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Das Betriebsretegesetz
Das Streben der Arbeitnehmer war von jeher au,
Vlitsprache im Betrieb gerichtet. Dieses Streben führte
über die obligatorischen Arbeiterausschüsse, die auf
Grund des preußischen Gesetzes vom 14. 7. 65 für den
Bergbau eingeführt wurden, zum Betriebsrätewesen
wie es in Ausführung des Artikels 165 der Reichs—
zeuasung (der Betriebsarbeiterräte vorschreibt), durch
das Betriebsrätegesetz vom 4. 2. 20 geschaffen wurde
Grundzug des Betriebsrätegesetzes (BRG.) ist, daß
es im Arbeiter nicht die Arbeitskraft, sondern den
Menschen sieht. Dem Menschen Arbeiter eine ihm
würdige Stellung im Retriebe zuzuweisen, ist seine
Aufgabe.
Die wichtigen Betriebsvertretungen,
die nach dem BRG. errichtet werden können bezw
vorgeschrieben sind, sind der Betriebsobmann in Be—
trieben von mehr als 5, aber weniger als 20 Arbeit—
nehmer und der Betriebsrat in Betrieben, die min
destens 20 regelmäßig beschäftigte Arbeitnehmer auf
zuweisen haben.
Die vorstehend genannten Betriebsvertretungen
lind gemeinsame Vertretungen der Arbeiter und An
gestellten des Betriebes. Reben diesen Vertretungen
die die Gesamtinteressen aller im Betriebe beschäftig—
ten Arbeitnehmer zu wahren haben, bestehen Sonder—
vertretungen der einzelnen Gruppen und zwar in Be—
trieben, jür die ein eeeee errichtet werden muß
ein Angestellten- und ein Arbeiterrat, die für die
Sonderinteressen ihrer Gruppen zuständig sind.
Die Mitglieder des Betriebsrates
werden nach der direkten und geheimen Verhältnis
wahl gemett Die Gruppenräte, Arbeiter- und An—
gestelltenrat, setzen fich aus den Arbeitern bezw. An—
gestelltenmiigliedern des Betriebsrates zusammen, zu
denen noch Ergänzungsmitglieder hinzukommen.
Wahlberechtigt ist jeder Betriebszugehörige der 18
Jahre alt ist und die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt
Wählbar ist jeder betriebszugehörige Arbeitnehmer
der 24 Jahre alt, Reichsdeutscher und im Besitz der
bürgerlichen Ehrenrechte ist, und außerdem 6 Monate
dem Betrieb sowie 6 Jahre dem Beruf angehört.
Die Aufgaben des Betriebsrates
sind teils sozial-, teils wirtschaftspolitischer Natur
Sozialpolitisch haben sie die Aufgabe, die Interessen
der Arbeitnehmerschaft gegenüber dem Arbeitgeber zu
wahren. Es gehört insbesondere zur Aufgabe der
Betriebsvertretung für Erhaltung des Arbeits
lriedens Sorge zu tragen)
1. Durch Entgegennahme von Veschwerden und Ab
stellung der Mißjtände auf dem Verhandlungs
wege.
2. Durch den Abschluß von Betriebsvereinbarungen
Labeitkotduung) und Ueberwachung derselben
3. Durch Anrufung des Schlichtungsausschusses falls
keine Einigung zu erzielen war.
Wirtjchaftspolitisch haben sie die Aufgabe, „Ein
IAuß auf Betriebsleitung und Leistung zu nehmen
us einem willenlosen Werkzeug der Produktion soll
der Arbeiter zu einem verantwortungs- und arbeits
freudigen Mitglied der Produktion werden.“ (Be
gründung zum BRG.)
Wirtijchaftspolitijch hat der Betriebsrat eine be
zatende und eine kontrollierende Tätigkeit.
Die beratende Tätigkeit erschöpft sich in den
Beratung der Betriebsleitung zum Zwecke der Stei—
gerung der Betriebsleistung insbesondere bei der Ein
sührung neuer Arbeitsmethoden.
Wichtiger als die beratende ist
die kontrollierende Tätigkleit
des Betriebsrates. So hat der Arbeitgeber dem Be
driebsrat Auskunfit zu erteilen.
