Full text: Der Saarbergknappe (3 [1922])

Aummer 28 
Saarvbrücken, den 15. Zuit 1922 
Jahrgang 3 
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Organ des Gewerkvereins christl. Bergarbeiter Deutschlanoͤs für das Saargebiet 
Für wirtschaftliche u. geistige Hebung Gescaflestelle —— Saarbrucken 3 
des Bergarbeiterstandes Fernsprech⸗ Anschluh Amt —— Nummer 1580 
er die Ve zrats. — 
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Arbeits⸗ und Betriebs⸗ 
methoden im Saarbergbau 
Die Zahl der Beamkten ist jetzt um vieles höher als 
früher. Hinzu kommt ein gewaltiger Apparat von Büro— 
personal. Der zur Bequemlichkeit vorhandene Autopar! 
verschlingt gewalrige Summen. Unter dem technischen Per 
sonal befinden sich zum Teil minderwertige Kräfte. Sie 
haben nur eine kurge bergmännische Tätigkeit hinter sich 
Durch ein rigoroses Vorgehen gegen die unterstellben Be 
amten und Arbeiter sucht man die mangelhafte beruslich 
Ausbildung zu verdecken. Die große Vermehrung der Be— 
amtenzahl und deren hohe Gehälter belasten den Ebat der 
Bruben sehr ungünstig. 
Eine weitere gewaltige Belastung wird durch 
die wohnliche Unterbringung der Beamten 
erursacht. Die vorhandenen Wohnungen reichten nich 
aus. Die für das höhere technische und Verwaltungspersona— 
rrrichteben Neubauten verursachten einen riesigen Kostenauf⸗ 
vand. Eigentümlich berührt es den einheimischen Menschen, 
venn er sieht, wie um diese prunkhaften Bauten in weitem 
Bogen eine große Umfafssungsmauer gezogen wernd. Das 
hiergu aufgewandte Material würde zum 
Bau vieler kleiner Wohnungen ausreichen 
In den Gruben wirben 
die neu eingeführten Abbaumethoden 
auf die Produktion sehr ungünstig. Die Gewinnung der 
Saarkohle ist infolge der vorhandenen Gebirgsverhältnisse 
nicht leicht. Die früheren Beamten der Gruben hatten bis 
in die Kriegszeit hinein, zu ihrer beruflichen Ausb ldung, 
die Abbaus und Betriebsmethoden des ausländischen Berg 
baues studiert. Durch die jahrelange Tätigkeit und die 
wiederholten Versuche hatte sich im Vaufe der Jahrzehnte 
für jedes Flöz die beste Abbaumethode hevausgearbeitet 
Der junge Ingenieur von heute kommt nun, ohne der 
Saarbergbau genügend zu bennen, um andere Abbau— 
nethoden einzuführen. Jedes Umstellen der Arbeits⸗ und 
Bewinnungsmelhoden verursacht zunachit einmal einen 
Ausfall an Produktion. Hintzu kommi oft ein stark ver— 
größerter Materialberbrauch. Auf einigen Flözen hat mar 
setzt in wenigen Monaten schon mit der vierten Abbau⸗ 
methode begonnen. Bei einem Versuch mußte die ganze 
Sohle des Flözes mit Schwarten GGretter) belegt werden 
Sine „neue“ Art von Scheibenbau verlangt, um die Dach 
zimmerung gu halten, ein forwwährendes Auswechseln der 
Stempel. Um wirksam zu sein, müssen diese in einer Stärke 
oon bis 25 Zentimeter genommen werden. Dabei sind 
dies Methoden, die schon vor mehr als W Jahren als vo lIl⸗ 
tändig unbrauchbar aufgegeben wurden. 
