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Saarbrücken, den 11. Februar 1922 Sahrgang 3.
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Organ des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter Deutschlands für das Saargebiet
Erscheint jeden Samstag, für die Mitglieder gratis. —
Preis: für Zahlstellenabonnenten 2,00 Mtk. monatlich ohne
Botenlohn, für Postabonnenten 6,00 Mt. viertetjährlich
—
Das Lieo vom Saargebiet
Ich singe euch ein neues Lied
Von meinem Hügelhang:
D, was dir Schlimmes auch geschieht,
Harr' aus, harr' aus, o Saargebiet,
In schwerer Zeiten Drang.
Arg traf's das weite Vaterland,
Prud sank die dentsche Wehr,
Da griff's nach dir mit harter Hand
Und buhlt um dich nun unverwandt
Vit steigendem Begehr.
D halte hoch den alten Mut,
Der Endsieg wird dem Recht!
Was tief in deinem Herzen ruht,
Frieise mit der Berge Gut
Sich stets als dentsch und echt.
Dein Aug', von edlem Stolz erhellt,
Blick“ heiter in den Tag!
Zum Prüsstein bist du ja gestellt,
O zeige du der ganzen Welt,
Was deutsche Art vermag. —
Ich singe euch voll Zuversicht
Prit Stolz ein neues Lied:
Ob wetternd es aus Wolken bricht,
Einst strahlt in helem Freiheitslicht
Das ganze Saargebiet. .
L. Kessing.
Der Streit um den Familien⸗
Tohn
Seit Jahren schon streitet man sich in unserem Wirt⸗
scheftslceben um die Zweckmäßigkeit bzw. Unzweckmä⸗
zigteit des Familienlohnes, auch Soziallohn genannt.
Eine einheitliche Auffassung war bisher nicht zu er⸗
zielen und wird auch kaum erreicht werden. Besonders
in der sozialdemokratischen Gewerkschafts- und Tages—
presse findet die Frage, ob die Einführung des Fa—
milienlohnes gut und nüplich ist, eine sehr verschieden—
artige Beurteilung. Festzustellen ist allerdings, daß
men sich auch dort m Prinzipnichtgegendie,
atlgemeine Einführung des Sozial⸗e
lohnessträubt, man will ihn aber scheinbar aus
agitatorischen Gründen nicht mit allem Nachdruck ver⸗
langen. Diese unsichere, schwankende Haltung glauben
die sozialdemokratischen Gewerkschaften damit begrün—
den zu können, daß sie von der Einführung des Sozial—
lohnes Unzuträglichkeiten für die verheirateten Arbei—
ter und Angestellten erwarten. Ueber diese Art der
Legründung ist man natürlich zu staunen berechtigt.
Vienn es weiter keine Widerstände gibt, dem könnte
dann leicht durch entsprechende Gesezesmaßnahmen
dorgebeugt werden.
Die christlichen Gewerkschaften sind sich!
m ihrer Stellungnahme zum Familienlohn vollkommen
lar. Sie fordern und erstreben einen Fa⸗—
nrlbienlohn. In den Grundsätzen des Essener Ge—
verkschaftslongresses heißt es u. a.:
„DaderLohnnicht nurein Teil der
Produktionskosten ist, sondern auch
das Sinkommen der Arbeiter dar—
stellt, von dem dieser mit seiner Fa-
nilie leben muß, ist die Zahlung
zines für die ganze Familie ausrei
henden, Sohnes anzustreben. Eine
Berücksichtigung des Familienstan-
des und der Zahbl der Kinder durch
ausreichende Lohnzulagen, diend—
tigenfalls aus einer Ausgleichs-
kasse zu leisten sind, ist notwendia.
Sie darfaber nicht dazu führen, daß
das Existenzminimumsals Form fürl!
die Entlohnung zugrunde geleagt,
wird. Den ,ledigen Arbeitern musß,
durch Gewährungeines ausreichen-
den Lohnes die Gründung ders
eigenen Hausstandes ermsösalicht
verden.“
Jür wirtschaftliche u. geistige Hebang
des Bergarbeiterstandes
Entsprechend diesem Grundsatze erstreben die christl.
