Full text: 1914 (0002)

Zeite 126 ιν Gudwestdeutschland 
w œx ocs Nr.7 
Mundart zu verleiten. Im Gegenteil, wir sind fest überzeugt, der 
richtige Gebrauch und das rechte Verständnis der Gemeinsprache könne 
nur gewinnen, wenn z. B. die Schule im deutschen Unterricht — und 
das ist genau genommen jeglicher Unterricht — einmal ebenso an das 
Zekannte, d. h. an die Mundart anknüpfen wird, wie sie es längst mit 
bielem Erfolg im naturkundlichen, geographischen und geschichtlichen 
Unterricht tut. Der Einführung in den Vorstellungs- und Gefühlsinhalt 
o vieler hochdeutscher Wörter und Redensarten, die dem Schüler oft er—⸗ 
hzebliche Schwierigkeiten bereiten, könnte die Mundart mit großem Vor— 
teil nutzbar gemacht werden. Diese Forderung setzt allerdings auf Seiten 
des Lehrers eine zur Zeit meist nicht vorhande Vertiefung der Kenntnis 
der Mundart voraus (immerhin kann ich heute mit Befriedigung 
eststellen, daß die Lehrerschaft an unseren Volksschulen begonnen hat, 
diesen Vorteil nicht nur ge— 
egentlich sondern auch metho— 
disch auszubeuten, wie 3. B. 
die Veröffentlichungen des 
Heunkircher Lehrervereins be— 
veisen). 
Daß diese Bewertung und 
Pflege der Mundart keine Zu—⸗ 
rücksetzung des Schriftdeutschen 
bedeuten soll und kann, das 
st auch die Meinung des gewiß 
zuständigen niederdeutschen 
Dialektdichtess und Sprach— 
gelehrten Klaus Groth. In 
einer Schrift: „über Mund— 
arten und mundartliche Dich— 
rungen“ sagt er: 
„Wollen wir die Stellung 
der hochdeutschen Schrift— 
prache in dem ganzen deut— 
schen Sprachgebiet angeben, 
o können wir sagen: Die 
schriftsprache ist nicht etwa 
der Stamm der deutschen 
5prache, woran die Mund— 
arten die mehr oder weniger 
aftvollen Sweige sind; sie hat 
eine eminente Stellung natür— 
ich — als Trägerin der edelsten 
Früchte der Wissenschaft und 
Poesie — mag man sie als 
das Edelreis betrachten; aber 
ꝛin Sweig ist sie unter SZweigen, 
dom wissenschaftlichen Stand— 
dunkte ist sie nur eine Mundart. 
Dadurch wird das Hochdeutsch 
nicht herabgesetzt, kann es 
nicht einmal, es bleibt immer 
die Sprache der Gebildeten, 
der Kirche, der Bibel, vor der 
man selbst Respekt hat durch 
eigne Kunde und Einsicht, die 
das Maß ihres Wertes in sich 
elbst trägt und keines Ver— 
gleiches bedarf, um gehoben 
zu werden. Wir betonen diese 
Stellung der Schriftsprache zu 
den anderen Mundarten nur, 
um ein Vorurteil abzuwehren. 
Der Stamm ist eher da als die Sweige. So ist nicht die Schrift— 
prache vor den Mundarten dagewesen. Diese sind nicht aus ihr 
durch Entartung und Verderbnis wie Wasserreiser und Auswüchse 
entstanden. Die Mundarten sind vielmehr die Wurzeln, wenn man 
die Schriftsprache als den Stamm ansehen will und diese wird ver— 
dorren, wenn man die Mundarten abschneidet, die ihr den Lebens— 
aft zuführen.“ 
joviel einstweilen über Wert und Würde der Mundart. 