1. über alle Betriebsvorgänge, die die Tätigkeit der
Arbeitnehmer und deren Arbeitsvertrag be—
rühren;
er muß Lohnbücher und Unterlagen vorlegen, die
dij Durchführung der Tarifverträge erkennen
assen;
über den Gang und die Lage des Unternehmens
sowie des Gewerbes im allgemeinen wie auch
über den zukünftigen Arbeitsbedarf hat der Ar—
beitgeber alle Vierteljahr Bericht zu erstatten.
Der Betriebsrat hat unter gewissen Bedingungen
das Recht a Vorlegung und Erläuterung der jähr—
lichen Betriebsbilanz und einer Gewinn- und Ver
lustrechnung. Weiter hat der Betriebsrat das Recht
auf Entsendung von 1 oder 2 Mitgliedern in den Auf
sichtsrat.
Mit Ausnahme der wirtschaftspolitischen Aufgaben
at
1
der Gruppenrat
jast dieselben Aufgaben wie der Betriebstat. Jedoch
beschränkt sich die Auigabenerfüllung auf die Inter—
essenwahrung der Arbeiter oder Angestelltengruppe.
Daneben hat der Gruppenrat noch besondere Auf
gaben. So die Mitwirkung bei der Regelung der
Löhne, besonders der Atkkorde und Bedingungsgrund
ätze, loweit sie nicht durch Tarifvertrag der betrieb—
lichen Regelung entzogen sind. Der Gruppenrat haft
in Mitwirkunagsrtecht bei jeder einzelnen Vestrafung
„Der SaarBerglunapper Nummer 43
15 3 — —— 2 77 XCXCTEC. — — —
eines Arbeitnehmers seiner Gruppe sowohl was Art keit der Kündigung oder Anspruch auf eine Abfin—
und Höhe der Strafe anbelangt. Ohne Zustimmung dungssumme sein
des Gruppenrates ist eine verhängte Strafe unwirk Um die Mitglieder der Betriebsvertretung vor
am. willkürlicher Paendien durch den Arbeitgeber zu
ichti 9 5 — chützen. ist ihnen ein besonderer Schutz gewährt. Sc
A⸗ witzuoltes RNeoht hnt ver —T.X kann Mitgliedern der Betriebsvertrefsung nur mit
Mitwirlungsrecht bei Einstellung und Entlassung Zustimmung der Betriebsvertretung der Arbeitsver—
»er Arbeiter seiner Gruppe. —F e dedene —
x as Betriebsrätegesetz bi it seinen verschiede—
Zun ächst lann der Gruppentat für die Einstellung nen —S— 4. seltene Gelegenheit I Ein—
»on Arbeitnehmern gewisse Richtlinien mit dem Ar sichtnahme und Einftuüßnahme auf den Wieischafto—
zeitgeber vereinbaren, deren Einhaltung gerichtlich beirieb. Mit der Mögüchkeit der Einsichtnahme und
»xrzwungen werden kann. Einflußnahme ist es jedoch noch nicht getan soll sick
Bei der Entlassung handelt es sich um die Mit- die Hoffnung der Schöpser des Gesetzes erfüllen
rirkung des Gruüppenrates bei dem Einspruchsver- Wesentlich für die Wirkung des Gesetzes ist, daß wir
fahren nach 884 BRG. Der 8 84 gibt dem Arbeiter haraktervolle und mit Verständnis für die wirtschaft:
das Recht, falls er seinen Arbeitsvertrag zu Unrecht ichen Tatsachen begabte Menschen bekommen. Dann
gekündigt glaubt, beim Gruppenrat Einspruch gegen jt ein wesentlicher Schritt zur Demokratifierung der
die Kündigung zu erheben. Die Folge des Einspruchs Wirtschaft und zur Standwerdung der Arbeiterschaf
alls er berechtigt ist, kann entweder Wirkungslosig zetan. W. K.
Ie sutlithe Chatulter der bbziusberscherun
In oem heißen Kampfe um die Sozialversicherung der
durch nut manchestetlich eingestellle Wirtschaflskreise im
Reiche entsacht wurde und schon allerübelste Blüten getrie.
»en hat, haben sich auch aufrechte Menschen, deren Namen
klang hat, nebst wichtigen Körperschaften neben die Ge⸗
verkschaften gestellt, um mit ihnen den entfachten Kampf
erfolgreich abzuwehren. Zu diesen aufrechten Menschen
gehört in —— Linie Ministerialdirektor Or. Grieser,
der seit Jahren im Reichsarbeitsministerlum erfolgreich
wirkt, und dem getade wir Saarbergleute auch manches
zu danken haben. Er hat vor einiger Zeit in einem Rund—
unkvortrag über den stitlichen Chatakter der Sozialversiche⸗
rung äußerst werkvolle Gedanken geäußert, die wir in
brem Kern unseren Mitlgliedern nicht vorenthalten dürfen.