36werkschaften den Familienlohn. Als durch die wirt—
haftlichen Verhältnisse in der Kriegszeit die Nöten in
en Familien aufs Unerträgliche stiegen, verlang⸗
en die Arbeitnehmergewerkschaften im Bergbau,
auptsächlich dr Gewerkvereinschristlicher
Bergarbeiter, die Einführung des Fa—
nilienlohnes. Ueber die Berechtigung der For⸗
erung und der Einführung braucht sicher heute nicht
nehr geschrieben zu werden. Die Verheirateten und
eionders die Familienhäupter mit großer Kinderzahl
ind der Organisation dankbar, daß sie in dieser
Veise einen sozialen Ausgleich geschaffen hat. Die
Unverheiratetez aber erkennen in ihrer übergroßen
sechrheit an, daß der Familienlohn der sozialen Lage
erechter wird, schon im Hinblick darauf, dazß sie sich
uch verehelichen wollen, und ihnen dann die Familien⸗
rgen ebenfalls erleichtert werden.
Im Saarbergbau wird augenblicklich für Frau
ind jedes nicht erwerbsfähige Kind eine Zulage ge—
‚eben von einem Frank pro Arbeitstag. Kein ver—⸗
fünftiger Mensch wird behaupten wollen, daß diese
zamilienzulage zu hoch bemessen sei.
Im Nuhrgebiet beträgt der Familienlohn 4,650
Mark je Schicht. Die Bemühungen des Gewerkver—
ins sind darauf gerichtet, hier noch Verbesserungen zu
chaffen, da diese Zulagen als völlig unzureichend
u erachten sind.
Kein Volkswirtschaftler wird nun behaupten wollen,
aß durch solche Zulogen eine direkte Schädigung der
gergwerksbesitzer eintritt. Im Gegenteil, die Arbeits-
reudigkeit wird doch entschieden dadurch gehoben, da
soch den kinderreichen Arbeiter die Sorge nicht mehr
o schwer drückt.
Die Arbeitgeber sagen aber anders. Es hat fast den
Anschein, als wenn die Arbeitgeber aus Prinzäip
jegen alies Sturm laufen, was dem Arbeiter Verbesse-
ung feiner Lage schaffen soll. So hat unser „Berg⸗
nappe“, das Hauptorgan unseres Gewerkvereins, be—⸗
eils im vergangenen Jabre auf den wirklich schmut⸗
igen Kampf hinweisen müssen, den gewisse, in Dien⸗
ten des Unternebmertums „stehende “schöne“ Seelen
Jegen den Familienlohn führen.
So lesen wir in der Nr. 142/1921 der „Deutschen
gergwerksztg.“, dem Organ der Bergwerksunterneh ·
ner folgende Auslassungen in einem Artikel über den
Familienlohn:
„In der Tat ist denn seit Einführung jener Lohn⸗
moßnahme ein Rückgang der ... Produktion zu rer⸗
jeichnen, der volllommen ohnegleichen dasteht und uns
ereits an den Rand des Verdorbens gebracht hat ...
Sie ist auch pfychologisch verständlich. wenn man be⸗
dsichtigt, datz in einer Anzahl von Fällen durchcus
ucht:ge und intelligente Arbeiter neben solchen Kol⸗
egen stehen., die nur ebensoviel oder sogar weniger
eisten und doch sich pelumär besser stehen, nur weil
ie ohne Sorgen geheiratet und ohne Skruveln Kiuder
n die Welt gesetzt haben. J
Berõlkerungspolitisch aber ist dieses Prinzip sozia er
5ẽntlohnung nichts anderes als eine Prämie auf den
rühen Ehbeschluß. eine Belobigung für besondere Lei⸗
tungen in der Erzeugung von Kindern .. Tie
Sogiallöhne vermehren nun ... das Heer der Frauen
ind Kinder ... Für diese erhalten die Familien⸗
ater einen zusätzlichen Lohn, der ihnen gezahlt wird,
Ine daß von ihnen dafür eine entsprechende Nenge
hare erzeugt wird.
So ist das Endrefultat der Sogiallöhne ein drei⸗
ich verheerendes; sie verursachen:
1. einen prwat⸗ und voltswirtschaftlich verderblichen
nũckgang der Leistungen Erzichung zur Faulheit);
2eine unbedingt arbeiterschädigende und zur Zet
uch dollavirtichaftlich sicher nicht zu erstredende. Zu⸗
ahme der Bevölkerung;
3. eine künstliche Aufblaͤhuug der Preise.. Nur
zer Leistungslohn kann uns ... zu jener restlosen
ind vollkommenen Einsetzung aller Kräftebren⸗
jzen. Allein der Leistungslohn kann uns ... zu jener
veisen Beschrãnkung in der Bevõlterungsver niehrung
—600 führen.
Geschãftsstelle des „Saar⸗Bergknappen“, Saarbruücken
St. Johannerstraße 40.
