiter, ihren Arbeitneh- 587 Franz Kunz, Alschbach (Saarpfalz) 
mern die Vorteile des Tarifvertrages au entziehen. 588 donr. Schwindling, Quierschied, Steinbergstraß 
Lohn oder Gehalt wurde beliebig gezahlt. Dieser Zu- 589 Jalob Ficiinger, Hilschbach, Kreis Saarbrücken 
sttand führte zu unliebsamen Störungen in der Wirt- 5390 veorg Krämer, Kaisen, Heusweilerstraße 
schaft. Oft zune man in einem Ort für dieselben 591 zeinrich Münster, Kaisen, Ostbergst raße 
Arbeitsleistungen die verschiedensten Entlohnungen. »92 Undreas Buchheit, Seelbach 
Dasselbe war bei der Urlaubsgewährung und nicht 393 ßeter SHild, Saarwellingen, Baststraße 
elten sogar bei der Arbeitszeit der Fall gewesen. Der 594 dohann Philippi, Saarwellingen, Baststraße 
Arbeitgeber, der einer Vereinigung nicht angehörte, 95 ßeter Metzger, Saarwellingen, Engelstraße 
war so seinem wirtschaftlichen Nachbar gegenüber per- 596 Nit. Jensen, Saarwellingen, Bahnhofstraße 
önlich im Vorteil. Die Tatsache hat sich bei Submis- 597 dohann Hoffmann, Saarwellingen, Lebacherstt 
sionen oft bemerkbar gemacht. Mit geringeren Aus⸗ 98 ßeter Schäfer, Saarwellingen, Lebacherstraße 
gaben für Löhne und Gehälter konnte er mit seinem 399 Natth. Schwarz, Saarwellingen, Lebacherstraß 
Angebot untert demjenigen des lariflich Gebundenen! 600 heinrich Klein, Güchenbach, Bergstrake 
bleiben. Im Rechtsleben waren die Schwierigkeiten 601 ßeter Rhoner, Bildsiodk. 
gleich groß gewesen. Infolge Fehlens gesetzlicher Be⸗02 Joh. Matth. Krächan, Quierschied, Grubenw. 52 
timmungen konnte der Arbeitnehmer seine Forde- 603 Rikolaus Krüchan, Quierschied, Kohlbachstr. 6 
cungen auf Zahlung tariflicher Löhne bei den Außzen- 304 Richard Nauerz, Quierschied, Paulsburgstraße 
seitern nicht durchsetzen, noch konnten diese angehal 305 Ritolaus Käff, Differten, Hauptstraße 
en werden, die aus den Verträgen erwachsenen Ver-306 Joh. Wettmann, Dudweiler, Alter Stadtweg 58 
»flichtungen anzuerkennen 
hereich anzugeben. Es muß mithin aus der Verein— 
zarung klar zu ersehen sein, für welchen Raum 
Stadt, Kreis, Bezirk), sowie für welche Industrie 
»der Gewerbegruppe (Bergbau, Hütte. Maurer 
Schreiner usw.) er zu gelten hat. Auch muß aus ihr 
servorgehen, auf welche Personen die Vereinbarung 
ich erstreckt. Der Vertrag findet erst Anwendung, 
nachdem er bei einem in der Verordnung vorge— 
ehenen und noch zu bildenden Tarifamt hinterlegt 
st. Es bleibt den Parteien überlassen. durch Bü— 
»ung eines Tarifschiedsgerichtes die aus dem Ver—⸗ 
rag entstehenden Streitigkeiten zu schlichten. Die 
Tariffähigkeit 
it in der Verordnung ziemlich genau umschrieben. 
zunächst müssen die Satzungen der Arbeitgeber- und 
rbeitnehmer-Vereinigungen den Abschluß von 
Tarifverträgen vorsehen. Dann aber wird bestimmt, 
—ösA —A— 
Trotz alledem sind auf dem Wege der freien Ver— 
einbarung im Saargebiet zahlreiche Tarifverträge 
zustande gekommen. Die Arbeitgeber sagten sich, daß 
auch für sie bekannte Größzen im Lohne oder Gehalt, 
ebenso diejenigen für besondere Aufwendungen sozia— 
er Art, eine größere Stetigkeit im Wirtschaftsleben 
chaffen, als wenn man diese Dinge dem freien Spiel 
»er Kräfte überläßt. Hinzu kam, daß man es an der! 
