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Außer den Mitgliedern einer Gewerkschaft gibt es noch andere
Leute, die auch Interesse an einer Streikbewegung haben, die allen Be—
rufsständen Unheil bringen kann. Sollen diese alle zum Schweigen
derurteilt sein? Wer gibt hierzu den Gewerkschaftsführern die Gewalt?
Deshalb haben Presse und Abgeordnete, der Bischof
und auch die Geistlichen das unbestrittene Recht, vor bedenk—
lichen und unüberlegten Schritten in einer Streikbewegung zu warnen;
der Klerus kann hie und da sogar die Pflicht haben, davon abzumahnen,
weil solche Schritte stets mit ernsten Gewissensfragen verbunden sind.
Der Reichstagsabgeordnete Koßmann hat sich ohne Zweifel durch seine
Bemühungen um Verhütung des Streiks den Dank nicht bloß der
Arbeiter, sondern auch der übrigen Berufsstände verdient.
der Vrief des Vischofs I. M. Felir Korum von Trier.
Die Präsides der Arbeitervereine der katholischen Organisation (Sitz
Berlin) und auch andere Geistliche des Saarreviers konnten nach den
vorhergehenden Darlegungen ihren Verbandsmitgliedern und den Berg—
arbeitern überhaupt keinen besseren Rat geben, als sich auf einen
Streik, der auch fast allgemein in unserer Gegend als aussichtslos an—
gesehen wurde, nicht einzulassen. In diesem Bestreben wurden sie
bestärkt durch ihren Hochwürdigsten Herrn Bischof, der
am 28. Dezember an die Dechanten der Dekanate Lebach, Saarbrücken,
Ottweiler und St. Wendel folgenden Brief schickte:
Trier, den 28. Dezember 1912.
Lieber Herr Dechant!
Obschon ich fest überzeugt bin, daß Ew. Hochwürden in Ihrer Liebe
jür Ihre Pfarrkinder alles ausbieten werden, sie von dem unseligen Streik
zurückzuhalten, so glaube ich doch noch in letzter Stunde Sie innig bitten zu sollen,
die Arbeiter vor einem unüberlegten Schritte zu warnen. Ohne mich in die
schwebenden Fragen im einzelnen einzumischen, bin ich doch der Meinung,
daß nach den Erklärungen, die der Herr Minister öffentlich gegeben hat, sowohl
in betreff der Arbeitsordnung als auch der allmählichen Erhöhung der Löhne,
jeder vernünftige Grund, die Arbeit einzustellen, geschwunden sein dürfte. Ich
hoffe und bitte zu Gott, daß die Bergleute nicht dasselbe Elend für sich, ihre
Familie und ihre Zukunst herausbeschwören wollen, das sie nach dem Streil
von 1893 betroffen hat. Wie bitter haben die guten Leute es bereuen müssen,
— viele haben es mir später selbst gestanden — daß sie damals unserem
emeinlen Rate nicht gefolgt, unsere warnende Stimme nicht gehört
aben
Ew. Hochwürden bitte ich, in geeigneter Weise von dieser meiner Bitte
Ihre Herren Kapitulare verständigen zu wollen. Wir wollen alle innig beten,
daß die Botschaft des Friedens, welche in diesen Tagen verkündet worden ist,
in die Herzen aller dringen, das Elend des Streiks abwenden und den Ar⸗
beitern die Erfüllung ihrer berechtigten Wünsche dauernd sichern möge
In der Liebe Christi
Ihr ergebenster
M. Felix,
Bischof von Trier.