Full text: Der Saarbergknappe (8 [1927])

Nummer 32 
Saarbrücken, den 6. August 102 
8. Kahrgang 
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Organ des Gew⸗vereins christl. Bergarbeiter Deutschlanoͤs für das Saargebiet 
Adeint jeden Samstag für die — nemn gar wirischaftliche u. geistige Sebrn 
den d eenre ane 
Geschäftsstelle des Saar · Berghnoppene: Saarbrücken 2. 
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Saarbrücken. Nummer 1530. 1062, 2003, 31094. 
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Einige Bemerkungen. 
Die Bergbauländer, die auf Kohlenausfuhn 
angewiesen sind, kämpfen seit Jahren mit grohzen 
Schwierigkeiten. Nach dem Kriege veranlaßten die 
uͤberall bestehende Kohlennot, die Kürzung der Ar— 
beitszeit, die durch den Krieg und schlechte Ernäh— 
rung geschwächte Arbeitskraft und der in den Gruben 
betriebene Raubbau, zu einer starken Vermehrung 
der Belegschaft. Die Förderung reichte kaum aus 
zur Deckung des eigenen Inlandsbedarfes. Deutich 
iand litt sogar noch längere Zeit unter der Kohlen— 
not. da es an Frankreich, Beigien, Luxemburg und 
Italien erhebliche Mengen „Reparationskohlen“ lie— 
fern mußte. England benötigte ebenfalls einen pro— 
zentual größeren Anteil seiner Kohlenförderung im 
zigenen Lande als vor dem Kriege. 
Um die Schwierigkeiten zu überwinden, baute die 
Saargrubenverwaltung den Lohn ab. Wir wehrten 
uns, konnten aber den Lohnabbau nicht ganz verhin⸗ 
dern. Trotz Lohnabbau hielten die Absatzschwierig⸗ 
teiten an. Die Kohlenpreise liegen über den deutsch⸗ 
nglischen Preisen. Inwieweit die Grubenverwal⸗ 
XD— 
önnte, läßt sich schwer beurteilen, weil sie ihr Ge⸗ 
chüftsgebaren nicht aufdeckt. Wenn man aber die 
Löhne der Saarbergleute mit den Löhnen der Ruhr⸗ 
zergleute und der englischen Bergleute vergleicht, dann 
tann man bei Würdigung des Leistungseffektes zu 
der Ansicht kommen, daß der Saargrubenverwaltung 
s wohl möglich wäre, ohne Kürzung des Lohnes noch 
eine Ermäßigung des Kohlenpreises vorzunehmen. 
Sie geht aber diesen Weg nicht zur Minderung der 
Absatzschwierigkeiten. Das primitivste Mittel wen— 
det sise an: Feierschichten und Entlassjuna von Ar 
beitern. 
So wird der saarländischen Bergarbeiterschaft 
die ganze Last der Schwierigkeiten 
aufgebürdet: Lohnverlust durch Feierschichten und 
das Gespenst der Vrotlosmachung. 
Wir hatten rechtzeitig in der Zeit der Kohlen⸗ 
rot vor einer zu starken Vermehrung der Belegschaft 
gewarnt. Unsere Warnungen wurden in den Wind 
zeschlagen, weil man nur dem Augenblick lebte und 
licht auf lange Sicht disponierte. Heute wälzt man 
die daraus geborenen Schwierigkeiten einfach auf den 
Arbeiter ab. Dabei geht man ziemlich rigoros vor 
Wer das Pech hat, einige Zeit krank feiern zu müs— 
en, wird kurzerhand entlassen. Wer einen Zusam— 
mensteßß mit einem Grubenhüter hat, ebenfalls. 
Das Damoklesschwert „Entlassung“ 
ränagat übher iedem. Sao wierd im Saarberobau ra 
tionalisiert‘. Obschon eine Verminderung der Be⸗ 
legschaft, jsofern sie unabwendbar ist, auf normalen 
Wege möglich ist. Wenn die RRappschaftlichen 
Leistungen den Zeitbedürfnissen angepaßt werden, 
kann mancher Bergmann, der auf die notwendige 
Dienstzeit zurückblickt, aus der altiven Arbeit aus⸗ 
scheiden. Die unzureichenden Pensionssätze zwingen 
ihn, eben länger zur Grube zu gehen als das vor dem 
Kriege der FJall war. Wenn man auch ärzt⸗ 
iche rseits dazu übergeht, 
einem R-——mann bei seiner Pen⸗ 
jionieru Ranre aus der In—⸗ 
valider rrerbhbiebenenver⸗—⸗ 
iibeg zuzuertennen, 
wird eine fühlbare organische Minderung der Beleg⸗ 
chaft erreicht. Wer 35 und mehr Jahre bergmännische 
Arbeit verrichtet hat, sollte ohne weiteres diese Rente 
erhalten. Es ist leicht gesagt, der Mann ist noch 
mehr wie ein Drittel erwerbsfähig. Die Frage löst 
niemand, wo der Mann nach der bergmännischen Tä⸗ 
tigkeit die Verdienstmöglichteit finden soll in einem 
Gebiet mit wachsender Arbeitslosenzahl. Etwas mehr 
Weitherzigkeit auf beiden Gebieten. und es wird bei⸗ 
den Teilen geholfen. 