Zaar mit starken gewerkschaftlichen Organisationen! 
u tun hatte, die zur Besserung der sozialen Lage 
hrer Arbeitnehmer jede Situation ausnützten. Dann 
jatten aber auch die Arbeitnehmerorganisationen 
ehr bald erkannt, daß eine stete Lohnpolitik für den 
AUrbeiter und seine Familie von Vorteil ist. 
Die neue Verordnung baut nun auf dem freiwil— 
sigen Vertragsabschluß auf. Ein Zwang zum Ab— 
chluß von Verträgen ist nicht gegeben. Es wird an 
Bestehendem angeknüpft und versucht, weiter zu 
dauen. Unter diesem Gesichtswinkel ist die neue Ver— 
ordnung zu betrachten. Hier ist zunächst der 
Begriff des Tarifvertrages. 
Der Begriff des Tarifvertrages deckt sich mit dem 
deutschen Recht. Der Tarifvertrag ist ein schriftlicher 
Vertrag zwischen Vereinigungen von Arbeitgebern, 
»der auch einzelnen Arbeitgebern, und Vereiniqungen 
don Arbeitnehmern. Ein so abgeschlossener Vertrag 
jat in erster Linie den Inhalt der Arbeitsverträge 
det den Arbeitnehmervereinigungen angehörenden 
Plitglieder zu regeln. Der Vertrag hat weiter seinen 
dumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungs⸗ 
ohsoo so sosαιαιαιαια 
daß die letzteren Vereinigungen nicht tariffähig sind, 
wvenn sie Arbeitgeber ihres Berufskreises als Mit— 
glieder auinehmen, sowie die Interessen ihrer Mit— 
zlieder nicht selbständig und unabhängig wahr— 
iehmen. Lehrlinge gelten nicht als Arbeitnehmer im 
Zinne der Verordnuna. In 8 3 der Verordnunc 
vird die 
Tarifgebundenheit 
räher erläutert. Die tarifliche Gebundenheit er— 
treckt sich zunächst auf den normativen Teil des Ver— 
rages. Es sind dies in der Hauptsache jene Bestim— 
nungen, die zum Inhalt der Einzelarbeitsverträge 
verden. Darüber hinaus werden von ihr auch die 
chuldrechtlichen Verpflichtungen der Tarifparieien 
intereinander erfafzt. Zu den Tarifgebundenen zäh— 
en neben den vertragschließenden Parteien auch jene 
Lereinigungen. die dem Vertrag freiwillig beitreten 
»der Rechtsnachfjolger von Tarijgebundenen werden 
Der normative Teil des Tarifvertrages ist unab— 
dingbar. Die Arbeitsverträge haben den im Tarif 
hertrag vorgesehenen Inhalt auch dann, wenn in 
den zuerst genannten Verträgen etwas anderes vor— 
jesehen sein sollte. Dieser Zustand ändert sich jedoch 
n dem Augenblick, in dem nach dem Tariivertrag ab 
deichende Regelungen als zulässig erklärt werden 
Friedenspflicht. 
Das Ziel eines Tarifvertrages ist der Wirtschafts- 
tiede. Nach 8 6 der Verordnung sind die Parteien 
perpflichtet, selbst wenn das in den Verträgen nicht 
besonders vermerkt ist, alles zu unterlassen, was 
zegen den Vertrag gerichtet ist. Die Parteien sind 
mithin gehalten, auf ihre Mitglieder in der ent⸗ 
iprechenden Weise einzuwirken. 
Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit. 
Die wichtigste Bestimmung in der Verordnung ist 
vohl die in 8 8 vorgesehene Möglichkeit, vorhandene 
Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. 