Besonders aber empfehlen wir die Aussuührungen den
Rilchtarbeitern zum Studium. Gerade 8 wetden
a so heitß umworben, in die Front gegen die Sozial
versicherung einzuschwenken. Wer die Ausführungen Grie
ers genau studiert hat und noch eine fühlende Seele hat
vird sich nimmer vor den Karren derer spannen lassen, die
er Sozialversicherung Krieg und Verderben angesagl haben
Die Redaklion.
Arbeiter wurde die Freiheit des Individuums zug
Dangergeschenk. In den großen Städten und den In—
zustriebezirken gerieten die Arbeitermassen, weil un
Aientiert und hilflos, in unbeschreibliches Elend
Die Zahl der Unternehmer, die im Innern noch eint
Berpflichtung zur patriarchalischen Fürsorge verspür—
en, wurde immer geringer, die Erinnerung an die
schicksalsmäßige Verbundenheit von Unternehmern
uind Arbeitern begann zu verblassen, das Gemein—
schaftsgefühl geriet in die Gefahr der Verschüttung
Die einzige Hilfe war Karitas und Armenpilege. das
Waisenhaus und das Siechenheim.
Was lag näher, als daß unter dem Drucke des
Elends bei den Arbeitern das Gefühl der Gemein—
chaft der Gesahr und der Not geweckt wurde? Die
Hasse erwachte zur Klasse und suchte zu ihrer Er—
haltung neue Lebensformen. Der Gemeinschaftsge
danke erlebte in der Sozialversicherung seine Wieder
geburt. Die Versicherungsträger vereinigten in sich
die Arbeiter und ihre Arbeitgeber zur gemeinschaft
lichen Tragung der wirtschaftlichen Gefahren aus
Krankheit und Unfall, Arbeitslosigkeit und Inva—
lidität, aus Alter und Tod. In gewissem Sinne ist
die Sozialversicherung das glückliche Erbe jenes In⸗
dividualismus —, ein Ergebnis, das mit den Fehlerr
des Systems wieder versöhnt.
Die Sozialversicherung wurzelt im
natürlichen Rechte der Arbeiter,
auch bei ungünstigen Wechselfällen in der Arbeit un
im täglichen Leben Mensch zu bleiben. Sie ist orga
nisierte Selbsthilfe auf Gegenseitig
teit, in ihr hilft der eine dem anderen, der Gesunde
dem Kranken, der Junge dem Alten, der Starke dem
Schwachen, der Glückliche dem Unglücklichen, der Le
dige dem Kinderreichen. Die ganz überwiegende Zahl
der Krankenkassen gewährt auch den Angehörigen
der Versicherten Krankenpflege und stuft das Kran
kengeld nach dem Familienstande ab. Die Wochen
hilfe erhält nicht bloß die werktätige Frau, sonderr
auch die Frau des Versicherten. Alle Renten ent
halten Zuschüsse für die Kinder; der Zuschuß beträgt
in der Invaliden- und Angestelltenversicherung 10
RM. im Monat. Mag auch der Familienschutz, den
die Sozialversicherung gewährt, nur äußere Fürsorge
sein, er ist mittelbar ein Beitrag zur Erneuerung
der Familie und Erneuerung des Volkstums. Be
der Züricher Tagung der Internationalen Vereini—
qaung für sozialen Fortschritt erntete Deutschland da
für die ungeteilte Anerkennung.
Im April d. J. haben internationale Sachver—
tändige der sozialen Medizin bestätigt, daß die deut
sche Versicherung jeden Versicherungsfall organisch
umfaßt; in der Gesamtheit seiner Beziehungen, in der
Ursache und Folge, im Zusammenhang mit dem Be—
triebe, in der Verflechtung mit den äußeren Um
tänden und in der Wirkung auf die Umgebung
Dieser Auffassung entsprechen auch die Maßnahmen
in der Versicherung, die heilenden und wirtschaftli—
chen, das vorbeugende Wirken, die Aufklärung, Be
lehrung und Veratung. Die deutsche Versicherung hat
den weiten Weg von der Medizin zur Hygiene zu—
rückgelegt. Aus der ursprünglichen Spargenteinschaf
wurde zugleich eine Erziehungsgemeinschaft.
kine Gemeinschaft gibt Redte, sie begründet abe
auch Verbindlichkeiten.
