Full text: Der Saarbergknappe (8 [1927])

Saarbrücken, den 24. September 1927 
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Organ des Get*yvoreins christl. Bergarbeiter Deutschlands für das Saargebiet 
Erscheint jeden Samstag für die Mitglieder aratis. 2 Ar wirts ch aftli * geisti ge Hebung Geschäftsstelle des „A7Aß— Saarbrücken x. 
die Zahl — FIr. St. Jdoh Strahe 40. — Anschluß: Amt 
Dann n dn enem ne nee des Bergarbeiterstandes e eedee en an 
Sozialrentner und Nationalsozialisten 
Arm in Arm 
Einige Bemerkungen. 
Es ist jetzt in gewissen Kreisen Mode geworden 
in allen Tonarten auf die Reichsregierung, besonders 
aber auf den Reichsarbeitsminister Dr. Braune 
zu schimpfen. Alle die Leute schimpfen, die glauben, 
das Reich sei ein unermeßlicher Heustock, und der 
Reichsarbeitsminister habe nur die eine Aufgabe zu 
erfüllen, möglichst jette Brocken an alle möglichen 
Menschen zu verteilen. In der JZeit, als unser Vater 
land sich unter der schlimmen Inflation wand, al— 
die Arbeiter und Rentenempfänger im Resche Not 
litten wie noch nie, hat sich hier niemand genaeldet 
der gesagt hätie, wir müssen auch teilnehmen an der 
Not unserer deutschen Brüder. Als die Rot aber be 
uns in größerem Ausmaße einzog, da haben sich 
deutsche Körperschaften und Kreise bereitgefunden 
hier zu helfen. Schon oft sind die Hilfsmaßnahmen 
aufgezühit worden, die auf Vorstelligwerden der Ge⸗ 
wertschaften von deutschen Körperschaften und Kreisen 
durchgeführt wurden. Die Sozialversicherung des 
Saargebietes steht vor der Sanierung mit deutjsche⸗ 
Hilse, dank des Eintretens der Gewerkschaften, — 
uind doch ein wüster Kampf gegen die Reichsregie⸗ 
rung und den Reichsarbeitsminister! Wir sind da 
verpflichtet, einen Warnungsruf zu erlassen. Wenn 
die Sozialversicherung des Saargebietes in Ordnung 
dommt, dann ist das doch hauptsaͤchlich dem Umstande 
zu danken, daßß im Reiche ein Arbeitsminister Dr. 
Sraunms, der unsere Nöte aus langer Erfahrung 
tennt, und ein Ministerialdirektor Grieser, un⸗ 
sere Anwälte sind. Wer auf sie einschlägt, wer sie 
verketzert, der schädigt nur die Sache der Arbeiter 
schaft und der Sozialrentner des Saargebietes. 
An der Spitze der Wüter gegen die Reichsregie 
rung und Arbeitsminister Dr. Brauns marschiert 
natuürlich Herr Fried mit seinem Anhang. Seine 
neueste Leistung ist in dem Organ „Wirtschaft und 
Leben“ der Nationalsozialisten zu finden 
in Gestalt eines „Offenen Briefes“ an die Reichs⸗ 
togsfraktionen. Dieser „Offene Brief“, der nur so 
von Anschuldigungen gegen den Reichsarbeits, 
minister jtrotzt, ist von einem sonderbaren Geĩvan 
unterschrieben: 
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei 
Ortsgruppe Neuntirchen. 
gez. Fritz Hauch. 
Vereinigung der Sozial-Rentenempfüänger 
des Saargebietes. 
gez Otto Fried. 
Diese beiden „Vereinigungen“, die keine altiver 
Arbeiter zählen, haben an die Parteien in den 
„Offenen Briefe“ solgende Forderung gerichtet: 
„Die Parteien des Reichsstages mögen dafün 
Sorge tragen, daß auf Grund des Artilels 34 de 
Reichsversassung ein Untersuchungsausschuß einge⸗ 
jetzt wird, der sestzustellen hat, ob und von seiten 
welcher Reichsminister schuldhafterweise die Reichs 
verfassung oder ein Reichsgesetz in Bezug auf die 
Sozialversicherung verletzt worden ist und nötigen— 
falls die Schuldigen auf Grund des Artikels 58 
vor dem Staatsgerichtshof anzuklagen.“ 
Wenn die Sache der Arbeiterschaft und der Sozial 
rentner des Saargebietes im Reiche einer schlimmen 
Lächerlichkeit preisgegeben werden soll, dann brauch 
nur geduldet und ermöglicht zu werden, daß Ver— 
einigungen, wie die beiden genannten, noch weiten 
jolchen Unfug anstellen können. 
