Full text: Der Saarbergknappe (3 [1922])

Saarbrucken, den 11. November 1922 
— 8383686 3 * — — 
Organ des Gewerkv ereins christl. Bergarbeiter Deutschlanoͤs für das Saargebiet 
Sahdregang 8 
krscheint jeden Samstag, für die e e 72 Für wirtschaftliche u. geistige Sebung Geschaftantene 5 Saarbrůckea 2 
ßreis: für Zahlstellenabonnenten O.80 Ir. monatli ne B 42 
Botenlohn. für Postabonnenten 5400 M. vierteljährlich des garbeiterstandes SFernsprech⸗Anschlußz: Amt Saarbrücken. Nummer 18060 
2 ren 
Fordernungen der qristl. Arbeitnesmerhewegung des Glurgebietes 
Am W. Oktober hielt der Deutsche Gewerkschaftsbunde 
m Saargebiet eine große Heerschau ab, umn seine grund⸗ 
sũbliche Stellung belaunt zu geben und Forderungen zu 
zeitjvagen zu erheben, die dringens der Lsung bedürfen 
In überraschend großer Anzahl nahmen die Vertrauens⸗ 
eute der dem Deurschen Gewerhscheftsbunde angehören⸗ 
den Arbeiter⸗ Augestellten und Beamterwerbände an den 
Vew tnrstalrungenn teil. die in Saarbrücken, Neunkirchen 
bomburg, Fraulautern und Merzig stattfanden. Alle Ver— 
anstaliungen waren ein eingig machtvolles Belenntnis zur 
hyristlich⸗ deutschen Gewerkschaftsidee, die darin ihr Höchst⸗ 
ziet sieht, einer wahrhoftigen Vollegeneinschaft die Bahn 
frei zu machen. Ein Wille beherrschte die Vertreter der 
verschiedenen Arbeitnehanerstünde, diesom Ziele mit all 
ihren Kräften zu dienen. Diefse Feststellung war ein Licht⸗ 
blick in der heutigen Zert, wo das materialistische Gehaben 
dein Alllagsleben den Steanpel aufsdrückt. Wir Glieder 
des Gewerkvereins chrisilicher Bergarbetrer, die wir den 
tärksten Beflandteil des Deutschen Gawerkschaftsbundes 
uim Saargebiet bilden, wollen es uns zur besonderen 
Vhrenpflicht mochen. im Geiste des Deutschen Gewerk 
schaftobundes zu wirken und demselben an Ausbreitung zu 
dewinnen. Denn waren die Veranstaltungen auch eine 
sraf vere:nigung auf die Fragen und Forderungen. die 
uns zur Zeit im Saorgebiet zuneist beschäftigen. Viele 
Zehntausend Arbeitrehmer haben diese Fragen und For⸗ 
derungen zu den ibrigen genmacht, ein Umsiand, der ihnen 
grötzere Vecchtung verleihen und Erfolgsmöglichkeiten ver⸗ 
schaffen muß. Aber noch eins wurde zum Ausdruck ge—⸗ 
brocht: der Wille, die dem Deutschen Gewerkschaftsbund 
angehörend⸗zi Verbände durch eusige Werbearbeit zu stär⸗ 
ken an Mitgliedern und Finanzkraft. Die versammelten 
Vertrauensleule waren sich bewwußt, dag mier starke gewerk⸗ 
schastliche Organisarionen die Sache der Arbeitnehmer im 
Saurgebiet erfolgreich vertreten und die Wirkungen der 
heranvãlzenden reaktionären Welle verhinderu GBanen. 
Ihren Aufruf, den Teutichen Gewerlschafisbund, dem im 
Leben des Soarvolles de bedeutungsvollste Stellung zu⸗ 
fällt, nach Kräften ausaufreiten. wollen wir durch die 
Tat verpirklichen 
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Nachstehend bringen wür die Entschließungen gur Kenntnis 
die in allen Veranstaltungen einstimmig gefaßzt wurden: 
Die Vertrauensmänner der im Landescusschuß des 
Deutschen Gewerkschaftsbundes für das Saargebiet ver⸗ 
einigten Arbeiter⸗, Angestellten- und Beamtenverbände 
aehmen zur gegenwärtigen Lage folgende Stellung ein: 