Bloßer Zwang läßt kalt, gegenseitige Pflicht will
anerkannt und bejaht, tief empfunden und willig
getragen sein. An Energie, die Sünden gegen den
Hemeinschaftsgeist zu bekämpfen, fehlt es nicht. Miß
bräuche hängen nicht bloß an der Sozialversicherung
fie hängen an allen ähnlichen Einrichtungen. In der
Steuergemeinschaft wird der Staat auch nicht immer
mit vollendeter Ehrlichkeit bedient. Mißbräuche treten
zurück. je mehr der Versicherungsbetrieb wie ein
Fdamilienbetrieb auigefaßt wird, bei dem keiner mehr
ist als der andere, bei dem jeder für den anderer
derantwortlich ist
In der Sogzialversicherung sind Maß und Grenze
eitbedingt. Da die sozialen und wirtschaftlichen Bil
er wechseln, werden zwischen Bedürfnissen und Mög
lichkeiten, zwischen Arbeit und Kapital immer Rei
bungen entstehen. Das ist kein Unglück: auch in der
Sozialpolitik setzt sich Reibung in Bewegung' und
Fortschritt um Mit der Sorge um die gesünde Ent—
wicklung der Wirtschaft ist echtes soziales Bewußt
sein vereinbar.
Im letzten Jahre sind aber auch grundsätzlich—
ßegner der Sozialversicherung aufgetaucht. Philoso
phen und Aerzte behaupten, die Versicherung töte den
Sparsinn, züchte den Versicherungsbetrug und ver—
derbe die Sittlichkeit des Volkes. Schriften und Reden
solchen Inhaltes finden in Deutschland, dem Mutter
boden der Sozialversicherung, nur eine kleine Ge—
meinde. Um so aufmerksamer ist das Ohr des nicht
Janz unterrichteten Auslandes. In Frankreich
Belgien, Finnland z. B. schmieden Industrielle und
Aerzte aus deutschen Kundgebungen Wafien gegen
die Einführung der Sozialversicherung in ihrem
Lande. Dieses zwingt zu einem aufklärenden Wort
über den sittlichen Charakter unserer
VBersicherung. Die Wirtschaft hat zudem ein
wichtiges Interesse an der Erweiterung des deutschen
Lersichetungsrechts zum Weltversicheruͤngsrecht
Maßgebend ist
die Natur der Dinge.
Mit fast gesetzlicher Regelmäßigkeit wiederholen sich
bei der Arbeit Krankheit und Unfall, Arbeitslosig⸗
keit und Siechtum. Im Durchschnitt wird jeder zweife
Arbeiter einmal im Jahre krank und für etwa 24
Tage arbeitsunfähig. Am höchsten ist die
Krankheitsgefahr im Bergbau, am ge
geringsten in der Landwirtschaft. Im Jahre 1926
rreigneten sich in dem Gewerbe und der Landwirt
schaft 1,4 Millionen Arbeitsunfälle; jeder neunte
Unfall hat eine dauernde Erwerbsstörung im Ge—
solge. Am 1. Januar 1928 waren 1,9 Millionen Ar
beitsinvaliden, 400000 Witwen und 730 000 Ar—
heiterwaisen vorhanden. Für die Arbeiterschaft ist die
Arbeitslasigkeit ein unheimliches Gespenst. Jede
-cchwankung auf dem Weltmarkte zittert in der Ar
beiterwohnung nach.
Die grundsätzlichen Gegner der Sozialversicherung
derweisen die Arbeiter zum Schutz gegen diese Wech—
elfälle auf die persönliche Selbsthilfe und verlangen
insofern die Rückkeht zu den Lehren des sogenanuien
Individualismus.
Vor der Sozialversicherung waren Wirtschaft und
Gesellschaft vom Individualismus beherricht.
Dieser suchte den Fortschritt und den Aufschwung
n der Pflege des Individuums, verkündete die Frei
zeit der Wirtschaft und entfesselte damit hemmungs.
oses Streben nach Erwerb und Gewinn. Die Ge—
ellschaft löste sich in Konkurrenten auf, die einen
rbitterten Kampft uns Dasein führten. Für die