Nummer 0
Saarbrücken, den 27. Februar 1926
7. Zahrgang
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Organ des Gewerkvereins christl. Bergarbeiter Deutschlands für das Saargebiet
Etscheint zeden Samstas für die Mitslieder aratis. —
Preis füt Sabistellenabonnenten 83.— Srs. monatlich obn
Votenlobn. für Kctahonnnenten .— Frs. viettelsähbrlich
Einst und Jetzt
Unter diesem Titel hat der Gesamtverband der
hristlichen Gewertschaften ein Schriftchen aus, der
Feder des Kollegen Kreil herausgegeben, das jeder
christliche Gewerkschaftler sich unbedingt zubegen
müßte. Wie der Titel erkennen läßt, sucht der Ver—
fasser durch Gegenüberstellung der früheren Lage der
Arbeiterschaft und der heutigen Verhälmmisse das
Wirken der gewerkschaftlichen Solidarkraft recht an⸗
chaulich zu machen. Es ist ja schon so, daß wir Men⸗
chenkinder sehr vergeßlich sind. Die früheren drücken—
den Zustände sind dem Gedächtnis entschwunden, der
Blick haftet nur mehr auf den Mängeln, die wir in
der Gegenwart noch empfinden, wodurch dann auch
das rechte Verständnis für das bisherige Wirken der
Gewerkschaftsbewegung verloden geht. Gewöhnlich
wird auch noch vergessen, daß nach einem verlorenen
Kriege — rein materiell gesehen — gegenüber früher
nicht die rosigsten Zustände herrschen können und die
materielle Lage der Arbeitnehmer bei weitem schlech
ter wäre als sie ist, wenn nicht die Gewerkschafts—
bewegung für die Arbeiterschaft auf dem Plane
stände. Daos Ziel der Schrift ist, den gewerkschaft—
lichen Pessimismus, der sich in weiten Kreisen
der Arbeiterschaft zeigt, überwinden zu helfen. Die
zu erfüllenden Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben
erfordern gesunden gewerkschaftlichen Optimis;,
mus, der vorhanden ist, wenn wir daran ghau
den, daß die Gewerkschaftsbewegung der Arbeiter—
schaft wirklich voran geholfen hat und weiter voran
ien wird. Diesen Glauben wecken und he en
helfen, ist das Hauptziel der Schrift. Sie will
Arbeiterschaft dienen. Und in den Dienst für die
Arbetterschaft müssen wir Arbeiter uns selb
tollen
Kreil geht davon aus, daß vor mehr als drei Jahr
zehnten tatkräftige und opferfreudige christliche Ar—
beiter sich zusammenfanden, um im solidarischen Wir—
ten ihre Standesinteressen zu wahren. Diese Pioniere
seien sich bewußt gewesen, daß es einen Berg von
Schwierigkeiten zu überwinden gälte. Die Zahl derer,
die den Gewerkschaftsgedanken sofort erfaßt und
opferbereit sich in seinen Dienst gestellt hätten, se:
dWrge klein gewesen. Sollten aber Erfolge blühen
durften die wirtschaftlichen Organisationen der Ar—
beiter nicht das Werk weniger bleiben, sondern muß
sen getragen werden von den Viassen der Arbeiter,
die, geschult und diszipliniert ihren Weg gingen. Der
Hewerkschaftsgedanke habe auch in den Vrassen ge—
zündet, infolge der schlimmen Zustände, unter denen
die Arbeiter leben mußten. Niillionen seien im
aufe der Zeit in den Gewerkschaften zusammenge—
trömt, ein Zeichen, daß der Gewerkschaftsgedanke
berechtigt und die Zeit reif für seine Ausführung
ewesen sei. „Eine schlechte Idee hätte unmöglidk
jese agitatoriichen Eriolge buchen fönnone Grr
ihrt dann fort
„Der Verwirklichung der Ziele der Gewerkschafts
ewegung stand aber nicht nur der Umstand entgegen
»aß es zunächst der Sammlung der Arbeiterschaft
bedurfte. Größer waren die zu uͤberwindenden Wi—
berstände im Arbeitgeberlager, sowie bei den Stän
den außerhalb der Arbeiterichaft. heim Staof un
»inen Regierunger
die Arbeitgeberschaft habe in der Gewerk
haftsbewegung eine Auflehnung gegen ihre Allein—
gerrschaft gesehen. Um diese zu sichern, habe fie
netsucht, die dufstrebende Arbeiterschaft niederzu
halten, indem sie der Arbeiterorganisjation Herr zu
twerden versuchte. Und zwar mit den allerschofelsten
und perwerflichsten Mitteln, durch Brotlosmachung
ausender Gewerkschaftler. Die ü brrigenStanude
ahen in den Gewerkschaften unbefugte Eindringlinge
in ibre Gerechtsame. Sle hatten ganz der Zeiten
vergessen, wo auch sie gegen Feudalismus und Abso
utismus viele Jabre hindurch ankämpfen mußten
mn Genusse der Selbständigkeit und Freiheit woltten
dem jüngeren Bruder den zustehenden Platz im
olts⸗- und Wirtschaftsleben wehren. Also Kampf
regen die Gewerkichaften. „Die Re gierungen
ner Vorkriedszeit fühlten sih mit der Arbeitacber
Geschäftsstelle des — Saarbrückten 2
Jur wert chattuche n gostie vde bung St. Jobannetstraße 49. — Fernsotech⸗Anschluß: Amf
8 8 Saarbtucden. Nummet 1630. 1002 2000. 3104.
