Aummer 33
Saarbrücken, den 19. August 1922
Saprgaug 8
— — D 2 6 —VV
JC ——⏑ ——⏑—— —
p— KI ,—
——— — ———— —
Organ des Gewerktvereins christl. Bergarbeiter Deuts chlanoͤs für das Saargebiet
—— — — ——
Erscheint jeden Samstag, für die Mitglieder gratis. — Für wirtschaftliche u. g eistige 8 ebung Geschaftotelle —— „ Saarbrũcken 5.
enabo i Joha straße 409.
— IX *. —88 des Bergarbeiterstandes Fernsprech-⸗ Anschluß: n Nummer 1600
Ias Weltwirtschastsprograwm der christlichen Gewerkschaften
Wie wir schon mitteilken, fand im Juni d. Is. in
Innsbruck der zweite Kongreß des Internationalen
Bundes der christlichen Gewerkschaften statt. Den
Piltlelpunkt dieser Tagung bildete die Schaffung
eines Weltwirtschaftsprogrammes und
die Stessungnahme zur gegenwärtigen sozialen und
ietschaftlicheen Lage der Arbeitorschaft. Die Welt soll
wifsen. was die christliche Arbeiterschaft will. Die
A Dellerschaet aller Lander sol hören, in welche Rich
rung die christlich Organisierten die gesellschaftlich⸗
Ensvicklumng lenken wollen.“ So bezeichnete der Sek
elar des Bundes. Kollege Serrarens, der das Welt
wirschaftsprogramm begründete, die hervorragende Taf
der Schaffimg eines solchen Programmes. Dieses Pro
anmn ist u a ser Programm. Es stellt Mindest
r7derungen auf, das heißt, es bleibt der Ini
iative der qchristlichen Arbeiterschaft der einzelnen
dänder überlassen, über das Programm hinaus den
ozialen Fortschritt zu fördern. Wir dürfen nicht ver
gefsen, daß Deutschland in bezug auf sozialen Fort⸗
schritt an der Spitze aller Lönder marschiert und es
och zäher und zielbewußter Arbeit der christlichen
Arbeiterichaft der übrigen Länder bedarf, die Entwick
lung in ihrem Lande soweit zu treiben. Wir hier im
Saor gebiet empfinden es ja jeden Tag, wie weit wir
m sozialer Hinsicht hinter Deutschland zurückstehen
Wir wuüͤrden es baispielsweise sehr freudig begrüßen
venn es der chriftlichen Arbeiterschaft Frankreichs in
üchster Zeit gelänge, den Abstand in sozialer Hinsich:
egeniher Deutschland einzuholen. — Der Kongref
zab sich das Gelöbnis, mit allen erlaubten Mittelr
ie Durchführung des Weltwirtschafts programmes 31
erftreben. In nachfolgender Fassung wurde das Pro
gramem vom Kongreß einstimmig angenommen.
Weltwirtschaftsprogramm
1. Grundsatze.
Der Internationale Bund der christlichen Gewerk
schafien fieht auf der Grundlage der christlichen Velt
ischarung, welche er in der sozialen und wirtschaft
ichen Ordnung zur Geltung bringen will.
Die christliche Weltanschauung verlangt, daß der
Mensch im Mittelpunkt der sozialen und wirtschaft·
lichen Ordnung steht. Er soll die Naturkräfte
beherrschen und die irdischen Güter in seinen Dienst
nehmen. Die Gesellschaft muß also derweise gestaltet
sein, daß sie jedem Menschen, die Möglichkeit, die
Frößtmögliche sittliche und soziale Wohlfahrt zu
erreichen gewährt. Voraussetzung dieser Ordnung ist
die intellektuelle oder körperliche Arbeit des einzelnen
sowie die Unterordnung der Interessen des einzelnen
And der Gruppen umter jene höheren der Gesamtheit.
Die materialistische Weltanschauumg, welche nur im
Besib und Genuß der irdischen Güter das einzige Siel
des Menschenlebens und, den Hauptzweck der Gesell
schaft erblickt, sieht im Widerspruch zu der christlichen
—XX
Die christlichen debensgrundsätze. besonders jene der
Gerechtigkeit und der Liebe, sollen alle Bezielyumgen
der Indididuen, der sozialen Gruppen und der Völlke⸗
beherrschen.
Der Internationale Bund der christlichen Gewerl
schaften verwirft den uneingeschränkten Individualis
mus der liberolen skonomischen Schule. Diese führt
hirch ihre ungebimdene Freiheitslehre die leine
Gruppe der wirtschaftlich Stärkeren zur Beherrschung
der Massen im modernen Kapitalismus.
