Während sich dies alles auf der Stätte der Zerstörung begab, sanken im
ganzen Saartal die umflorten Fahnen. Die Zeitungen erschienen mit Trauer-
rand. Sammellisten wurden eröffnet. Dazu liefen beim Bürgermeister von
Neunkirchen und der Direktion der Hütte unaufhörlich Kundgebungen des Bei-
leids ein. Sie zeugten vor allem für die brüderliche Verbundenheit des deutschen
Volkes. Ueber das Land tönte der dumpfe Klang der Glocken und geleitete die
Toten vom 10. Februar bald in die Gefilde ewigen Friedens. Jn einer Trauer-
kundgebung, wie sie das Saargebiet noh nicht gesehen, nahm die Bevölkerung
in erschütternder Weise
Abschied von ihnen. Zwi-
schen den alten grauen
Häusern des Unteren
Marktes versammelten
sich die Massen um die
schwarzverhängten Toten-
wagen, während, wie von
Geisterhand gezogen,
graues Gewölk am Fir-
mament heraufzog und
die Sonne in bleichen
Nebeln versank. Auf der
Freitreppe des Karl-Fer-
dinand-Hauses empfing
Gräfin Sierstorpff den
Vizekanzler des Reiches
und den Reichsarbeits-
minister, die Vertreter der
Behörden, die Führer
der Wirtschaft, Männer, die irgendwie mit dem grausigen Geschehen und der
geprüften Stadt verbunden waren. Um drei Uhr erklang von der Christuskirche
ein friedlicher Choral. Feiner Regen rieselte hernieder und verstärkte mit
kaltem Hauch das Gefühl unendlicher Trauer. In den Straßen der Stadt harrten
Tausende und Abertausende. Sie lauschten den Gesängen des Traueraktes, von
elektrischen Wellen bis in alle Winkel getragen, und den tröstiichen Worten,
die D. Stoltenhoff, dex Generalsuperintendent, und Weihbischof Mönc< zu den
Massen sprechen. „Gott sucht auch die Seelen, wenn er sie durch Trübsal
führt . . .“, verhieß der Koblenzer Kirchenführer und „Credo in vitam aeternam“
bekannte der Kirchenfürst von Trier.
Dann sette sich der endlose Trauerzug in Bewegung. Längst hat die Spike
mit der Feuerwehrkapelle den Unteren Markt verlassen, längst haben sich ihr
die riesigen Kolonnen der in den Seitenstraßen wartenden Vereine angeschlossen,
als si< die Totenwagen mit den Leidtragenden und Trauergnsten um die
Christuskirh<e bewegen. Und nun schreiten zwanzigtausend Mensc<hen durc diese
schmale Straße, die sich erst in steilem Anstieg, dann in steilem Gefäll zum
Friedhof zieht. Zwanzigtausend Menschen in schwarz, mit Musik und Fahnen,
Menschen in Uniform und Müße. Dazwischen das Heer der evangelischen und
Kathösischen Geistlihen, die wehenden Federbüsche der Hüttenknappen, die
Fackeln und Lampen . .
Feuerwehrleute und Sanitäter in endlosen Reihen tragen die Kränze. An
der Spitze den Kranz Hindenburgs aus roten Rosen und weißen Nelken. Dann
Kränze der Ietisehen Regierungen, der Landesbehörden, der saarländischen
Werke, der Familie Stumm, der Vereine und Verbände . . . Kränze in herr-
lichem Blumenflor, ein letzter Gruß der Lebenden an die Toten.
60 Särge barg man in die Erde. Fackeln und sc<warzumflorte Lampen
umsäumten das Grab, das Chorgesang und Gebete dem Ewigen weihten . .
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