Hier erwächst der Regierungskommission manche 
Aufgabe. Sie muß für eine Beschleunigung der 
mappschaftlichen Rentenaufbesserung sorgen. Aber 
auch für eine Heraufsetzung der Unterstützungssütze 
für Arbeitslose und für die Schaffung neuer Arbeits⸗ 
möglichkeiten. Unser Gebiet ist so klein, daß es wirt⸗ 
chaftlich erliegen muß, wenn nicht für Beschäftigung 
rerhosalaen in dem nötigen Umfange ge⸗ 
orat wird. 
Unterdem Druckeder Kohlennot 
vermehrten die Kohleneinfuhrländer, soweit sie übe; 
eigenen Bergbau verfügten, diesen erheblich. Hol— 
land hat seinen Bergbau gegenüber dem Frieden 
mehr wie verfünffacht. Frankreich hat den Ausbau 
der nordfranzösischen und lothringischen Gruben starf 
gefördert. Um ein ganzes Drittel übersteigt seine 
Förderung heute die Friedensförderung. Während 
des Krieges baute Umerika seinen Steinkohlenberg— 
bau stark aus. Es verdrängte die englische Kohl⸗ 
fast restlos vom südamerikanischen Markte. 
Die Zeit kam heran, wo die Nachwirkungen des 
Kerieges auf Arbeitskraft und in Bezug auf Raubbau 
überwunden waren. Deutschlands Wirtschaft geriet 
auch in besondere Schwierigkeiten, wodurch der In— 
landskohlenverbrauch zurückging. Elektrizität und 
Del wurden in vermehrtem Umfange anstelle der 
Kohle als Antriebskraft benutzt. Allein die Schwei, 
bezieht infolge Dienstbarmachung der elektrischen 
heute 40 Prozent Kohlen weniger als vor den 
riege. 
Diese Umstände, die wir nur kurz andeuten köunen 
kührten zu einer 
Erschwe⸗uag der Lage in den Saupt⸗ 
tehlenländern 
und zu einer erheblichen Verschärfung der Konkur 
renz. 
Um die Konkurrenzbedingungen.zu bessern, zäumte 
man das Pferd vielfach am falschen Ende auf. Man 
schritt zur Arbeitszeitverlängerung (in England und 
Deutschland) und zur Kürzung der Löhne (in Eng— 
land. Frankreich und im Saargebiet). Daneber 
wurde scharf „rationalisiert“. Vesonders in Deutsch 
land wurden die Betriebe weitgehend technisiert 
Große Arbeiterscharen wurden entlassen. Innerhalb 
zweier Jahre im Ruhrgebiet allein 150 000 Mann 
In England sind heute an 120 000 MRann weniger be 
schäftigt. Trotz der umfangreichen Arbeiterentlassun 
gen ist die Förderung aröher als nar dem Kriege. 
Ein solgenschwerer Schachteinsturz im Ruhrgebi 
jn folgenschwerer Schachteinsturz im Ruhrgehiet 
Das Oberbergamt in Dortmund gab am Montag an einem Wochentage erfolgt, dann wären einige 
den 25. Juli, solgende Meldung: „Am Sonntag- Hundert Bergleute den Wasser- und Schlammassen 
norgen ist auf Zene Anguste Wuttorig Reckling zum Opfer gefallen. 
hausen der neu abgeteufte a J zusammenge— 
lürzt. Die daber freigewordenen Wasser- und Eine Schilderung des Serganges 
Z„chlammassen sind in die Strecken nach den folgenden brachte in eingehender Weise die „Essener Volkszei⸗ 
Anlagen II gebrochen und haben fünf Leute, die tung“. Sie ließ sich von Augenzeugen den Vorgäng 
etwa 1500 Meler von dem Schacht arbeiteten, über, schildern. Unsere Mitglieder duͤrfte es sicher inter⸗ 
tascht. Es besteht wenig Hoffnung, daß die Leute essieren, auch Näheres zu erfahren, zumal es sich um 
im Leben geblieben sind. Die Rettuünasgrheiten sind zinen Vorgang händelt, der ziemlich vereinzelt in der 
m Gange.“ BGeschichte des Bergbaues dasiehen dürfte. 