1. Grundsätzliche Stellung. 
Ziel und Zwecksetzung der im Deutschen Gewerkschafts⸗ 
hund vereinigten Verbände ist die positive Mitarbeit im 
Staats⸗ und Wirtschaftsleben. Daß fie dazu bereit sind, 
haben sie in mehr als zwanzigjähriger praktischer Wirk- 
samkeit em deutschen Volks⸗ und Wirtschaftsleben be— 
wiesen. Diese grundsätzliche Einstellung gilt auch in 
dem für vorübergehende Zeit geschaffenen Saargebiet 
Allerdings hat diese unsere Mitarbeit zur Voraus 
setung, daß die Regierengskommission des Saargebiets 
dieselbe ernöoglicht, indem jie ihre Tätigkeit nur auf das 
Wohl des Volksgangen des Saargebieis einftellt Bis- 
her hat aber die Regierung des Saargebiets unsere po 
silive Nitarbeit in keiner Weise ermöglicht und gefördert 
Im Gegenteil, sie hat der berufenen Interessenvertre⸗ 
tung der Arbeitnehmerschaft keinerlei mitbestimmenden 
Ginfluß eingeräumt, trotzdem sie dazu nach dem Ver— 
sailler Frie densvertrag verpflichtet ist. Die schwierige 
wirtichaftliche Lage des Saargebietd erfordert jedoch datz 
alle positiven Seräfte qur geuteinsamen WMitarbeit zisam- 
mengeführt werden. Daß es dazu komutt, ist Pflicht 
der Regierung. Wir haben die Hoffnung, trotz aller 
bisher gemachten Srfahrungen, daß die Regierung bder⸗ 
suchen wird, die Mitarbeit der beruflichen Verbande zu 
ermoglichen. Sollte das nicht zutreffen. so ist unsere 
wertere Stellungnahme klar und trifft die Regierungs 
kommifsion allein die volle Verannwortung für die Fol⸗ 
gen einer solchen Handlungsweise. 
2. Wirtschaftspolitik. 
Die Sorge der Regierung muß in erster Linie der Er— 
haltung einer leistungsfähigen Industrie gelten. damit 
der hier auf einem kleinen Gebiet dicht zufammenge⸗ 
drängten Vevöllerung und ihrem Nachbuchs Bron und 
ẽrwerb gesichert ist. Ferner ist sie verpflichtet. für 
iene Erwerdsmöglichkeiten zur Beschäftigung aller Ar⸗ 
xitsträfte gu sorgen. Dies kann geschehen durch An— 
iedlung von volkswirtschaftlich-nützlichen Industriegwei⸗ 
Jen im Saargebiet. Sodann ist es ihre Aufgabe, um Er⸗ 
schütterungen des Wirtschaftslebens im Saargebiet zu 
ermeiden, im Verein mit der Bevöllerung des Sqarge⸗ 
ziets für Beibehaltung der offenen Zollgrenze zwischen 
dem Deutschen Reich und dem Saargebiet auch nach dem 
Jahre 1925 sich ringusetzen. 
3. Währungsfrage. 
Die heutigen schwierigen Verhältnisse sind nicht in 
setzter Linie durch die Doppelwährung verschuldet 
Alle Mißstände, die der Währungsdualismus im Ge⸗ 
folge hat, sind noch in größerem Maße und schlinemerer 
Veise eingerreten, als die Vertreler unserer Bewegung 
voraussagten. Pflicht der Regierung ist es, diese die 
WVirtschaft ruinierenden und demoralisierenden Zufstände 
ju beseitigen. Die Wege und Weittel dazu zu finden. 
muß ihre sowie der Schöpfer des Versailler Friedens⸗ 
rtrages Aufgabe sein. 
4. Steuerwesen. 
Die im D. GB. vereinigten Verbände protestierer 
gegen die ungerechte, jeden sogialen Einschlag vermis⸗ 
en dassende Lohn⸗ und Gehaltosteuer. Sie verlangen 
die soziase Ausgestaltung des Steuerwesens, wie 
Steuerfreiheit Minderbemittelter, Berücksichtigung kin⸗ 
derreicher Familien, schärfeve Herangiehung höherer Ein⸗ 
ommen, schnellere Veranlagung. Ein Entwurf, die so 
iale Ausgestaltung des S.euerwesens betreffend, isl 
em Landesrat in seiner demnächstigen ersten Sitzung 
norzulegen. 
