Full text: 1914 (0002)

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2 ꝛe Hüdwestdeutschland α 
αα Seite 12 
ein. Der greise Feldmarschall Vorwärts wurde von den deutsch 
gesinnten Bewohnern mit Jubel begrüßt und nahm bei Ferdinand Stumm 
im Schlosse Quartier. Aus dem Hhauptquartier Saarbrücken erließ 
er am 11. Januar 1814 folgende Proklamation an die Bewohner 
Frankreichs: „Franzosen! Ich habe die schlesische Armee über den 
Khein geführt. Sieggewöhnt richtet sie sich jetzt gegen das alte 
Frankreich. Glaubt nicht, daß wir gekommen sind, um uns zu 
rächen und euch jetzt die vielen Drangsale, die ihr uns zugefügt 
habt, entgelten zu lassen. Ihr waret nur das Instrument des 
unersättlichen Ehrgeizes eueres Souverains; wir haben keinen anderen 
Zweck, als die Unabhängigkeit der Völker durch einen schnellen und 
soliden Frieden zu sichern. Wir tragen die Waffen nur gegen die 
Feinde des Friedens, gegen die, welche den Krieg verewigen wollen. 
Bleibt friedlich in euren Wohnungen, und euer Eigentum wird 
beschützt werden. Fragt euere Nachbarn in den deutschen Departe— 
menten, die uns mit offenen Armen empfangen haben, wie sie von 
ihren sogenannten Feinden behandelt wurden“. 
fuf Anordnung Blüchers erließ der Königlich Preußische General— 
Kommissar und Staatsrat Ribbentrop unter demselben Datum aus 
dem hHauptquartier Saarbrücken den Befehl an alle Kantons-— 
Verwaltungen im Donnersberger, Saar-, Rhein- und Mosel-Departement, 
für die Auszahlung der Besoldung aller Geistlichen zu sorgen, indem 
er die Maires persönlich für die prompte Ausführung dieser Ordre 
verantwortlich machte. Es sollten denselben nicht allein alle Gehälter 
vom 1. Januar ab regelmäßig gezahlt werden, sondern auch die ihnen 
chuldigen Rückstände vom Juni des vorigen Jahres ab. 
So sorgte der Führer der preußischen Armee für Kecht und Eigentum. 
Damals sank dem Stadtschreiber von Saarbrücken das herz in die 
RKnie. Hatte er doch am 22. Januar 1813 auf Befehl des französischen 
Unterpräfekten in das Protokoll einschreiben müssen, daß der 
Munizipalrat seine Entrüstung über den „feigen Verrat“ des 
Henerals NVork (die RKonvention von Tauroggen) ausspreche. Er 
dielt jetzt für gut, den nNamen York auszuradieren, denn die Preußen 
ließen nicht mit sich spassen. Das mußte der Maire von Wadgassen 
erfahren, dem der Platzkommandant von Saarbrücken, der preußische 
hauptmann von Plotho, wegen Widersetzlichkeit 60 Prügel aufzählen 
ließ, sodaß der ürmste die Hilfe des Chirurgen Kalck in Saarbrücken 
in Anspruch nehmen mußte. Durch Androhung desselben Mittels 
erzwang Plothos Nachfolger im Stadtkommando, der preußische 
heneral von Glasenapp, daß die bis dahin stets verschieden gehenden 
Uhren von Saarbrücken und St. Johann genau zusammenstimmten. 
Jetzt wurde das Deutsche wieder statt des Französichen Amts- 
And Gerichtssprache, der Maire von Saarbrücken verwandelte sich 
in einen Oberbürgermeister und der Munizipalrat in einen Stadtrat. 
Der deutsche Sinn der Bewohner war während der Fremdherrschaft 
nicht erstorben und lebte kräftig wieder auf. 
Der greise Held Blücher zog von Saarbrücken nach Nanzig, 
neuem Ruhme entgegen. Sein Sieg über Napoleon bei LCa Rothière 
am 1. Februar 1814 wurde in den Saarstädten mit einem Dankfest 
begangen. Blüchers Erscheinen in Saarbrücken war für die Bewohner 
der Beginn einer neuen, glücklichen Zeit. Freilich sollte ihre Hoffnung 
auf Wiedervereinigung mit Deutschland nicht sofort erfüllt werden. 
Die Stadt Ottweiler hat am 25. Januar dieses Jahres die Erinnerung 
an die Durchreise Blüchers durch eine Gedenktafel den kommenden 
Geschlechtern überliefert. In der Großstadt Saarbrücken fehlt noch 
ein Erinnerungszeichen an den denkwürdigen Aufenthalt des alten 
helden, der hier als Befreier erschien. 
Ruppersberg. 
Die Zünfte in Saarbriücken. 
Don Professor Ruppersberg. 
ine eigentümliche Erscheinung des mittelalterlichen Lebens sind die 
Bruderschaften der handwerker. Sie hatten den Zweck, allen 
Mitglsiedern dieselben Bedingungen wirtschaftlichen, rechtlichen, 
sittlichen und religiösen Daseins Zzu vermötteln. Die handwerks 
genossen, die ursprünglich im herrenhofe 2zu gemeinschaftlicher Tätig 
keit für den 6rundherrn vereinigt gewesen waren, blieben auch nach 
der verleihung des Sreiheitsbriefes in enger Verbindung. 6alt doch 
der Einzelne im Mittelalter nichts, sondern erlangte erft als Mitglied 
einer Genossenschaft seine Bedeutung. Die handwerker wohnten 
meistens in derselben Straße, gemeinsames Recht und gemeinsame 
Arbeitsart einten sie; eine Bruderkasse verwahrte ihre Beiträge und 
Strafgelder, durch gemeinsamen G6Gottesdienst und fromme Stiftungen 
fuchten sie das ewige Seelenheil. Ddie Bruderschaft bildete eine große 
Samilie, die in Sreud und Leid, in sSest und Tdrauer eng mit einander 
verbunden war. diese handwerkerbruderschaften wurden spätern 
Zünfte genannt, ein Wort, das mit dem Zeitwort „ziemen“ zusammen— 
hängt und eine rechtmäßige Vereinigung bezeichnet. An das frühere 
Zusammenwohnen der TZunftgenossen erinnért noch in Saarbrücken die 
küfergasse und in St. Johann die Gerberstraße; auch gab es früher 
hier eine Tuchscherergasse) und ein Assenmachers⸗ (Achsenmachers 
saßchen; in der herberggasse kehrten die wandernden SGesellen ein. 