Wir besitzen heute bereits für verschiedene große Dialektgebiete 
nehr oder weniger umfangreiche und vollständige Wörterbücher, 
d. h. wissenschaftlich bearbeitete Sammlungen der mundartlichen 
Ausdrücke. Auch das rheinische Land soll endlich sein Idiotikon 
hekommen. Seit einigen Jahren wird bekanntlich unter der LCeitung 
on Geheimrat Prof. Dr. Franck in Bonn zu dem „Wörter— 
uch der rheinischen Mundarten“ der gewaltige Stoff ge— 
ammelt und gesichtet. Auch unsere engere Heimat soll in dieser 
zammlung nach Möglichkeit berücksichtigt werden. Es war dringend 
lötig, daß auch bei uns die mundartlichen Ausdrücke endlich ge— 
ammelt wurden, da der moderne Verkehr und Industriebetrieb mit 
einer stellenweise sehr beweglichen Bevölkerung, ferner die Schule 
ind das Militär den eigentümlichen Charakter der Mundart mehr 
ind mehr verwischen. Der „historische Verein für die 
sqargegend“ nahm darum diese Aufgabe in sein Programm auf, 
rließ wiederholt einen „Aufruf zur Sammlung mundartlicher Aus— 
rücke“ und ließ dann das eingegangene Material durch die „Dialekt— 
zommission“ sichten und veröffentlichen. Diese Arbeit kommt nun 
auch dem rheinischen Wörter— 
buch zu gute, aber es ist 
deabsichtigt, ein besonderes 
„Wörterbuch der Saarbrücker 
Mundart“ herauszugeben. 
Wie bekannt, ist Hherr Friedr. 
Ssschön, (Saarbrücken 3, Bis⸗ 
marckschule) damit beauftragt 
und sollte von allen Kennern 
Saarbrücker Art nach Kräften 
interstützt werden. 
Gegen diese und ähnliche 
private Sammlungen wurden 
nun allerlei Bedenken ge— 
äußert, die im Wesentlichen 
in dem Einwand gipfeln, daß 
bei uns im Saarrevier 
überhaupt nicht von 
einem bodenständigen 
Dialekt die Rede sein 
könne, weil die heutige 
Bevölkerung zum großen Teile 
aus „Hergelaufenen“ oder 
zöchstens „Hiesigen“, aber ver— 
zältnismäßig wenigen „Allda— 
hiesigen“ bestände. Auch 
hätten sich früher schon nach 
den furchtbaren Verwüstungen 
des 30jährigen Krieges und 
päter beim Beginn der in— 
dustriellen Entwicklung zu 
oiele fremde Volksteile bei 
uns ansässig gemacht. Dem 
gegenüber ist zunächst festzu— 
stellen, daß doch heute 
noch tatsächlich eine 
wirkliche Mundart im 
Hebrauch ist, die sich den 
benachbarten Mundarten in 
der Pfalz und im Mosel— 
fränkischen ungezwungen 
anfügt. Vergleicht man zudem 
die heutige Mundart mit der 
sprache der ältesten deutschen 
Urkunden, 3. B. den Weis— 
hümern und dem „Frei— 
heitsbrief der Städte 
St. Johann und Saar— 
brücken aus dem Jahre 
1321“, die sicher ziemlich getreu die damals lebendige Mund— 
art wiedergeben, da ja eine deutsche Gemeinsprache zu jener Seit 
ioch nicht bestand, so erkennt man ohne weiteres das verwandt— 
chaftlich nahe Verhältnis. Sicherlich haben auch die „herge— 
aufenen“, die ihre Herkunft vielfach durch ihren Namen verraten, 
die Saarbrüker Mundart irgendwie beeinflußt, aber dieser Einfluß 
at keine besondere Bedeutung. 
Die hHergelaufenen kamen ja meist aus den benachbarten, sprachlich 
ing verwandten Gebieten; auch die alemannischen Elsässer, Schweizer 
ind Vorarlberger, die nach dem 30 jährigen Kriege kamen und denen 
päter einige schwäbische Familien (Neunkirchen) folgten, haben den 
aus alter Seit stammenden alemannischen Bestandteilen des Dialekts 
zaum viel Neues hinzugefügt. Das Saarbrücker Idiom gehört dem 
Rotenburg 
us Baum „Die schöne deutsche Stadt“, Süddeutschland, 200 Abbild. 
R. Piper & Co. Dersag, München
	        
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