In gleicher Weise verwirft der Internationale Bund
ker gristlichen Gewerkschaften die Verkirmmerumng der
Personlichkeit, wie sie durch den Sozialismus und
den Kommunismus bedingt ist.
Die Lehre des Klassenkampfes führt ebenso zu einer
Beherrschung der Gesellschaft durch einen Teil der⸗
jeben und steht im Widerspruch zu den Grundsaͤtzen
der Gerechtigkeit und der Liebe.
Der Internationale Bund der christlicher Gewerk
chaften will die Rechte umd die Freibeit eines jeder
Mmenuchen hbestmöalichst gewahrt wissen, jedoch unten
der Voraussetzung. daß ihre Ausühung durch das Der Ausbau dieser Arbeitsgemeinschaften soll so
ANaemeine Wohl beschränki wird uiind auf der Erfülelgefördert werden, daß sie an der allgemeinen Leitung
lung der Pflicht beruht. der Produktion mitwirken.
Der Internationale Bund der christlichen Gewerke Die Arbeitsgemeinschaften aller Produktionszweige
cheften Nnerkeum vdas individunelle Eigentumsrecht. sollen in einer nationalen Zentrala rbeits—
Ji —IT hat das Recht, Eigentum zu erwerben undsgemeinschaft vereinigt werden.
zu besiben. Dieser kommt nicht nur die Aufgabe zu, die Zusam⸗
Die dormen des Eigentuns können der Qultut meihetkung zwischen den einzelnen Arbeitsgeniein⸗
enffpredend gestoltet sein. aber der Erwerb wie die sechaften zu bewerkftelligen und etwaige Konslikte zu
verwendimg des Eigentum unterliegen moralischen heseitigen, sondern auch die Interessen der Gemein.
Verbflichtumgen, denen sich nremond entziehen kann schaft und im besonderen der Verbraucher gegenüber
Die Arbei ist keine Kausware, welche lediglich deir der imgerechtfertigten Ausnühimg zu wahren und
33 — und Nachfrage eae — ——
weiche der Besitzer der Erzengungsmittel zu seinen zus 93
n die eee Dehy seiynee Nnst dan menwirken, damit die Verteilung der Rob—
eett des Arbeiters genügend Ichütme die 7* stoffe und die Produktion so gestaltet und organisier:
Eniwigiung umd Entfalfumg einper Persönichein dird, daßz eine internalionale vlanmäßige Wirtschaft
owie die Erfüllung seiner Verpflichtungen gegenübe! v/ Ander —
Gott. Fomitie uns Gemeimwost ehnrdatiwen. der Da der Stoct nicht auf der wirthchastlicen Ghicde
Die Anwendung der christlichen Grundsätze in 5ruag des Volkes aufgebaut ist, kann er im allgenieinen
Vollkswirtschaft fordert die vonn emi basene —— Insutulion der Erzeugung und nicht Träger der
detragene Zusam menarbeit der Kräfte aller Indivi Dirtchaft sein, Die Uebernanne der Produktion durd
duren Klassen und Völker damit der Zwech der Erzen den Slogt rechtsertigt sich nur dort, wo die pripate
qung, die Beftiedigung der moateriellen Bed üt misse Wirtschaft den eiforderlichen Wirtschaftszveck nich
ne Dieht, Dd din geg sutuen Interesser Teicht oder wo allgemeine volkswirtschaftliche und
nicht geschädigt werden und einem jeden Menschen eir outite Grwungen dies ersordern
gerechter und billiger Anteil an den Reichtümern de i:
Erde —
2. Sozial⸗wirischaftliche Reformen.
A. Wirtschaftsordnung.
Der heutige Stand der sozialen und wirtschaftliche.
Entwicklung erfordert die Organisation der Produt
sjon und der Verteilung auf der Grundlage der
Zusammenwirkung der Arbeitgeber und Arbeitirelnne;
zunt Besten der Gesellschaft.
Weil das Kapital sowohl in der Geldform als auch
in der Form der Produktionsmittel mirr der passive
Jaklor in der Produktion ist und es selbst ans Natur
ind Arbeit erzeugt wird, so gibt sein Besitz ebenso—
venig als der der Naturgiiter ein Vorrcecht über der
inzigen aktiven Faktor der Produktion, die Arbeit
Vielmehr steht die Leistung des Arbeiters höher als
das bloße Verwendenlassen des Kapitals und ist in
hrer medrigsten Form eine Aeußerung des WMenschen
velche vom Geiste geleitet wird.