Die ältefte uns erhaltene Urkunde über das Bruderschaftswesen in 
den beiden Städten ftammt aus dem Jahre 1413 und befindet sich im 
provinzial⸗ Archiv in Coblenz. der Inhalt dieses ehrwürdigen Schrift— 
stückes ift folgender: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des 
hengen 6eiftes tun die Meister der „snvders und kursener-bruderschaft“?) 
zu Saarbrücken, die gestiftet ist im NRamen des „gnädigen herrn 
St. Nkolaus“, kund, daß sie, die gesessen sind in der sSreiheit zu Saar 
brücken und zu Sancte Johanne, einträchtiglich mit einander zu Nutz 
und Notdurft ihres handwerks folgende Satzungen vereinbart haben. 
J. Wenn jemand über schlechte Arbeit eines Zunftgenossen klagt, 
so follen die Meister zum Schiedsgericht zusammentreten und nach 
Anhören von Klage und Antwort entscheiden, ob die Arbeit zu ver— 
werfen isft oder micht. Wird der Zunftgenosse schuldig erkannt, so soll 
er dem 6rafen 5 Schnllinge Buße bezahlen, dem heiligen Nikolausꝰ) 
aber 2 pfund Wachs und den Gesellen eine Maß Wein erlegen. 
) die spatere Kappengasse, heute etwas vornehmer „Brunnenstraße“ genannt. 
wenn man doch die asten Straßennamen behalten wollte! Sie sind auch ae— 
schichtliche Urkunden. 
2) Schneider⸗ und Kurschner-Bruderschaft. 
2) Der Altar des hesilsaen Pikolaus war in der schloßkirche zu Saarbrücken. 
2. Wenn sich in der Bruderschaft Mißhenigkeiten herausstellen, so 
sollen diese durch eine Versammlung geschlichtet werden, zu welcher 
der gemeinsame Büttel (Zunftdiener) die Meister entbieten wird. Wer 
dem Gebot nicht solge leistet, obgleich er in der Stadt ist, soll der 
zruderschaft ein halbes pfund Wachs und den Sesellen zwei Maß 
Wein geben. Wer von der Versammlung der Meister im Unrecht be⸗ 
unden wird, der büßt dem 6rafen mit 5 Schillingen, dem heiligen 
Mkolaus mit zwei Pfund Wachs und den G6esellen mit zwei Naß Wein. 
3. Wenn ein SGesell den andern mit Scheltworten angeht oder ihn 
rügner nennt, so soll es in der obigen Weise gesühnt werden; wenn 
aber eĩner dem andern an die Ehre rührt, so soll die Sache vor den 
srafen kommen, der sie von dem Meier) aburteilen ldassen wird. Wer 
das Gebot versäumt (d. h. vor dem Gericht nicht erscheint). verfällt 
in die oben festgesetzte Strafe. 
4. Wenn ein Tcodesfall in der samisie eines Bruders eintritt, so 
joll der Büttel es den Meistern und 6esellen verkünden, und ein jeder 
soll zu der Vvigiie (der Totenfeier), dem Siebenten, dem Dreißigsten 
und der Jahreszeit sich einfinden; ist das Samissenoberhaupt verhindert, 
so soll „das beste haupt“ nach ihm der Seĩer beĩwohnen. Dder büttel 
ler Bruderschaft soll dann die Rerzen tragen, wie es hergebrachte 
zitte ist. Den Säumigen trifft die Buße von einem halben Pfund 
Wachs und z2wei Maß Wein. 
5. Wenn ein Meister oder dessen Ehefrau stirbt, so soll das über— 
ebende „semechte“ (6emahl) das beste Kleid des verstorbenen an die 
zruderschaft geben; wer dies nicht entbehren mag, kann es von dem 
zrudermeister für zwei Pfund Wachs einlösen. 
6. Rein ausbürtiger Geselle soll sich in Saarbrücken oder St. Johann 
mederlassen und „neues Werk“ machen, bevor er in die Bruderschaft 
aufgenommen ist. 5sür die Aufnahme soll er sechs Pfund Wachs ent— 
ichten und den Gesellen vier Maß Wein geben und soll geloben, die 
zruderschaft getreu zu handhaben und zu vollführen. Wer aber von 
einen Eltern her ein geborener Schneider oder Kürschner ist, hat eine 
zeringere Aufnahmesteuer zu erlegen. Jeder neuaufgenommene Lehr- 
xnabe oder Lehrknecht hat ein Pfund Wachs und vier Maß Wein zu 
entrichten. 
7. Rein Zunftgenosse soll dem andern sein 6Gesinde abdingen, es 
habe denn sein Jahr ausgedient und sei gütlich von seiner Neisterschaft 
geschieden. Ddie Buße beträgt wieder ein Pfund Wachs und vier Maß 
1) der Meser hatte etwa die Stelluna des Buraermeisters. Er war Vor- 
sjitender des Schöffengerichts.
	        
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