Als das Reich ohnmächtig am Boden lag, hat da 
nicht die Regierungskommission unter Führung von 
Staatsrat Rault die Sozialversicherung des Saar 
gebietes von der des Reiches abgetrennt? Hat nich 
die Regierungskommission die französische Währung 
hier eingeführt, trotz des einmütigen Protestes der 
Bevölkerung, wodurch eine zwangsläufige Umstel— 
lung der Sozialversicherung des Saargebietes not— 
wendig wurde? Hat nicht die Regierungskommisfion 
die Gesetze allein in die Form gegossen, die den 
großßen Abstand von der Sozialversicherung des 
Neiches verischulden? Hat nicht der franzöñiche 
Staat seine Hand im Spiele gehabt bei der Schaffung 
des neuen Knappschafisgeseßes für den Saarberg⸗ 
hau? Soll das Reich nun füͤr alle die Schäden haft—⸗ 
bar gemacht werden, die Regierungskommission, 
ranzösischer Staat und französische Grubenverwal⸗— 
ung verjschuldet haben? Es ist sehr traurig, daß 
Zozialrentner einem Menschen Gelegenheit geben, 
in dieser Weise ihre Sache in Mizkredit zu bringen. 
Wenn sie bei den deutschen Volksvertretern, an die 
obige Forderung gerichtet ist, um jede Achtung 
sommen wollen, dann brauchen sie die Fried und Ge⸗ 
nossen nur so weiter fuhrwerken zu lassen. Es wird 
doch wohl kein Mensch glauben, daß ein Volksvertre⸗ 
er, der noch ernst genommen sein will, sich mit dieser 
summen Forderung befaßt. Sie wird im Papier⸗ 
'orb landen, wohin sie auch gehört. 
Es ist nun an der Zeit, daß alle unsere Mitglieder 
entschieden gegen das Treiben dieser Sorte Menschen 
Front machen. Alle die Kräfte, die sich um eine Be—⸗ 
sebung der Notlaage der Arbeiterichaft und der So⸗ 
zialrentner bemühen, werden verdächtigt und her⸗ 
intergerissen. Bezeichnenderweise findet sich in dem 
„Offenen Briefe“ kein Wort der Antlage gegen die 
KRegierungskommission oder Frankreich oder die 
Bergwerksdireltion, die für die Verhältnisse in der 
Sozialversicherung des Saargebietes verantwortlich 
ind. Nur Anklagen gegen die JInstanzen, die zu 
helfen gesonnen sind. Muß da einem nicht der Ge⸗ 
danke kommen, es ginge um eine Sabotierung der 
Sanierungsmaßnahmen? Kameraden, klärt die So⸗ 
zialrentner auf, damit sie sich von Leuten abwenden, 
bdie ihrer Sache den allerschlimmsten Dienst erweisen. 
Wir haben alle Ursache, Reichsarbeitsminister Dr. 
Brauns dankbar zu sein. Die Menschen, die ihn ver⸗ 
setzern und den Sozialrentnern des Saargebietes als 
hren Gegner und Schädiger hinstellen, handeln wider 
die Wahrheit. Diesen Menschen jede Gefolgschaft zu 
entziehen, verlangt das wohlverstandene Interesse der 
Arbeiterschaft und aller Sozialrentner des Saar⸗ 
gebietes. In diesem Sinne an die Arbeit! 
hin Rotruf der Saurbergleute an den Verwaltungsrat 
der Saargruhen 
Der Herbst hat seinen Einzug gehalten. Trübe 
Kegentäge sind sein Gefolge. Grau in grau erscheint 
die Landschaft. Sie scheint sich der Stimmung des 
arbeitenden Volkes anzupassen. Denn auch sie ist 
zrau und trübe. Not herrscht in den Familien und 
deid nagt am Gemüt. Die Herbstwitterung zerstör 
die Hofsnung auf eine ergiebige und billige Ernte 
Das verdüstert die Stimmung noch mehr. Das Ein— 
kommen reicht kaum zum Unterhalt des nackten Le 
bens. Der Herbst aber stellt seine besonderen An— 
prüche. Da soll an warme Unter⸗- und Oberkleidung 
da soll an die Einkellerung von Gemüse und Kar— 
toffeln gedacht werden. Aber — es fehlt am Geld 
Dazu noch steigende Preise. Die böse Witterung er— 
zeugt Fäulnis. Das Ernteergebnis schrumpft zusam— 
men, der Preis für Lebensnotwendiges dehnt sick 
aus. Die VBörsenberichte geben ein rapides Ansteigen 
der Preise für Rohbaumwolle bekannt. Der Keil ist 
also angesetzt, der unheilvoll weiter wirkt. Beim 
Baumwollhemd wird das Volk es merken. Und es 
oll doch notwendige Anschaffungen machen — und 
kann es nicht. Das Einkommen schrumpft durch die 
teigende Teuerung noch mehr zusammen. Technisch 
agt man, es verliert an Kaufwert. Praktisch be— 
deutet es: Vermehrung der Not und des Leides bein 
erbeitenden Volke. 
