Full text: Der Saarbergknappe (8 [1927])

Nummer 35 
Saarhrücken, den 20. Auaust 1927 
8. Jahrgang 
*5 J 94 ——4 
Organ des Gewerkvereins christl. Vergarbeiter Deutschlands für das Saargebiet 
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es Bergarbeiterstandes Shibiuden Nunmer 1530 1002 2003 3104 
reitsein werden, sich zwischen die Kom— 
Den Vogen nicht überspunnen! e, und andere zu schieben, mag 
mansichernsthaft überlegen. Darum war— 
nen wir vor einer Ueberspannung des Bogens. Es 
ist an der Zeit, daß man durch die Tat zeigt, daß man 
willens ist, die Lage der Bergleute fühlbar zu er— 
leichtern. Nur das dient beiden Teilen. So rich 
ten wir denn an die Regierungskom⸗ 
mission und die Bergwerksdirektion 
den dringenden Appell, die Maßnah— 
men zu ergreifen und durchzuführen, 
die vonden Bergarbeiterorganisatio— 
nen vorgeschlagen sind, um die not— 
wendige Erleichterung der wirtschaft-, 
bich-Tozialen Lage der Beraleute zu 
rewährleisten 
es munß sein. Wir dürfen nicht irre an uns selbst 
und der Bewegung werden. Wir dürfen nicht denen 
folgen, die nur die Zerstörung wollen. Wir dürsen 
die Front nicht gegen die Gewerkschaften richten, weil 
es sonst mit der Vergarbeiterschaft in den Abgrund 
geht. Wenn es notwendige Kritik zu üben gibt, dann 
sie dort geübt, wo sie angebracht ist und nicht zer⸗ 
störend wirkt. Den Kopf dürfen wir auch nicht häu⸗ 
gen lassen. Es ist doch nicht der erste Schicksalsschlag, 
der uns trifft! „z'ammenhalten“, rief Andreas Hofer 
seinen Tirolern zu, als es schien, sie seien für immer 
dem Untergang geweiht. Sie hielten „Fammen“ und 
blieben oben. Auch wir müssen zusammenhalten, trotz 
Not und Druck, trotz hochgehender Wellen, trotz bös⸗ 
williger Kritik, trotz Geschrei der Kommunisten, trotz 
Druckausübung durch den Arbeitgeber. Halten 
wir zusammen, dann werden wir nicht 
Nun ein ernstes Wort an unsere Mitglieder. Wariee dann werden wir trotz 
wissen es an uns selbst, wie schwer es hält, in Zeiten alledem die Schwierigkeiten meistern. 
der Aufregung und der Leidenschaften sich den klaren Glückauf! 
Blick und ein nüchternes Urteil zu bewahren. Aber 4 
Einige Bemerkungen 
Es brodelt und gärt in unserm Arbeitervolke. Nicht 
an der Oberfläche, nur leichte Wellen schlagend, son⸗ 
dern in seinen tiefsten Tiefen. Um das sestzustellen 
bedurfte es nicht der Kundgebung der Bergleute. 
Wer unters Volk geht, seinen Pulsschlag spürt, weiß 
längit, wie es steht. Wenn die Gewerkschaften nich 
die jahrelange Erziehungsarbeit geleistet hätten 
dann wären die Wellen der Erregung schon längst 
über die Ufer geschlagen. Nur eiserne Manneszucht 
verschonte unser Gebiet vor einer Katastrophe. Das 
bewies der Kundgebungsmontag, wo trotz der Auf 
stachelung der Leidenschaften durch die kommunisti— 
schen Führer die große Passe der Gewerlkichaftler sid 
im Zaume hielt. 
Dieses im „Zaumehalten“ und „Meistern der Ge— 
fühle“ darf aber die maßgebenden Instanzen über 
den wahren Ernst der Lage nicht hinwegtäuschen 
—AI 
Bergleuten ohne Unterschied des Bekenntnisses. Wen 
iie nicht zügellos wurde, dann dank des großen Ver 
antwortungsgefühles der gewerkschaftlichen Führung 
und Gefolgschaft. Und wenn sie nicht zügel⸗— 
los werden soll, dann muß bald der 
Verbitterung und tiefgehenden Er— 
regung der Nährboden enzogen werden. Es ist leicht 
gesagt, es muß Disziplin herrschen. Wenn in der 
Familie Not herrscht, wenn die Kinder an Unter⸗ 
A 
los „gemacht“ wird, dann ist es furchtbar schwer, den 
kühlen Verstand über die aufbegehrenden Gefühle 
siegen zu lassen. Und doch meisterte bisher der Ver⸗ 
tand die Gefühle! Jahrelange gewerkschaftliche Er⸗ 
ziehung siegte. Sie trug den Sieg davon über die 
Aufstachelung der Gefühle gewidmeten Schlaaworte 
und Phrasen. 
