Full text: 1931 (0009)

Erſcheinung treten. Aber ſie waren der guten alten Seele unſympathiſch, er zog die in den 
Mädc<henklaſſen iſoliert ſtehende „Katzenbank“ vor, die er von den kleinen Sündern be- 
ziehen ließ. 
Nebenamtlich hatte Herr Kable die alte Kir<henuhr zu verſorgen. Sie war klapprig 
und wollte nicht re<ht mehr ihren Dienſt tun. Eigenſinnig blieb ſie ſtehn, wenn es ihr 
paßte, und verurſachte dadurch viele Unannehmlichkeiten, weshalb ſie amtlich außer Kurs 
geſeßt wurde. Herr Kabls ließ ſich aber nicht abhalten, ſie nog weiter zu betreuen. Er 
pußte und ölte liebevoll an ihr herum, um ſie wieder in Gang zu bringen, und id) kleines 
Ding durfte ihm dabei aſſiſtieren, Als er mich zum erſtenmal mitnahm und wir den alten 
Turm betraten, erſchrak ich vor dem düſtern, unheimlichen Gemäuer. Aengſtlich hielt ich 
mid) an Herrn Kable feſt. 
„Mußt dich nicht fürchten, Kindchen,“ beruhigte er mich, „der Turm tut dir nichts. 
Er iſt halt ſchon 1000 Jahre alt und kann nicht mehr ſchön ſein. Aber er hat getreu 
ſeine Pflicht getan und hat in ſchlimmen Kriegszeiten früherer Jahre die armen flüchten- 
den Menſc<hen bei ſich aufgenommen und hat ſie vor den böſen Feinden durch ſeine dicken 
Mauern und den vergitterten Fenſtern oben getreulich geſchüßt. Siehſt du!“ -- J< nickte 
verſöhnt. =- Nun ging es viele alte, ſchadhafte Treppen hinauf, eine immer ſchmäler als 
die andre. Zuletzt ſchien es ein wackliges Hühnertreppchen, das zur Uhrſtube führte. 
Als ſich der große, ſ<were Mann anſchickte, das ſhwanke Treppchen zu beſteigen, er- 
griff mich eine fur<tbare Angſt. „Das Treppchen iſt nicht ſo ſhwach wie es ausſieht, 
Kindchen. I< ſteig' nun ſchon zwölf Jahre das wacklige Ding hinauf, und es hat gehalten, 
un? der Herrgott wirds auch weiter halten laſſen, bis wir zwei, die Uhr und ich, nicht 
mehr können.“ „Ah, Herr Kable, laſſen Sie doh die alte Uhr, nach der guckt doch kein 
Menſc< mehr.“ „So, meinſt du, Kindchen? Und die Pflicht? Wenn auc die alte Uhr ihre 
Naupen hat und ich faſt jeden Tag hinauf und ſie vorſtellen muß, ſo ruft mich halt die 
Pflicht. Die Pflicht, Kindchen, die mußt du dir auch merken fürs Leben! Komm mur, es 
paſſiert nichts.“ =- Glücklich erreichten wir auch die Uhrſtube. Als die Tür aufging, ſchrak 
ich vor dem großen Uhrungetüm zurück; und huh, wie die großen, ſ<warzen Ziffern 
auf dem radgroßen weißen Zifferblatt mich unheimlich anglotzten! Da lag auch die große 
eiſerne Kurbel am Boden, ſo ſchwer war ſie, daß ich ſie niht aufheben konnte. Herr 
Kabls ölte und ſtäubte an den Rädern der Uhr, bis ſie ſich wieder flink drehten, und 
der große Zeiger ſich in Bewegung ſetzte. Es ging dann wieder die Treppen hinunter. Bei 
den auf einem alten Lattengeſtell ruhenden Orgelbälgen blieb Herr Kabls ſtehen und 
erklärte mir deren Obliegenheiten. „Wenn du größer biſt, darfſt du auch mal- den Balg 
heljen treten, obwohl das mehr etwas für die Buben iſt. Aber die ſind zu unzuverläſſig. 
Einmal treten ſie wie die Wilden, dann hat die Orgel zu viel Luft, ſodaß der Herr Wölf- 
linger, das kleine, dürre Männchen, von der Orgel weggeblaſen werden könnte. Das 
andere Mal vergeſſen ſie das Treten überhaupt. Die Orgel hat dann keine Luft und 
macht pf, pf.; Herr Wölflinger kann nicht ſpielen und die Leute nicht ſingen und ſie 
lachen. Es iſt nichts mit den Buben anzufangen.“ 
Wir ſtiegen dann weiter nach unten und gelangten in das Innere der Kirche. Hier war es 
ſchön hell und feierlich. Die Sonnenſtrahlen ſpielten durch die bunten Glasfenſter in blau und 
roten Farben über Altar und Bänke hin. Jh bewunderte die ſchön gemalten Glasfenſter. 
„Dieſe ſchönen Glasfenſter ſind ein Geſchenk der früheren Landesmutter, der Fürſtin von 
Saarbrücken,“ erklärte Herr Kable. =- Im Jahre 1738 wurde die Kirche neu aufgebaut 
und erweitert und im Oktober feierlich eingeweiht. Sie hatte einen neuen Steinboden .und 
eine neue Türe und neue Stühle bekommen. Auch die Kanzeltreppe mußte erneuert 
werden, denn auf der alten konnte der Herr Pfarrer zur Not noh hinaufſteigen, aber 
nur mit Lebensgefahr wieder herunterkommen. Warum die Stühle mit den verſchieb- 
baren Holzgittern verſehen wären, wunderte ic) mich. „Ja, Kindchen, das kann ich dir 
auch nicht verraten, ih war nicht. dabei, wie ſie gemacht wurden. Vielleicht,“ ſagte er 
ſc<halkhaft lächelnd, „daß die Ändächtigen ſie zuzogen, wenn ſie ein Prischen nehmen und 
ſich ſc<näuzen mußten.“ -- „So, Kindchen, jezt kennſt du die Kirc<he. Wenn du älter 
biſt, dayxfſt du auch hineingehen und dem lieben Herrgott Loblieder ſingen und beten. 
Das haſt du ſehr nötig fürs Leben. =- Für die Kinder in deinem Alter iſt in der alten 
Kirche kein Plaß.“ 
Nach einigen Jahren trennten ſich unſere Wege. I< kam zum Beſuch höherer Schulen 
und des Höhern Lehrerinnenſeminars an den Rhein. Die höheren Schulen in dem benad- 
barten Saarbrücken zu beſuchen, als Kurioſum ſei es erwähnt, war uns, den in damaliger 
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