Turmſtrafe für Gottesläſterer im Jahre 1750.
Von A. Z.
Fürſt Wilhelm Heinrich, Gründer der Saarinduſtrie, führte ſelbſt nicht gerade einen
gottesfürdtigen Lebenswandel, denn unter ſeinem ſeidenen, mit allem möglichen Ordens-
kram beſtickten Rock ſchlug ein liebegirrendes Herz. Das arme Bum brannte leicht wie
Kolophonium. Aber bei ſeinen „Untertanen“, die damals, wie heute, in ihrer Lebhaftig-
keit nicht gerade jedes Wort auf die Goldwaage legten, war der hochedle gnädige Herr höchſt
ungnädig, wenn ihre derbe Natur über die Stränge ſchlug. Da kannte das hochfürſtliche
Gemüt in äußerlicher, gut geſpielter Frömmelei ſelbſt gegen ſonſt ihm treu ergebene
Perſönlichkeiten keine Rückſicht und ließ ſie in den Turm ſperren, wenn ſie nicht mit
blankem Geld ihr Vergehen abbüßen konnten.
Am 6. Juli 1750 veröffentlichten die Geheimräte des Fürſten in deſſen Auftrag fol-
gendes Schriftſtück: „In Denunciations-Sachen contra den Schöffen Matthieß Ulrich von
Exweiler, puncto blasphemia, iſt von Uns anliegendermaße, ein Urthel, nach Unſers
ſonders geehrten Herrn Antrag, abgefaßet worden, welche alſo nunmehro dem Denunciato
und ſeiner Ehefrauen publiciret, und demnächſt ſofort exequiret werden kann. Die Wir
cum remissione actorum ut in litteris beharren.
Sententia.
„In Denunciations-Sachen entgegen Matthieß Ulrich, Shöffen zu Exweiler puncto
blasphemia, wird, nach eingeſehenen Unterſuchungsacten, zu Recht erkannt, daß der
Denunciatus, der ihme angeſchuldigten Gottesläſterung halber, zwar ab instantia zu
abſolvieren, jedoH, um des Aergerniſſes willen, welches er, als Schöffe, durh ſein an-
gewöhntes Fluchen und übrigen undriſt- und unordentlichen Lebenswandel, ſeinen Mit-
gemindsleuthen und anderen gegeben, in eine 14tägige Thurm-Strafe zu condemniren
und anbei ſeines Schöffen Amts zu entſezen, wie nicht weniger auch zur reconciliation
und Künftigem friedlichen Betragen mit ſeinem Eheweibe dieſe aber zu aller Behutſam-
keit in Worten und Werken, die ihrem Manne zu einigem Unwillen Anlaß geben können,
mit dem Anfügen, daß ſie wiedrigenfalls ebenmäßig mit behöriger Strafe angeſehen
werden würde, anzuweiſen ſeye. Geſtatten wir dann hiermit, reſp. abſolviren, condem-
niren, entſegen und anweiſen, dabey aber dem Denunciato freygelaſſen, die ihm vor-
bemelter maßen, zuerkannte Thurm-Strafe mit Geld zu redimiren.“
Die Familie Mathies Ulrich ſheint demnach manches unfromme Redegefeht durc-
geführt zu haben, und es iſt wohl als ſicher anzunehmen, daß „ſie“ ihrer ganzen Natur
nach ſtets die Siegerin blieb. „Er“ war ihr gewiß nicht überlegen in der Kunſt der Rede,
denn das wäre unnatürlich. Es iſt wohl anzunehmen, daß der ehrenwerte Schöffe oft
ſeiner bedrängten Seele Luft ſchaffen mußte, und ſeinem Charakter nach ſich innerlich
weniger durch ein Gebet um Frieden als durch heilloſes Fluchen ſtärkte. Ob der gottloſe
Ulrich ſein Gemüt in dem finſteren Gelaß des Turmes auf den rechten Weg führte oder
in ſeinen Sparſtrumpf griff und das Oberamt in Saarbrücken mit blanken Gulden er-
freute, iſt leider nicht zu ermitteln geweſen. Das Ganze iſt nicht gerade ein erfreuliches
Bild aus der ſog. guten, alten Zeit, es dürfte aber auch heute nicht ſelten ſein: Denun-
ciatus, der kneipfrohe Ehegemahl und die zungenfertige Frau, die ſich ihrem Manne
gegenüber nicht „zu aller Behutſamkeit in Worten und Werken“, entſchließen kann. Doch
folgt auf ſolche Szene heute nicht mehr Turmſtrafe, noc< Reuegeld; ſondern Bewährungs-
friſt, immerhin gegenüber dem redhtloſen Untertan für viele ein begrüßenswerter Fort-
ſchritt des freien Staatsbürgers in der inneren Angelegenheit ſeines Familienlebens.
„Wir wollen frei ſein! Frei von fremder Herrſ<aft! Uicht nur um des Saar-
volkes willen allein, ſondern auh der Deutſchen Republik wegen, damit ihre Staats-
ordnung ſich auh hier voll auswirken kann. Darum verwahren wir uns auc gegen
eine fremde bewaffnete Mat, die ſim hier noh überflüſſigerweiſe aufhält, aud)
wenn ſie im Uamen des Dölkerbundes auftritt. Wir empfinden kein Fünk<hen von
Haßgefühl gegen den einzelnen Erdgenoſſen jenſeits der weſtlichen Grenze. Wir
wenden uns aber entſchieden gegen jedes Werkzeug einer deſpotiſ<hen Geſinnung.
Kirſ<hmann, M d. R.
(Aus d. Rede auf d. Grenzlandtagung der ſoz. Arbeiter-Jugend, 24. 3. 30. zu Saarbr.)
86