Ist es nun richtig, in solcher Situation die Arbei⸗ 
ter, die dem Gebiete und Volke ein blutiges Trauer⸗ 
spiel ersparten, mit neuen Schlägen zu traktieren? 
Müßte nicht alles unternommen werden, um den Ar⸗ 
beitern die wirtschaftliche Not vom Halse zu schaffen? 
Sie verlangen doch nichts Unmögliches. Kein Stand 
ist in seinen Forderungen so sachlich und bescheiden 
wie der Arbeiterstand. Arbeiten und leben wollen 
die Arbeiter, mehr nicht. Warum also die Einlegung 
weiterer Feierschichte? Warum die Vorenthaltung 
einer gerechten Entschädigung für den Lohnverlust 
durch Feierschichen? Warum die rigorosen Ent—⸗ 
lasffungsmaßnahmen, die in vielen, vielen Fällen den 
Stempel des „Racheübens“ tragen? Soll der Ge— 
werkschaftler, der als aufrechter Mensch gemäß seiner 
zgesetzlichen Rechte für Arbeiterehre und Würde ein— 
tritt, vogelfrei sein? Soll er sich ständig bedroht 
fühlen durch das Damoklesschwert Entlassung? Will 
man ihn damit zwingen, sich zu beugen, zu ducken 
und Abstand zu nehmen von der Vertretung seiner 
Rechte? Will man mit diesen Maßnahmen eine iedem 
Druck agefügige Arheitermasse sich erziehen? 
9 
Appell der Saarberglente an den Völherbundzrut und 
p arberglen s 
die zustündigen Regierungen 
3 scheinlichteit, daß die Schwierigkeiten im Saarberg⸗ 
Die Kundaebung im Ludwigspark bau bewußt gewollt sind, um die Belegaschaft drang⸗ 
Die Zustände im Saarbergbau spitzen sich imme salieren zu konnen. — 
nehr zu. Der Lohnverlust durch Feier So ist es zu verstehen, daß die Entlassungs⸗ 
sch ih deen wird iminer größer, In den Familien maßnahm,en der Grubenverwaltungen die Berg⸗ 
der Bergleute herrscht eine gedrückte Stimmung. Der leute sehr erbittern. Niemand weiß, wenn er Mor—⸗ 
Lohn reicht zum Lebensunterhalt nicht mehr aüs. So hens anfährt, ob ihm beim Schichtschluß nicht der 
wächst die Verschuldung immer mehrt. Die Rückwir- Zündigungsschein in die Hand gedrückt wird. Mit 
kungen machen sich überall bemerkbar. Es ist schon Vorliebe greifen einige Grubenverwaltungen Berg⸗ 
so, daß alles in Bedrängnis gerät, wenn die Arbei- Cute heraus, die irgend einen Vertrauensposten der 
terschaft datbt Jede neue Feierschicht verschlimmer: Arbeiterschaft bekleiden. So sieht jeder aufrechte 
die Lage. Die Zusicherung, daß keine mehr eingelegt Bergmann sich ständig bedroht von der Brotlos⸗ 
werden, hat die Bergwerksdirektion bisher noch nict machung. Wer auf einer Grube des Saargebietes 
gegeben. Daß ihre Beseitigung möglich wäre, ist die entlassen wird, kann nicht auf einer Nachbargrube 
seste Ansicht aller Bergleuie. Der Kohlenpreis kann wieder um Arbeit nachsuchen, wie das beispielsweise 
ohne Kürzung des Lohnes ermäßigt werden. Eine in anderen Kohlengebieten möglich ist. Sämtliche 
Ermäßigung des Kohlenpreises hebi den Absatz. Der Bruben des Saargebietes gehören ja e in em Be— 
Reingewinn in Söhe von mehr als 112 Mil⸗ sitzer. Wer hier aus dem Arbeitsverhältnis gestoßen 
ionen Franken, den Frankreich trotz größter Ab wird, ist dem größten Elend ausgesetzt. Die übrigen 
chreibungen im Jahre 1926 aus dem Saarbergbau Industriezweige sind nicht so umfangreich und auch 
erzielte, ermöglicht eine Herabsetzung des ficht so aufnahmefähig, daß dort eine Arbeitsstelle 
Kohlenpreuses. Frankreich führt immer noch zu finden wäre. Die Gemeinden sind arm und ver— 
»eträchtliche Mengen ausländischer Kohle ein. Die ügen nicht über die nötigen Geldmittel, um durch 
hm gehörenden Saargruben, und die ihm unter- Vornahme notwendiger Wege-, Kanal- und sonstiger 
tellte Bergarbeiterschaft des Saargebietes läßt es Arbeiten Arbeitsgelegenheit schaffen zu können. So 
iber ruhig weiter in ärgster Bedrängnis. Dieses stehen die Bergleute vor einem schlimmen Geschick, die 
Verhalten ist unverständlich. Oder sollte es aus der die Entlassung trifft. Die Bergleute des Saargebiets 
Absicht erfolgen, die längst geplante Beseitigung der ind auch mehr ortsgebunden wie sonstwo. Viel— 
Bergleute duͤrchzuführen, die sich bei unteren und jach besitzen sie ein Eigenheim. Alles im Stiche zu 
»beren Organen der Grubenverwaltung unbeliebt lassen und in die Ferne zu ziehen, ist nicht so einfach. 
