Die deutsche Schutzzollzeit
bis zur Anwendung des Thomasverfahrens auf der Burbacherhütte,
1879—1891.
le
Trotz der verherenden Wirkungen, welche die Einführung des Freihandels in der deutschen
Eisenindustrie angerichtet hatte, vermochten die leitenden Männer an der Spitze des Deutschen
Zeiches‘ lange nicht zu der Erkenntnis vorzudringen, dass die bedingungslose Oeffnung der Grenzen
jer Hauptgrund für die schlechte Lage der deutschen Eisenindustrie war. Nur Kaiser Wilhelm 1.
zab sich nicht mit den Ausflüchten über die segensreichen Wirkungen des Freihandels an sich
zufrieden, welche ihm insbesondere die beiden Minister Delbrück und Camphausen immer wieder
‚ortrugen. Fürst Bismarck war durch andere Aufgaben derart in Anspruch genommen, dass er
sich mit der brennendsten Wirtschaftsfrage des jungen Reiches lange nicht beschäftigen konnte.
Aber Kaiser Wilhelm verfolgte die Sache in seinen Gedanken seit 1875 Tag und Nacht. Im Juli
1876 reiste er nach Gastein und machte kurze Rast in Würzburg. Dorthin kam Fürst Bismarck.
Der Kaiser hatte die feste Absicht gehabt, die grosse innere Wirtschaftsfrage dort mit ihm zu er-
Srtern, aber die Zeit war zu kurz, und der Geschäfte waren zu viele. Bismarck reiste wieder ab,
aber dem greisen Kaiser liess die Sache keine Ruhe. Am 9292, Juli schrieb er von Gastein an den
Kanzler *
„Bei der Kürze der Zeit in Würzburg konnte ich einen Gegenstand unserer inneren Ver-
jältnisse nicht nochmals zur Sprache bringen, der mich trotz der Vorträge von Delbrück und
Camphausen, noch ehe Sie im Herbste nach Berlin kamen, fortwährend beschäftigt und namentlich
ach neueren Mitteilungen während meiner Anwesenheit am Rhein. Es ist dies das Darniederliegen
anserer Eisenindustrie. In jenen Vorträgen wurde mir nachgewiesen, dass unser Eisenexport noch
'mmer den Import übersteigt. Ich erwidere, woher es denn aber komme, dass ein Eisenfabrikations-
anternehmen nach dem andern seine Oefen ausblase, seine Arbeiter entlasse, die herumlungerten,
und dass diejenigen, welche noch fortarbeiteten, dies nur mit Schaden täten, also nichts verdienten,
»is auch sie die Arbeit würden einstellen müssen. Geantwortet wurde mir: ja, das sel begründet,
'ndessen bei solchen allgemeinen Kalamitäten müssten einzelne zugrunde gehen; das sei nicht
zu ändern, und wir ständen darin immer noch besser als andere Länder (Belgien). Ist das eine
staatsweise Auffassung ? So steht leider diese Angelegenheit schon seit den letzten Jahren. Nun
soll aber vom 1. Januar 1877 an der Eisenimport nach Deutschland ganz zollfrei stattfinden, während
Frankreich eine Prämie auf seine Eisenausfuhr nach Deutschland einführt! Das sind doch so
schlagende Sätze, die nur die Folge haben können, dass unsere Eisenindustrie auch in ihren letzten
Resten ruiniert werden muss! Ich verlange keineswegs ein Aufgeben des gepriesenen Freihandels-
systemes, aber vor Zusammentritt des Reichstages muss ich verlangen, die Frage nochmals zu
ventilieren, „ob das Gesetz wegen der zollfreien Einfuhr des Eisens vom Auslande nach Deutschland
nicht vorläufig auf ein Jahr verschoben werden muss?“ Wenn Sie mit mir übereinstimmen, sehe
ich ihrem Bericht entgegen, was Sie anordnen werden.‘
Fürst Bismarck nahm auf diesen Brief hin die Frage auf, Aber er war selbst zu tief in frei-
‘4ändlerische Ueberzeugungen hineingeraten und zu sehr praktischer Politiker. um ohne zwingenden