Full text: 12.1934 (0012)

mußte. Daß es ihm schwer, sehr schwer fiel, läßt sich denken. Nun hieß ex 
allgemein „Der dumme August“, mochte er sich noch so erhaben, trocken, mürrisch 
und ernsthaft gebärden, es half ihm nichts.. Sein Mensc< war seit jenem Tage 
kategorisiert; die Kartothek des menschlichen Urteils und Vorurteils führte ihn 
fürderhin unter dem Stichwort „Dummer August“. Und an dieser Tatsache 
war nichts mehr zu ändern, bei Gott nicht. Wen die menschliche Gesellschaft einmal 
rubriziert hat, der darf nichts anderes mehr sein, als was er gekennzeichnet ist, 
der wird es mitunter erst. 
August Wächter tat das, was der Empfindsame immer tut: er zog sich ver- 
bittert zurück. Er schien irgendwie gelähmt oder eingezäunt in einen Pferd, 
aus dem er nicht mehr herauskonnte. Ein paar Wochen lang ging es gut, dann 
sanken seine Leistungen zusehends herab. Von Obersekunda nach Unterprima 
blieb er sien, so daß seine Mutter es vorzog, ihn von der Anstalt herunter- 
unehmen und ins Geschäft zu stecken. Seitdem man ihn nun auf allen Märkten 
20 konnte, in eine Lederjacke gehüllt, wie sie alle Schausteller tragen, war 
an seinem Spitznamen nicht mehr zu rütteln. Mit einem gewissen Ernst stand 
er hinter seiner Auslage, verkaufte Töpfe, Kannen, Holzgeschirr, und sein Wesen 
hatie den Trotz eines zartsinnigen und stolzen Menschen, der mit allen Fasern 
eines Herzens ernstgenommen werden wollte... . 
An einem unserer Jahrmärkte nun, mitten in den Pfingstferien, geschah 
es, daß Wächter zum ersten Male öffentlich die Rolle spielte, in die man ihn 
gezwungen hatte. 
Seine Mutter hatte wie immer ihren Stand. Wächter war ihr beim Feil- 
bieten behilflich, indem er die Gegenstände herauslangte und das Geld ein- 
kassierte. Der Schlager dieses Marktes war eine patentamtlich geschüßte 
Wäscheklammer, die im Gegensaß zu den früher im Verkehr befindlichen 
kleiner, handlicher und zweckmäßiger war. Frau Wädter hatte deren etwa 
fünftausend Stück auf Lager, die sie an den beiden Markttagen zu verkaufen 
hoffte. Allein es fehlte an dem nötigen Umsaß, man kaufte zehn, zwanzig 
Stück, -- der Massenandrang blieb aus. Kurz, -- es mangelte an der er- 
forderlichen Reklame. 
„Die Klammern, -- ich weiß nicht, August, -- ob wir sie alle loswerden!“ 
äußerte seine Mutter. 
Wäcter wühlte mit den Fingern in dem Klammernhaufen herum und war 
nachdenklich. Plötzlich ergriff er eine der Kisten, schleppte sie auf eine freie 
Stelle des Platzes, breitete einen Sack auf dem Boden aus, schüttete die 
Klammern darauf und stellte sic auf die umgestülpte Kiste. Jc<h befand mich 
zufällig mit einigen Mitschülern auf dem Plat, aber an irgendeiner Schießbude. 
Mit einem Male vernahmen wir Scluchzen und herzzerreißendes Weinen. 
Die Leute liefen alle nach einer bestimmten Richtung. Wir liefen neugierig 
mit und gewahrten zu unserm größten Entsetzen, wie Wächter gliederringend 
und laut dazu weinend auf einer Kiste „mit dem Schicksal rang“. Die Leute 
erkannten seine Verstellung sofort und hielten si<h die Bäuche vor Lachen. 
Wächters Gebärdenspiel erstarb nach und nach, sein Schluchzen Jing in kKind- 
liches Wimmern über, und aus dem Wimmern erwuchs Stufe für Stufe ein 
blödes, stumpfes Lachen. Und während er darauf ein Schild an dem Schirm 
seiner Müßze anbrachte, auf dem zu lesen war „20 Wäscheklammern nur 
20 Pfennige“, hörten wir ihn mit schnarrender Stimme rufen: 
- „Hallohallohallo, ei, was ist denn hier los, hier wackelt die Wand, hier 
ringt ein Mensc< mit den tückischen Gewalten seines Schicksals, ihr Leute 
kommt alle her und seht, was euch der dumme August da mitgebracht hat“, 
er ergriff eine Wäscheklammer, steckte sie vorn an die Jacke und hob sich 
daran hod), „woran klammert sich die arme Kreatur, woran klammert sich die 
verlassene Braut, womit klammert Chamissos Waschfrau ihre Wäsche auf, die 
rüstigste der Wäscherinnen, im sechsundsiebenzigsten Jahr ?“, schnarrte er laut 
über den Pla. Die Stände und Buden leerten si mit einem Male, alles 
strömte zu August Wächter; wie ich bemerkte, waren auc einige Lehrer unserer 
NI
	        
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