So ist gegenwärtig die Lage innerhalb der Berg 
trheiterschaft der Saargruben. 
Sechzehn Feierschichten 
rafen sie bisher in wenigen Monaten. Dazu noch 
Verminderung der Kaufkraft des geltenden Lohnes 
durch ansteigende Teuerung. An die Beschaffung des 
Motwendigen kann da nicht gedacht werden. Im 
Hegenteil, die Verminderung der Kaufkrast des 
Lohnes zwingt dazu. den Schmachtriemen noch enger 
u schnallen. 
Alles findet aber eine Grenze. Auch die lang— 
nütige Geduld der Saarbergleute. Die Bürde, die 
ie tragen, darf nicht noch mehr beschwert werden. Es 
ist die allerhöchste Zeit, daß sie eine Entlastung er 
fahren. Eine Entlastung der Bergleute ist möglich 
Der erzielte Leistungseffekt gestattet eine höhere Ent 
lohnung. Die Preissteigerung verpflichtet den Gru— 
benbesitzer zur Lohnerhöhung. Bisher entzog er sich 
dieser Pflicht. Er verschanzt sich hinter die Absatz— 
chwierigkeiten, die nicht zu bestehen brauchten. Es 
nuß also laut und eindringlich gefordert werden, daß 
xem Roramann mehr Vohn oeagehen worden muß 
müssen entlastet werden. Die Kinder schreien nach 
Schuhwerk und Kleidung. Und Kartoffeln, das 
Hauptnahrungsmittel, sollen in den Keller. Wie aber 
das bewerkstelligen, wenn der Lohn kaum zum Aller⸗ 
notwendigsten reicht und von der steigenden Teue—⸗ 
ung noch vermindert wird! 
Angesichts dieser Lage haben die Beraarbeiter⸗ 
erganisationen einen 
Notruf an den Verwaltungsrat der Saargruben 
zerichtet. Er hat seinen Sitz in Paris. Sein Vor—⸗ 
aitzender ist Arthur Fontaine, der auch Vorsitzender 
der Internationalen Arbeitsorganisation ist. Ihm 
rühmt man soziale Gesinnung nach. Im Verwal— 
tungsrat sitzen auch zwei französische Bergarbeiter. 
Gesinnungsmäßig sollen sie sozialistisch eingestellt 
sein. Ihnen ist die trostlose Lage der Saarbergleute 
bekannt gegeben. Sie sollen nun darüber entscheiden, 
ob geholfen wird oder nicht. Ist soziale Gesinnung 
wirklich vorhanden, dann muß die Entscheidung zu 
Gunsten der Saarbergleute ausfallen, dann muß die 
bescheidene Forderung erfüllt werden, die in unten 
stehendem Schreiben zum Ausdruck kommt. Ver—⸗ 
schließßzt man sich der hier herrschenden Not, weist man 
die berechtigte und leicht erfüllbare Forderung ab, 
dann wird erneut der Beweis erbracht für das, was 
die „Lothringer Volkszeitung“ anklagend hervorhob? 
Neben die Ausbeutung der Gruben ist die 
Ausbeutung der Menschen getreten. 
Möge man den Ernst der Stunde erkennen und richtig 
zu handeln verstehen. Durch Zeitungsverbote und 
Ausweisungen schafft man den Radikalismus nicht 
aus der Welt. Knurrende Magen und notbedrückte 
Haushalte zeugen den Radikalismus. Wenn man ihn 
also praktisch und mit Erfolg bekämpfen will, dann 
so viel an Lohn gegeben, daß die Not schwindet, und 
so viel an Entschädigung für die Feierschichten, daß 
die notwendigen Anschaffungen vorgenommen wer— 
den können. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. 
Und die Möglichkeit, den Weg zur Erleichterung der 
Saarbergleute zu gehen, ist gegeben. Möge man ihn 
beschreiten, damit der Beweis erbracht wird. daß man 
die Ausheutung der Monschen nicht wils 
Die Eingabe an oͤen Verwalltungsrat 
der Saargruben 
Saarbrücken. der 12. September 1927. 
Die unterzeichneten Organisationen der Beleg« 
chaften der Saargruben gestatten sich, den Verwal— 
ungsrat der Saargruben nochmals auf die wieden 
dolf aufgeitellten FTorderungen der Saarberdlente⸗ 
Aber nicht nur das: dem Saarbergmann muß auchk 
ine Entschädigung für den Lohnverlust durch Feier 
chichten werden. Diese Entschädigung kann bezahl— 
verden. Der Grubenbesitzer ift dazu imstande. Und 
die VReramannsfamilien benötigen ste dringend. Sie
	        
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