Die Leitung der Produktion ist im wwvesentlicher
ine iniellektuelle Arbeit so daß derselben in der Wirt
Haftsordnimg eine denentsprechende Stellung cinau
äumen ist.
Jedoch sind beute die Interessen der Leitimg so eng
mit den Interefsen des Kapitalgebers verknüpft, daß
die Leiler der Unternehmungen, wenn sie auch nicht
deren Besiber sind, im allgemeinen doch als die Ver
treter des Kapitals betrachtet werden müssen.
Die Wirtschaftzordnung ist so zu gestalten, daß
opital und Arbeit entsprechend ihrer moralischen ind
wirtschaftlichen Bedertung an der Leitimg, des Pro—
uktionsprozesses und am Ertrage der Produktion
heteiligt find imd besonders auch durch korporative
kapitalmäßige Gewinnbeteiligung und ähnliche Botei⸗
igungsformen.
Es ist zweckmäßzig, die Zusammenwirkung
der Arbeitgeber und der Arbeiterde
weise zu verwirkliche nz daß in jedem Zweige
der Produktion, in Landwirischaft, Gewerbe und
Industrie, Handel und Verkehr, die Arbeitgeberver
dände mit den Gewerkschaften der in diesem Zweige
heschäftigten Arbeiler und Angestellten paritä—
ische Arbeitsgemeinschäften bilden.
Vorerst sollen die Arbeitsgemeinschaften die Arbeits
hedingungen in den gesamten Unternehmungen regeln
Durch dFesetlichs Naßnahmen soll ihnen das Rech⸗
zueuhannt werden, für den ihnewunterstehen
den Produktionszweig allgemeinver
bindliche Berordnungen zu erlassen
die Ausfuhrung derselben und die Rechtiprechung dar⸗
iher zur Hand zu nehmen.
B. Aktiousprogramm.
Der JInternationale Bund der christlichen Gewerk⸗
choften stellt folgende Forderungen auf, welche teils
durch den Staat, teils durch die Arbeitgeber zu ver—
wirklichen sind.
ESolange die wirtschaftliche Selbstverwaltung der
Vösker nicht erreicht ist, welche eine genügende Inter⸗
essenwahrung aller Beteiligten sichert, hat die Staats⸗
gewalt, welche berufen ist, das Gemeinwohl zu fördern
ind die Schwachen zu schützen. Maßnabmen zur Fest
legimng der normalen Arbeitsbedingungen und zut
Förderung der gesunden wirtschaftlichen Entwicklung
zet ergreifen.
Die Staatsgewalt hat nicht nur die volle und freit
Ausubimg des Koalitions- und Vereinsrechts zu sichern
sondern soll auch die Berufsorganisationen der Arbeit—
Feber und Arbeitnehmer als die berufenen Vertreter
dieser Wirtschaftsaruppen anerkennen und ihrer
moralischen, sozialen und numerischen Bedeutung ent⸗
sprechend bei der Vorbercatung und Aussührung der
Geseßgebung heranziehen.
Die Staatsgewalt hat die Rechte der Minderheiten
in Tden sozialwirtschaftlichen Organisationen ange.
messen zu wahren und dem Arbeiber die freie Aus—⸗
bung seiner Rechte als Vensch und als Arbeiter a0
sichern.
Die Arbeitsdauer darf die Grenze der menschlichen
Krafte nicht überschreiten und muß den Bedürfnissen
des Arbeiters in religiöser, familiärer und politischer
Hinsicht angemessen jein.
Der Arbeitstag soll jetzt auf der Grundlage des
Achtstundentages festgestellt werden.
Für ungesunde und schwere Arbeit (GBergbau,
Hochöfen usw.) so Illeine weitere Einschrän«
kung der Arbeitszeit angestrebt werden.
Sountag- und Nachtarbeit ist auf das unbedingt
Nolwendige zu beschränken. Den Arbeitern und Auge
stellten soll möglichst der freie Sanistagnachmitta
gesichert worden.
Das Zulassungsalter der Kinder für den —V
ist auf mindestens 14 Jahre zu stellen.
Für die jugendlichen Arbeiterinnen und Arbeiter
sowie für die Lehrlinge sind besondere Schuͤtzmaßnah⸗
men zu ergreifen.
KFür Kiuder unter 18 Jahren, sowie für Frauen is
die Nachtarbeit zu verbieten.
— Die Beschäftigumg der verheirgteten Frauen (Můt.
ey) im Lohndienst ist fukzessive zu besei—
igen.
— Eine gesetzliche Regelung der Mutberschaftssorae is
borzunehmen.