Die Versammelten protestieren gegen die schreiendt 
Ingerechtigkeit, daß alle nicht Lohn⸗ und Gehaltssteuer⸗ 
oflichtigen durch dre Schuld der Regierungskommission 
und der ihr unterstellten Finangämter bis jetzt keinen 
Pfennig an Steuern begahlt haben. Diurch diese Halbung 
sind der Gemeinden und Kreisen Millionen verloren ge⸗ 
gangen. Weit zurückliegende Steuerbeträge dieser 
reise sind heute völlig entwertet, auch noch nicht ent⸗ 
richtet. soda die Gemeinden und Kreise infolge der 
fehlenden Einnachmen dringende Kultuvaufgaben nich! 
hurchführen konnten. Jede Steuermoral wird durd 
rolche Zustände untergraben und der Erbitterung der 
Lohn⸗ und Gehaltsempfänger Vorschub geleistet. Die 
ter Ausnahmezustand emuß aus Gründen der Gerechtig⸗ 
eit und des Ansehens der Regierungskommission un—⸗ 
berzüglich beseitigt werden. Der Landesrat ist mit dieser 
Frage iofort nach seinem Zusammentvritt zu beschäftigen 
5. Wohnungswirtschaft. 
Die Beseitigung der Wohnungsnot ist mit verstärkten 
Mitteln arzustreben. Es ist Pflicht der Gemeinden und 
Städte, geeignetes Baugelände zu billigen Preisen zur 
Verfügung zu stellen. Bei der im Frühjahr zu erwar⸗ 
tenden Bauftoffnot gebietet die besondere Lage des 
Soargebiets, schon jetzt mit einem ausführlichen Baupro— 
gramm durch den Wohnungsbauverband hervorzutreten, 
damit die Interefssenten die Materialien rechtzeitig be— 
chaffen Bnnen. Die Erzeugung von Baustoffen im 
Saargebiet ist zu verbilligen, insbesondere durch aus 
eichende Zufuhr preiswerter Kohle. 
Solange die Wohnungsnot besteht, hann von einer 
Besjeitigung einer ZBwangsbcwirrschaftung der Wohnun⸗ 
gen keine Rede sein. Würde die durch die Wohnungs 
not bedingie Zwangwirtschaft aufgeboben, dann würde 
an Stelle von dieser eine viel schlimmere treten. die 
ũr zahlreiche Mieter unertväglich wũrde. Es soll mich 
eftrilten werden, daß die Zoangswirtschaft den Haus. 
ꝛesitzern große Opfer auferlegt, die insbesondere von 
erjenigen, die nur von den Vivterträgen leben mũssen 
chwer empfunden werden. Als berechtigt wird zuge⸗ 
tandea, daß das zum Hausbau aufgewandte Kopibal sich 
verinst und die zut Inssandsetzung des Hauses autfge⸗ 
wandten Betrãge durch die WMiete gedeckt werden müssen 
Fur eine weitere Erhõharng der Miete sind wir dant 
bereit, wenn ein angemessener Betrag alas Woh⸗ 
nungsabgabe dient zur Förderung des Wohnungs 
neubaues. Sodann muß ein Ausgçleichzfonde 
geschaffen werden, in den ein Teilbetrag der Wiete fließ 
zjur Unterstützung derjenigen Personen. bdie außerstan 
ind, die erhöhten Mieipreise aus eigenem Einkommen 
aufzubrirgen. 
8. Ernaährungo⸗ und Warenverforgung. 
Die Eigenproduftion des Saargebietes reicht zur 
bersorgung der Bevölkerung bei weibem nicht aus. Hier 
aus erwächst für die Regierung die Pflicht, mit geeig 
neten Lieferstaaten Lieferungsverträge abzuschließen, die 
eine regelmäßige Versorgung des Saargebietes gewähr⸗ 
leisten. Dadurch, daß das Saargebiet die Bedarfsartelel 
aus verschiedenen Ländern zu decken gezwungen ist, find 
die Preise für die einzelnen Gegenftämde stark abwei 
chend und ist die Preisbildung der Willkür ausdgesetzt 
Die Regierung hat die Pflicht, die Preisgestaltung streng 
zu ũberwachen, damit die Bevöllerung vor Auswuche⸗ 
cung gesichert ist. Der bedürftigen Bevölterung urüssen 
mit Hilfe von Staatszuschüfsen verbilligte Lebenamitte! 
zir Verfügung gestellt werden. 
