Andere Zeiten, andere Sitten! So streng Fürst Johannsen dachte, um so
leichter nahmen seine Genossen späterer Zeit auf dem Thron Nassau-Saarbrück
die ernste Angelegenheit. Wilhelm Heinrich war in dem berührten Punkt nicht
gerade ein Held, wenn auc nicht von dem Zynismus seines Sohnes. Fürst
gudwig antwortete ganz offen seinen beiden obersten Räten auf deren ernste
Vorstellung über sein „Verhältnis“ zur Gänsegretel „Mein Herz will ein
Attachement*) haben, dieß habe ich gefunden und. hätte
keinbesseresfindenkönnen...Mankanneinguter Fürst,
einehrlicher Mann seinund do<h ein Shäßgen haben.“ Seine
Maitresse beruhigte über ihre Stellung der Hofrat Dern, der ihre freie Liebe
den wahren, verehrungswüdigen Herzensbund vor dem inneren
Altar nannte, einer Gemeinschaft, der man Statuen errichten müßte. Die
Bürgerschaft entsetßzte sich über solche Verwilderung, sie schüßzte Arbeit und
frommer Glaube vor dem Ausleben ihrer Wildlinge. Aus innerer Sauberkeit
erwuchs hier Treue und Reinheit, die nicht dem Zwange der drakonischen Ge-
see eines Johannsen gegeben war.
Wer verheiratet unter seinem Szepter lebte, durfte nicht nach dem heute
so beliebten Schlager handeln: „Nur einmal blüht im Jahr der Mai und neun-
mal im Leben die Liebe.“ Bei kleinen Streitigkeiten in der Ehe griff schon
die Behörde ein. Der schuldige Teil erhielt eine „längere harte Gefängnisstraffe,
Speisung mit Wasser und Brot, Abnehmung einer Geld-Busse, ordentlichen Für-
stellung in der Kirchen, auch etwan zeitliche oder ewige Verweisung des Landes
und ist sonst mit allem Ernst zu straffen“.
Eheleute, die sich viel zankten, wurden „gemeinsam in den Turm gesperrt“,
bis sie „des langen Haders müde, erweichten ihren harten Sinn und machten
endlich Frivde Es heißt da weiter u. a.: „Nachdem sich zu Zeiten zuträgt,
daß Eheleut, so einander öffentlich zur Kirchen geführet, aus Zorn, Haß, Neid
oder andern Unwillen, so der Satan als abgesagter Feind des Ehestandes,
auch etwan böse unruhige und unartig Leut zwischen ihnen erwecken, nicht
allein in stetigem Palg, Schlägerei, Uneinigkeit, Zank und Hader mit einander
leben, sondern auch bisweilen von einander lauffen, so ist unser Befehl, daß
die Pfarrer sie zunächst zu gebührlicher Buss ermahnen. Da aber eine Ütliche
Vermahnung und Erinnerung bey ihnen nichts würcken wolte, so foll man,
sütteinaten die Ehe ein unauflöslih Band der Seele, Leibs und Guts, auch
jJöchste Lieb und Treu sein soll, nicht scheiden.“ Im Falle aber die Ehegatten
sich in ihrem gemeinsamen Gefängnis im Turm nicht einigen konnten, wird
nach dem Gesetz anscheinend der Frau die Schuld beigemessen, denn es heißt:
„Im Falle aber eine Weibsperson so halsstarrig befunden würde, die sich in
keine Weg mit ihrem Ehegenossen vertragen oder versöhnen lasse, sondern die
darüber eingenommene Warnung und Straff in Wind schlagen und verachten
wolte, gedenken wir gegen solhe muthwilligen Verächtern und Zerstörern ehe-
lichen Stands mit UO Wen Ernst als Verweisung unseres Fürstenthums oder
in andere Weg zu verfahren.“
„Das ist wenig freundlich gegen das schwächere Geschlecht. Welch erstauntes
Gesiht würde Fürst Johannsen gemacht haben, wenn ihm ein Sciller hätte
vorharfen können: „Ehret die Frauen, sie flechten und weben, himmlische Rosen
ins irdische Leben“, oder ein moderner Poet: „Kommt den Frauen zart ent-
egen!“
- Das Heiraten zu jenen Zeiten war überhaupt nicht so einfach wie in unseren
Tagen. Da erweist sich trozdem der Jsegrimm sogar als Reformator. Bis
dahin war es Sitte und Recht, daß junge Leute, die gemeinsam bei einer Taufe
Pate standen, sich nicht verheiraten durften, „da sie nunmehro Geistlich eynander
verwandt seyend“. Dieses uns völlig unbegreifliche Gesetz hebt Johannsen auf,
„dieweil solches keinen Grund weder in Heiliger Göttlicher Schrift nod) sonsten
in der Vernunft hat: Sondern zum Theil aus Aberglauben, zum Teil aus der
Geldsucht hergeflossen und dann, wann solche Ordnung gelten sollte der Ehe-
* ) Vattachement, im modernen Deutsch: das „Berhältnis“.
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