Full text: 1914 (0002)

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voææcx*x Seite 73 
In grauer Porzeit war's. 
Don Rarl Leibrock, Einöd, Pfalz. 
m Eichenschatten am Weiherufer, wo träumerisch die Wellen 
spielten und buhlten, saß einsam und starrte stumm zum himmel 
empor Berthold, der Burgherr von Kirkel. In grauer Vorzeit 
war's, von der selbst die Sage nichts zu melden weiß. 
Im Weiher spiegelten sich die alten Waldriesen, die trotzig bis 
zum Uferrande vorgeschritten waren, als wollten sie dem Wasser 
wehren, weiter zu wühlen am Fuße des Berges, dessen Gipfel Burg 
Kirkel trägt. über den Wald herüber trotzte die starke Feste und 
hob sich mit ihren weißgrauen Mauern scharf vom dunklen hinter— 
grund, dem kiefernbestandenen hirschberg ab. Am himmel standen 
unbeweglich weiße, wollige Wolken. In des Hochsommers Mittags- 
schwüle war ringsum alles Leben zu dumpfer Ruhe gebannt, schien 
erloschen. Ruhelos allein war Berthold, ruhelos wanderten seine 
Bedanken. 
Alles, alles hatte er von Jugend auf seinen Untertanen zuliebe 
getan, deren Wohl ihm Leitstern und Kichtschnur immer gewesen 
war. Zu starken und selbstbewußten, zu tatkräftigen und arbeits— 
frohen Menschen hatte er die Jugend seines Landes erziehen wollen. 
Aber was war erreicht? 
Traurig neigte Berthold sein weißes haupt; Selbstspott umzuckte 
den Mund; denn nur demütige, rückgratlose Untertanen, von denen 
keiner eine eigene Meinung zu vertreten wagte, Schmarotzer und 
Augendiener, Schönredner und Schmeichler umgaben den herrn. 
O, wie tief verachtete der dies alles! Aber er wußte auch, wo des 
übels Wurzel saß: Ihm war als Burgherrn durch herkommen und 
durch Erbe Gewalt in die Hand gegeben, allein zu entscheiden und 
zu verordnen, wie und was er für gut fand. Niemand war stark 
genug, ihm diese Macht zu schmälern; denn er besaß von seinen 
Ahnen einen Edelstein, der den jeweiligen Besitzer allen seinesgleichen 
überlegen machte, der des Besitzers Kräfte vertausendfachte. Wäre 
dieser Stein in eines Kaufmanns hand gekommen, alles wäre dessen 
Hause zugeströmt. Wenn ihn ein Landmann sein eigen hätte nennen 
dürfen, so hätten seine Felder schwerste Frucht getragen. 
Das Schicksal aber wollte, daß der Stein in Kirkels Schatzkammer 
geriet. Daraus hatte ihn Bertholds Ahne entnommen und ihn in einen 
eisernen Reif fassen lassen, der sich eng an eine bronzene Sturmhaube 
schmiegte. Diese Sturmhaube mit dem Wunderstein vererbte sich mit 
dem Geheimnis von des Steines Kraft vom Vater immer auf den 
ältesten Sohn. 
Es war ein Glück für das Land gewesen, daß unter diesen Herren 
bisher keiner war, der seine Kechte und seine Übermacht rücksichtslos 
ausgeübt oder gar mißbraucht hätte. Alle hatten ihr Volk in ihrer 
Art geliebt, aber 
keiner so selbstlos, 
keiner so tief als 
Berthold. Der sorgte 
sich des halb auch sehr, 
daß, weil er selbst 
keinen Sohn besaß, 
zu seinem Nachfolger 
sein Neffe, ein herrsch— 
süchtiger, herzloser 
Sjtreber bestimmt war. 
Schon oft wollte 
Berthold dem Stein 
entsagen und ihn ins 
Meer schleudern oder 
tief in die Erde ver— 
graben lassen. Doch 
wer gab ihm Gewiß—⸗ 
heit, daß der Stein Burgruine Kirkel 
nie gefunden wird, 
und daß er in keine Hhand kommt. die Unheil und namenloses Elend 
stiften könnte? 
Da versuchte er auf andere Weise, des Steines Übermacht aus— 
zugleichen und teilweise aufzuheben. Freiwillig entsagte er vielen 
Vorrechten und berief aus jedem Ort die einflußreichsten und fähigsten 
Köpfe, mit ihm zu raten und zu taten. Aber des Wundersteines 
Eigenschaft hob auch den guten Willen auf. Wohl kamen die Be— 
rufenen, doch widerspruchslos stimmten sie allen Ratschlägen und 
jedem Anfraqg des Buraherern zu. Da war nicht einer, der es qewagt 
hätte, zu sagen: Verzeihe Herr, Du meinst es gut, doch Du bist 
im Unrecht. 