Infolge des fortwährenden Drängens, eine höhere För 
derung und verbilligte Gestehungskosten zu erreichen, läß 
die Behandlung der Arbeiter 
illes zu wünschen übrig. Schon vor Beginn der eigent 
ichen Arbeitsgeit befinden sich eingelne Ingenmieure an den 
Arbeitsstätten, um die Arbeiter in „Empfang“ zu nehmen 
Zu sehr kommt bei vielen dieser technschen Leiter noch der 
Offizier und die Kriegsstinrmung zur Geltung. Das Gebie 
wird von diesen Beamten offensichtlich als Kreegsbeute an 
gesehen. Das soziale Verstaͤndnis für die Bedürfniffe und 
die Beschwerden der Arbeiter fehlt vielen Beamten vollstãn 
dig. Der geringe Einfluß, den die franzöf i sche Arbe iter 
schaft auf die Wir!schaft und die Politik ihres Landes hait 
macht sich hier sehr unangenehm bemerkbar. Ein Mitbe. 
timmungs⸗ und Beschwerderecht kennen solche Beamte iricht 
Ihre Aeußerungen vom „Herr im Hause“, von „Wir bestim— 
men“ verraten Meinungen, die man in Deutschland lãng 
stens in die Rumpelkammer geworfen hat. Ein Einspruch 
gegen zu Unrecht verhängte Strafen wird oft mit Ablegang 
echndet. Wegen angeblichen Minderleistungen werden Geld 
trafen verhangt und verfahrene Schichten gekürzt. Die 
iner geringeren Förderung zu Grunde liegenden Ursachen 
werden nicht nachgeprüft. Wird das angesezte „Soll“ nich 
erreicht, ist die Bestrafung gegeben. 
Diese Maßnahmen bringen aber nicht den gewünschte: 
Erfolg. 
Der Abbau wenig ergiebiger Flöze 
wird jetzt eingestellt, um bessere Flöge stärker zu belegen. 
Dasselbe wird mit den weniger erg' ebigen Gruben vor— 
genommen. Gewaltige Verlegungen sind daher seit einigen 
Zeit zugange. Die Entfernung der Wohnung von der Ar 
beitsstötte wirs Mburdb nie viele Abetter crößer. Viel 
müssen jetzt sstundenlange Wege und Bahnfahrlken zurück 
legen, die das vordem nicht brauchten. Für diese Arbei— 
ter entjtehen dadurch viele Schwierigkeiten und größere 
Ausgaben. Auch für die Gruben wirken diese Zustände un— 
günstig. In den weniger belegten Gruben müssen zum 
Auf vechterhalten der Querschläge, Grundstrecken u. Schächte 
eine im Verhältnis zur Gesamtbelegschaft zu große Zahl 
von Arbeitern mit unproduktiven Arbeiten beschäfbigt wer 
den. Der hierdurch verursachte Aufwand wirkt auf den 
Etat der Gruben sehr ungünstig. An der neuen Arbeitsst ätte 
muß sich der dorthin verlegte Kamerad zunächst einarbeiten 
Verringerung der Leistung und erböhte Unfallgefahren sind 
die Folgen. 
Ein weiterer Umstand, der auf die Produktion und di. 
Leistungsfähigkeit ungünstig wirkt, ist 
Tie gegenwärtigen Verhältnisse im Saarbergbau sind sei 
einiger Zeit Gegenstand lebhafter Auseinandersetzungen. 
Der Selbsterhaltungstrieb der Bergarbeiter und die Sorge 
um die Zukunft zwingt die Arbeiterschaft mit ihren Or⸗ 
ganisationen, den Vorgüngen in den Betrieben die notwen, 
dige Beachtung zu schenken. Nicht Oppositionslust oder 
dbde Kritiksucht ist die Triebfeder. Die jetzigen Betriebs 
methoden müssen zum größben Nachteil der Saargruben 
führen. Ihre Schädigung bedeutet die Vernichtung gahl- 
reicher Familienexistenzen. Das Gewissen zwingt uns, die 
Vorgänge näher gzu betrachten. 