schaft jolida risch. Für sie war die Gewerkschaftsbewe
gung eitne Gefahr, die im Staatsinteresse gebannt
werden mußte. Die zu überwindenden Widerstände
XXä nicht gering. Die soziale Lage der Ar—
beiterschaft sprach aber eine zu deutliche Sproche, um
dieser nicht die Uugen zu öffnen. Eine Bekämpfung
konnte somit die Gewerkschaften wohl zeitweise hem—
men, ihnen den Aufstieg erschweren, aber es gelamp
nicht, sie dauernd niederzuhalten oder sie gar zu be—
eitigen. Die soziale Lage der werktätigen Volks—
chichten forderte gebieterisch eine Besserung, und da
die herrschenden Kreise nicht gewillt waren, auf diesen
Boden treben, mußte die Entwicklung den geschil—
vwrften Verlauf nehmen*
Die Regierungskommission hat folgenden Erlaß im
Amtsblatt NRr. 326 veroffentlicht:
Erlaß betr. Erhöhung der
Drittelungsgrenze und der Jahres⸗
arbeitsverdienste.
Artilel J.
In den 88 563 Abs. 2, 732 Abs. 2, 939 und 1017
Ibs 2 der Reichsversicherungsordnung wird die
Zahl „dreitausendsechshundert“ ersetzt durch die
Zahl „viertausendfünfhundert“.
Artibel II.
Die durch Artikel II des Erlasses vom 24. —
1924 (Amtsblatt 1925, Seite 12) bestimmten fik⸗
tiven Jahresarbeitsverdienste werden bis auf wei—⸗
teres festgesetzt:
su die Renten, die weniger als
3394 Proz. der Voirente betragen, auf 1200.— Fr.
für die Renten von 335 Prog.
bis weniger als 6635 Proz. der
Vollrende .. . . auf 2000. - Fr.
für die Renten von 6634 Proz. der
Voll rente und mehr, und für die
Renten der Hinterbliebenen und
Waisen. auf 3300.— Fr.
Diese Festlgung findet keine Anwendung auf
die Renten der vor dem 1. Juni 1923 in land—⸗
wirtschaftlichen Betrieben verunglückten jugend—
lichen Arbeiter, die das 16. Lebensjahr noch nicht
vollendet haben. Für sie werden an Stelle der im
Abs. 1 genannten fiktiven Jahresarbeitsverdienste
woie von 1200. 1800 und 2400 Fr bis ouf Weiteres
testaeseßt
Wie die Lage des arbeitenden Volkes aussah,
childert Kreil in kurzen Strichen. Er zeigt, wie beim
Aufkommen des Industrialismus die —
itzer die Menschen Arbeiter in der schlimmsten ise
ausbeuteten und diese der rücksichtslosen Willkür der
Unternehmer vollständig schutzlos preisgegeben
warten. Nicht nur daß von erwachsenen Arbeitern
und Arbeiterinnen zwölf⸗ bis achtzehnstündige täg—
liche Arbeitsverrichtung verlangt wurde, auch Kinder
his 8 sechs und fünf Jahren herunter wurden ir
ßruben und Fabriken in ähnlich langer Arbeitszeit
ausgebeutet. Wenn auch in Deutschland, wo die rein
industrielle Entwicklung später einsetzte als in Eng
land, die geschilderren Zustände nicht gerade so ent
setz lich in die Enheimung tugten, so sah sich deg im
Jahre 1828 ein Militär, der Generalleutnant v. Horr
veranlaßt zu berichten, daß in manchen Industrie—
bezirken der Prozentsatz der Militärtauglichen starh
gesunken sei. Erst elf Jahre später wurde durch Gesetz
bestimmt, daß die industrielle Beschäfti—
dung von Kindern unter neun Jahren
verboten sei. Diese gesetzliche Bestimmung ver—⸗
rät klar, daß auch in Deutschland Kinder im frühesten
Alter vom Unternehmertum ausgebeutet wurden.