Und nach solchem Widerspruch lechzte Berthold. Es ist nicht der 
Mühe wert und reizt keinen helden, über Memmen zu herrschen. 
Das alles durchdachte der Burgherr aufs neue, wie er einsam 
um Kirkeler Weiher saß. Die Sturmhaube hatte er in die hand 
zenommen und starrte auf den geheimnisvollen Stein. War das 
Band nicht leicht zu lochern und wegzunehmen? 
Er wendete die Haube um und um. Plötzlich entglitt sie seinen 
Jänden, fiel klirrend auf die Steinbank, sprang darüber hinweg und 
zollerte hurtig dem Weiher zu. Rasch stürzte Berthold nach und 
rhaschte sie knapp am Uferrand, wo schon die Wellen gierig 
arnach leckten. 
Eine Weile stand er unentschlossen vor dem Wasser, dann wandte 
er sich, raffte Wehr und Waffen auf und schritt rasch durch den 
Wald, an dessen Ausgang seine Gefolgschaft harrte. 
Wie er aus des Waldes Düster zu den Seinen trat, sah er in 
der Ferne einen Reiter in raschem Ritt entschwinden. Uurz erkannte 
er noch in dem Enteilenden seinen Burgvogt. Unmutig herrschte er 
die Zurückgebliebenen an: „Weshalb verläßt der Burgvogt ohne 
neinen Willen diesen Platz?“ 
Da trat einer der Kitter ihm entgegen, schaute ihm voll Ehrfurcht 
„war, doch frei ins Auge: „Ich kann mir des Vogts Slucht nicht 
rklären. Vorhin richtete er sich plötzlich auf und rief uns zu: Mir 
st, als seien Ketten von mir weggenommen. Solgt mir, ich führe 
Zuch zu Macht und Ehre! — Wir standen überrascht und wußten 
ins sein Benehmen nicht zu deuten. Dann schwang er sich aufs 
Koß und eilte fort. — — Wir selbst, herr, fühlen uns verändert; 
doch unerklärlich, wunderbar ist alles.“ 
Erstaunt blickte Berthold den Ritter an. Die freie Sprache hatte 
er nie gehört; sie tat ihm wohl. 
Sollte der Bann gebrochen sein, der auf allen geruht hatte? 
Sollten die Kräfte, die bisher untätig im Volke schlummerten, endlich 
zelöst sein und dem Volke selbst zu gute kommen? 
Doch wer hatte das Wunder getan? 
Cine Ahnung faßte den König; hastig nahm er die Sturmhaube 
ab. O Ahnung! O Unglück! Der Wunderstein fehlte. 
Berthold hieß die Seinen abermals warten und eilte zum Weiher 
zurück. Doch umsonst; nirgends fand er den Stein. Auch seine 
Mannen, die er zu hilfe holte, hatten kein Glück. Der Stein blieb 
»erloren. Mit ihm war des Königs großes Übergewicht verschwunden. 
Feindliche Mächte, innere und äußere. wagten sich hervor, durch den 
Burgꝗvogt aufge⸗ 
stachelt und geführt 
und durch Bertholds 
Neffen, geheim an⸗ 
fangs, dann offen 
unterstützt. 
Mühselig behaup⸗ 
tete Berthold fseine 
Macht. Wäre ihm 
nicht die Liebe seines 
Volkes zur Seite ge⸗ 
tanden, ihn hätte der 
z5turmwind fortge— 
fegt. Diese Liebe und 
die vom Volke frei⸗ 
willig dargebrachte 
dilfe trösteten ihn 
auch über die Falsch— 
heit seines Neffen. 
Als dieser durch die 
hand eigner Anhänger gefallen war, bestimmte Berthold mit er— 
betener Zustimmung des Volkes einen andern seines hauses zum 
Nachfolger, einen würdigen, vielversprechenden Jüngling. 
Besonders freute ihn, daß in seiner Umgebung sich immer mehr 
elbstbewußte, tatfrohe Männer hervortaten, daß im Volke sich edle 
früchte der Freiheit zeigten. 
Aber im Geheimen schreckte ihn dennoch immer wieder die Furcht, 
der Wunderstein könne in eines Unberufenen Hhand kommen. Drum 
ieß er lange nach ihm forschen. Offentlich ward ausgerufen. daß
	        
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