Notizen eines Saarbrücher Kaufmanns
aus schweren Tagen
Die Marokkaner. Es war am 13. Mai 1920. Ich fuhr von Saar—
brücken nach Mannheim. Auf der Station Bruchmühlbach mußten alle Reisen—
den aussteigen und durch die französische Kontrolle gehen. Der Zug wurde fast
ausschließlich von Bergleuten benutzt, die in der Pfalz wohnhast, von den
Gruben Heinitz, König usw. heimfuhren. Es war natürlich, daß sich die Berg—
leute nicht im Schneckentempo der Sperre näherten. Um mit meinem Koffer
im Gedraͤnge nicht gedrückt zu werden, hielt ich mich ein wenig zurück und das
war mein Glück, denn ich erlebte ein Drama, das auf einer Platte hätte fest—
gehalten werden müssen, um der Nachwelt zu zeigen, wie wir damals behandelt
dorden sind. So etwas wird zu leicht vergessen Ich machte mir später steno—
graphische Notizen, die ich nun hervorgekramt habe. Die Bergleute, von denen
manche wohl noch Wegstrecken zu Fuß zurücklegen mußten, hatten es eilig,
die hinteren Leute drängten die vorderen, so daß die beiden an der Sperre
stehenden französischen Soldaten, die die Vässe kontrollierten, wenig Be—
vegungsfreiheit hatten.
Ein Soldat rief dem auf dem Perron stehenden Sergeantmajor etwas zu.
Dieser eilte auf einen abseits stehenden Trupp Marokkaner zu und nach kurzen,
mir nicht verständlichen Kommandoworten warfen sich ca. zwei Dutzend
Marokkaner schreiend auf die nach vorn strebende Menge. Auf die Köpfe der
sich duckenden und auseinanderstiebenden Bergleute rasselte es mit Stöcken
und Knüppeln nieder. Schreie des Schmerzes! Eine Anzahl Leute wird noch
lange die Spuren am Kopfe getragen haben. Hinter der Sperre sah ich später
eine stöhnende und wuterfüllte Arbeiterschar. An eine Gegenwehr war nicht zu
denken, sie wäre gleichbedeutend gewesen mit dem Tod. Ich sah den Marok—
kanern die Lust an der Mißhandlung einer wehrlosen Menge an.
Die Separatisten. Man schrieb den 5. Dezember 1923. Von Saar—
hrücken kommend, traf ich 11 Uhr abends auf dem Wiesbadener Bahnhof ein.
Unvergeßlich ist das Bild, das ich in dieser Nacht vom 5. auf den 6. Dezember
im Bahnhofe Wiesbaden sah. Ich hatte Zeit bis 5 Uhr morgens und, skizgierte
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ganz verblüfft, zurückweichen. Der Wartesaal glich einer Stätte, wie man sie
zus“ Wildweftbüchern kennt. Ich vermeinte einen Trupp Tramps in einem
Blockhause in der Prärie nach K. May zu sehen.
Der Wartesaal war in ein Lager der Dortenleute umgewandelt. Gewehre
standen in Pyramiden zusammen, und eine schmutzige und zerlumpte Bande
hon etwa 80 100 Mann lagerte auf dem Boden oder streckte sich auf, den
Stühlen aus, es fehlte in ihrer Mitte nur noch ein Lagerfeuer. Die Neugierde
frieb mich doch ins Lager uͤnd mit mir durchschritt ein französischer Leutnant
den Raum, einen verächtlichen Blick über die Gesellschaft wersend. Wie sah
fie aber auch aus! Das einzige Uniformstück bestand in einer grünen Mütze,
Ledergürtel auf zerlumptem Rock hatten nur einige. Ich zählte fünf Mann, die
Bajonette im Schlaufe eines Hanfstrickes trugen. Waschwasser hatten wohl die
wenigsten seit Tagen gesehen.
Um eingehendere Studien zu machen, nahm ich mir einen Stuhl und setzte
mich mit unbefangener Miene an einen Tisch, an dem drei Banditen mit dem
Sortieren eines ca. *Meter hohen Papiergeldberges beschäftigt waren. Das
Inflationsgeld hätte wohl den Kartoffelsack gefüllt, der neben dem Tische lag.
Fin vierter Strolch sah zu. Da ich rauchte, bat mich dieses vierte Subjekt um
Feuer für seine Marocain. Dies gab mir Ursache, ein Gespräch mit ihm an—
zuknüpfen. Ich erfuhr, daß die Schar Soldaten der Rheinischen Republik seien
uͤnd daß am nächsten Tage Neustadt und Kaiserslautern besetzt werden sollten.
Der Erzähler war ein Bürschchen von 20, Jahren aus Hamburg. Sein
Bericht trug den Stempel der Währheit. Arbeitslos habe er sich in Koblenz
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