Die Eltern gaben die Kinder *5 nicht in harte
Fronarbeit, um ihrerseits ein Wohlleben führen zu
önnen. Sie wurden zu dieser Maßnahme durch die
ämmerlich niedrigen Löhne gezwungen, die das
Unternehmertum an seine Arbeiter bezahlte. Kreil
demerkt mit Recht: „Die Sklaverel war abgeschafft
aber sie lebte hier in raffinierter Form wieder auf
nur in mancher Hinsicht sich noch brutaler und rück
sichtsloser auswirkend.“ Arbeiterschutzbestimmungen,
eine Sozialversicherung, arbeitsrechtliche Bestimmun—
gen fehlten vollständig. Uebermäßig lange Arbeits—
zeit, menschenunwürdige Behandlung, äußerst unzu—
ängliche Entlohnung, das waren kurz gezeichnet d
Zustände im Wirtschaftsleben, aus denen heraus der
Schrei nach Erlösung aufstieg und zur Bildung von
Gewerkschaften führte, nachdem Staat und Gesell⸗
chaft sich als nicht gewillt zeigten, dem arbeitenden
Meonichon æ—iog sicht und Sonne 2u sichsffon
Artikel III.
Die durch Artikel II dieses Erlasses festgesetzte
Erhöhung der fiktiven Jahresarbeitsverdienste
findet keine Anwendung auf Renten, die für eine
Erwerbsverminderung von 20 Vroz. und wenider
gewährt merden.
Artikel IV.
Die vom 1. Juni 1923 ab festgesetzten und nach
dem wirklichen oder einem durchschnittlichen Jahres—⸗
arbeitsverdienst (8 936 R. V.O.) errechneten Ren—
ten sind nach den im Artikel II dieses Erlasses
festgesetzten fiktiven Jahresarbeitsverdienste zu
berechnen, wenn diese höher sind als die der Ren—
senberechnung zu Grunde liegenden Jahresarbeits—
derdienste. Dasselbe gilt für die von der Saar—
Knappschafts-Berufsgenossenschaft in der Zeit vom
1. Juli 1920 bis 30. Juni 1922 unter Anrechnung
sr Drittelunasarenze von 1800 Fr. festgesesten
enfen.
Im näöchsten Abschnitt kennzeichnet dann Kreil die
Verhältnisse in der Entstehungszeit und während der
Wirkungszeit der Gewerkschaften vor dem Kriege
Wir finden, wie dank der Wirksamkeit der Gewerk
chaften die Sozialversicherung geschaffen wurde, wie
tarifliche Vereinbarungen zustande kamen, kurz, wie
die Lage des Arbeiterstandes sich nach und nach
besserte. Die Nachkriegszeit und das, was sie der
Arbeiterschaft brachte, haben wir alle jä selbst erlebt
sodaß wir selbst imstande find, den Vergleichsmaßstab
anzulegen. Auch das wissen wir, daß das Unter
nehmertum seit längerer Zeit wieder dabei ist, die
Gewerkschaften zu schwächen, damit es wieder seine
alte Herrschaft aufrichten kann. Und da es sehr viele
Arbeiter gibt, die der Taktik des Unternehmertums
erliegen, ist es unbedingt notwendig, daß unseve Mit—
glieder sich dazu aufraffen, dem Pessimismus zu Leibe
zu rücken. Ohne starke Gewerkschaftsbewegung komm!
die Arbeiterschaft wieder in ein Hörigkeitsverhältnis.
Das darf nicht sein. Werde darum jeder ein rechter
Kämpfer! Als Kampfmaterial zur Ueberwindung
des Pessimismus ist die Schrift von Kreil unentbehr
lich. Sie ist sehr billig und kann vom Landessekre
tariat in Saarbrücken. St. Jobannerstraße 49. bo
Haen werd—der
Artikel V.
Vorstehender Erlaß tritt mit dem 1. Januar 192
in Kraft.
Saarbrücken, den 30. Januar 1926.
Der Präsident der Regierungskommission al—
Regierungskommissar für Sozialversicherung:
aez.: BW. Mault Stangterat
Dieser Erlaß ist die neueste soziale Leistung der
Regierungskommission. Durch diesen Erlaß wollte
man angeblich die Leistungen in der Unfallversiche-
rung erhöhen; in Wirklichkeit wird noch
nicht einmal die seit dem letzten dies—
bezüglichen Erlaß in AV ge⸗
tretene Entwertung des französischen
Franken ausgeglichen. Der letzte Erlaß
brachte eine Erhöhung der Drittelungsgrenze von
2400. — Fr. zuß 3600. - Fr. ab 1. September 1924
Damals stand der Franken zur Mark wie: 1 Mark
gleich 436 Fr. Bei der Niederschrift dieser Zeilen
ist das Verhältnis: 1 Mark gleich 6.56 Fr. Dadurch
wird klar bewiesen, daß die setzt getätigtke Erhöhung
der Drittelungsgrenze um 25 Prozent der Entwer—
tung unseres Zahlungsmittels nicht entspricht. Wei—
arhin ericheint es klat. daß bie Reoierunnctommicfion