Fernsprech⸗ Anschluß: Amt Saarbrücken, Nummer 1800
— —
Hierzu schreibt unser Bergknappe' mit vol⸗
em Recht:
„Der Leser möge für den Ekel, der in seinem
dalse würgt und für die Schamröte seiner Wangen
richt uns verantwortlich machen. Wir mußten zur
dennzeichnung der Geistesverfassung des Artikel⸗
chreibers diesen selbst reden lassen. Da er selbst
Familie nicht zu ernähren hat, wollen wir ihm mil⸗
ernde Umstände zusprechen. Schaden würde es
illerdings nicht, wenn er verpflichtet werden könnte,
zie Ernährung einer Durchschnittsfamilie von fünf
döpfen zu übernehmen. Wir haben die Hoffnung
aß er dann zu einer besseren Erkenntnis sich durch⸗
ingen würde.
Die Allgemeinheit, namentlich unsere Bergarbei—
erkameraden, haben aber ein großes Interesse an
der Beobachtung dessen, was vorgeht. Der Familien⸗
ohn gibt erst dem Ernährer einer Familie die Mög
ichkeit, das heranwachsende Geschlecht ausreichend zu
·rnähren. Der Arbeitsmarkt erfordert volle Kräfte,
zesunde Arbeiter. Diese können aber nur bei Ge
vährung des Familienlohnes großgezogen werden.
veil ein Familienlohn, der das ermöglicht, für die
Bergarbeiter heute noch nicht besteht. Wir fordern
deshalb nachdrücklich den Ausbau desselben.
Aber auch die Beweisführung des Artikel-
chreibers ist fal sch. Wenn tatsächlich die Leistung
er Familienväter gegen die der Ledigen zurück⸗
teht, ist daraus zu folgern, daß erstere in der Le—
enshaltung an Zuführung von kräftigen Nährmit⸗
eln zu kurz kommen. Vater und Mutter hungern,
seben das letzte Stück Brot her, um die Kinder zu⸗
riedenzustellen. Der Ledige kennt diese Sorge fast
jarnicht. Er kann mehr für sich aufwenden und ist
janz natürlich in der Ergänzung und Restaurierung
einer Körperkräfte dem Familienernährer über⸗
egen.
Wir haben früher den Geist der Zeit hergeleitet
us der sittlichen Freiheit, wie sie im deutichen
Idealismus gewonnen war. Im Zeichen des Mam⸗
nonismus finden wir ihn begraben. Aus diesen
Uauen müssen wir ihn wieder befreien. Den An⸗
sängern der mammonistischen Wirtschaftsordnung
zilt unser Kampf. Wenn dadurch das Wirtichafts-
eben beunruhigt werden sollte, sind diejenigen da⸗
ür veranwortlich, welche durch Veröffentlichungen,
vie oben angeführt, unsere öffentliche Stellung⸗
nahme herausgefordert haben.“
Der Gedanke, Familienlöhne einzuführen, war
rut, denn die Einführung hat viel Segen gebracht, des-
halb muß daran festgehalten werden, unter allen Um—
tanden. Ein weiterer, planmäßiger Ausbau des Fa—
nilienlohnsystems muß erstreot werden.
Die Bergwerksdirektion hatte vor kurzer Zeit in
einer Besprechung darauf angeklungen, die Familien-
ulagen abzubauen. Sie machte nümlich den Vorschlag,
die Frauen- und Kinderzulagen bei den Krankfeiern-
den auf die Hälfte herabzusetzen. Begründet wurde
der Vorschlag damit, daz viele Kameraden sich nur
vcgen des gezahlten Kranklengeldsaves und der Fa⸗
iuhenzulage krank meldeten, trotzdem sie nicht ernst⸗
ich kroͤnk seien. Nicht wenige würden durch Kontrol⸗
rure erwischt, dazß sie troz Krankenschein eine Beschäf⸗
iaung ausführten. Die Organisationen mußten
elbstverständlich das Ansinnen zurückweisen, da aus
inzelfällen nicht verallgemeinert werden kann. Hof-
entlich hat die Bergverwaltung sich unseren Stand-
unkt zu eigen gemacht, sodaß darüber nicht mehr de—
nattiert zu werden braucht.
Zum Schlusse muß noch bemerkt werden, daß auch
»er Familienlohn ein Glied in der Hette der Erfolge
des Gewerkvereins ist. Der Familienlohn wird er⸗
alten bleiben solange, als die Organisation stark ist.
die Konsequenz hierauß hat jeder Kamerad selbst au
tieben.