Die Gruben gingen nach den Bestimmungen des Frie— 
nsvertrages in den Besitz des französischen Stautes. Die— 
er hoffte aus den Betrieben zunächst seinen Bedarf an 
Kohlen zu decken. Darüber hinaus sollten beträchtliche 
Gewinne gemacht werden. Mit großen Hoffnungen kamen 
die leivenden Personen aus Frankreich. In ihrer Beglei⸗ 
rung befanden sich viele Ingenieure, technisches und Ver— 
waltungspersonal. Die Betriebe sollten verbessert und die 
bisherige Produktion verdoppelt werden. Um dies zu er 
veichen, traf man umfangreiche Vorbereitungen. 
Die großze Kohlennot der letzten Jahre verschaffte der 
Kohle leichten Absatz. Jeder Preis wurde gezahlt. Trot 
der geringen Wartschaftlichkeit der Saargruben konnben er— 
hebliche Ueberschüsse erzielt werden. Die Belegschaft ver 
mehrte fich stark. Elemente, die nie einen Bergbau gesehen 
wurden angelegt. Warnungen vor dieser schnellen Ver 
mehrung der Belegschaft hatten keinen Erfolg. Niht selten 
haben fremde, durchaus nicht einwandfreie Menschen sich 
durch irgend eine Vermitrelung gut bezailte Bürojteller 
zu verschaffen gewußt. 
Schneller, als erwartet, war die Kohlennot in den west— 
lichen Ländern beseitigt. Die Konkurreng machte sick 
füblbar. 
der großze Mangel an notwendigem Material. 
Für Materialersparnis erhält der Beamte eine monatliche 
Prämie. Schon dadurch ist dieser veranlaßt, nur in drin— 
genden Fällen Material anzuweisen. Von diesen Anwei— 
fungen werden durch die Betriebsingenieure noch eine Anu— 
zahl gestrichen. Mit dem Suchen von Schienennägel waren 
nicht selten Kameraden halbe Schichten beschäftigt. Vorge⸗ 
brachte Beschwerden konnden bisher das Veriabren nich 
ändern. 
Nach den Erfahrungen der letzzen Jahre lommt man gu 
der Auffassung, daß der Arbeiter in den Betrieben nun 
nach reinen kapitalistischen Gesichtspunkten gewertet wird 
Auf die seelischen Verhältnisse der Menschen und deven so⸗ 
ziales Einpfinden wird keine Rücksicht genommen. Es ist 
dem höheren Beamten gleichgültig, was aus dem Arbeiter 
und feiner Familie nach erfolgter Entlassung wird. Das 
Auftreten des eingewanderten Grubenpersonals im hie— 
sigen Gebiet zeigt uns die trübe Lage, in der sich die frangö— 
siche Arbeiterschaft befinden muß. So wirken die geschaffe 
nen Verhältnisse äußerst ungünstig auf die wirtschaftliche 
Entwickelung der Saargruben. Gleichen sich in den kom— 
menden Monagten die Poœisverhältnisse der Kohle auf dem 
Weltmarkt aus, wird der Absatz der Saarkohle weiterhin 
auf viele Schwierigkeiden stohen. Man wird aber einsehen 
müssen, daß man eine Verbillgung der Kohle nicht mehi 
durch Kürzung der Löhne erhalten kann. Bis erträglicht 
Zustände für die Gruben und für die Belegschaft geschaffen 
find, werden die Beamten der Bergwerksverwaltung draußen 
auf den Gruben der politischen Abteilung noch viel— 
unangenehme Streiche spielen. Den Saarbergleuten muß 
ihre derzeitige Lage ein Ansporn sein, unentwegt am Aus— 
bau und der finangziellen Stärkung ihrer Organisation zu 
arbeiden, damit zielsicher auf eine Besserung der Verhält— 
nisse hingewirkt werden kann. 
Der Absatz von Saarkohlen 
geriet in Schwierigkeiten. Das in England und Amerikoa 
in den Betrieben eingeführte ötonomische Pringip der Wirt⸗ 
schaftlichkeit verschaffte der Kohle dieser Länder Absatz. Um 
dieser veränderten Lage gerecht zu werden, schritt man an 
der Saar zu erheblichen Lohnredusgierungen 
Trotzdem mußten eine Menge Feierschichten ein— 
gelegt werden. 
