Sdqülerſtreiche.
Erinnerungen eines alten Saarbrücker Oberrealſchülers.
Es war in der Oberrealſchule, als ſie nog in dem alten Gebäude in der Spichererxr-
bergſtraße untergebra<t war. Jede Eke, jeder Winkel löſt no< heute bei mir irgend
eine Erinnerung aus. Es iſt mir, als müßte aus der Tür der Direktor Miriſch ehr-
würdigen Schrittes heraustreten, als ſähe ich unſere alten Lehrer im Hofe ſpazieren
beſonders den „Willem“, den „Michel“, den „Gift“, die „Knack“, den „Platen“ und
wie ſie ſonſt noFH alle von uns getauft wurden. Da höre ich den einarmigen Suldiener
Erbes ſagen: „IH und der Herr Direktor haben beſchloſſen, ab 10 Uhr iſt hißzefrei.“
In einer Eke des Schulhofes ſehe ich klaſſenweiſe Kämpfe austragen. =- Es waren
Zeiten ungebundener Jugendfreuden. Und was haben wir in unſerem Uebermut nicht
alles angeſtellt!
Hier will ich in dem Bud der Erinnerung etwas blättern, allen Mitſchülern aber
wird es wohl ein freudiges Gedenken an die Schulzeit ſein.
Wir ſizen in der Untertertia, das Klaſſenzimmer liegt nah der Spichererbergſtraße
zu. Wir haben franzöſiſchen Unterricht durc< unſern „Willem“, Es iſt heiß, die Fenſter
ſtehen auf und unſer „Willem“ müht ſich ab, uns Teile aus der Erkmann-Chatrianſchen
Lektüre Waterloo zu erklären, Der ganze Unterricht wickelt ſiH natürlich, wie bei uns
immer, in Saarbrücker Mundart ab und bei einer „langen Leitung“ half unſer „Willem“
unbarmherzig. mit dem Haſelnußſtok nach, der eigentlich die Beſtimmung als Karten-
ſtock hatte. Die Aufmerkſamkeit iſt aber hin, als wir Pferdegetrappel hören. Wir wiſſen,
jezt kommen die 7. Ulanen vom Exerzierplaß zurück, und als gleich darauf die Regi-
mentskapelle mit den ſ<metternden Klängen des Torgauer Marſches einſetzt, iſt unſer
Plan auch ſchon fertig. Die Ulanen konnten direkt in unſer Klaſſenzimmer ſehen. Wir
fühlten uns in unſerem Tertianerſtolz durch ſie oft gekränkt, da die Soldaten über
uns manche ulkige Bemerkung madten. Die Kränkung mußte gerächt werden. Einige
von uns ſind mit Glasröhr<hen und Erbſen bewaffnet, und es beginnt unſer Schnell-
feuer. Als einige Ulanen, darunter auch Muſikmeiſter Rühle, von unſeren Erbſen ge-
troffen, erſchreckt in ihr Geſicht greifen, können wir uns nicht mehr halten, ein IJndianer-
geheul bricht los. Die Abkühlung läßt nicht lange auf ſich warten. Unſer „Willem“ hat
ſi ſo ſehr in ſeine Erklärung vertieft, daß es ihm zunächſt ganz entgangen iſt, was
wir eigentlich angeſtellt haben. Unſer Gelächter hat ihn geſtört, der Haſelnußſtock ſtellt
zunächſt ſofort die Schulordnung wieder her. Es gab keine Unterſuchung, die wohl auch
zwecklos geweſen wäre. Schuldig oder nicht, Abfälle gab es auf alle Fälle. Die Folge
war, daß ich mit drei Mitſchülern zwei Stunden Arreſt bekam. Das war das ſchlimmſte,
am freien Nachmittag nohmals zur Schule! Was ſollten wir zu Hauſe ſagen? Wir
hätten alle lieber eine weitere Tracht Prügel gehabt, aber „Willem“ entſchied: „Heute
mittag um 3 Uhr ſeid ihr in meiner Wohnung. Bücher brau<ht ihr niht mitzubringen!“
'Wir waren um 3 Uhr bei unſerm Ordinarius. Auffallend freundlich wurden wir
empfangen; „Willem“ nahm uns mit in ſeinen Garten. Er kommandierte: „Hier habt
ihr Körb und brecht Droſchele, aber keiner darf Droſchele eſſe!“ Die Verführung war
dod) zu groß, die Stachelbeeren zu ſchön. Als unſer „Willem“ ſich anderweit beſchäftigte,
aßen wir natürlich, ſoviel wir konnten. Um 5 Uhr mußten wir aufhören. Unſer „Willem“
bedankte ſich recht ſehr für unſeren Fleiß. J< ſehe heute noh ſein eigentümliches
Mienenſpiel. „Weil ihr ſo gut gearbeitet habt, bekommt jeder einen halben Weck, und
weil ihr auch Durſt habt, bekommen je zwei eine Flaſc<e Bier. Jetzt eßt und trinkt
ſchnell, daß ihr fortkommt.“ Keiner von uns wollte ans Bier heran, aber es half nichts,
wir mußten es trinken. Die Wirkung blieb auch nicht aus, uns wurde übel und
jämmerlich. Noch am anderen Tage in der franzöſiſchen Stunde mußten wir wiederholt
austreten. Das Ungewöhnliche geſ<hah, unſer „Willem“ geſtattete es höhniſch grinſend.
Geſagt hat er darüber nie etwas, aber wir merkten es ihm an, daß er ſich über ſeinen
Streich diebiſch freute. --
Es war in der Quarta, wir trieben griechiſche Geſchichte. Pallas-Athene, Apollo,
Artemis, Ares, Oedipus, Menelaus, Helena, der trojaniſc<e und der peloponneſiſche
Krieg, die Schlacht bei Marathon, bei den Thermopylen und bei Salamis, dies alles
ging uns wie Kraut und Rüben im Kopf herum. Dafür wollte aber unſer guter „Michel“