Full text: 1931 (0009)

Sdqülerſtreiche. 
Erinnerungen eines alten Saarbrücker Oberrealſchülers. 
Es war in der Oberrealſchule, als ſie nog in dem alten Gebäude in der Spichererxr- 
bergſtraße untergebra<t war. Jede Eke, jeder Winkel löſt no< heute bei mir irgend 
eine Erinnerung aus. Es iſt mir, als müßte aus der Tür der Direktor Miriſch ehr- 
würdigen Schrittes heraustreten, als ſähe ich unſere alten Lehrer im Hofe ſpazieren 
beſonders den „Willem“, den „Michel“, den „Gift“, die „Knack“, den „Platen“ und 
wie ſie ſonſt noFH alle von uns getauft wurden. Da höre ich den einarmigen Suldiener 
Erbes ſagen: „IH und der Herr Direktor haben beſchloſſen, ab 10 Uhr iſt hißzefrei.“ 
In einer Eke des Schulhofes ſehe ich klaſſenweiſe Kämpfe austragen. =- Es waren 
Zeiten ungebundener Jugendfreuden. Und was haben wir in unſerem Uebermut nicht 
alles angeſtellt! 
Hier will ich in dem Bud der Erinnerung etwas blättern, allen Mitſchülern aber 
wird es wohl ein freudiges Gedenken an die Schulzeit ſein. 
Wir ſizen in der Untertertia, das Klaſſenzimmer liegt nah der Spichererbergſtraße 
zu. Wir haben franzöſiſchen Unterricht durc< unſern „Willem“, Es iſt heiß, die Fenſter 
ſtehen auf und unſer „Willem“ müht ſich ab, uns Teile aus der Erkmann-Chatrianſchen 
Lektüre Waterloo zu erklären, Der ganze Unterricht wickelt ſiH natürlich, wie bei uns 
immer, in Saarbrücker Mundart ab und bei einer „langen Leitung“ half unſer „Willem“ 
unbarmherzig. mit dem Haſelnußſtok nach, der eigentlich die Beſtimmung als Karten- 
ſtock hatte. Die Aufmerkſamkeit iſt aber hin, als wir Pferdegetrappel hören. Wir wiſſen, 
jezt kommen die 7. Ulanen vom Exerzierplaß zurück, und als gleich darauf die Regi- 
mentskapelle mit den ſ<metternden Klängen des Torgauer Marſches einſetzt, iſt unſer 
Plan auch ſchon fertig. Die Ulanen konnten direkt in unſer Klaſſenzimmer ſehen. Wir 
fühlten uns in unſerem Tertianerſtolz durch ſie oft gekränkt, da die Soldaten über 
uns manche ulkige Bemerkung madten. Die Kränkung mußte gerächt werden. Einige 
von uns ſind mit Glasröhr<hen und Erbſen bewaffnet, und es beginnt unſer Schnell- 
feuer. Als einige Ulanen, darunter auch Muſikmeiſter Rühle, von unſeren Erbſen ge- 
troffen, erſchreckt in ihr Geſicht greifen, können wir uns nicht mehr halten, ein IJndianer- 
geheul bricht los. Die Abkühlung läßt nicht lange auf ſich warten. Unſer „Willem“ hat 
ſi ſo ſehr in ſeine Erklärung vertieft, daß es ihm zunächſt ganz entgangen iſt, was 
wir eigentlich angeſtellt haben. Unſer Gelächter hat ihn geſtört, der Haſelnußſtock ſtellt 
zunächſt ſofort die Schulordnung wieder her. Es gab keine Unterſuchung, die wohl auch 
zwecklos geweſen wäre. Schuldig oder nicht, Abfälle gab es auf alle Fälle. Die Folge 
war, daß ich mit drei Mitſchülern zwei Stunden Arreſt bekam. Das war das ſchlimmſte, 
am freien Nachmittag nohmals zur Schule! Was ſollten wir zu Hauſe ſagen? Wir 
hätten alle lieber eine weitere Tracht Prügel gehabt, aber „Willem“ entſchied: „Heute 
mittag um 3 Uhr ſeid ihr in meiner Wohnung. Bücher brau<ht ihr niht mitzubringen!“ 
'Wir waren um 3 Uhr bei unſerm Ordinarius. Auffallend freundlich wurden wir 
empfangen; „Willem“ nahm uns mit in ſeinen Garten. Er kommandierte: „Hier habt 
ihr Körb und brecht Droſchele, aber keiner darf Droſchele eſſe!“ Die Verführung war 
dod) zu groß, die Stachelbeeren zu ſchön. Als unſer „Willem“ ſich anderweit beſchäftigte, 
aßen wir natürlich, ſoviel wir konnten. Um 5 Uhr mußten wir aufhören. Unſer „Willem“ 
bedankte ſich recht ſehr für unſeren Fleiß. J< ſehe heute noh ſein eigentümliches 
Mienenſpiel. „Weil ihr ſo gut gearbeitet habt, bekommt jeder einen halben Weck, und 
weil ihr auch Durſt habt, bekommen je zwei eine Flaſc<e Bier. Jetzt eßt und trinkt 
ſchnell, daß ihr fortkommt.“ Keiner von uns wollte ans Bier heran, aber es half nichts, 
wir mußten es trinken. Die Wirkung blieb auch nicht aus, uns wurde übel und 
jämmerlich. Noch am anderen Tage in der franzöſiſchen Stunde mußten wir wiederholt 
austreten. Das Ungewöhnliche geſ<hah, unſer „Willem“ geſtattete es höhniſch grinſend. 
Geſagt hat er darüber nie etwas, aber wir merkten es ihm an, daß er ſich über ſeinen 
Streich diebiſch freute. -- 
Es war in der Quarta, wir trieben griechiſche Geſchichte. Pallas-Athene, Apollo, 
Artemis, Ares, Oedipus, Menelaus, Helena, der trojaniſc<e und der peloponneſiſche 
Krieg, die Schlacht bei Marathon, bei den Thermopylen und bei Salamis, dies alles 
ging uns wie Kraut und Rüben im Kopf herum. Dafür wollte aber unſer guter „Michel“
	        
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