Nummece 20
Saarbrücken, den 14. Mai 1927
8. Zahrgang
kIJMiH;H— —A 9 9 9 J —3633960
Organ des Geyvoreins christl. Bergarbeiter Deutschlanoͤs für das Saargebiet
Geschaftsstelle des ¶Saot Bergknapere
St. Johanner Strahe 49. — FernsprechAnschluß: Amt
Saatbrücken, Nummer 1530. 1062, 2003, 3194.
—* jeden Samstag für die Mitglieder gralis. —
Preis für die Zahlstellenabonnenten 5, — Ft. monatl. ohne Für wirtschaftliche geistige Hebung
Botenlohn, füt die Postabonnenten 15,— Ft. vierleljähtl. des Bergarbeiterstandes
„Was haben Sie für eine Schulhildung?“
teressen wahrnehmen können. Bis zur Eignung als
Betriebsvertreter ist es dann aber nur ein Schritt.
Ein geistig beschlagener Betriebsvertreter wird sich
auch die Eignung erwerben als Berufs- und Standes—
obertreter. Er wird sich im öffentlichen Leben befähigt
erweisen, die Interessen seines Standes und der Allge—
neinheit wahrzunehmen. Alle diese Obliegenheiten
ann aber nur derjenige wirklich tatkräftig erfüllen
zer sich ernstlich geschuit hat. Ein Maulfechter und
5„cha umschläger ist immer bald erkannt und wird ent
prechend geachtet und gewertet.
Nicht minder wichtig ist die Schulung für eventuelle
Lerbesserung der Stellung. Nicht selten konmt es vor,
besonders im Bergmannsberuf, daß der Arbeiter in
einem körperlichen Kräftezustand den schweren An
orderungen, die der Beruf stellt, nicht gewachsen ist
Will er nicht frühem Siechtum verfallen, muß er sich
ine leichtere Stellung suchen. Wo er aber anklopf
ind anfrägt, wird ihm sofort die Frage gestellt: .Was
haben Sie für eine Schulbildung?“ Oftmals kann
dann noch nicht einmal das einfachste elementare
Wissen nachgewiesen werden. Was in der Volksschule
gelernt, ist ängst vergessen. Auf Fortbildung und
Selbstudium hatte man verzichtet und nun rächt sich
die leichtsinnige jugendliche Auffassung. Dann kommi
auch die volle Erkenntnis von der Notwendigkeit einer
guten Fortbildung. Da das fehlende Wissen nicht
mehr ersetzt werden kann, so zeigt sich dann auch die
Reue. Die Reue gehört aber zu denjenigen Tugenden,
die immer nach- bezw. zu spät kommen.
Darum, liebe Eltern, achtet darauf im wohlver⸗
standenen Interesse eurer Kinder, daß diese sich nach
der Schulentlassung fortbilden durch Besuch der Fort—
bildungs- und Fachschulen. Gewiß, es braucht nicht
und kann nicht jeder Professor sein, wer aber seine
Jugend ausnützte zur Erlangung geistiger Fähig—
eiten, der wird auch den Kampf mit dem Leben be—⸗
tehen. J. M.
Ernste Worte an Alt und Jung.
In den letzten Jahren wurden in Deutschland an
Ostern ungefähr 1,1 Millionen Schüler und Schüler—
innen aus der Voltsschule entlassen. Riesig groß ist bei
vielen die Entlassungsfreude. Die jungen Nenschen—
ktinder glauben, nun seien sie allen Zwanges ledig.
Die Welt und das Leben sehen sie im rosigsten Lichte.
Sie fühlen sich frei und nehmen an, der Himmel
inge für sie voller Geigen. — Diese Freude ist zu ver—
ttehen; uns ist es ehedem genau so gegangen, auch wir
erinnern uns der schönen Luftschlösser, die wir uns bei
der Schulentlassung aufbauten.
Doch wie bald schwinden die Illusionen. Gilt es
doch für die große Mehrzahl der Schulentlassenen, den
bitterernsten Kampf mit dem Leben aufzunehmen. Die
JIllusionen zerfließen in der rauhen Wirklichkeit und
nan erinnert sich wieder der — — schönen Schulzeit
Dies nur zur kurzen Einleitung. Was uns bewegt
hier zu schreiben, sind Gedanken viel ernsterer Ratur
Wir sorgen uns um den geistigen Aufstieg der Ar
heiterschaft. Deshalb unsere alte Forderung auf Schaf
iung und Ausbau der Bildungsmöglichkeiten. Des—
halb auch unsere Forderungen auf gute Fortbildungs—
und Fachschuleinrichtungen. Die Errichtung dieser
Forderung an Staat und Arbeitgeber ist aber ent—
cheidend davon abhängig, ob sie von der gesamten Ar—
oeiterschaft kräftig unterstützt werden. Leider ist dies
»ielfach nicht der Fall. Es ist vielfach zu beobachten,
daß die jungen, schulentlassenen Kinder alles andere
iieber tun, als die Fortbildungsschule besuchen. Sie
zlauben sich des Schul- und Lernzwanges enthoben
und suchen darum in fehlender Erkenntnis der Not—
wendigkeit eines ausreichenden Wissens fürs spätere
deben sich am Fortbildungsschulbesuch vorbei zudrücken
Vernünftige Eltern achten deshalb sireng darauf, daß
der Sohn oder die Tochter der Schulpflicht genügt. Sie
werden auch darauf bedacht sein, daß der Schulbesuch
positive Ergebnisse zeitigt. Leider gibt es aber auc
biele Eltern, welche unvernünftig genug sind, zu be—
haupten, der Fortbildungsschulbesuch habe für ihre
Kinder keinen Zweck und keinen Wert, zum Arbeiten
jätten sie genug aus der Volksschule mitbekommen.