nachten? Wenn ein Land eine Einschränkung seiner Die deutschen Kohlengebiete liegen viele Hundert 
Belegschaft vornimmt, das seine Kohlen zum großen Kilometer entfernt. Zudem herrscht dort selbst gro— 
Teile ausführen muß, dann geschieht das unter ber Arbeiterandrang Einem verheirateten Berg—⸗ 
einem gewissen Zwange Ein Land aber, das selbst mann, der hier entlassen wird, ist es unmöglich ge— 
nicht über genügend Kohlen verfügt, kann bei gutem macht, nach Anem deutschen Kohlengebiet zu ver— 
Willen seine eigene Förderung doch ganz unterbrin- ziehen. All diese Umstände werden von der Berg— 
jen Wir haben aber die sonderbare Tatsache zu ver- werksverwaltung nicht berücksichtigt. Sie vermehrte 
zeichnen, daß die Halden der dem französischen Staat trotz der Warnungen der gewerkschaftlichen Organi— 
zehörenden Saargruben völlig zuliegen infolge Ab— sationen die Belegschaft in sprunghafter Weise. Da— 
atzmangel, während die englische Kohle in immer mit zog sie mehr Arbeitskräfte ins Gebiet als gut 
größer werdenden Mengen in Frankreich eingeführ: war. Eine Beschränkung auf den bergmännischen 
wird. Dabei ist zu beruͤcksichtigen, daß der Le'ii- Rachwuchs hätte die frühere stete Entwicklung garan— 
tungseffetft im Saarbergbau höher ist wie in liert. Wenn man von der früheren Methodé abwich, 
Innerfrankreich Nehmen wir an, es ist überall die ollte man heute auch nicht dazu übergehen, die Ar— 
gleiche Vorbelastung durch Löhne und Gehälter ge beiter nun mir nichts dir nichts zu entlassen. 
jeben, dann ist infolge des höheren Leistungseffekkes Da den dauernden Vorstellungen der Bergarbeiter⸗ 
im Saarbergbau der zuständigen Grubenverwaltung organisationen nicht das notwendige Gehör geschenkt 
eine billigere Kohlenpreisbisldung ermöglicht Ge- wurde, beschlossen die im Saarbergbau vertretenen 
währt der französische Staat die notwendige Tariforganisationen, anläßlich der Feierschicht am 
Frachterleichterung, dann muß doch die 3. August eine 
janze Förderung der Saargruben abgesetzt werden Protestkundgebung aller Bergleute 
önnen Weil das aber nicht geschieht — trotz des zu veranstalten. 
keileinfuhrverbots, das die französische Regierung Die Protestkundgebung fand am 8. August, vorm. 
rlasen bat —. gewinnt die Auffassung an Wobre1 Uhr, im Ludwigspark in Soarbrüden WMalftati 
Lasse man ab von diesem Beginnen! Die Geschichte 
lehrt, daß es sich rächt. Denn wer Wind sät,. wird 
Sturm ernten. Die Bergarbeiterorganisationen ha⸗ 
ben den Weg gezeigt, sehr oft und mit Nachdruck, der 
zur Entspannung der Lage führt. Ihre Forderungen 
zeigen, daß sie die notwendige Rüchsicht auf wirtschaft⸗ 
liche Voraussetzungen nehmen. Sie tragen den Stem⸗ 
pel der Verantwortung, der großen Verantwortung, 
die die Gewerkschaften für die ihnen anvertrauten 
Menschen, aber auch fürs ganze Volk lebendig in sich 
tragen. Glaube man ja nicht, man könnte mit Hilfe 
der Kommunisten die Gewerkschaften zerschlagen. Ar⸗ 
beiter, die zehn, zwauzig und mehr Jahre mit opfer⸗ 
voller Hingabe ihrer Gewerkschaftsbewegung dienen, 
lassen sich nicht mehr düpieren. Sie werdeublei— 
ben. was ziesfind aberobsieweitess—
	        
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