Die Konfereng erlennt dankbar an, daß das Deutsch 
Reich trotz eigener Knapypheit bisher große Lebensmit⸗ 
elmengen und auch sonstige Bedarfsgüter zu deurschen 
Preisen an das Saarvolk abgab und dadurch wesentlich 
zur Milderung der Vage im Saargebiet beitrug. Auch 
bon den landwirtichaftlichen Kreisen des Saargebietes 
wird erwartet, daß sie ihre Produkte zu erschwinglichen 
Preisen absetzen. Zur Steigerung der heimischen land⸗ 
wirtschaftlichen Erzeugung sind billige Düngemittel aus 
einheimischen Produften sicherzirstellen. Desgleichen 
Sicherstellung von bisligem Saatgut und Kraftfutber 
Für den Transport dieser Güter sind ermäßigte Fracht 
ãbe au genxchren. 
7. Sossialpolitik. 
1. Die Konferenz erwartet, daß die Regierung dazu 
beitrãgt. daß die samtlichen Zweige der Sogialveysiche— 
rung leben zfähig und für die Zukunft gesichert bleiben 
Insbesondere find alle weiteren LAatsgestaltungen der 
Reichs⸗Sozialgeseßgcbung mit sofortiger Wirksamkeit zu 
übernehmen. 
2. Es sind vbeschleunige Maßnahmen durchguführen, die 
allen Rentenbeziehercu eine ausreichende 
Teuerungsgzulage sichern. 
3. Es sind sofort ausreichende Mittel bereit zu siellen 
gzur Gewährung besonderer Unterstüt— 
zungen an alle bedürftige Versonen ohne Unlexichied 
des Standes 
4. Auf arbeitsrechtlichem Gebrtete war die Regierung 
bisher völlig unfruchtbar und hat die arbeitnehmende 
Bevölkerung enttäuscht. Das Arbeitsrecht wurde in 
keiner Werse forben wickelt. Die diesbezüglichen Forde— 
rungen der Arbeitnehmerschaft wurden nicht im gering⸗ 
sten berücksichtigt. Die Regierung hielt es noch nicht 
mal für notwendig, dieserhalb mit den Verbänden zu 
verhandeln. Die Konferenz fordert, daß die Regierung 
mit der Ein- und Weiterführung arbeitsrechtlicher Ge 
setze bald Ernijt macht und dem Landesrat diesbeaüglich⸗ 
Enwürfe vorlogt. 
8. Allgemeines. 
Die Konfereng bedauert, daß die Regierung zur Be— 
seitigung der Notlage der Alten, Bedürf— 
tigen und Rentenempfänger aller Art unzu— 
reichende Mittel verwandt hat. Sie fordert alle im 
Deulschen Gewerltschaftsbund vereinigten Arbeitnehmer 
auf, ihr Scherflein zur Milderung der 
Notlage der vegeichneten Ipen Bbei⸗ 
zutragen Zurzeit ist die Altershilfe, zu derer 
Trägern auch unsere Bewegung gehört, in der Durch- 
führung einer Sammlung begriffen. Unterstützt diest 
Sammlungen nach Kträften, damit die Rot der Alter 
ꝛine Linderung erfahren kann. 
Die im Deurschen Gewerklichaftsbund vereinighen Ar 
beitnehmer haben große Aufgaben zu erfuͤllen. Ihrt 
Durchfũhrung erfordert die Stärkung der eingelnen 
Verbã.ide in jeder Hinficht. Dazu ist die Mit. 
arbert aller Mitglieder notwendig. Di 
heute verfammelten Vertrauendleute cufen alle Mitglie 
der auf, auf der ganzen Linie mit veger Werbearbei 
einzusetzen, um weitere Stärkung des D. G. Bzu ge⸗ 
währleisten. Je stärler wir werden, desto erfolgreiche 
unser Arbeiten. Unsere Ziele sind Opfer wert. Pi 
Opfermut an die Werbearbeitl Dann gehis voran! 
Auf zur Werken vbeitl
	        
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