Diese Auffassung möchte man beinahe als sündhaft
bezeichnen und die Kinder danken den Eltern im späte
ten Leben diese Nachsicht nicht, im Gegenteil — die
Kinder machen später den Eltern Vorwürfe, wenn sie
nangels Nachweises einer genügenden Schulbildung
nicht in diese oder jene Stellung hineinkommen kön
ien. Das Erlangen einer besseren Stellung im Leben
st aber nicht entscheidend, so angenehm es auch für den
Linzelnen sein mag. Entscheidend für alle Bildungs—
»estrebungen ist das Begehren der Arbeiterschaft näch
gesellschaftlicher Gleichberechtigung. Ohne den geisti
gen Aufstieg der Arbeiterschaft wird dies Begehren
aicht gewürdigt werden. Gesellschaftliche Gleichberech
ligung, Vitbestimmung in Staat und Wirtschäft läßt
ich durch rohe Gewalt nicht erzwingen. Da muß das
geistige Rüstzeug herhalten. Nur wer sich dies be
chafft, wird im Leben Geltung erlangen und auch
espektiert werden. Es ist schon richtig, was ein alter
Arbeiterführer sagte, daß die Klassen und Standes
interschiede viel weniger im Besitz als in der Bildung
»egründet liegen. Der gebildete ünd mit Wissen aus
gerüstete Mensch wird sich überall Geltung verschaffen
fonnen, sei er noch so arm; der ungebildete und ieil
veise noch flegelhafte Mensch wird keine Achtung er
werben, sei er auch noch so reich. Ein gutes Beispiel
hierfür sehen wir an den sogenannten „Raffkes“. Bis
jeute sind sie die Zielscheibe des Spottes aller wirklich
ßebildeten geblieben.
Wenn wir also unsern Stand insgesamt und jeden
Arbeiter einzeln gesellschaäftlich emporgehoben sehen
vollen, dann ist es auch unsere Pflicht, darauf auf—
nertsam zu machen. daß geistige Fortbildung fü—
eden Einzelnen Pflicht ist.
Wollen wir nun vom Hauptziel absehen, so finden
ich noch eine große Anzähl gewichtiger Gründe, die
ehr stark dafür sprechen, dan Fortbildung im In—
eresse jedes einzelnen jungen Menschen liegt. Zu—
ächst liegt die Wahrnehmung der eigenen Intereffsen
in Arbeitsverhältnis. Wer sich die erforderlichen
denntnisse anschafft, wird auch mit Geschick seine In—
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Wann hommen die Alt-Anfalrentrer zu ihrem Recht?
VBoann —8 * u 3 i 8
Zeit Verletzter in Deutschland. Es war zu natürlich,
daß die Alt-Unfallrentner infolge der schweren Be—
nachteiligung aufbegehrten und gleiches Recht wie
ihre Kameraden im Reiche verlangten. Zur Wahr—
iehmung ihrer Rechte bestellten sie die Bergarbeiter—
organisationen.
Die Lergarbeiterorganisationen mußten nun zu—⸗
ächst feststellen, daß
ein Staatsvertrag zwischen dem Saargebiet und
dem Deutschen Reiche betr. Uebernahme der
Rentenleistungen durch die Saar⸗Knappschafts⸗
Berufsgenossenschaft überhaupt nicht bestand,
und daß lediglich ein Privatvertrag zwischen
der Saar-Knappschafts-Berufsgenossenschaft uͤnd den
deutschen Sektionen 1 und 8 der Knappschafts-Be—
rufsgenossenschaft geschaffen war, auf Grund dessen
die Saar-Knappschafts-Berufsgenossenschaft die Ren—
tenleistungen an die Alt-Unfallrentner übernommen
hatte. Von den Vertretern der deutschen Knappschafts-
Berufsgenossenschaft mußten wir weiter erfahren, daß
dieser Privatvertrag von den zuständigen Siellen im
Saargebiet diktiert worden war und die Saar—
Knappschafts-Berufsgenossenschaft kategorisch erklärt
zatte, sie übernehme einfach ab 1. 10. 1923 die Lei—
tungen. (Daß diese Haltung von der Regierungs⸗
ommission inspiriert war, ergibt sich daraus, daß die—
elbe zu gleicher Zeit zwecks Entlastung der Saar—⸗
zruben die Kohlensteuer ermäßigt hatie.) Sowohl
onangebende Vertreter der Saarregierung als auch
»et Reichsregierung haben uns neuerdings erklärt,
aß
der angezogene Privatvertrag überhaupt keine
rechtliche Bedeutung
sabe und lediglich einen unbrauchbaren Fetzen Papier
»arstelle.
