Full text: 1914 (0002)

nr. 3ι ισ σασαια Sudwestdeutschland sνινι σαιαιαα Seite 178 
Die frau und der Wintersport. 
utter Natur ist von altersher unsere gütigste Freundin, 
unsere beste Cehrmeisterin, die Quelle unserer reinsten 
Sreuden; besonders die Frauen sind für Naturgenüsse 
empfänglich. Unsere Urmütter waren daher einst die Priesterinnen 
der zur Gottheit erhobenen Naturgewalten, und ein Rest dieses 
Götzendienstes hat sich noch Jahrhunderte lang in der mit Senti— 
malität und Aberglauben vermischten Naturschwärmerei der Frauen 
erhalten. Das 19. Jahrhundert hat auch darin Wandel geschaffen. 
die Frau fin de siècle stand der Natur gleichgiltig oder nüchtern 
praktisch gegenüber und besonders die Großstädterin war ihr voll—⸗ 
ständig entfremdet worden. Die Ausdehnung der modernen Städte 
macht den von Goethe in seinem „Faust“ so poetisch geschilderten 
Spaziergang vor's Tor zu einem Unternehmen, das Zeit und 
Anstrengung kostet; so gewöhnten sich die bequemen Städter und 
besonders die Frauen, deren Pflichtenkreis sie ohnehin meistens ans 
Haus bindet, daran, den allergrößten Teil ihrer Zeit zwischen Mauern 
zu verbringen, und ihr bestes Lebenselement, die freie Gottesnatur, 
höchstens in einigen Sommerwochen aufzusuchen, um die Sünden der 
verkehrten CLebensweise abzubüßen. Die Wohlhabenden, Gesunden 
und Genußfähigen amüsierten sich in den Luxusbädern in gewohnter 
Weise weiter oder durchrasten mit einer Kundreisekarte in möglichst 
kurzer Seit ein möglichst großes Stück Welt, um den in ihrem Keise⸗ 
handbuch mit Stern bezeichneten Naturschönheiten oft bewundernd, 
oft völlig verständnislos gegenüber zu stehen. Nein, die Natur soll 
uns weder ein Sanatorium, noch ein Schaustück sein, sondern eine 
vertraute Freundin, zu der wir in unsern Feierstundeu pilgern, um 
uns bei ihr Lebensfreude, Kraft und Gesundheit zu holen. 
Im Sommer lasse ich mir ja Ausflüge gefallen, wird wohl mancher 
und manche sagen, aber im Winter, da ist es am schönsten daheim 
am warmen Ofen. Dabei ist den Stadtbewohnern eine gelegentliche 
Winterfrische notwendiger wie die fast allgemein gewordene Sommer— 
frische. In der guten Jahreszeit verbringen die Samilien die schönsten 
Abende oft im Freien, Frauen und Kinder bevölkern untertags die 
Anlagen, man erfrischt sich mit einem kühlen Bade nach heißen 
Arbeitsstunden und an den Sonntagen zieht eine wahre vVölker— 
vanderung ins Grüne. Aber im Winter leiden die meisten Ein— 
vohner der Städte an Luft- und Lichtmangel, und werden welk wie 
Pflanzen in düsteren Stuben. Dichte Nebel lassen oft wochenlang 
zeinen Strahl der belebenden Sonne in Straßen und Häuser ein— 
»ringen und alle Arbeit und Erholung spielt sich in geschlossenen, 
»ft künstlich erleuchteten Räumen ab. Wie nötig ist es da, draußen 
in Luft und Sonne Augen und Lunge zu erquicken, und wie wenigen 
vird diese Wohltat zuteil! 
Das einzige städtische Wintervergnügen, das ins Freie führt, ist 
der Cislauf. Unseren Großmüttern, ja selbst noch unseren Müttern, 
yerwehrte es die gestrenge Frau Sitte oder vielmehr Unsitte, sich am 
fisplatz zu tummeln, höchstens durften sie sich von einem geduldigen 
avalier unter Aufsicht einer Gardedame im Schlitten fahren lassen, 
im dabei heiße Komplimente und kalte Füße einzuheimsen. Die 
noderne Frau hat dem gräßlichen: „Es schickt sich nicht, es ist un— 
veiblich!“ getrotzt; heutzutage lernt fast jedes kleine Mädchen Schlitt— 
chuhlaufen. Aber die Eisbahnen sind meist überfüllt und zu sehr 
m Dunstkreise der Stadt. Die Sportsläufer und -CLäuferinnen ziehen 
die künstliche Bahn in geschlossenen Räumen wegen der stets gleich— 
leibenden, vom Wetter nicht beeinflußten Eisfläche vor und nehmen 
o ihrem Sport das beste, die Bewegung in freier CLuft. Dazu be— 
rachtet die junge Damenwelt den Eisplatz als eine Art Ballsaal 
ind erscheint dort so chik modern und unzweckmäßig als möglich 
gekleidet, so daß der gesundheitliche Gewinn meist nur in Frostbeulen 
und Schnupfen besteht. Etwas anderes ist der Eissport auf zu— 
gefrorenen Kanälen, die das Land durchziehen und richtige Ausflüge 
»rmöglichen. Im Norden Deutschlands und in holland ist der Stahl— 
chuh Verkehrsmittel und dieses Hinfliegen durch die Winterlandschaft 
ein köstlicher Genuß. Auch die weiten Flächen der Seen sind wunder— 
zolle, wenn auch oft gefährliche Tummelplätze für Schlittschuhläufer 
uind ⸗Läuferinnen. Es wird sich übrigens in der Umgebung fast 
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SZaurbrücken 
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Eislaufplatz Deutschmühlen-Weiher 
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