Es können somit Verträge, die über den vorgesehenen 
seltungsbereich hinaus von wirtschaftlicher und so— 
ialer Bedeutung sind, durch eine Allgemeinverbind⸗ 
ichkeitserklärung auch auf jene Arbeitgeber und Ar⸗ 
eitnehmer ausgedehnt werden, die nicht an dem Ver⸗ 
trag beteiligt find. Diese Erklärung aber kann nur 
im Einverständnis beider Parteien erfolgen. Auch 
nuß den sogenannten Außenseitern Gelegenheit ge⸗ 
geben werden, zu der beabsichtigten Erklärung Stel⸗ 
sung zu nehmen. Die hierzu erforderlichen Arbeiten 
hat das Tarifamt zu erledigen. Seine Entscheidun⸗ 
zen sind endgültig. Durch die Erklärung werden auch 
diese Arbeitnehmer dem Tarifvertrag unterworfen. 
Tarifregister. 
8 12 der Verordnung sieht die Führung eines Tarif⸗ 
ꝛegisters vor. In dieses Register sind alle für all⸗ 
gemeinverbindlich erklärten Tarifverträge einzu⸗ 
ragen. Die Eintragungen werden im Amtsblatt der 
Kegierungskommission bekannt gegeben. Bei welcher 
das Tarifregister geführt wird, bestimmt das 
arifamt. 
Tarifamt. 
In 8S 15 ist die Errichtung eines Tarifamtes an⸗ 
eordnet. Es besteht aus einem Vorsitzenden, der die 
Signung zum Richteramt besitzt, zwei Arbeitgebern 
ind zwei Arbeitnehmern als Beisitzer. Zur Errichtung 
ist eine besondere Verordnung der Regierungskom— 
nission vorgesehen. 
Wie diese Verordnung sich in der Praxis auswirkt, 
sst abzuwarten. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind 
iach wie vor auf Zusammenarbeit angewiesen. Aus 
dieser Arbeit, die bisher nicht ohne Erfolg geblieben 
st, müssen die Unterlagen zut weiteren Entwicklung 
tetfunden werden an 
Christlich und national! 
Ein Flugblattkampf, ein Streit mit papierenen Waffen 
zrößten Ausmaßes um die Seele der Saarbevölkerung, 
nsbesondere der Saarbergleute, wird zur Zeit geführt. 
ßenauer gesagt, nur eine Front ist in diesem Papier—⸗ 
ampf vorhanden: die sogenannte Einheitsfront. Berg—⸗ 
jeute erzählen, daß Flugblätter überall zu finden und zu 
erhalten sind. In der Grube liegt auf einmol an einer 
allgemein zugängigen Stelle ein umfangreiches Paket. 
Inter Tage am Schacht bei der Ausfahrt wirbelt plötzlich 
ein ganzer Schwarm solcher Blätter durch die Luft. Im 
Zechensaale sollen sie manchmal ungeniert verteilt wer— 
den oder zur Abnahme auf einer bestimmten Stelle liegen, 
edermann ersichtlich, nur getarnt und unsichtbar für die 
Angestellten der französischen Gtubenverwaltung. Auf dem 
Nachhausewege werden sie den Bergleuten überreicht, 
nachts unter die Türe geschoben, ja sogar das Porto spart 
man nicht und schickt sie den Venschen mit der Post zu. 
Ein einwandfreier Zeuge hat bekundet, daß er für die 
Verteilung einer solchen Schrift und zwar der marxisti⸗ 
schen „Saarländischen Gewerkschaftszeitung“ durch die 
Bergbau-Industrieverbandsleitung 0,10 Frs. je Stück er⸗ 
jalten hat. Allerdings ist man ihm die letzten 10— Fis. 
chuldig geblieben, als er sich nicht mehr bereit erklärte, 
iür ein Sündengeld Volk und Vaterland zu verraten. 
Wenn sich die Bergleute für das ganze zugesteckte Papier 
etwas kaufen könnten, dann wäre längstens jede Not bei 
hnen behoben. 
Was soll nun durch diesen Papierkrieg erreicht werden? 
kFine „Einheitsfront“ will man angeblich schaffen, den 
„Kampf“ organisieren, die Belegschaften über die Köpfe 
der nicht willigen Führer zusammenbringen, um so den 
Forderungen der Bergarbeiter zum „Durchbruch“ zu ver⸗ 
gelfen. Das ist so die Parole, wie sie aus dem ganzen 
Flugblattwald zu entnehmen ist. „Mobilisierung der Be—⸗ 
egschaften“* sagt man, zur „Verwirklichung der Forde⸗ 
tungen“.
	        
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