Nach diesen einwandfreien Feststellungen ließen sich
die Bergarbeiterorganisationen von einem hervor—
tagenden Juristen des Saargebietes, dem jetzigen
Landgerichtspräsidenten Herrn Dr. Schäfer, ein
Rechtsgutachten über den gesamten Fragenkomplet
ausarbeiten. Dieses Rechtsgutachten kam zu dem
berzeugenden und einwandfreien Schluß, daß
die deutsche Knappschafts⸗Berufsgenossenschaft
nach wie vor verpflichtet sei, ihre Rentenleistungs⸗
verpflichtungen selbst zu erfüllen.
Auf Grund dieses Gutachtens stellten wir als Ver—⸗
reter von zwei Alt-Unfallrentnern entsprechende An—
träge an die Sektionen 1 und 8 der Knappschafts-
Berufsgenossenschaft mit dem Begehren, denselben
vieder die Renten nach deutschem Recht zu gewäh—
ren. Diese Anträge waren am 15. August 1625 ge⸗
tellt worden. Recht eigentümlicher Weife lehnten die
jenannten Sektionen sowohl den gestellten Antrag ab
ils sie sich auch weigerten, berufungsfähige Bescheide
zu erteilen. Erst auf unsere Beschwerde an das Reichs—⸗
ersicherungsamt. welches die Sektionen zwang, be—
ufungsfähigen Bescheid zu erteilen, erhielien wir im
uni 1926 diesen Bescheid Derielhe war, wie vorous—
Die Alt-Unfallrentner des Saargebietes (das sind
olche, deren Renten bereits vor dem 10. Januar
920, dem Tage des Inkrafttretens des Vertrages
on Versailles, von einem deutschen Versicherungs
räger festgeseßzt waren), sind in den vergangenen
Jahren mit ihren Leistungsansprüchen von der Re
zierungskommission in kaum glaublicher Weise ver
iachlässigt worden. In der deutschen Unfallversiche
rung ist oberster Grundsatz, daß die Unfalltente ge
vährt werden soll als wirklicher Ersatz des Schadens
den ein Arbeiter bei der Betriebsarbeit durch plötz—
iche Gewalteinwirkung auf den Körper erleidet, sei
s durch Verletzung oder Tötung. — Von diesem
Hrundsatz ist die Regierungskommission vom Tage
hres Amtsantrittes an bewußt abgewichen. Sie hal
ogar gegen den Willen der Unfallrentner und de—
ieselben vertretenden Gewerkschaften alles darar
gzesetzt, um
die gesamte Sozialversicherung des Saargebietes
von derjenigen des Reiches loszulöosen,
um ungehindert und ungestört in der Sozialversiche
rung schalten und walten zu können. Alle Wider
tände wurden gewaltsam beseitigt. Die knappschaft
iche Unfallversicherung wurde sofort nach Ueber—
iahme der Saargruben durch den französischen Staat
von der deutschen Knappschafts-Berufsgenossenschaft
osgelöst. Die Alt-Unfallrentner aus dem Bergbau
»es Saargebietes bezogen jedoch ihre Renten weiter
jin von den Sektionen 1 und 3 der deutschen Knapp
chafts-Berufsgenossenschaft. Dies paßte der Regie
ungskommission nicht in ihren politischen Kram und
ie drängte darauf, daß auch
die Alt⸗Unfallrentner von den im Saargebiet
zgegründeten Berufsgenosseuschaften versorgt wurden,
damit nur ja jegliche Verbindung mit den deutschen
Versicherungsträgern gelöst war. Die Unfallrentnet
hätten sich schließlich mit der Tatsache abgefunden,
wenn ihren berechtigten Ansprüchen Rechnung ge—
ragen worden wäre. Dies war jedoch keineswegs der
Fall. Für die Berechnung der alten Renten setzte die
Regierungskommission unter Außerachtlassung der
estehenden Teuerungs- und Rechtsverhältnisse
iktive Jahresarbeitsverdienstsätze fest. Diese fik
iven Jahresarbeitsverdienstsätze waren so niedrig
»emessen, daß von einer eigentlichen Unfallentschä—
zigung nicht mehr gesprochen werden konnte.
Die Renten konnten kaum noch als Mindestsätze
der öffentlichen Fürsorge angesprochen werden.
Was dieser faktischen Ungerechtigkeit die Ktone auf
etzte, war die Tatsache, daß man diese fiktiven
zahresarbeitsverdienstsätze je nach dem Grade der
ẽrwerbsbeschränkung staffelte. Damit war der Ent
chädigungsgrundsatz in der Unfallversiche rung voll
tändig illusorisch gemacht worden. Wie ungerecht die
es Syostem sich bis auf den heutigen Tag auswirkt
eweist die Tatsache, daß ein Unfallverletzter de:
zaargebietes aus dem Jahre 1911, der eine zwanzig
rozentige Rente bezieht, kaum den zehnten Teil dej
»n an Rente erhält. wie ein gleichartig zur selber