ſein, denn ſie kannte, wie wir ſehen werden, den Brockelhawe offenbar nur in
ſeiner erſterörterten Bedeutung und wußte insbeſondere nicht, daß man, ohne
den Begriffen Zwang anzutun, auch ihres Vaters vorſintflutlichen Hut gut und
gern jener zweiten Kategorie von Brockelhawe zurechnen Konnte.
Zu Baſ' Lores Schülerinnen gehörte auch einige Monate Adler-Knipper's
Linhen aus der Deutſchherrnſtraße, eine warmherzige Frohnatur, die immer
ein Lied auf den Lippen hatte und einen vom Vater ererbten Sinn für Wit
und Humor beſaß. Kein Wunder, daß die Alte ſie beſonders ins Herz ſchloß!
Eines ſchönen Sommertages kam Linchen Knipper in die Nähſchule mit
den Worten: „Guten Tag, Ba“ Lore! Soeben iſt mir Jhr Vater mit dem
Brockelhawe begegnet; er iſt auf dem Wege zum Kirchhof.“ „Was?“ ruft
Baſ' Lore entſetzt, „mein Vater mit dem Brockelhawe auf der Straß"? Ei, der
alte Mann iſt ja rein dordiſc<h.“ Sofort hat das Jungvolk den Jrrtum der
Lehrerin erkannt und ſich blizartig mit Blicken dahin verſtändigt, ſie in ihrem
Jrrtume zu belaſſen. „Jh muß ihm nohgeh'n, ih muß ihm nohgeh'n.“ Mit
dieſen Worten bindet ſie ſich die Schürze ab, eilt die Treppen hinab und jagt
durc< Öwergaß und Vorſtadtſtraße den Spuren des Vaters nach zum Kirchhofe.
Dort findet ſie auch richtig den alten Mann, wie er friedlich auf eimer Bank
ſitt und ſich ſonnt, aber von einem Brockelhawe ſieht ſie nichts, und auch der
Alte weiß nichts davon. Da merkt Baſ' Lore, daß man ſie gefoppt und ihr
einen ſchlimmen Streich geſpielt hat, und tieftraurig kehrt ſie in ihre Nähſchule
zurück. Der bloße Anblick der von den Mädchen von Herzen geliebten Lehrerin
ließ hier eine ſofortige Ernüchterung eintreten, und als ſie gar ſchlu<hzt und
klagt, ſo etwas habe ſie von ihren Schülerinnen nie für möglich gehalten und
am wenigſten von Linhen Knipper, da iſt es um deren Faſſung geſchehen.
Unter heißen Tränen ſchleicht ſich die Attentäterin nach Hauſe. Am anderen
Tage kommt ſie wieder mit einem Blumenſtrauß und einem ſelbſtgebackenen
Kuchen und „vor verſammelter Mannſchaft“ tut ſie freiwillig Abbitte. Da geht
ein frohes Leuchten über die Züge der Alten: „Und du biſt doh meine Beſte.“
Damit ſtreichelt ſie ihr die Wangen. Und nun geht au<h ein Leuchten über die
bis dahin tiefernſten Züge der Jungen, und wie befreit atmet ſie auf.
Nah vielen, vielen Jahren, als die Junge felbſt eine ſchon alternde Frau
war, hat ſie ihren Kindern, zu denen auch der Verfaſſer zählt, dies Erlebnis
ihrer Jugend erzählt. Dabei ſchimmerten ihre Augen feucht. Sie hatte ihre
alte Baſ' Lore nie vergeſſen und behauptete, ſie ſeit jenem Streiche no<h lieber
gehabt zu haben als zuvor.
Anno 1865.
Von A. 2.
1. Wettſtreit zwiſchen einem Kgl. preuß. und Kaiſerlich franz. Trompeterkorps.
Im Jahre des Heils 1865 erlebten die Saarſtädte ein ſeltſam friedliches
Schauſpiel. Kunde hierüber gibt uns eine unter Glas und Rahmen von Herrn
Glaſermeiſter Julius Becker aufbewahrte Rarität, die er mir in freund-
willigem Entgegenkommen zur Verfügung ſtellte. Die Leſer werden durch die
nebenſtehend in Fakſimiledruck veröffentlichte Konzertanzeige einigermaßen
überraſcht ſein, iſt ſie doch ein beredter Zeuge, daß dem Saarländer, ohne
gereizt zu ſein, jedes gehäſſige Gefühl gegen unfern lothringiſchen Nachbar
ganz fern liegt. Sein übles Auftreten am Schluſſe des Weltkrieges gegen
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