Eine kurze, trockene Meldung, hinter der sich aber „Die Ursache des Unglücks ist wahrscheinlich auf 
hiel Tragik verbirgt. Was ist am fraglichen Sonn- einen Bruch der Tübbingssäule zurückzuführen, die in 
tag geschehen? Ein fast fertiger Schacht, dessen Teufe einer Länge von 200 Meter durch die obere Sand⸗ 
auf beinahe 800 Meter hinabreichte, ist völlig in sich schicht hindurch in das feste Gebirge führt. Die Säule 
zusammengestürzt und hat die aufstehenden Abteu- bestand aus schweren gußeisernen Ringen von 66 
ungsvorrichtungen, das Maschinenhaus nebst Ma- Meter Durchmesser. Der Grund zu dem Bruch wird 
schinen gänzlich verschlungen. An der Stelle, wo die kaum jemals mit Gewißheit festzustellen sein; wahr⸗ 
genannien Tagesanlagen standen, bildete sich in kur- cheinlich ist er aber auf eine Bewegung des Gebirges 
jer Zeit ein aroker Troter der 100 Meter Durch, selbst zurückzuführen. Bei Beginn der Katastrophe, 
messer hat. in der Frühe des Sonntagmorgen gegen 7 Uhr, be— 
RHdan kann das fast kaum fassen. Und doch ist es fanden sich noch ein Steiger und ein Mann im 
Wirklichkeit. Sogenannte schwimmende Schichten zer- Schacht. Der Steiger schildert uns („Essener Volks— 
törten die Schachtwandung und drangen in den, zeitung“) den Heraang does Schee ——— 
Schacht und in die Querschläge und Strecken ein, die lwie foigt: 
nit ihm in Verbindung standen. Das über den „Ich befand mich mit einem Mann als Unter⸗ 
schwimmenden Schichten lagernde Gebirge brach bis tützung in etwa 100 Meter Tiefe im Schacht, um das 
an Tag nach, wodurch alles in die Tiefe gerissen Lot für die Spurlatten, zwischen denen der Förder⸗ 
wurde, was in einem gewissen Umkreise um das korb laufen sollte, einzuhängen. Plötzlich bemerkte 
Schachtmundloch stand. Der Schachteinsturz erfolgte ich, und gleichzeitig auch mein Begleiter, daß die 
X 
Leute sowie die Arbeiter über Tage nur mit knapper päter hörten wir Hunderte von Metern unter uns ein 
Not ihr Leben retten konnten. In den Strecken, die Brechen und Krachen und unmittelbar darauf das 
mit dem neuen Schachte in Verbindung standen, ar- Finströmen riesiger Wassermengen. Sofort wurde 
beiteten fünf Leute; außer ihnen befand sich noch ein uns die entsetzliche Gefahr klat, in der wir schwebten. 
Pferdewärter im Gefahrenbereich. Sie wurden sämt- Die unteren 100 Meter der Tübbingssäule hatten 
lichst von den mit großen Gewalt hereinbrechenden dem Drucke der Erdmassen und des Wassers nachge⸗ 
Wasser- und Schlammassen überrascht. Obschon die Jjeben und ein Wassereinbruch von unübersehbaren 
Rettungsmannschaften gleich nach dem Zusammen- Folgen war eingetreten. Wir verlebten angsterfüllt 
turz einfuhren und unter Einsetzung ihres Lebens »inige schreckliche Minuten und riefen andauernd um 
zu ihren abgeschnittenen Kameraden vorzudringen Hilse. Schließlich wurden unsere Rufe gehört und 
uchten, blieb dieses edle Bemühen erfolglos, weil die wir hochgezogen; doch es war auch höchste Zeit, da 
Wasser- und Schlammassen nicht mehr zu durch oben schon wenige Minuten später die Bühne zu ver— 
dringen waren. So hat die Katastrophe sechs Berg- inken begann. Um 7.30 Uhr sank der ganze Bohr— 
euten das Leben agekostet. Märe der Zugemmenstur urm in sich zusammen und eine halbe Stunde später 
usßSunzazausaz 21C 
treffen die Kohlengebiete des europüäischen Festlan 
des, die eine weniger günstige geographische Lage, 
schlechtere Gebirgsverhältnisse, minderergiebigere 
Flöze und ungünstigere Transportverhältnisse haben. 
Soweit in einem gewissen Radius um ein solches 
Kohlengebiet die Förderung von der eigenen Wirt— 
schaft aufgezehrt werden kann, sind die Schwierig-— 
leiten eher zu meistern. Sobald aber ein Gebiet mit 
den geschilderten ungünstigeren Verhältnissen auf die 
Ausfuhr angewiesen ist, stöht es auf die beĩisere Kon⸗ 
lurttenz der voritehend aetennzeichneten Kohlengus 
Anudere 
Die Sorrgruben 
können ihre ganze Förderung im eigenen Wirtjschafts 
gebiet nicht unterbringen. Sie sind in starlem Maß 
auf die Ausfuhr angewiesen. Wie durch eine falsche 
Ausfuhrpolititk die Schwierigkeiten unnötigerweise 
verschürft wurden, haben wir schon oft dargelegt 
Damit kamen wir aber aus den Schwieriagkeiten nich 
heraus. Wir itecken mitten drin
	        
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