Die immer stärker werdende Konkurrenz wird die Saar—⸗ 
gruben zwingen, zur wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit zurück 
zukehven. Durch eine nie gekannte Ausnützung der 
Arbeitskräfte versucht man zur Zeit eine Verbilli— 
gung der Gestehungskosten der Kohle zu erreichen. Die 
Arbeiterschaft wird durch dieses System zur Verzweiflung 
getrieben. Die hange Frage taucht auf: „Was soll werden?“ 
Die Klagen der Saarberg 
leute 
Wie liegen die Verhältnisse? 
Die Gruben des Saargebietes hatten schon im letzter 
Jahrzehnt vor dem Kriege nicht mehr die Gewinne abge 
worfen, die von der preußischen Staatsregierung und dem 
preußiischen Landtag gefordert wurden. Von den pfäl— 
zischen Gruben haben nur St. Ingbert und Frankenhole 
bden Verhälinissen entsprechend gute Erträgnisse abgeworfen 
Die Grube Bexbach hatte stets mit Schwierigleiten gr 
kämpfen. Mit zunehmender Tiefe vermehrten sich die 
Abbauschiierigke iten. Unregelmäßigkeiten und Verlauf der 
Flöze, Sprunggebirge, erhöhte Schlagwettergefahr, schlechte 
Kohle und erheblicher Materialverbrauch beeinträchtigten 
die Gestehungskosten ungünstig. Kommissionen wurden 
eingesetzt, die sich mit einer besseren Rentabslität der Gru— 
ben beschäftigen sollien. Der gewünschte Erfolg blieb aus 
In den Betrieben arbeitet aber eine zähe und äußers 
fleißz ge und bodenständige Arbesterschaft. Gange Genera⸗ 
tionen arbeideten im Bergbau. Sie waren mit den beson⸗ 
deren Eigentuntlichkeisen der Grube und den Flözen ver— 
tvaut. Die Betriebe selbst wirtschafteten verhältnismäßig 
sparsem. Die Belegschaften machten nicht selten selost 
Vorschläge zu einer größeren Sparsamkeit. Nach ihrer be— 
gründeten Meinung konnte schon früher von den nach der 
heutigen Lerhältnissen gewiß nicht übermäßigen Zahi vor 
Beourten ein erbeblicher Teu ge vart werden 
Von jeher sind Belegschaftsversammlungen der best 
Gradmesser für die unter der Bergarbeiterschaft herr 
chende jeweilige Stimmung. Ist die Entlohnung und 
Behandlung der Bergleute eine gerechte und der Men; 
chenwůrde entsprechende, dann fühlen sie kein Bedürf 
nis nach Belegschafisversammlungen oder kommen zu 
solchen nur dann zusammen, wenn andere wichtige 
Anlässe, wie Berichterstattung des Grubenausschusses 
ufw. dazu bestimmen. Diesmal aber wachsen die Be 
legschaflsversammlungen nur so aus dem Boden her 
aus, weil die Bergleute von Unmut und bitterem Groll 
dasu getrieben, die schreienden Mißstände auf den 
Sdargruben in aller Oeffentlichkeit kennzeichnen wol⸗ 
sen Wenn die Berglente das jetzt, wo die Faust des 
Zrubenbesitzers so schwer auf dem Saarbergmann 
lastet und der Einzelne, der den Mund auftut, schwerste 
Nachteile zu befürchten hat, so unumwunden tun 
dann ist das ein Zeichen, daß die Mißstände auf den 
Saargruben derart sind, daß der Kessel zum Zersprin⸗ 
gen gespannt ist. Ueber alle Belegschaftswersammlun⸗ 
gen können wir an dieser Stelle nicht berichten. Das is 
auch nicht notwendig, weil die großzen Wißstände, die 
gekennzeichnet wenden und dle nach baldigster Besei— 
tigung schreien. überall dieselben sind. Wos in n
	        
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